Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-230934/2/WEI/Ps

Linz, 07.11.2006

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Berufung der G M W, geb., F, S, gegen das mündlich verkündete Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Steyr vom 11. August 2005, Zl. S 5164/ST/05, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem § 82 Abs 1 Sicherheitspolizeigesetz - SPG (BGBl Nr. 566/1991, zuletzt geändert mit BGBl I Nr. 158/2005) zu Recht erkannt:

 

 

I. Aus Anlass der Berufung wird das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 und Z 3 VStG eingestellt.

 

II. Die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens entfällt.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs 4 AVG 1991 iVm § 24 VStG 1991; § 66 Abs 1 VStG 1991.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde über die Berufungswerberin (im Folgenden: Bwin) laut Niederschrift über die Strafverhandlung vom 11. August 2005 von 08.30 bis 08.40 Uhr wie folgt abgesprochen:

 

"S p r u c h :

 

Sie haben am 10.08.2005 zwischen etwa 22.45 Uhr und 22.50 Uhr (Zeitpunkt der erfolgten Festnahme), in S, im Stiegenhaus des Hauses F, durch ihr Verhalten folgenden zur Anzeige gebrachten Tatbestand verwirklicht:

 

'Am 10.08.2005 um 22:22 Uhr wurde S60 (ML und BezInsp H.) nach S, F beordert, weil dort laut (Zeugen), G W Gegenstände in ihrer Wohnung umherwerfen würde.

     Am Einsatzort eingetroffen gab (der Zeuge) im Stiegenhaus sinngemäß Folgendes an:

     'Heute (10.08.2005) gibt es wieder Probleme mit der G W. Vor ca. 30 Minuten warf sie Gegenstände in ihrer Wohnung umher, Da ich mich dadurch in meiner Nachtruhe gestört fühle, habe ich die Polizei verständigt. Jetzt ist es allerdings wieder ruhig. Ich habe schon mit der Vermieterin geredet, da es fast täglich Probleme mit W gibt.'

     Die anwesenden (weiteren Zeugen) bestätigten die Angaben des F sinngemäß.

Bei der Sachverhaltsaufnahme kam dann G W ebenfalls ins Stiegenhaus. W begann gleich die anwesenden Parteien zu beschimpfen. Sie schrie laut und gestikulierte mit den Händen wild vor uns her. Daraufhin begann W uns ebenfalls zu beschimpfen. Aufgrund des aggressiven Verhaltens wurde W. von uns mit den Worten 'Stellen sie ihr Verhalten ein, ansonsten werden sie angezeigt', abgemahnt. Da W trotz vorausgegangener Abmahnung ihr aggressives Verhalten fortsetzte, indem sie uns weiterhin beschimpfte bzw. mit den Händen wild gestikulierend vor uns umhersprang und somit die Amtshandlung behinderte, wurde sie von der Anzeigenerstattung in Kenntnis gesetzt und die Festnahme angedroht. Ungeachtet der Festnahmedrohung setzte W. ihr aggressives Verhalten fort, indem sie ihre Zigaretten bzw. ihre Handtasche gegen uns warf, diese jedoch uns verfehlten. Da W bei der Begehung einer Verwaltungsübertretung auf frischer Tat betreten wurde, wurde sie am 10.08.2005 um 22:50 Uhr am Orte der Amtshandlung wegen Fortsetzung der strafbaren Handlung gem. § 35/3 VStG vom ML festgenommen.

Anzuführen ist, dass W merkbar alkoholisiert war und dass von den Zeugen keine Anzeige wegen Lärmerregung erstattet wurde."

 

Dadurch habe die Bwin eine Verwaltungsübertretung nach "§ 82/1 SPG" begangen, wegen der die belangte Behörde eine Geldstrafe von 80 Euro verhängte und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von "2 Tagen/Stunden" (?) festsetzte.

 

2. Gegen dieses mündlich verkündete Straferkenntnis richtet sich die rechtzeitig am 25. August 2005 per Telefax bei der belangten Behörde eingebrachte handschriftliche Berufung, in der die Bwin behauptet, zur angeführten Uhrzeit nicht am Tatort, sondern gegenüber im Restaurant A gewesen zu sein. Dort hätte sie der Chef darauf aufmerksam gemacht, dass die Polizei "bei uns" stünde. Erst dann habe sie das Haus betreten, wobei sie sofort von Frau B. mit den Worten "Da ist sie die Sau" empfangen worden wäre. Sie hätte nicht einmal gewusst, worum es geht. Dennoch wäre sie verhaftet worden, ohne dass ihr jemand einen Grund dafür gesagt hätte. Die Bwin abschließend: "Körperverletzung durch irre Fahrweise der SWB."

 

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat nach Einsicht in den vorgelegten Verwaltungsstrafakt festgestellt, dass der angefochtene Strafbescheid schon aus rechtlichen Gründen aufzuheben ist.

 

4. In rechtlicher Hinsicht hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 82 Abs 1 SPG begeht eine Verwaltungsübertretung und kann mit Geldstrafe bis 218 Euro, bei Vorliegen erschwerender Umstände mit Freiheitsstrafe bis zu einer Woche und im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen bestraft werden,

 

wer sich trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber einer Militärwache, während diese ihre gesetzlichen Aufgaben wahrnehmen, aggressiv verhält und dadurch eine Amtshandlung behindert.

 

Diese Verwaltungsübertretung trat an die Stelle des in Art IX Abs 1 Z 2 EGVG aF (Beseitigung mit Wirkung vom 1.05.1993 durch EGVG-Novelle BGBl Nr. 143/1992) geregelten Verwaltungsstraftatbestandes des ungestümen Benehmens.

 

In der Regierungsvorlage 1991 zum Sicherheitspolizeigesetz (vgl RV SPG 148 BlgNR, 18. GP, 52) wird dazu ausgeführt:

 

"Der Tatbestand des Art. IX Abs. 1 Z 2 ist ebenfalls einer Einschränkung unterworfen worden. Zunächst wurden – ohne inhaltliche Änderung – die Worte 'ungestüm benimmt' durch die Worte 'aggressiv verhält' ersetzt, und dann wurde als zusätzliches Tatbestandsmerkmal, das kumulativ vorliegen muß, die Behinderung der Amtshandlung eingefügt. Damit ergibt sich, daß ein strafbares Verhalten nur dann vorliegt, wenn zum aggressiven Verhalten die Behinderung der Amtshandlung hinzutritt."

 

In der Rechtsprechung der Gerichtshofe öffentlichen Rechts (vgl die Rechtsprechungsübersicht bei Hauer/Keplinger, Kommentar zum SPG3 [2005], 821 ff, insb C.1. und C.2.) wird unter ungestümem Benehmen ein mit ungewöhnlicher Heftigkeit verbundenes Verhalten verstanden, das zufolge des Tonfalls und der zur Schau gestellten Gestik als aggressives Verhalten gedeutet werden muss. Abfällige ungehörige und/oder beleidigende Äußerungen für sich allein sind noch kein ungestümes Benehmen.

 

4.2. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Sprucherfordernissen nach § 44a Z 1 VStG ist die Tat so weit zu konkretisieren, dass eine eindeutige Zuordnung zu den Tatbestandsmerkmalen ermöglicht wird und die Identität der Tat unverwechselbar feststeht (stRsp seit verst. Senaten VwSlg 11.466 A/1984 und VwSlg 11.894 A/1985). Dabei sind die Anforderungen an Tatort- und Tatzeitumschreibung von Delikt zu Delikt und je nach den Begleitumständen verschieden und an Rechtsschutzüberlegungen zu messen (vgl u.a. im Anschluss an verst. Senat VwSlg 11.894 A/1985; VwGH 29.9.1993, 93/02/0046; VwGH 31.1.1995, 95/05/0008; VwGH 9.9.1998, 97/04/0031). Im Spruch sind alle wesentlichen Tatbestandsmerkmale anzuführen, die zur Individualisierung und Konkretisierung des inkriminierten Verhaltens notwendig sind. Eine Umschreibung bloß in der Begründung reicht im Verwaltungsstrafrecht nicht aus (vgl mwN Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2003] 1522, Anm 2 zu § 44a VStG).

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Rechtsmittelbehörde nach § 66 Abs 4 AVG (iVm § 24 VStG) nicht die Befugnis, dem Beschuldigten eine andere Tat als die Erstbehörde anzulasten und damit die Tat auszuwechseln (vgl allgemein VwGH 25.3.1994, 93/02/0228; VwGH 19.5.1993, 92/09/0360; VwGH 28.2.1997, 95/02/0601). Die Entscheidungsbefugnis der Berufungsbehörde ist durch den Abspruchsgegenstand des angefochtenen Bescheides beschränkt (vgl VwGH 23.11.1993, 93/04/0169). Eine Abänderungsermächtigung besteht nur im Rahmen der Sache iSd § 66 Abs 4 AVG (vgl etwa VwGH 25.9.1992, 92/09/0178; VwGH 8.2.1995, 94/03/0072; VwGH 3.9.1996, 96/04/0080). Dabei ist Sache des Berufungsverfahrens die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs im Bescheid der Unterbehörde bildet (vgl u.a. VwGH 24.3.1994, 92/18/0356; VwGH 23.10.1995, 94/04/0080; VwGH 29.10.1996, 96/07/0103; VwGH 19.3.1997, 93/11/0107). Ein Austausch wesentlicher Tatbestandsmerkmale führt zur Anlastung einer anderen Tat und ist daher unzulässig (vgl VwGH 20.11.1997, 97/06/0170).

 

4.3. Nach Ansicht des erkennenden Mitglieds des Oö. Verwaltungssenats genügt der Schuldspruch der belangten Behörde nicht den Anforderungen des § 44a Z 1 VStG an eine Konkretisierung, die sich auf Basis eines den rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichteten Schuldstrafrechts ergeben. Die belangte Behörde hat sich nämlich damit begnügt, im Schuldspruch die ersten 5 Absätze und den letzten Absatz der Anzeige der Polizeiinspektion Münichholz vom 10. August 2005, Zl. A2/5103/2005, wörtlich wiederzugeben, ohne eigene Feststellungen zu den für die Subsumtion relevanten Tatbestandsmerkmalen zu treffen. Sie hat sich damit ohne eigene Erhebungen die Anzeige zu eigen gemacht und in Wahrheit entgegen der formelhaften Behauptung in der sog. "Strafverhandlung" (vgl Niederschrift vom 11.08.2005) keinerlei Erörterung der Sach- und Rechtslage mit der Bwin vorgenommen. Eine Stellungnahme der Bwin ist im formularmäßig gestalteten Protokoll "STRAFVERHANDLUNG" gar nicht vorgesehen.

 

Durch diese Vorgangsweise ist die belangte Strafbehörde ihrer aus § 44a VStG folgenden Pflicht, die als erwiesen angenommene Tat im Spruch nachvollziehbar und in Bezug auf die wesentlichen Tatbestandsmerkmale zu konkretisieren und darzustellen, nicht nachgekommen. Vielmehr hat sie sich auch die Mängel der Anzeige zu eigen gemacht, in der floskelhaft und ohne jeden konkreten Bezug vom angeblichen Beschimpfen, wilden Gestikulieren und Herumspringen durch die Bwin die Rede ist. Ein zusammenhängendes und historisch nachvollziehbares Geschehen wird nicht geschildert. Es bleibt bei abstrakten Floskeln, die auch in jedem anderen Fall beliebig bemüht werden könnten und das Ergebnis der Beurteilung eines Verhaltens vorwegnehmen. Ein derart verallgemeinerter – weil nicht individualisierter – und damit austauschbarer Verhaltensvorwurf ist für die Subsumtion unter die wesentlichen Tatbestandsmerkmale ungeeignet. Die rechtliche Beurteilung eines nicht konkretisierten Sachverhalts ist nämlich nicht möglich. Auch das weitere Erfordernis der Behinderung der Amtshandlung durch die Bwin wird in der Anzeige nur mit einem Verweis auf das "ungestüme Benehmen" pauschal behauptet und in keiner Weise plausibel gemacht.

 

Da die Bwin mit konkreten Sachverhaltsfragen nicht konfrontiert wurde, hat sie auch in der Sache nur unzureichend Stellung bezogen. In der Berufung meinte sie sogar, sie hätte gar nicht gewusst worum es geht und wäre einfach verhaftet worden. Angesichts der nach Ausweis der Aktenlage wesentlichen Erhebungs- und Feststellungsmängel vermag es nicht zu verwundern, dass der Tatvorwurf inhaltsleer geblieben ist. Die in der Rechtsprechung nach den Umständen der Einzelfälle vorgenommenen Differenzierungen in Bezug auf Verhaltensweisen (vgl dazu näher Hauer/Keplinger, Kommentar zum SPG3 , 815 f, A.5.1.3. und A.5.1.4.) sind dabei gar nicht möglich.

 

Die belangte Behörde hat hinsichtlich der gesetzlichen Wendung keine über die bloße Wiedergabe der verba legalia hinausgehende Umschreibung vorgenommen. Es reicht aber nicht aus, den bloßen Gesetzeswortlaut unter Anführung von Tatzeit und Tatort wiederzugeben, sondern die Tat ist entsprechend den Gegebenheiten des jeweiligen Falles zu individualisieren (vgl dazu näher Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6, 1522 mwN).

 

5. Im Ergebnis war daher der angefochtene Strafbescheid aufzuheben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 und Z 3 VStG einzustellen. Aus dem vorgelegen Verwaltungsstrafakt war nämlich auch keine hinreichend konkretisierte und damit taugliche Verfolgungshandlung erkennbar, weshalb mittlerweile Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Bei diesem Ergebnis entfällt auch gemäß § 66 Abs 1 VStG die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

Dr. W e i ß

 

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