Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-230936/3/WEI/Ps

Linz, 29.11.2006

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Berufung der S A Y, geb., Staatsangehörige von S, vertreten durch Dr. G M, Rechtsanwalt in S, W, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 11. Oktober 2005, Zl. Sich 96-901-2005, wegen Verwaltungsübertretungen nach dem § 107 Abs 1 Z 1 und Z 3 Fremdengesetz 1997 - FrG 1997 (BGBl I Nr. 75/1997 idF BGBl I Nr. 134/2002) zu Recht erkannt:

 

I. Aus Anlass der Berufung wird das angefochtene Straferkenntnis in beiden Spruchpunkten aufgehoben und werden die Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.

 

II. Die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten der Strafverfahren entfällt.

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs 4 AVG 1991 i.V.m. § 24 VStG 1991; § 66 Abs 1 VStG 1991.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis der belangten Behörde wurde die Berufungswerberin (Bwin) wie folgt schuldig erkannt und bestraft:

 

"1. Sie halten sich im Bundesgebiet der Republik Österreich, und zwar vom 02.09.2005 bis 21.09.2005 in K, K, Z, und vom 22.09.2005 bis laufend in S, T, auf, und sind dadurch, nach der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes durch die BH-Kufstein, welches am 02.09.2005 in Rechtskraft erwachsen ist, nicht rechtzeitig ausgereist.

 

2. Sie halten sich seit Ihrer Einreise nach Österreich als passpflichtige Fremde, ohne im Besitz eines gültigen Reisedokumentes zu sein, im Bundesgebiet, zuletzt in S, T, auf."

 

Dadurch erachtete die belangte Behörde zu 1. § 107 Abs 1 Z 1 und zu 2. § 107 Abs 1 Z 3 Fremdengesetz (FrG) 1997 als verletzte Rechtsvorschriften und verhängte wegen dieser Verwaltungsübertretungen Geldstrafen von je 100 Euro.

 

1.2. Gegen dieses Straferkenntnis, das der Bwin zu Händen ihres Rechtsvertreters per Telefax am 11. Oktober 2005 zugestellt wurde, richtet sich die rechtsfreundlich verfasste Berufung vom 24. Oktober 2005, die am gleichen Tag bei der belangten Behörde rechtzeitig per Telefax eingebracht worden ist und mit der primär die Aufhebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Strafverfahrens, hilfsweise ein Absehen von Strafe nach § 21 VStG oder die außerordentliche Strafmilderung nach § 20 VStG angestrebt wird.

 

2. Aus der Aktenlage ergibt sich der folgende wesentliche S a c h v e r h a l t:

 

2.1. Die Bwin, eine s Staatsangehörige, reiste am 18. August 2005 mit dem Zug gegen 06.00 Uhr von Italien kommend über den Grenzübergang Brenner nach Österreich und weiter über Kufstein nach Kiefersfelden in die BRD, wo sie bei einer polizeilichen Kontrolle aufgegriffen und von den deutschen Behörden auf Grund des Rücknahmeabkommens gegen 13.00 Uhr nach Österreich zurückgestellt wurde (vgl Bericht der Polizeiinspektion Kufstein vom 19.08.2005). Sie war weder im Besitz eines gültigen Reisepasses noch eines im Schengenraum erforderlichen Aufenthaltstitels. Sie führte gefälschte italienische Dokumente (Fremdenpass und carta d` identa) mit sich. Da die Bwin hochschwanger war, sah die Fremdenbehörde von Schubhaft ab und wurde sie als gelinderes Mittel im Gasthof "K" in K einquartiert. In der Folge brachte sie am 16. September 2005 in K ein Mädchen zur Welt.

 

Die Bezirkshauptmannschaft Kufstein hat gegen die Bwin mit Bescheid vom 18. August 2005, Zl. 2-1/2100-2500, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von 7 Jahren im Grunde des § 36 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 Z 7 FrG 1997 erlassen, das mangels Einbringung eines Rechtsmittels am 2. September 2005 rechtskräftig geworden ist.

 

2.2. Die Bwin wurde am 21. September 2005 im Krankenhaus Kufstein von einem Polizeibeamten einvernommen. Dabei gab sie zu den Gründen ihrer Ausreise an, dass sie in S schon einmal vergewaltigt worden sei und bei einer Schwangerschaft durch einen Bauchschuss ihr Kind verloren habe. Auf Grund der Kriegswirren hätte sie ihr Kind nicht in S entbinden wollen. Sie sei nach Äthiopien und von dort nach Rom geflogen, wo sie am 9. August 2005 angekommen sei. Die Reisedokumente habe sie sich um 2.000 US-Dollars besorgt. Ihr in E lebender Bruder hätte sie in Rom treffen und beim e Konsulat ein Einreisevisum für E besorgen sollen. Er sei aber nicht gekommen. Sie sei dann mit dem Zug gereist und in Deutschland kontrolliert und wegen gefälschter Dokumente festgenommen worden. Sie würde am liebsten zu ihren Geschwistern nach E fahren. Sie habe nicht gewusst, dass ihre Reisedokumente gefälscht waren.

 

Am 14. September 2005 erteilte die Bwin ihrem Rechtsvertreter Vollmacht und brachte in der Folge für ihre vor wenigen Tagen geborene Tochter F A I ein Asylbegehren ein, worauf ihr eine Unterkunft in der EASt West in 4880 St. Georgen zur Verfügung gestellt wurde. Bei der Ersteinvernahme im Asylverfahren vom 28. September 2005 wurde die Bwin zu den Fluchtgründen einvernommen und über die Dublin II Verordnung der Europäischen Union informiert. Dabei äußerte sie zwar den Wunsch nach E zu ihren Geschwistern zu gehen, wollte aber auch in Österreich bleiben, wenn sie hier Schutz fände. Auf den Vorhalt, dass sie ohne Asylantrag keinen Schutz finden könnte, erklärte sie einen Asylantrag stellen zu wollen. Nach Unterbrechung der Einvernahme und Beratung mit ihrem Rechtsvertreter erklärte sie dann allerdings, dass sie nur für ihre Tochter und nicht für sich selbst einen Asylantrag stellen wollte. Danach wurde ihr mitgeteilt, dass der Asylantrag mit Zustimmung Italiens zurückgewiesen und eine durchsetzbare Ausweisung in diesen Staat veranlasst werde. Dazu erklärte die Bwin, sie habe keinen Asylantrag in Italien gestellt und möchte, dass ihr Kind in Österreich bleibe.

 

2.3. Mit Aufforderung zur Rechtfertigung vom 28. September 2005 hat die belangte Behörde eine Anlastung wie im angefochtenen Straferkenntnis vorgenommen. In der rechtsfreundlich eingebrachten Rechtfertigung vom 4. Oktober 2005 wird vorgebracht, dass die Bwin auf Grund der Umstände (einfache Schulbildung, Schwangerschaft, mangelnde Sprachkenntnisse und fehlendes Verständnis für die österreichische Rechtsordnung) nicht verstanden hatte, dass gegen sie ein Aufenthaltsverbot erlassen wurde. Sie befände sich infolge einer Notsituation in Österreich. Sie sei im Zeitpunkt der Überstellung hochschwanger gewesen. Sie sei ins Krankenhaus K eingeliefert worden, wo sie ihre Tochter mit Kaiserschnitt zur Welt brachte. Die Tochter habe einen Asylantrag gestellt und es komme ihr ein Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz zu. Sie sei erst einige Tage alt und ohne ihre Mutter nicht überlebensfähig. Deshalb könne auch der Aufenthalt der Mutter nicht rechtswidrig sein. Die Bwin befinde sich in einer Situation, die als übergesetzlicher Notstand zu qualifizieren sei. Von einer Bestrafung sei Abstand zu nehmen, hilfsweise § 21 VStG anzuwenden.

 

In weiterer Folge erging das angefochtene Straferkenntnis vom 11. Oktober 2005. Gegen die Bwin sei ein befristetes Aufenthaltsverbot rechtskräftig erlassen worden und sie verfüge weder über ein Nationalreisedokument, noch über ein anderes nationales Dokument. Weiters bestünde der Verdacht der Umgehung der Dublin Verordnung, weil die Bwin keinen Asylantrag in Österreich einbringe und dadurch einen illegalen Aufenthalt in Kauf nehmen würde. Diese Vorgangsweise könne keineswegs konsequenzlos zur Kenntnis genommen werden.

 

2.4. Die Berufung rügt mangelhafte und unrichtige Sachverhaltsfeststellungen, unrichtige Beweiswürdigung und unrichtige rechtliche Beurteilung. Die Behörde hätte die wesentliche Feststellung treffen müssen, dass das Baby der Bwin, F A I, zum Asylverfahren in Österreich zugelassen worden ist und die Bwin im Inland verbleiben müsse, da ihr Baby sonst nicht überlebensfähig wäre. Da ihr Baby zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sei und es für ein Kleinkind dazu keine Alternative gäbe, wäre es der Bwin auch unmöglich und unzumutbar, Österreich zu verlassen. Trotz der in der Rechtfertigung geschilderten offensichtlichen Notsituation der Bwin, habe die belangte Behörde die Feststellung dieser Notsituation und des Angewiesenseins der Bwin auf einen weiteren Aufenthalt unterlassen. Sie habe sich weder mit der Ausreiseunfähigkeit der Bwin zum Zeitpunkt der angeblichen Tatbegehung, noch mit dem Aufenthaltsrecht des Kindes nach dem Asylgesetz auseinandergesetzt. In rechtlicher Hinsicht wird vertreten, dass der Aufenthalt der Bwin nicht als unrechtmäßig angesehen werden könnte. Abermals wird auf eine Notstandssituation hingewiesen. Es habe jedenfalls ein übergesetzlicher Notstand vorgelegen und wäre auch der weitere Aufenthalt der Bwin keinesfalls rechtswidrig, da die Tochter in Österreich als Asylwerberin zugelassen sei.

 

2.5. Die belangte Behörde ist der Berufung im Vorlageschreiben entgegengetreten und hat ihre Abweisung beantragt. Sie merkt an, dass die Rechtsvertreter der Bwin offenbar mit Absicht keinen Asylantrag für die Bwin einbrachten, da ansonsten die Dublin Verordnung gegriffen hätte, was die Zuständigkeit Italiens zur Folge gehabt hätte. Mit dieser Vorgangsweise werde die Dublin Verordnung unterlaufen. Das Aufenthaltsverbot sei in Rechtskraft erwachsen. Die italienischen Behörden hätten mittlerweile einer Übernahme der Bwin zugestimmt.

 

3.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat zur Überprüfung der Berufungsbehauptungen und in Ergänzung des Verfahrens einen Auszug aus der Asylwerberinformationsdatei des BMI betreffend F A I, geb. am in K, beigeschafft. Daraus geht hervor, dass über den am 22. September 2005 gestellten Asylantrag mittlerweile in erster Instanz mit Bescheid vom 20. Februar 2006 gemäß § 7 AsylG 1997 negativ und hinsichtlich des subsidiären Schutzes gemäß § 8 positiv entschieden worden ist. Eine Aufenthaltsberechtigungskarte wurde am 13. Oktober 2005 durch das Bundesasylamt, Außenstelle Innsbruck, ausgestellt. Eine Karte für subsidiär Schutzberechtigte wurde vom Bundesasylamt zuletzt  am 31. Mai 2006 mit Gültigkeit bis 31. Mai 2007 ausgestellt. Berufung gegen den negativen Asylbescheid wurde rechtzeitig eingebracht und dem Unabhängigen Bundesasylsenat vorgelegt. Damit steht fest, dass das Asylverfahren der mj. Tochter der Bwin zugelassen wurde und im Berufungsstadium nach wie vor anhängig ist. Ihr kommt daher auch eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung zu.

 

3.2. Der erkennende Verwaltungssenat hat nach Einsicht in den vorgelegten Verwaltungsstrafakt und nach ergänzender Erhebung festgestellt, dass das angefochtene Straferkenntnis schon nach der Aktenlage aus rechtlichen Gründen aufzuheben ist.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen.

 

4.1. Gemäß § 107 Abs 1 FrG 1997 begeht eine Verwaltungsübertretung und ist in den Fällen der Z 1 und Z 2 mit Geldstrafe bis 726 Euro oder Freiheitsstrafe bis zu 14 Tagen, sonst mit Geldstrafe bis zu 726 Euro zu bestrafen, wer

1.     nach Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung nicht rechtzeitig ausreist oder

2.     einem Aufenthaltsverbot zuwider unerlaubt in das Bundesgebiet zurückkehrt oder

3.     sich als passpflichtiger Fremder, ohne im Besitz eines gültigen Reisedokuments zu sein, im Bundesgebiet aufhält, oder

4.     sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (§ 31).

 

§ 31 Abs 1 FrG 1997 regelt den rechtmäßigen Aufenthalt. Danach halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1.      wenn sie unter Einhaltung der Bestimmungen des 2. Hauptstückes und ohne die Grenzkontrolle zu umgehen eingereist sind oder

2.      wenn sie auf Grund eines Aufenthaltstitels oder einer Verordnung für Vertriebene (§ 29) zum Aufenthalt berechtigt sind oder

3.      wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind oder

4.      solange ihnen eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1997 zukommt.

 

Nach § 2 Abs 1 FrG 1997 brauchen Fremde für die Einreise, während des Aufenthaltes und für die Ausreise einen gültigen Reisepass (Passpflicht), soweit nicht anderes bundesgesetzlich oder durch zwischenstaatliche Vereinbarungen bestimmt wird oder internationalen Gepflogenheiten entspricht.

 

4.2. Im gegenständlichen Fall steht fest, dass gegen die Bwin das auf sieben Jahre befristete Aufenthaltsverbot der BH Kufstein vom 18. August 2005 erlassen wurde, das am 2. September 2005 rechtskräftig geworden ist. Die Bwin hat das Aufenthaltsverbot wegen der besonderen Umstände ihres Aufenthaltes in Österreich (Schwangerschaft und Entbindung im Krankenhaus K) und ihres fehlenden Verständnisses nicht bekämpft. Sie hält sich formell rechtswidrig entgegen diesem Aufenthaltsverbot in Österreich auf und ist ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen. Allerdings ist eine hinreichende Interessensabwägung gemäß § 37 FrG 1997 in diesem Aufenthaltsverbotsbescheid nicht vorgenommen worden. Wie aus Seite 7 des Bescheides vom 18. August 2005 hervorgeht, hat die Bezirkshauptmannschaft Kufstein nur festgestellt, dass die Bwin keine Verwandten oder einen sonstigen Bezug in Österreich hätte. Auf den hochschwangeren Zustand der Bwin und ihre kurz bevorstehende Niederkunft ging die Fremdenbehörde mit keinem Wort ein.

 

Richtig ist, dass der Rechtsvertreter der Bwin aus taktischen Gründen geraten hat, nur einen Asylantrag für ihre jüngst in Österreich geborene Tochter und nicht auch für sich selbst einzubringen, um zu verhindern, dass im Wege des Dublin Abkommens die Zuständigkeit Italiens für das Asylverfahren herbeigeführt werden kann. Dies mag zwar für die österreichischen Asyl- und Fremdenbehörden ärgerlich sein, kann aber nicht als rechtswidriges und damit unzulässiges Vorgehen qualifiziert werden. Wenn es nach österreichischem Asylverfahrensrecht rechtlich zulässig und möglich ist, dass trotz eines untrennbaren sachlichen Zusammenhangs ein Asylverfahren nur für ein wenige Tage altes Baby und nicht auch gleichzeitig für die Mutter durchzuführen ist, so erscheint es auch nicht rechtswidrig, eine solche rechtliche Situation auszunutzen, um ein Dublin Verfahren zu unterlaufen.

 

Für das Baby der Bwin, dessen Asylverfahren zugelassen wurde, gilt, dass ihm gemäß § 19 Abs 2 AsylG 1997 eine Aufenthaltsberechtigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens und gemäß § 21 Abs 2 AsylG 1997 der uneingeschränkte und bedingungslose Schutz vor Abschiebung zukommt (vgl mwN jüngst VwGH 31.8.2006, Zl. 2004/21/0194). Daran hat das Inkrafttreten des AsylG 2005 am 1. Jänner 2006 nichts geändert. Nach § 75 Abs 3 AsylG 2005 behalten Karten nach dem AsylG 1997 ihre Gültigkeit. Einem Fremden, dem am 31. Dezember 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung zukam, gilt gemäß § 75 Abs 6 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten als zuerkannt.

 

4.3. Für die Bwin und Kindesmutter liegt eine außergewöhnliche familiäre Situation vor. Während ihr Baby zumindest vorläufigen asylrechtlichen Schutz in Österreich genießt, müsste sie ausreisen, obwohl sie als Mutter das Recht und die Pflicht hat, ihr Kleinkind zu versorgen und zu betreuen. Diesen Konflikt hätte sie möglicherweise vermeiden können, wenn sie gleichfalls einen Asylantrag gestellt und dann allenfalls gemeinsam mit ihrem Kind nach Italien ausgewiesen und abgeschoben worden wäre. Zu einer solchen Vorgangsweise war sie aber nicht verpflichtet. Sie hat nach rechtlicher Beratung aus ihrer Sicht das Beste für ihr in Österreich geborenes Kind gewollt, indem sie ein Asylverfahren in Österreich anstrebte. Es ist ihr nach Ansicht des erkennenden Mitglieds des Oö. Verwaltungssenats als Mutter nicht zuzumuten, ohne ihr Kind Österreich zu verlassen. Dass sie sich bei der Pflichtenkollision, ihren rechtswidrigen Aufenthalt in Österreich zu beenden oder ihre Verpflichtungen als Mutter wahrzunehmen, für den Verbleib bei ihrem Baby entschieden hat, kann ihr nicht als schuldhaftes Verhalten vorgeworfen werden. Entgegen der Berufung wäre das Kleinkind zwar wohl auch ohne seine Mutter bei entsprechender staatlicher Fürsorge in Österreich grundsätzlich lebensfähig. Eine mögliche Versorgung des Kleinkindes ohne Mutter macht zum einen keinen Sinn und vermag andererseits auch nichts an der Wertung zu ändern, dass es einer Mutter nicht zugemutet werden kann, das Familienleben mit ihrem sich rechtmäßig in Österreich aufhaltenden Kleinkind aufzugeben, um einer fremdenrechtlichen Ausreiseverpflichtung nachzukommen. Wohl gemerkt: Eine öffentlichrechtliche Pflicht mit ihrem Kind auszureisen, kann gerade nicht angenommen werden!

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat beispielsweise im Erkenntnis vom 27. Jänner 2004, Zl. 2002/21/0214, im Falle eines Vaters, der sein schwer krankes Kind auf Grund einer Wiedereinreisebewilligung in Österreich besuchen durfte und nach Ablauf nicht wieder ausreiste, ausgesprochen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung eines unrechtmäßigen Aufenthalts nicht stets höher zu bewerten sei als die privaten und familiären Interessen des betroffenen Fremden. Wenn gemäß § 37 Abs 1 FrG 1997 eine Ausweisung nur zulässig ist, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 EMRK genannten Ziele "dringend geboten ist" so bedeute dies, dass die Ausweisung zur Erreichung zumindest eines dieser Ziele ein "zwingendes soziales Bedürfnis" im Sinn der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte darstellen müsse (dazu Hinweis auf VwGH 5.11.1999, Zl. 99/21/0156). Ein solches Bedürfnis ist in besonderen familiären Situationen zu verneinen. In Bezug auf den Tatbestand des § 107 Abs 1 Z 4 FrG 1997 hat der Verwaltungsgerichtshof im oben erwähnten Fall wegen der zu Gunsten des Fremden ausfallenden Interessensabwägung auch einen Strafausschließungsgrund gemäß § 6 VStG angenommen (vgl VwGH 27.1.2004, Zl. 2002/21/0203).

 

Schließlich ist auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 31. Jänner 2006, Beschw Nr. 50435/99 im Fall R d S und H gegen Niederlande (vgl ÖJZ- MRK 2006/16), hinzuweisen, in dem eine Verletzung des Art 8 EMRK wegen Missachtung des Familienlebens der Beschwerdeführer angenommen wurde. Eine B hielt sich zum Zeitpunkt der Geburt ihres Kindes mit einem N, dem später das Sorgerecht gerichtlich zugesprochen wurde, illegal in den N auf und ging auch einer illegalen Erwerbstätigkeit nach, weshalb ein Aufenthaltsbewilligungsverfahren für sie negativ ausging. Auch wenn sie nicht mit Ausstellung eines Aufenthaltstitels rechnen konnte, so verletzte die Ausweisung angesichts der weit reichenden Konsequenzen auf ihre Verpflichtungen als Mutter und das Familienleben mit ihrer kleinen (dreijährigen) Tochter und deren Wohl Art 8 EMRK. Die wirtschaftlichen Interessen des Vertragsstaates könnten diese privaten Interessen nicht aufwiegen. Dass die nationalen Behörden dem Umstand des illegalen Aufenthalts so große Bedeutung beigemessen haben, bezeichnete der Gerichtshof als exzessiven Formalismus.

 

Nach den aus der dargestellten Judikatur abzuleitenden Grundgedanken ergibt sich auch für den gegenständlichen Sachverhalt eine Interessensabwägung, die eindeutig zu Gunsten der Bwin vorzunehmen gewesen wäre. Das in gewissem Widerspruch dazu ergangene Aufenthaltsverbot der Bezirkshauptmannschaft Kufstein ist zwar rechtskräftig geworden, ist deshalb aber noch keine ausreichende Grundlage für eine Bestrafung der Bwin. Strafe setzt nicht nur ein formell rechtswidriges Verhalten, sondern auch die Vorwerfbarkeit dieses Verhaltens in Form der Schuld des Täters voraus. Gerade von Schuld der Bwin kann nach den gegebenen Umständen nicht ausgegangen werden. Vielmehr kann in der Notstandssituation (Pflichtenkollision) der Bwin nur ein Strafausschließungsgrund iSd § 6 VStG gesehen werden.

 

4.4. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 19. Oktober 2004, Zl. 2004/21/0131, unter Hinweis auf seine Entscheidungen vom 13. Dezember 2002, Zl. 99/21/0163, und vom 19. Oktober 2004, Zl. 2004/21/0181, ausgeführt, dass das in Art 31 Z 1 der Genfer Flüchtlingskonvention normierte Verbot der Verhängung von Strafen wegen illegaler Einreise oder Anwesenheit ein Verbot der Bestrafung wegen eines Aufenthalts im Bundesgebiet ohne gültiges Reisedokument einschließt, wenn das Fehlen eines Einreisedokuments aus den Umständen der Flucht, der direkten Einreise und dem Aufenthalt des Flüchtlings erklärt werden kann. Das Vorliegen einer direkten Einreise kann dabei nicht allein deshalb, weil der Asylwerber zuvor andere Staaten als jene, in denen er Verfolgung zu fürchten behauptet, durchreist hat, verneint werden, ohne dass die Strafbehörde auch dementsprechende konkrete Feststellungen getroffen hat.

 

Die Bwin war offenbar nie im Besitz von gültigen Nationalreisedokumenten. Es ist fraglich, ob sie auf Grund der ungeklärten politischen Situation in S überhaupt Reisedokumente bekommen hätte können. Bei ihrer asylrechtlichen Einvernahme brachte sie jedenfalls vor, dass es in S keinen Schutz und keine Regierung gäbe. Nach ihren Angaben vor der Polizeiinspektion Kufstein erklärte sie nicht gewusst zu haben, dass ihre Reisedokumente gefälscht waren. Sie hätte nach E wollen, weil sie von ihrem Bruder wusste, dass man dort um Asyl ansuchen könnte. Da sie ihren Bruder in Rom nicht antreffen konnte, um wegen eines Visums zum e Konsulat zu gehen, beschloss sie offenbar, mit dem Zug bis E weiter zu reisen. Sie wusste nicht, dass sie auch in anderen Ländern wie Italien oder Österreich um Asyl hätte ansuchen können.

 

Diese Angaben der Bwin erscheinen dem Oö. Verwaltungssenat durchaus glaubhaft, weil keine gegenteiligen Indizien aktenkundig sind. Die belangte Behörde hat auch keine weiteren Erhebungen zu diesen Angaben der Bwin in Bezug auf die Umstände ihrer Flucht und des Fluchtweges durchgeführt. Deshalb sind die nicht unschlüssigen Angaben der Bwin auch nicht widerlegbar und muss im Zweifel jedenfalls davon ausgegangen werden. Damit hat die Bwin aber sinngemäß vorgebracht, dass sie in ihrer subjektiven Einschätzung aus Gründen der Flucht auf die Reiseroute keinen Einfluss nehmen konnte und daher iSd Art 31 Z 1 Genfer Flüchtlingskonvention "direkt" aus dem Gebiet kam, in dem sie persönliche Verfolgung zu befürchten hatte.

 

Da gegenteilige Feststellungen fehlen und durch Befragung der offenbar rechtlich gut beratenen Bwin auch im Zuge einer mündlichen Verhandlung offenkundig nicht zu erlangen sind, war im Hinblick auf die oben dargestellte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch hinsichtlich des im Spruchpunkt 2 angelasteten Straftatbestands gemäß § 107 Abs 1 Z 3 FrG 1997 im Grunde des Art 31 Z 1 der Genfer Flüchtlingskonvention von einem Strafausschließungsgrund auszugehen.

 

5. Bei diesem Ergebnis hatte der unabhängige Verwaltungssenat das angefochtene Straferkenntnis in beiden Spruchpunkten aufzuheben und waren die Strafverfahren gemäß dem § 45 Abs 1 Z 2 VStG wegen Vorliegens von Umständen, die die Strafbarkeit ausschließen, einzustellen. Gemäß § 66 Abs 1 VStG entfällt damit auch die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten der Strafverfahren.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungs­gerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro  zu entrichten.

 

Dr. W e i ß

 

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