Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-240565/2/WEI/Ps

Linz, 21.11.2006

 

E R K E N N T N I S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Berufung der C Z, pA. U, vertreten durch Dr. P F, Rechtsanwalt in T, R, gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmanns von Urfahr-Umgebung vom 23. August 2005, Zl. SanRB 96-76-2004-Ni, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem § 74 Abs 4 Z 1 Lebensmittelgesetz 1975 – LMG 1975 (BGBl Nr. 86/1975 idF der Novelle BGBl I Nr. 69/2003) iVm § 4 Lebensmittelhygieneverordnung (BGBl II Nr. 31/1998) zu Recht erkannt:

 

I. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 und Z 2 VStG eingestellt.

 

II. Die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens entfällt.

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs 4 AVG 1991 iVm § 24 VStG 1991; § 66 Abs 1 VStG 1991.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis hat die belangte Behörde die Berufungswerberin (Bwin) wie folgt schuldig erkannt und bestraft:

 

"Sie haben als die gemäß § 9 Abs.2 VStG bestellte verantwortlich Beauftragte der Firma U, E, T, und somit strafrechtlich Verantwortliche zu vertreten, dass anlässlich einer lebensmittelpolizeilichen Kontrolle am 02.08.2004 um 12:54 in der U in B, L, festgestellt wurde, dass das Produkt HIPP Frucht und Joghurt (Mindesthaltbarkeitsdatum 5/2005) trotz mehrmaliger Hinweise auf erhöhte Lagertemperaturen bei einer Umgebungstemperatur von 24,2° C gelagert wurde.

 

Dieses Produkt muss laut Hersteller kühl gelagert werden. Kühl wird in den Lebensmittelleitlinien mit 15°C definiert. Eine Toleranzabweichung von 3°C wurde in diesen Leitlinien ebenfalls angegeben, woraus sich eine maximale Temperatur von 18°C ergibt.

 

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

 

§ 74 Abs.4 Z.1 des Lebensmittelgesetzes 1975 (LMG 1975), BGBl.Nr. 86/1975 i.d.g.F., in Verbindung mit § 4 Abs.1 Ziff.6 lit.b Lebensmittelhygieneverordnung, BGBl.Nr. 31/1998 i.d.g.F."

 

Wegen der so umschriebenen Verwaltungsübertretung verhängte die belangte Behörde über die Bwin gemäß dem "§ 74 Abs.4 Lebensmittelgesetz, Schlussteil" eine Geldstrafe in Höhe von 50 Euro und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 6 Stunden. Als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens wurden gemäß § 64 VStG 10 % der Geldstrafe vorgeschrieben.

 

1.2. Gegen dieses Straferkenntnis, das der Bwin zu Händen ihres Rechtsvertreters am 26. August 2005 zugestellt worden ist, richtet sich die rechtsfreundlich eingebrachte Berufung vom 8. September 2005, die rechtzeitig am 9. September 2005 bei der belangten Behörde einlangte. Die Berufung beantragt in der Hauptsache die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und Einstellung des Strafverfahrens, hilfsweise die Anwendung des § 21 VStG.

 

2. Aus der Aktenlage ergibt sich der folgende wesentliche S a c h v e r h a l t :

 

2.1. Mit Anzeige vom 6. August 2004, Zl. SanLa-1603/0030-0053-2004/MAYW, hat das zuständige Lebensmittelaufsichtsorgan der Landessanitätsdirektion der belangten Behörde den Verdacht einer Übertretung des § 4 Abs 1 Z 6b der Lebensmittelhygieneverordnung angezeigt. Bei der Kontrolle gemäß § 37 LMG 1975 am 2. August 2004 um 12.54 Uhr im U in B, L, wurde die Lagerung von Produkten, und zwar "HIPP Frucht und Joghurt MHD 05/2005" und "HIPP Frucht und Getreide MHD 03/2005" bei einer Umgebungstemperatur von 24,2 °C festgestellt. Diese Produkte lagerten schon am 22. Juli 2004 bei ebenfalls erhöhter Temperatur von 26 °C. Laut Hersteller müssten diese Produkte kühl gelagert werden. "Kühl" werde in den Lebensmittelleitlinien mit 15 °C definiert. Bei einer (zulässigen) Toleranzabweichung von 3 °C ergebe sich daher eine maximale Temperatur von 18 °C. Auch weitere Produkte (Schokoladenprodukte, Trockenfrüchte etc.) lagerten bei erhöhten Temperaturen. Hinsichtlich der angezeigten beiden HIPP-Produkte, welche bereits am 22. Juli vorgefunden wurden, wäre nachgewiesen, dass sie mindestens 2 Tage bei erhöhten Temperaturen lagerten. Die zuständige Filialleiterin wäre bereits mehrmals darauf hingewiesen worden, dass die Umgebungstemperatur für die Lagerung von Kindernährmittel, Schokoladenprodukte usw. nicht geeignet ist. Bei einer Kontrolle vom 3. Juli 2003 wäre eine Umgebungstemperatur von 30 °C festgestellt worden. Die Einhaltung von Lagerungstemperaturen sei ein wichtiges Kriterium, um die Genusstauglichkeit bis zum Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums zu garantieren.

 

2.2. Auf Anfrage der belangten Behörde gab der Rechtsvertreter der Firma U und der Bwin mit Schreiben vom 25. August 2004 bekannt, dass die Bwin die verantwortlich beauftragte Marktleiterin zum Vorfallsdatum gewesen wäre. Er legte die Kopie einer Bestellungsurkunde aus dem Jahr 2003 und eine Heiratsurkunde in Kopie vor, aus der hervorgeht, dass die Bwin, geb. S, am 8. Mai 2004 Herrn A Z geheiratet hat. Die Bestellungsurkunde hat sie am 8. März 2003 noch mit "S" unterfertigt. Ihr wesentlicher Inhalt lautet auszugsweise:

 

"...

Der/Die verantwortlich Beauftragte ist Dienstnehmer/in in der Funktion als Marktleiterstellvertreter/in.

 

Sachlicher/räumlicher Bereich:

Im Falle der Verhinderung des Marktleiters an der Ausübung und Einhaltung der mit dessen Einvernehmen übernommenen Verpflichtungen, insbesondere wegen urlaubs- bzw. krankheitsbedingter Abwesenheit oder wegen der im Kollektivvertrag der Handelsangestellten unter Pkt. XIII angeführter Gründe, sowie bei Pflegefreistellung, Zeitausgleich und sonstiger bezahlter Abwesenheit.

Für die Filiale B wird Ihnen – im Falle der Verhinderung des Marktleiters – eine Anordnungsbefugnis gegenüber den anderen Mitarbeitern erteilt, um sämtliche Verstöße gegen die angeführten rechtlichen Bestimmungen abzustellen bzw. zu verhindern.

Ausgenommen von ihrem Zuständigkeits- bzw. Verantwortungsbereich ist die Einhaltung sämtlicher lebensmittelrechtlichen Bestimmungen im Bereich der Feinkostabteilung.

..."

Ergänzend dazu teilte der Rechtsvertreter im angeführten Schreiben mit, "dass die zuständige Marktleiterin bereits seit 01.08.2004 offiziell zur Marktleiterin in der U S bestellt war." Aus diesem Grund wäre zum vorfallsgegenständlichen Zeitpunkt Frau C S, nunmehrige Z, als Marktleiterstellvertreterin für die U B verantwortlich Beauftragte im Sinne des § 9 Abs. 2 VStG gewesen.

 

Die belangte Behörde hat diese Darstellung akzeptiert und gegen die Bwin die Strafverfügung vom 27. September 2004 erlassen, der im Wesentlichen ein Tatvorwurf wie im angefochtenen Straferkenntnis zu entnehmen ist.

 

2.3. Gegen diese Strafverfügung wurde der rechtzeitige Einspruch vom 14. Oktober 2004 eingebracht. In diesem wird die angelastete Umgebungstemperatur von 24,2 °C bezweifelt und die Frage aufgeworfen, wie diese ermittelt wurde, zumal auch keine Unterlagen über die Temperaturmessung vorliegen. Darüber hinaus sei eine einmalige Messung im Hochsommer um die Mittagszeit auch nicht repräsentativ. Gerade im Hochsommer gebe es immer wieder Tage mit überdurchschnittlich hohen Temperaturen. Den Etiketten, mit welchen die HIPP Gläser ummantelt sind, könne die Empfehlung "kühl lagern" nicht entnommen werden. Lediglich der Gebrauchsanleitung des Herstellers auf der Etikette sei zu entnehmen, dass ein angebrochenes Glas verschlossen kühl zu stellen und innerhalb von drei Tagen zu verbrauchen sei. Demzufolge sei die Lagerung bei Zimmertemperatur völlig unbedenklich.

 

Aus der vorgelegten Kopie eines Etikettenmusters des HIPP Produktes "Frucht und Joghurt", das mangels gegenteiliger Anhaltspunkte unbestritten als repräsentativ gelten kann, ist auch für den erkennenden Verwaltungssenat augenscheinlich ersichtlich, dass diese Gebrauchsanleitung tatsächlich so lautet und ein ausdrücklicher allgemeiner Hinweis "kühl lagern" nicht zu erkennen ist.

 

Die Bwin beruft sich im Einspruch weiter auf ein an die Handelskunden der Firma HIPP in D-85265 Pfaffenhofen versendetes Rundschreiben aus Oktober 2004, aus dem ersichtlich sei, dass die Produkte keinen Temperaturen unter + 3 °C bzw. über + 30 °C ausgesetzt werden dürfen. Dieses ebenfalls in Kopie aktenkundige Rundschreiben zum Betreff "Frostschäden bei Babykost im Glas/Schale" enthält tatsächlich die oben genannte Temperaturempfehlung im Zusammenhang mit der Beachtung von Transportbedingungen.

 

Der Bwin sei kein Handelsmarkt einer in Österreich ansässigen Lebensmittelkette bekannt, der Babynahrung im Allgemeinen und HIPP Produkte im Speziellen nicht in herkömmlichen Verkaufsregalen bei Zimmertemperatur zum Verkauf anbietet. Mit der Temperaturmessung zu einem bestimmten Zeitpunkt könne eine hygienisch nachteilige Lagerung nicht nachgewiesen werden, weil eine Reihe von Faktoren wie Art des Produktes, des Gebindes und der Verpackung und die Dauer der Temperatureinwirkung eine wesentliche Rolle spielten. Gerade bei pasteurisierten Produkten könne alleine aus der gemessenen Temperatur von 24,2 °C nicht auf eine Verwaltungsübertretung geschlossen werden. Zum Beweis beruft sich die Bwin auf eine Untersuchung der bemängelten Hipp Produkte durch einen Lebensmittelchemiker.

 

In rechtlicher Hinsicht könne nach Ansicht der Bwin der § 4 Abs 1 Z 6 lit b der Lebensmittelhygieneverordnung keine Anwendung finden, weil bei den HIPP Gläsern das Mindesthaltbarkeitsdatum nicht mit einer Temperatur versehen sei. Die von der belangten Behörde erwähnten Lebensmittelleitlinien fänden auch keinen Niederschlag im Lebensmittelgesetz oder der Lebensmittelhygieneverordnung. Überdies lägen bei der unbescholtenen Bwin auch die Voraussetzungen für ein Absehen von Strafe nach § 21 VStG vor.

 

2.4. Die belangte Behörde holte zum Einspruch die Stellungnahme des Lebensmittelaufsichtsorgans vom 18. März 2005 ein. Zunächst berichtete dieses Aufsichtsorgan über die ordnungsgemäße Temperaturmessung mit dem geeichten Gerät Testo 112 mit bestimmter Inventar- und Identifikationsnummer, wobei der Fühler drei Minuten in unmittelbarer Umgebung der Produkte platziert worden wäre, obwohl nach technischer Spezifikation des Herstellers nur eine Einstellzeit von 20 Sekunden erforderlich gewesen wäre. Die Ausfertigung eines schriftlichen Berichts sei im LMG 1975 nicht zwingend vorgesehen. Im Zuge der Anzeigenlegung sei ein solcher übermittelt worden. Alle Temperaturmessungen wären stets nach Information der Filialleitung vorgenommen worden.

 

Dem Einwand der nicht repräsentativen Temperaturmessung wird entgegen gehalten, dass die beiden Messungen an verschiedenen Tagen zu unterschiedlichen Tageszeiten durchgeführt worden seien. Am 22. Juli 2004 wäre sie um 9.43 Uhr und am 2. August 2004 um 12.54 Uhr erfolgt, wobei "lt ZAMG" die Tageshöchstwerte an beiden Tagen noch nicht erreicht gewesen wären. Am 22. Juli wäre die Außentemperatur wesentlich geringer als die Innentemperatur gewesen. Wenn im Gebäude bereits um 9.43 Uhr eine stark erhöhte Lagertemperatur von 26 °C gemessen werden könne, das Gebäude über keine Klimaanlage verfügt und die Tageshöchstwerte noch nicht erreicht worden seien, dann könne sehr wohl davon ausgegangen werden, dass die Temperaturen nicht nur vorübergehend überschritten werden.

 

Der Hinweis "kühl lagern" habe sich auf der Kartonunterseite der Produkte befunden. Die Artikelnummern habe das Aufsichtsorgan der Kartonunterseite und den Etiketten entnehmen können. Wo sich der Lagerhinweis befindet, sei nach dem LMG und den entsprechenden Verordnungen egal.

 

In Anlehnung an die "Leitlinien für Großküchen, Catering, Spitalsküchen und vergleichbare Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegungen" (Gutachten des Ständigen Hygieneausschusses, Erlass vom 25.6.1997, GZ 31.950/7-VI/B/1/97, Abschnitt VII Punkt 4) seien unter "kühl lagern" Temperaturen unter 15 °C mit einer Toleranz bis maximal 18 °C zu verstehen. Die gemessenen Temperaturen hätten die geforderten Lagerungsbedingungen somit beträchtlich überschritten.

 

2.5. In der dazu erstatteten Stellungnahme vom 7. April 2005 kritisiert die Bwin, dass nur an zwei Tagen im Hochsommer Temperaturmessungen erfolgten. Zur Feststellung einer regelmäßig überhöhten Umgebungstemperatur hätte ein Kontrolle des Objekts über einen Zeitraum von einigen Tagen stattfinden müssen.

 

Zum Lagerungshinweis des Herstellers wird vertreten, dass dieser auf den HIPP Gläsern angeführt sein müsste, wenn tatsächlich eine kühle Lagerung der HIPP Produkte notwendig wäre, um negative gesundheitliche Folgen zu vermeiden. Die Bestimmungen des LMG sollten nämlich insbesondere den Verbraucher schützen. Aus der Gebrauchsanleitung ergebe sich, dass ein nicht "angebrochenes Glas" bedenkenlos bei Zimmertemperatur gelagert werden könne. Dies entspreche auch der Auskunft der Firma, wonach die Lagerung bei 24 °C völlig unbedenklich sei, weil alle Babynahrung Hipp Produkte pasteurisiert sind. Auf die Temperaturspanne im Schreiben aus Oktober 2004 an die Handelskunden sei nicht eingegangen worden. Auch ein Handelsbrauch, pasteurisierte Produkte kühl zu lagern, sei nicht erhoben worden.

 

2.6. Die belangte Behörde erließ in weiterer Folge das angefochtene Straferkenntnis vom 23. August 2005, ohne weitere Erhebungen durchzuführen. Die belangte Behörde folgte dabei im Wesentlichen der Rechtsansicht des Lebensmittelaufsichtsorgans und meinte, dass die Leitlinien nach dem zitierten Gutachten des Ständigen Hygieneausschusses rechtlich bindend seien. Im Übrigen genüge der Lagerungshinweis auf den Sammelkartons, den die Firma HIPP entfernen müsste, wenn sie für eine hygienisch einwandfreie Lagerung keine kühle Lagerung für nötig hält.

 

Zum Verschulden wird auf § 5 Abs 1 VStG hingewiesen und gleichzeitig grobe Fahrlässigkeit angenommen, da vom Lebensmittelaufsichtsorgan schon mehrfach auf erhöhte Umgebungstemperaturen hingewiesen worden sei. Auch eine Anwendung des § 21 VStG käme daher nicht in Betracht.

 

2.7. In der dagegen eingebrachten Berufung wird die Feststellung der belangten Behörde bekämpft, wonach Temperaturen über 24 °C keine geeigneten Bedingungen für die hygienisch einwandfreie Lagerung von Säuglingsnahrung wären. Dies wäre unrichtig und widerspreche den Angaben der Firma HIPP. Zum Beweis wird auch die Einvernahme des verantwortlichen Lebensmittelchemikers der Firma HIPP beantragt. Eine Schädigung der HIPP Babykost sei entgegen den Ausführungen der belangten Behörde bei einer Umgebungstemperatur von 24,2 °C völlig undenkbar. Dies hätte auch eine Einvernahme der beantragten Zeugin E S ergeben. In weiterer Folge werden die schon im Einspruch vorgebrachten Argumente zur mangelnden Nachweisbarkeit einer hygienisch nachteiligen Lagerung im gegenständlichen Fall wiederholt. Das Verfahren leide auch durch Nichtaufnahme der beantragten Beweise unter einem wesentlichen Verfahrensmangel.

 

Unter dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung wird die Anwendbarkeit des § 4 Abs 1 Z 6 lit b Lebensmittelhygieneverordnung bestritten, da bei den HIPP Gläsern das Mindesthaltbarkeitsdatum nicht in Verbindung mit einer Temperatur stehe. Da "kühl lagern" nicht auf den Etiketten steht, sondern ein angebrochenes Glas nach der von der belangten Behörde unberücksichtigt gelassenen Gebrauchsanleitung nur verschlossen kühl zu stellen und innerhalb von drei Tagen aufzubrauchen ist, könne der Ansicht der belangten Behörde nicht gefolgt werden. Diese sei auch mit keinem Satz darauf eingegangen, dass die HIPP Produkte in keinem österreichischen Handelsmarkt bei Temperaturen von 15 °C gelagert werden. Die Lagerung bei Zimmertemperatur entspreche daher dem Handelsbrauch.

 

Selbst wenn die Bwin persönlich ein Verschulden träfe, wäre dieses auf jeden Fall noch geringfügig iSd § 21 VStG und lägen unbedeutende Folgen vor. Hinsichtlich der überhöhten Umgebungstemperatur in der Filiale Bad Leonfelden wird weiter vorgebracht, dass die Bwin diesbezüglich überhaupt keinen Einfluss nehmen könne. Die erhöhte Umgebungstemperatur in den Jahren 2003 und 2004 sei einerseits auf die nachteilige Bauweise des Objekts und andererseits auf die überdurchschnittlich lang andauernden Hitzeperioden in diesen Jahren zurückzuführen. Die pflichtbewusste Bwin habe bislang weder verwaltungsrechtlich noch strafrechtlich gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften verstoßen.

 

3. Der unabhängige Verwaltungssenat hat nach Einsicht in die vorgelegten Verwaltungsakten festgestellt, dass das angefochtene Straferkenntnis schon nach der Aktenlage aufzuheben ist.

 

4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 74 Abs 4 LMG 1975 begeht im Fall der Ziffer 1 eine Verwaltungsübertretung und ist nach dem letzten Halbsatz wie nach Abs 1, dh. mit Geldstrafe bis zu 7.300 Euro zu bestrafen,

 

wer den Bestimmungen einer auf Grund des § 10, des § 12 Abs 2 hinsichtlich der Deklaration von Zusatzstoffen, des § 16 Abs 4 hinsichtlich vorgeschriebener Bezeichnungen, der §§ 21, 27 Abs 1, 29, 30 Abs 5 oder 33 Abs 1 erlassenen Verordnung zuwiderhandelt.

 

Nach § 4 Abs 1 der auf Grund der §§ 10, 21 und 29 lit b LMG 1975 erlassenen Lebensmittelhygieneverordnung (BGBl II Nr. 31/1998 idF BGBl II Nr. 33/1999), hat der Inhaber oder Geschäftsführer eines Lebensmittelunternehmens für die Einhaltung der im Anhang angeführten Hygienevorschriften zu sorgen. Die Anwendungsbereiche werden in 6 Ziffern unter jeweiligem Hinweis auf den entsprechenden Abschnitt im Anhang aufgelistet.

 

Der im vorliegenden Fall von der belangten Behörde herangezogene § 4 Abs 1 Z 6 Lebensmittelhygieneverordnung lautet:

 

"6.   a)  Abschnitt XI gilt für die Lagerung, Beförderung oder Anbieten zum Verkauf oder zur Lieferung an den Verbraucher.

       b)  Ist das Mindesthaltbarkeits- bzw. Verbrauchsdatum in Verbindung mit einer niedrigeren Temperatur als in Abschnitt XI festgelegt, deklariert, ist die deklarierte Temperatur einzuhalten. Ist das Mindesthaltbarkeits- bzw. Verbrauchsdatum bei einem im Abschnitt XI nicht genannten Produkt in Verbindung mit einer bestimmten Temperatur deklariert, ist die deklarierte Temperatur einzuhalten."

 

Der bezogene Abschnitt im Anhang der Lebensmittelhygieneverordnung lautet:

 

"Abschnitt XI

Temperaturbedingungen für die Lagerung, Beförderung oder Anbieten zum Verkauf oder zur Lieferung bestimmter Lebensmittel, die weder tiefgefroren noch gefroren sind

 

     Lebensmittel dürfen nicht bei höheren Temperaturen gelagert, befördert oder zum Verkauf oder zur Lieferung an den Verbraucher angeboten werden, als bei nachstehend angegebenen Temperaturen:

 

frisches Fleisch (einschließlich Faschiertes, Wild, Geflügel, Innereien,

Knochen ...)                                                                                         4°C

 

Milch (roh und pasteurisiert)                                                                  6°C dann, wenn nicht gemäß

                                                                                                          Milchhygieneverordnung            höhere Temperaturen toleriert                                                                                                werden

 

Fisch, Weichtiere und Krustentiere (roh)                                                 bei Temperaturen von

                                                                                                          schmelzendem Eis"

 

4.2. Die Berufung hat in rechtlicher Hinsicht mit Recht beanstandet, dass die belangte Behörde die Voraussetzungen des § 4 Abs 1 Z 6 lit b) der Lebensmittelhygieneverordnung ignoriert hat. Zunächst geht nämlich aus dieser Vorschrift schon eindeutig hervor, dass es immer nur um eine bestimmte deklarierte Temperatur in Verbindung mit dem Mindesthaltbarkeits- oder Verbrauchsdatum geht, die einzuhalten ist. Dabei kommt gegenständlich der 2. Satz des § 4 Abs 1 Z 6 lit b) in Betracht, weil die gegenständlichen HIPP Produkte nicht im Abschnitt XI genannt werden. Eine bestimmte Temperatur wurde im vorliegenden Fall aber ganz unbestritten am Etikett der HIPP Produkte, von dem ein repräsentatives Muster aktenkundig ist, in Verbindung mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum nicht deklariert. Auf diesen Umstand hat die Berufung zutreffend hingewiesen und überdies auch mit Recht betont, dass die auf der Etikette vorzufindende Gebrauchsanleitung des Herstellers lediglich für ein "angebrochenes Glas" vorschreibt, das Glas verschlossen kühl zu stellen und binnen drei Tagen zu verbrauchen.

 

Es ist schon nach dem Wortlaut der zitierten Bestimmung der Lebensmittelhygieneverordnung nicht egal, wo sich Hinweise des Herstellers befinden. Um einen Verstoß gegen § 4 Abs 1 Z 6 lit b) dieser Verordnung annehmen zu können, muss eine Temperaturangabe in Verbindung mit dem Mindesthaltbarkeits- bzw. Verbrauchsdatum vorliegen. Verpackte und für den Letztverbraucher bestimmte Waren sind außerdem nach § 4 der Lebensmittelkennzeichnungsverordnung 1993 (BGBl Nr. 72/1993 idF BGBl II Nr. 222/2003) in bestimmter Weise zu kennzeichnen, wobei die Etikettierung das Haltbarkeitsdatum (§ 4 Z 5 oder § 5 LMKV) und die Temperaturen oder sonstigen Lagerbedingungen, wenn deren Einhaltung für die Haltbarkeit wesentlich ist (§ 4 Z 6 LMKV), zu enthalten hat. Deshalb kann es entgegen der Behauptung des Lebensmittelaufsichtsorgans auch nicht genügen, dass bloß auf Kartons der Hinweis "kühl lagern" vorgefunden wurde. Vielmehr müssen diese Angaben auf dem für den Letztverbraucher bestimmten Gebinde vorhanden sein, zumal die lebensmittelrechtlichen Kennzeichnungsvorschriften den Zweck haben, den Verbraucher vor negativen gesundheitlichen Folgen zu schützen und ausreichend über das Produkt und seine Haltbarkeit zu informieren.

 

In diesem Zusammenhang ergibt sich auch aus dem Rundschreiben der Firma HIPP an ihre Handelskunden aus Oktober 2004, dass der Hersteller jedenfalls keine bestimmte Temperatur in Verbindung mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum deklarieren wollte, ist doch in diesem Schreiben von Temperaturen zwischen + 3 °C bis + 30 °C die Rede, die bei Transporten in der kalten Jahreszeit eingehalten werden sollten.

 

4.3. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde kommt es auch nicht auf die vom Lebensmittelaufsichtsorgan herangezogenen Leitlinien im Gutachten des Ständigen Hygieneausschusses für Großküchen, Catering, Spitalsküchen und andere vergleichbare Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung an. Solchen in Erlässen veröffentlichten Leitlinien kommt nur dann und insoweit Rechtsverbindlichkeit zu, als sie auch zum Gegenstand einer Verordnung des Gesundheitsministers geworden sind. Ansonsten haben sie nur die Qualität von Sachverständigengutachten, die sachkundige Aussagen für den Einzelfall treffen können.

 

Im vorliegenden Fall kann das Begriffsverständnis des Hinweises "kühl lagern" nicht einfach in Anlehnung an ein Gutachten des Ständigen Hygieneausschusses festgelegt werden, zumal dieser Ausschuss keine allgemeine rechtsverbindliche Definition erlassen und das Verständnis der Firma HIPP als Hersteller des Produkts, den die Verpflichtung zur Angabe von Lagerbedingungen trifft, davon abweichen kann. Außerdem hat der Ständige Hygieneausschuss sein Gutachten für Großküchen und ähnliche Einrichtungen, nicht aber für Handelsmärkte erstellt, in denen auch noch weitere Faktoren wie Art des Produkts und der Verpackung und ihrer Schutzwirkung sowie die Dauer der Temperatureinwirkung eine wesentliche Rolle spielen. Gerade bei einem pasteurisierten Produkt kann eine Beeinträchtigung der Haltbarkeit nicht durch vereinzelte Messungen der Umgebungstemperatur im Bereich von 24 °C oder knapp darüber nachgewiesen werden.

 

4.4. Soweit in der Stellungnahme des Lebensmittelaufsichtsorgans vom 18. März 2005 zum Ausdruck gebracht wird, dass das über keine Klimaanlage verfügende Gebäude des U in B mangelhaft konzipiert ist, weil am 22. Juli 2004 schon um 9.43 Uhr eine wesentlich höhere Innen- als Außentemperatur zu messen war, vertritt das erkennende Mitglied des Oö. Verwaltungssenats die Ansicht, dass für diesen Fall die Bwin erst recht nicht verantwortlich gemacht werden kann. Auch die Berufung verweist auf nachteilige Bauweise des Objekts und überdurchschnittliche Hitzeperioden in den Jahren 2003 und 2004, weshalb die Bwin überhaupt keinen Einfluss auf die überhöhten Umgebungstemperaturen hätte nehmen können. Dazu die einschlägigen Vorschriften der Lebensmittelhygieneverordnung:

 

§ 6 Abs 1 Z 1 der Lebensmittelhygieneverordnung verweist auf weitere Bestimmungen des Anhangs, in denen die Rahmenbedingungen für geeignete Temperaturen in Betriebsstätten, in denen mit Lebensmitteln umgegangen wird, angesprochen werden. Abschnitt I des Anhangs enthält allgemeine Anforderungen an Betriebsstätten, in denen mit Lebensmitteln umgegangen wird. So müssen etwa gemäß Abschnitt I Ziffer 2 lit d) Betriebsstätten, in denen mit Lebensmitteln umgegangen wird, so konzipiert, angelegt, gebaut und bemessen sein, dass

 

a) ...

b) ...

c) ...

d) geeignete Temperaturbedingungen für eine hygienisch einwandfreie Verarbeitung und Lagerung von Erzeugnissen herrschen.

 

Gemäß Abschnitt I Ziffer 5 des Anhangs muss eine hinreichende und angemessene natürliche oder mechanische Belüftung vorhanden sein. Mechanische Luftströmungen aus einem kontaminierten zu einem reinen Bereich sind zu vermeiden. Lüftungssysteme müssen so installiert sein, dass Filter und andere Teile, die gereinigt oder ausgetauscht werden müssen, leicht zugänglich sind.

 

Für die bauliche Konzeption einer Betriebsstätte, die hygienisch einwandfreie Temperaturbedingungen – auch unter erschwerten Bedingungen – gewährleisten soll, ist nicht der Marktleiter eines U zuständig und verantwortlich. Grundsätzlich richtet sich der § 4 der Lebensmittelhygieneverordnung auch an den Inhaber oder Geschäftsführer eines Lebensmittelunternehmens. Eine verantwortliche Beauftragung iSd § 9 Abs 2 iVm Abs 4 VStG ist zwar grundsätzlich möglich, setzt aber neben dem klar abzugrenzenden Bereich auch eine entsprechende Anordnungsbefugnis voraus. Diese liegt im gegenständlichen Fall sicher nicht vor, wie ein Blick in die Bestellungsurkunde aus März 2003 beweist (vgl dazu Punkt 2.2.). Die bauliche Beschaffenheit und Ausstattung eines Filialmarktes ist für gewöhnlich auch nicht Sache des Marktleiters, sondern der Geschäftsführung des Handelsunternehmens oder eines besonders beauftragten leitenden Angestellten, der hierarchisch einem Marktleiter übergeordnet ist. Auch mangels einer entsprechenden verantwortlichen Beauftragung kann die Bwin daher im vorliegenden Fall nicht zur Verantwortung gezogen werden.

 

5. Im Ergebnis war daher das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 und Z 2 VStG einzustellen, weil die zur Last gelegte Tat keine Verwaltungsübertretung bildet und die Bwin auch keine geeignete verantwortliche Beauftragte ist. Bei diesem Ergebnis entfällt auch gemäß § 66 Abs 1 VStG die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

Dr. W e i ß

 

 

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