Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720053/2/SR/Ri

Linz, 18.05.2006

 

 

B E S C H L U S S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag Stierschneider aus Anlass der Berufung des H K, geb., türkischer Staatsangehöriger, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. J R, Wstraße, L, gegen den Bescheid des Polizeidirektors der Landeshauptstadt Linz vom 30.12.2004, Zl. 1004186/FrB, beschlossen:

 

 

I. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreichs ist zur Entscheidung über diese Berufung sachlich nicht zuständig.

 

II. Die Berufung wird an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich weitergeleitet.

           

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 i.V.m. § 6 Abs. 1 AVG.

 

 

 

Begründung:

 

 

1.1. Der Rechtsmittelwerber, ein türkischer Staatsangehöriger, ist am 25. Jänner 2001, versteckt in einem LKW, illegal in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist. Zum Zeitpunkt der illegalen Einreise war der Rechtsmittelwerber geschieden. Am 26. Jänner 2001 stellte der Rechtsmittelwerber beim Bundesasylamt, Außenstelle Graz einen Asylantrag. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 6 AsylG 1997 als offensichtlich unbegründet abgewiesen und gemäß § 8 AsylG 1997 festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder  Abschiebung des Rechtsmittelwerbers in die Türkei zulässig ist.

 

Die dagegen erhobene Berufung zog der Rechtsmittelwerber am 31. Mai 2001 zurück.

 

Begründend gab der Rechtsmittelwerber an, dass er am 4. Mai 2001 die österreichische Staatsbürgerin N Ü geheiratet habe.

 

Bei der niederschriftlichen Befragung der Ehegattin des Rechtsmittelwerbers gab diese am 15. November 2004 im fremdenpolizeilichen Referat der Bundespolizeidirektion Linz unter der Zahl 1004186/FRP an, dass ihr für die Ehe mit dem Rechtsmittelwerber ca. 40.000 S angeboten worden sind. Tatsächlich habe sie jedoch weniger erhalten. Nach der Eheschließung sei der Rechtsmittelwerber bei ihr gemeldet gewesen, habe jedoch nicht bei ihr gewohnt. Wo er sich derzeit aufhalte könne sie nicht angeben, da sie mittlerweile geschieden seien. Bereits vor der Eheschließung sei die nachfolgende Scheidung vereinbart worden.

 

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Linz vom 30. Juni 2003, Zl.20C30/03v wurde die am 4. Mai 2001 vor dem Standesamt Linz geschlossene Ehe im Einvernehmen geschieden.

 

1.2. In der Folge wurde gegen den Rechtsmittelwerber mit Bescheid des Polizeidirektors der Landeshauptstadt Linz vom 30. Dezember 2004, Zl. 1004186/FRP ein auf 5 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich erlassen.

 

1.3. Gegen diesen ihm am 5. Jänner 2005 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid hat der Rechtsmittelwerber, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. x x die vorliegende, am 18. Jänner 2005 – und damit rechtzeitig – per FAX übermittelte Berufung erhoben. Diese wurde von der Erstbehörde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vorgelegt und von letzterer formlos an den Oö. Verwaltungssenat weitergeleitet.

 

 

 

 

 

2. Hierüber hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

 

2.1. Nach der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr.157/2005 (im Folgenden: FPG), entscheiden, sofern nicht anderes bestimmt ist, über Berufungen gegen Entscheidungen nach dem FPG im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern, in allen anderen Fällen hingegen die Sicherheitsdirektionen (in letzter Instanz).

 

2.2. Gemäß der – aus verfassungsrechtlicher Sicht bedenklichen[1] – Legaldefinition des § 2 Abs. 4 Z. 8 FPG ist unter einem EWR-Bürger ein Fremder zu verstehen, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.

 

Dieses EWR-Abkommen (BGBl. Nr. 909/1993 i.d.F. 566/1994, zuletzt geändert durch BGBl. III Nr. 53/2006) wurde zwar von zahlreichen Staaten und Staatengemeinschaften[2], nicht jedoch von jenem Staat, dessen Angehöriger der Rechtsmittelwerber ist (Türkei), ratifiziert. Eine Zuständigkeit des Oö. Verwaltungssenates nach § 9 Abs. 1 Z. 1 erste Alternative FPG scheidet daher – ebenso wie eine solche gemäß § 9 Abs. 1. Z. 1 zweite Alternative FPG ("Schweizer Bürger") – schon von vornherein aus.

 

2.3. Es bleibt also zu untersuchen, ob der Beschwerdeführer als ein "Begünstigter Drittstaatsangehöriger" i.S.d. § 9 Abs. 1 Z. 1 dritte Alternative i.V.m. § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG anzusehen ist.

 

2.3.1. Unter einem (bloßen) "Drittstaatsangehörigen" ist gemäß § 2 Abs. 4 Z. 10 FPG jeder Fremde, der nicht EWR-Bürger ist (vgl. FN 2), zu verstehen.

 

2.3.2. Nach § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG gelten dem gegenüber als "Begünstigte Drittstaatsangehörige" solche Fremde, die zwar selbst nicht EWR-Bürger, aber entweder der Ehegatte oder (eigene) geradlinig Verwandte (bzw. geradlinig Verwandte des Ehegatten) eines EWR-Bürgers, eines Schweizer Bürgers oder eines Österreichers, der – soweit überhaupt möglich – sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat, sind. Hinsichtlich derartiger geradlinig Verwandter ist weiters insofern zu unterscheiden, als den in gerader absteigender Linie Verwandten dieser Status jeweils bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres (bzw. darüber hinaus, sofern ihnen tatsächlich Unterhalt gewährt wird) zukommt; den in gerader aufsteigender Linie Verwandten hingegen nur, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird und ein solcher Drittstaatsangehöriger den freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder Österreicher, von dem sich seine gemeinschaftsrechtliche Begünstigung herleitet, tatsächlich begleitet oder diesem nachzieht.

 

Um die Stellung eines "Begünstigten Drittstaatsangehörigen" erlangen zu können, muss der EWR-Bürger oder der Österreicher sein "Recht auf Freizügigkeit" in Anspruch genommen haben.

 

Nach § 2 Abs. 4 Z. 15 FPG ist unter "Recht auf Freizügigkeit"[3] das gemeinschaftliche Recht eines EWR-Bürgers, sich in Österreich niederzulassen, zu verstehen. Das "Recht auf Freizügigkeit" für einen Österreicher lässt sich aus dem Gemeinschaftsrecht oder den - umgesetzten - nationalen Vorschriften jenes Staates entnehmen, in dem er sein Niederlassungsrecht in Anspruch nehmen möchte.

 

Nur jene EWR-Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen und sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufgehalten haben, sind unter den Voraussetzungen des § 51 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 31/2006 (im Folgenden: NAG) zur Niederlassung berechtigt und als freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger anzusehen. Auch Österreicher müssen, um als Freizügigkeitsberechtigte betrachtet werden zu können, ihr Recht auf Freizügigkeit in einem von ihnen gewählten EWR-Mitgliedstaat in Anspruch genommen und sich dort entsprechend den umgesetzten nationalen Rechtsvorschriften länger als drei Monate aufgehalten und in der Folge niedergelassen haben. 

 

2.3.3. Aus dem von der belangten Behörde vorgelegten Akt geht hervor, dass der Rechtsmittelwerber mit einer Österreicherin verheiratet war, die zum Zeitpunkt der Eheschließung ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat. Zum Entscheidungszeitpunkt ist der Rechtsmittelwerber nicht mehr mit einer Österreicherin verheiratet.

 

Weiters ist dem Vorlageakt zu entnehmen, dass der Rechtsmittelwerber weder mit einer EWR-Bürgerin, einer Schweizerin oder einer Österreicherin verheiratet ist,  noch, dass er mit einem solchen Staatsangehörigen in gerader Linie verwandt ist. Derartiges wird auch von ihm selbst gar nicht behauptet. 

 

Somit ist der Beschwerdeführer kein "Begünstigter Drittstaatsangehöriger" i.S.d. § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG[4].

 

2.3.4. Im Ergebnis ist daher – weil auf den vorliegenden Fall keine der dort angeführten Alternativen zutrifft – eine Zuständigkeit des Oö. Verwaltungssenates nach § 9 Abs. 1 Z. 1  FPG nicht gegeben; vielmehr fällt es nach dem in § 9 Abs. 1 Z. 2 FPG normierten Auffangtatbestand in die Kompetenz der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich, über die vorliegende Berufung zu entscheiden.

 

2.4. Aus allen diesen Gründen hatte der Oö. Verwaltungssenat also – weil die gegenständliche Berufung bereits an ihn weitergeleitet worden war (s.o., 1.4.) – in sinngemäßer Anwendung des § 66 Abs. 4 i.V.m. § 6 Abs. 1 AVG bescheidmäßig seine Unzuständigkeit festzustellen und das Rechtsmittel an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich weiterzuleiten (vgl. e contrario VwGH v. 30. Mai 1996, 94/05/0370 – verst. Senat). 

 

3. Diesem Ergebnis kann auch nicht eine vermeintlich gegenteilige Judikatur des EuGH und des VwGH, die im Ergebnis eine auf dem sog. "Assoziationsratsbeschluss"[5] basierende Stärkung der Rechtsstellung türkischer Staatsangehöriger zu bezwecken scheint, entgegen gehalten werden.

 

3.1. Der Beschluss des Assoziationsrates Nr. 1/80 vermittelt nämlich lediglich jenen türkischen Arbeitnehmern weitergehende Rechte auf Arbeit und Aufenthalt, die zuvor den ersten Integrationsschritt eines rechtmäßigen Zugangs zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaats vollzogen haben. Hingegen ist damit ein allgemeines Zuzugsrecht eines türkischen Arbeitnehmers aus seinem Heimatstaat in die Gemeinschaft nicht verbunden. Der genannte Beschluss lässt vielmehr die Kompetenz der Mitgliedsstaaten, über die Einreise bzw. die erstmalige Erteilung einer Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis autonom zu befinden, grundsätzlich unberührt (stRsp des EuGH, vgl. z.B. im Fall G, 30. September 1997, Rs C-36/96, Rz 36 bis 38 und im Fall Birden, 26. November 1998, Rs C-1/97, Rz 37; s.a. Feik, Das Aufenthaltsrecht türkischer Arbeitnehmer, ZfV 1995, 8, mwN; A, Das Assoziationsabkommen EWG–Türkei, Wien 2005, 47 f;).

 

Im Urteil vom 7. Juli 2005, C-383/03 (Fall D), Rz 13, hat der EuGH ausdrücklich darauf hingewiesen, "dass sich aus dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 ergibt, dass ..... ein türkischer Arbeitnehmer, der rechtmäßig in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates eingereist ist und dort die Erlaubnis erhalten hat, eine Beschäftigung auszuüben, seine Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat ausüben kann". 

 

Die Zugehörigkeit zum "regulären Arbeitsmarkt" setzt daher eine rechtmäßige (legale) Beschäftigung voraus (vgl. nochmals EuGH vom 26. November 1998, Rs C‑1/97 [Fall B], Rz 50).

 

Das Erfordernis einer ordnungsgemäßen (legalen) Beschäftigung ist aber jedenfalls dann nicht erfüllt, wenn eine Beschäftigung auf Grund eines Aufenthaltstitel ausgeübt wurde, der unrechtmäßiger Weise – insbesondere durch eine Täuschung (zB Scheinehe) – erlangt wurde (vgl. EuGH vom 5. Juli 1997, Rs C-285/95, Rz 24ff).

 

Der EuGH hat in seinem auf Grund eines Vorabentscheidungsersuchens des VwGH ergangenen Urteil vom 2. Juni 2005, C‑136/03[6], daher auch lediglich ausgeführt, dass (nur) hinsichtlich türkischer Staatsangehöriger, die rechtmäßig[7] eingereist sind und dem regulären[8] Arbeitsmarkt angehören[9], zwar Art. 8 der Richtlinie 64/221/EWG (im Folgenden: RL 64/221) für aufenthaltsbeendende Maßnahmen grundsätzlich eine derartige Ausgestaltung des Rechtsschutzes erfordern würde, dass solche Entscheidungen einer gerichtsförmigen Kontrolle unterliegen und einem dementsprechenden Rechtsbehelf auch aufschiebende Wirkung zukommen muss. Wenn jedoch eine Garantie in diesem Umfang – wie zum damaligen Zeitpunkt in Österreich allseits unbestritten – nicht bestand, musste nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221 zumindest gewährleistet sein, dass eine von jener, die letztlich über die aufenthaltsbeendende Maßnahme zu entscheiden hat, verschiedene Stelle eingerichtet ist, vor der sich der Fremde entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann und die zur Abgabe einer Stellungnahme berechtigt ist.

 

Diesem Erfordernis (war und) ist aber auch dann Rechnung getragen, wenn im gegenständlichen Fall – wie zuvor dargetan – die Sicherheitsdirektion als Berufungsbehörde zuständig ist. Denn z.B. nach § 15a Abs. 1 des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl.Nr. 566/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 158/2005 (im Folgenden: SPG), obliegt es dem Menschenrechtsbeirat explizit, u.a. die Tätigkeit der Sicherheitsbehörden, die die Sicherheitsverwaltung – wozu gemäß § 2 Abs. 2 SPG auch die Fremdenpolizei zählt – zu besorgen haben (vgl. § 2 Abs. 1 SPG), unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Menschenrechte zu beobachten und begleitend zu überprüfen. Europarechtskonform, nämlich unter dem Blickwinkel des Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221 interpretiert, bestünde daher für die Sicherheitsdirektion nicht nur kein Hindernis, sondern sogar die Verpflichtung, vor ihrer Entscheidung über eine Berufung aus Anlass einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme jeweils eine Stellungnahme des Menschenrechtsbeirates abzuwarten, sofern sich der Rechtsmittelwerber zuvor an diesen gewandt hat[10].

 

3.2. Dem entsprechend hat der VwGH in seinen zahlreichen im Anschluss an dieses Vorabentscheidungsverfahrens ergangenen Erkenntnissen[11] die angefochtenen Bescheide gerade nicht wegen Unzuständigkeit der belangten Behörden (nämlich: der Sicherheitsdirektionen), sondern vielmehr jeweils wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts aufgehoben.

 

3.3. Das auf Grund eines Vorabentscheidungsersuchens des VwGH ergangene Urteil des EuGH vom 2. Juni 2005, C‑136/03 bezog sich auf die Rechtslage vor der Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG (im Folgenden: Unionsbürger-RL 2004/38)[12] durch den österreichischen Gesetzgeber. Unter Punkt 2 des Beschlusses vom 18. März 2003, Zlen EU 2003/0001, 0002-1 hatte der VwGH dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob "die Rechtsschutzgarantien der Art 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, auf türkische Staatsangehörige anzuwenden sind, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder 7 des Beschlusses des - durch das Abkommen zur Gründung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom 19. September 1980, Nr. 1/80, über die Entwicklung der Assoziation zukommt".

 

Die RL 64/221 wurde durch Art. 38 Abs. 2 der Unionsbürger-RL 2004/38 mit Wirkung vom 30. April 2006 aufgehoben.

 

Durch die Unionsbürger-RL 2004/38 wurde der besondere Rechtsschutz der Unionsbürger[13] in Bezug auf Aufenthalt und freie Bewegung im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten ausgeweitet und die wesentlichen europarechtlichen Bestimmungen geändert, ersetzt oder sogar aufgehoben[14]. Dieser Ansatz lässt schon a priori nicht erwarten, dass der EuGH eine solche Rechtsposition auch den – wenngleich im Wege spezifischer Abkommen mitunter begünstigten – Bürgern von Drittstaaten wie den türkischen Staatsangehörigen zubilligen wird.[15]. Dies würde nämlich zu dem unverständlichen Ergebnis führen, dass türkische Staatsangehörige – ohne dass die Türkei Mitglied der EU ist – den Unionsbürgern vollkommen gleichgestellt wären.

 

Denn das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union haben wohl in Kenntnis der einschlägigen Entscheidungspraxis des EuGH und vor allem der damit verbundenen "Rechtsfortbildung durch den EuGH"[16] in der Frage des Rechtsschutzes türkischer Staatsangehöriger - denen die Rechtsstellung nach Artikel 6 oder 7 des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation zukommt und auf die der EuGH die verfahrensrechtlichen Mindestgarantien in Artikel 8 und 9 der mit 30. April 2006 weggefallenen RL 64/221 ausgedehnt hat -, die in Rede stehende Unionsbürger-RL 2004/38 erlassen, um das Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht aller Unionsbürger zu vereinfachen und zu verstärken[17]Weder in der Richtlinie selbst noch in den voran dargestellten Überlegungen der Kommission, des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen findet sich aber irgendein Hinweis, dass der nunmehr wesentlich erweiterte Rechtsschutz in gleicher Weise auch auf bloß "Assoziierte" Anwendung finden sollte. Vor diesem Hintergrund und den weiteren einleitenden Erwägungen zur Unionsbürger-RL 2004/38, wo sehr wohl auch auf die Judikatur des EuGH[18] hingewiesen und gerade auf Grund dieser Rechtsprechung und der damit verbunden Rechtsfortentwicklung eine entsprechende Umsetzung vorgenommen wurde, ist davon auszugehen, dass bei der Erlassung dieser Richtlinie der den Unionsbürgern zukommende Rechtsschutz nicht auch auf "Assoziierte" ausgedehnt werden sollte.

 

Auch die Regierungsvorlage zum "Fremdenrechtspaket 2005" (vgl 952 BlgNR, 22. GP, Seite 2) führt aus, dass mit dem vorgeschlagenen Entwurf u.a. die RL 2004/38/EG umgesetzt werden sollte. Da aber, wie bereits zuvor dargetan, der Gesetzestext des FPG 2005, mit dem der Unionsbürger-RL 2004/38 entsprochen werden sollte[19] und auch tatsächlich entsprochen wurde, nicht einmal ansatzweise zum Ausdruck bringt, dass auch jenen türkischen Staatsangehörigen, die vom Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 erfasst werden, der an sich nur Unionsbürgern garantierte erweiterte Rechtsschutz zukommen soll, ist davon auszugehen, dass die Umsetzung der Unionsbürger-RL 2004/38/EG eben nur jenen in § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG 2005 genannten Personenkreis erfasst und mangels entsprechender Mehrheitsfindung in der gesetzgebenden Körperschaft den türkischen Staatsangehörigen diese "privilegierte", den Rechten eines Unionsbürgers voll entsprechende Stellung nicht gewährt werden sollte.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

 

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

 

 

 

 

 

Mag. Stierschneider

 

 

 

 

 

 



[1] Weil auf diese Weise der Inhalt einer Verfassungsbestimmung durch eine einfachgesetzliche Norm näher konkretisiert wird, noch dazu, wo es um eine zuständigkeitsbegründende Vorschrift zwischen unterschiedlichen Gebietskörperschaften, nämlich letztlich um die Klärung der Frage "Unmittelbare oder mittelbare Bundesverwaltung ?" geht.

[2] Mittlerweile - d.h. seit dem 6. Dezember 2005 - insgesamt 30, darunter zwölf Staaten (im Folgenden kursiv), die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des EWR-Abkommens (1. Jänner 1994) schon Mitglied der EG waren, sowie drei derzeitige Nicht-EU-Mitglieder (im Folgenden fett): Belgien, Dänemark, Deutschland, EGKS, EWG, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Island, Italien, Liechtenstein, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Spanien, Tschechien, Estland, Zypern, Lettland, Litauen, Ungarn, Malta, Polen, Slowenien, Slowakei.

[3] Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art 39 EGV, Niederlassungsfreiheit nach Art 43ff EGV, Dienst-leistungsfreiheit nach Art 49ff EGV und "Allgemeines Freizügigkeitsrecht" des Art 18 Abs.1 EGV (Familienangehörige von Unionsbürgern, die selbst die Staatsangehörigkeit eines Drittstaates besitzen, können sich nicht auf Art. 18 EGV berufen; ihnen wird ein Aufenthaltsrecht aber sekundärrechtlich gewährleistet [Winfried Kluth, in: Calliess/Ruffert {Hrsg.}, EUV/EGV, Art 18, Rn. 7]).

[4] Dem widerspricht auch nicht die – neben dem offiziellen Ausschussbericht und im Übrigen bloß mit Stimmenmehrheit getroffene – Feststellung des Ausschusses für Innere Angelegenheiten, 1055 BlgNR, 22. GP, S 9 f., wonach "die Rechtsschutzgarantien der Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG für türkische Staatsangehörige, denen die Rechtsstellung nach Artikel 6 oder Artikel 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation zukommt, gelten". Offensichtlich fand diese Auffassung nämlich dann in der gesetzgebenden Körperschaft nicht die erforderliche Mehrheit, hätte doch ansonsten keinerlei Hindernis bestanden, diese Wendung ausdrücklich in den Gesetzestext aufzunehmen. Vor diesem Hintergrund ist daher diese Feststellung nicht als - insbesondere auch nicht als interpretativ erschließbarer - Inhalt des Gesetzestextes anzusehen, weil die tragfähige Grundlage für eine historische Interpretation entfällt. Denn unter den dargestellten Umständen ist die Annahme einer fiktiven Zustimmung der beschlussfassenden Mehrheit der Parlamentarier zu dieser (Mehrheits-)Feststellung des Ausschusses für Innere Angelegenheiten nicht mehr vertretbar, sondern erschiene als rein willkürlich (zu dieser Hypothese bei der historischen Interpretation vgl. Öhlinger, Verfassungsrecht, 3. Aufl., Wien 1997, 30). Nach herrschender Meinung zum Verhältnis der Auslegungsmethoden im Öffentlichen Recht ist aber ohnehin stets vom Vorrang des Gesetzeswortlauts und damit von der Wortinterpretation in Verbindung mit der grammatikalischen und der systematischen Auslegung bei äußerster Zurückhaltung gegenüber Methoden "berichtigender" Interpretation auszugehen (vgl. mit zahlreichen Nachweisen Antoniolli-Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., Wien 1996, 101 f). Für eine prinzipiell objektive Auslegung treten daher auch Walter-Mayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 9. Auflage, Wien 2000, RN 132 ("Wenn also der objektive Ausdruck deutlich ist, so ist er maßgeblich, unabhängig davon, ob der [subjektive] Wille damit übereinstimmt, divergiert oder überhaupt undeutlich ist") unmissverständlich ein. Deshalb ist auch nach übereinstimmender Rechtsprechung der Gerichtshöfe des Öffentlichen Rechts bei einem Widerspruch zwischen dem klaren Gesetzeswortlaut und den an sich unverbindlichen Materialien ausschließlich das Gesetz maßgeblich und entscheidend (vgl. schon VfSlg 4340/1963, 4442/1963 5153/1965 und 7698/1975 sowie VwSlg 5362 A/1960). Auf andere Erkenntnisquellen (wie Regierungsvorlage und Stenographische Protokolle) außerhalb des Gesetzeswortlauts, die für sich allein nichts über den Inhalt aussagen, darf nur bei zweifelhafter Ausdrucksweise des Gesetzgebers zurückgegriffen werden (vgl. die Nachweise aus der Judikatur bei Antoniollii-Koja, a.a.O., 102 FN 38). Dies ist jedoch gegenständlich, wie oben im Text bereits dargelegt, keineswegs der Fall.

[5] Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980.

[6] = EuGRZ 2005, 319 ff.

[7] In den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 21. Oktober 2004 hat dieser unter Punkt V (Ergebnis) Abs. 61 Z 2 ausgeführt, dass "die in Artikel 8 und 9 der Richtlinie 64/221 vorgesehenen verfahrensrechtlichen Garantien auf türkische Arbeitnehmer Anwendung finden, denen die Rechtsstellung nach Artikel 6 oder 7 des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation zukommt.

[8] Vgl. dazu auch EuGH v. 7. Juli 2005, C-383/03.

[9] Vgl. Art. 6 und 7 des Assoziationsratsbeschlusses (FN 4).

[10] Art. 9 Abs 1 RL 64/221 bestimmte: "Sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, trifft die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ..... ausser in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufenthaltslandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann."

[11] Vgl. VwGH v. 11. Oktober 2005, Zl. 2005/21/0165; v. 15. Dezember 2005, Zl. 2005/18/0357; u.v.a.

[12] Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73//148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158 vom 30.4.2004).

 

[13] Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt (Art. 17 EGV). Obwohl die Unionsbürgerschaft an die Staatsangehörigkeit in den Mitgliedstaaten anknüpft, handelt es sich um ein unmittelbar statusbegründendes Rechtsverhältnis. Die mit dem Status als Unionsbürger verbundenen Rechte und Pflichten werden nicht durch die staatliche Rechtsordnung vermittelt, sondern ergeben sich unmittelbar aus dem Recht der Union (Winfried Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Art 17, RN. 6).

[14] vgl. näher Ralf Ramin, Die Rechtsstellung der Unionsbürger nach dem Fremdenrechtspaket 2005, migralex 2006, 13.

[15] Hinsichtlich der türkischen Staatsangehörigen iSd Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 müsste wiederum zwischen legal eingereisten und in den Arbeitsmarkt integrierten und solchen Türken, auf die dies nicht zutrifft, unterschieden werden; vgl. EuGH in FN 4.

[16] Die autonome richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH wirft im Hinblick darauf, dass Österreich der EG vorbehaltlos beigetreten ist, besondere Probleme auf. Zum einen war dem Bundesvolk bei der Abstimmung über das "Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union" (BGBl.Nr. 744/1994) dessen Inhalt und Dynamik nicht einmal ansatzweise klar, und zum anderen kann sich diese Ermächtigung nur auf einen bestimmten status quo, jedoch nicht auch auf alle daraus für die Zukunft resultierenden, damals noch gar nicht abschätzbaren Änderungen im Hinblick auf die Baugesetze der österreichischen Verfassung bezogen haben. Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis VfSlg 13839/1994 unter Hinweis auf seine insoweit fehlende Zuständigkeit eine inhaltliche Prüfung dieses Beitritts-BVG abgelehnt (vgl. demgegenüber VfSlg 11500/1987, S. 363, zu Art. 6 EMRK: "... erweist sich mithin als offene Rechtsfortbildung, die wohl erwogene Gründe haben mag, den Staaten aber Verpflichtungen auferlegt, die einzugehen sie niemals gewollt und erklärt haben."). Damit scheint im Ergebnis jedenfalls kein dementsprechendes Fehlerkalkül zu bestehen, weshalb – juristisch besehen – jede Unvereinbarkeit mit den Baugesetzen der Verfassung unmittelbar zur absoluten Teilnichtigkeit des Beitritts-BVG führen müsste (zur Frage der Bedenklichkeit des Beitritts-BVG im Hinblick auf Art. 44 Abs. 3 B-VG vgl. auch Roland Winkler, Integrationsverfassungsrecht, Wien 2003, 44 f., mwN). Rechtspolitisch betrachtet scheint die vorbehaltlose Übernahme des Sekundärrechts der EG auf eine schleichende Beeinträchtigung von Baugesetzen des B-VG hinauszulaufen, was im Ergebnis als ein "stiller Staatsstreich" qualifiziert werden kann.

[17] Punkt 3 der Erwägungen zur RL 2004/38.

[18] Punkt 27 der Erwägungen zur RL 2004/38.

[19] Mitteilung nationaler Vorschriften - Dokumentnummer 72004L0038.

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