Linz, 30.01.2007
E R K E N N T N I S
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Karin Bissenberger über die Berufung des Herrn T P, W, vom 14. Jänner 2007 gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes von Gmunden vom 2. Jänner 2007, VerkR21-716-2005, wegen Entziehung der Lenkberechtigung und Aufforderung zur unverzüglichen Ablieferung des Führerscheins, zu Recht erkannt:
Der Berufung wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid hinsichtlich des Entzuges der Lenkberechtigung und der Anordnung, den Führerschein unverzüglich abzuliefern, ersatzlos behoben.
Rechtsgrundlage:
§§ 66 Abs.4 und 67a AVG
Entscheidungsgründe:
1. Mit dem oben angeführten Bescheid wurde dem Berufungswerber (Bw) die von der BH Gmunden am 18. Jänner 1988, VerkR1204-4314/87, für die Klassen A und B erteilte Lenkberechtigung gemäß §§ 7, 24 Abs.1 Z1, 25 Abs.1 FSG für einen Zeitraum von 12 Monaten, gerechnet ab der Zustellung des Bescheides, entzogen, wobei Haftzeiten in die Entziehungsdauer nicht eingerechnet wurden. Gemäß § 29 Abs.3 FSG wurde der Bw aufgefordert, seinen Führerschein unverzüglich bei der Erstinstanz abzuliefern. Gemäß § 24 Abs.4 FSG wurde angeordnet, dass der Bw vor Wiedererteilung der Lenkberechtigung seine gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen durch Vorlage eines amtsärztlichen Gutachtens nachzuweisen habe.
Die Zustellung des Bescheides erfolgte laut Bestätigung des Bw in der Berufung am 4. Jänner 2007; ein Rückschein liegt nicht vor.
2. Gegen die Entziehung der Lenkberechtigung und die Anordnung, den Führerschein unverzüglich abzuliefern, nicht aber gegen die Anordnung der Vorlage eins amtsärztlichen Gutachtens, wendet sich die vom Bw fristgerecht eingebrachte Berufung, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde, der durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden hat (§ 67a Abs.1 2.Satz AVG). Die Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung erübrigte sich (§ 67d Abs.1 AVG).
3. Der Bw macht im Wesentlichen geltend, er leide sei ca Jänner 2005 nicht mehr unter Depressionen. Seit seinem 1. Ausgang (5. bis 8.2.206) fahre er regelmäßig an den Wochenenden mit Pkws von verschiedenen Fahrzeughaltern. Er sei auch körperlich und seelisch in der Lage, ein Fahrzeug zu lenken. Er habe vom 26.6.2006 bis 4.7.2006 einen Staplerführerausweis bei einem WIFI-Kurs erworben und die Abschlussprüfung am 4.7.2006 mit Erfolg abgelegt. Seit 8.5.2006 sei er Freigänger und seit 8.6.2006 bei der Fa xx beschäftigt, wo er von Mo bis Fr Firmenfahrzeuge der Klasse B lenke und zB Gabelstapler bediene. Er werde nach seiner Haftentlassung am 5.2.2007 bei diesem Unternehmen ein offizielles Dienstverhältnis beginnen. Die Fa sei mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erreichbar und er werde im Dreischichtbetrieb arbeiten; er ersuche dies für seine Zukunft zu beachten. Er habe den Wohnsitz gewechselt und wohne nun in xx. Er benötige die Lenkberechtigung auch für den Möbeltransport nach der Haftentlassung von Bad Ischl nach Linz, zumal seine Lebensgefährtin aus gesundheitlichen Gründen keinen Führerschein habe. Er werde persönlich nach der Haftentlassung vorsprechen. Er besuche freiwillig eine Psychotherapie in Linz, F, und habe bereits einen Arzttermin bei Dr. W , Zentrum für ärztliche Psychotherapie in Linz, am 12.2.2007 für die ärztliche Betreuung nach der Haftentlassung. Er werde von Dr. W seine gesundheitliche Eignung bestätigen lassen. Weiters erkundigt er sich, ob er wegen des Wohnungswechsels einen Führerschein bei der "BH Linz" ausstellen lassen müsse.
Weiters ist dem Akt angeschlossen eine Bestätigung der Angaben des Bw betreffend das geplante Dienstverhältnis bei der xx T, O, vom 8. Jänner 2007.
4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz.
Daraus geht hervor, dass der Bw mit (rechtskräftigem) Urteil des Landesgerichtes Wels vom 18. Mai 2005, 13 Hv 159/04t, schuldig erkannt wurde, am 5. Oktober 2004 in Bad Ischl dadurch, dass er J.L. insgesamt acht Stich- und Schnittverletzungen, und zwar rechts neben das Brustbein, im Bereich der rechten seitlichen Bauchgegend, rechts neben der Brustwirbelsäule, in die rechte Oberbauchgegend, zwei mal in die rechte Achselhöhle, in den Oberarm rechts und in den Zeigefinger rechts, zufügte, diesem eine schwere Körperverletzung absichtlich zugefügt hat, wobei diese Tat eine schwere Dauerfolge (§ 85 StGB) nach sich gezogen hat. Der Bw wurde hiefür wegen des Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung nach § 87 Abs.1 und 2 1.Fall StGB nach dem 1. Strafsatz des § 87 Abs.2 StGB zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von 3,5 Jahren verurteilt. Mildernd war laut Urteilsbegründung die Unbescholtenheit, die geständige Verantwortung sowie die Beeinträchtigung der Zurechnungsfähigkeit durch Vorliegen eines depressiven Syndroms mit erheblicher gedanklicher Einengung sowie einer Partnerkonfliktsituation. Dabei wurde angemessen berücksichtigt, dass zwar keine besonderen Erschwerungsgründe vorliegen, jedoch das Tatopfer nur mit Glück dem Tod entgangen ist.
Die Erstinstanz hat von diesem Urteil durch Mitteilung des Landesgerichtes Wels am 1. Juli 2005 erfahren und in den Gerichtsakt Einsicht genommen. Der Bw wurde mit Schreiben der Erstinstanz vom 20. Oktober 2005 von der Bestimmung des § 7 Abs.3 Z9 FSG und der Absicht der Erstinstanz informiert, ihm die Lenkberechtigung für die Dauer von 12 Monaten, gerechnet ab Entlassung aus der Strafhaft, zu entziehen. Das Schreiben ist ihm laut Rückschein am 29. Oktober 2005 zugestellt worden; er hat sich dazu nicht geäußert, sodass der nunmehr angefochtene Bescheid erging.
In rechtlicher Hinsicht hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:
Gemäß § 24 Abs.1 Z1 FSG ist Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs.1 Z2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit die Lenkberechtigung zu entziehen.
Gemäß § 3 Abs.1 Z2 FSG darf eine Lenkberechtigung nur Personen erteilt werden, die verkehrszuverlässig sind.
Gemäß § 7 Abs.1 FSG gilt eine Person als verkehrszuverlässig, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs.3) und ihrer Wertung (Abs.4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen nach Z1 die Verkehrssicherheit, insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr, gefährden wird, oder nach Z2 sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird. - Die Erstinstanz ist im ggst Fall vom Vorliegen der Voraussetzungen nach Z1 ausgegangen.
Gemäß § 7 Abs.3 Z9 FSG hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs.1 insbesondere zu gelten, wenn jemand eine strafbare Handlung gegen Leib und Leben gemäß den §§ 75, 76, 84 bis 87 StGB oder wiederholt gemäß § 83 StGB begangen hat.
Die Begehung einer absichtlich schweren Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen gemäß § 87 Abs.1 und Abs.2 StGB verwirklicht zweifellos eine bestimmte Tatsache gemäß § 7 Abs.3 Z9 FSG, die gemäß § 7 Abs.4 FSG ("Für die Wertung der in Abs.1 genannten und in Abs.3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend...") einer Wertung zu unterziehen sind.
Von Kraftfahrzeuglenkern muss wegen der im Straßenverkehr häufig auftretenden Konfliktsituationen eine nicht zu Gewalttätigkeit neigende Sinnesart verlangt werden (vgl VwGH 26.2.2002, 2001/11/0379; 23.4.2002, 2001/11/0346, uva).
Der Beginn der Verkehrsunzuverlässigkeit ist nicht mit der Verurteilung anzusetzen, sondern mit Begehung der Straftat, dh beim Bw mit 5. Oktober 2004. Haftzeiten sind nach neuerer VwGH-Judikatur (vgl VwGH 21.2.2006, 2003/11/0025, ua) hinsichtlich der "seither verstrichenen Zeit und des Verhaltens während dieser Zeit" für die nach den oben genannten Wertungskriterien zu erstellenden Prognose, wann wieder Verkehrszuverlässigkeit anzunehmen sein wird, nicht ohne Bedeutung, weil die Strafe neben anderen Zwecken auch der Spezialprävention dient. Damit sind Haftzeiten in die Prognose einzubeziehen, was beim Bw zur Folge hat, dass seit der Tat am 5. Oktober 2004 bereits zwei Jahre und vier Monate vergangen sind, in denen ohne jeden Zweifel seine Verkehrsunzuverlässigkeit anzunehmen war. Dass ihm die Lenkberechtigung nach dem Willen der Erstinstanz erst im Jahr 2007, gerechnet ab Zustellung des angefochtenen Bescheides, tatsächlich entzogen werden sollte, hat damit nichts zu tun, wirkte sich bislang aber zu Gunsten des Bw aus, der bei den von ihm geschilderten Fahrten zu seiner Arbeitsstelle rechtmäßig ein Kraftfahrzeug gelenkt hat. Die Erstinstanz ging damit aber von einer Verkehrsunzuverlässigkeit von insgesamt, gerechnet ab 5. Oktober 2004, drei Jahren und vier Monaten aus.
Der VwGH hat im zitierten Erkenntnis vom 18.3.2002, 2002/11/0062, angesichts der Besonderheiten des dort angeführten Falles (der Beschwerdeführer erstach 1997 einen Familienangehörigen in einer familiären Ausnahmesituation - ständige Spannungen zwischen Opfer und Täter, unleidliches Verhalten des Opfers - und wurde wegen Mordes zu 12 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, kein reumütiges Geständnis; die Behörde hat ihm für fünf Jahre unter Nichteinrechnung von Haftzeiten die Lenkberechtigung entzogen, dh Verkehrsunzuverlässigkeit für insgesamt 17 Jahre angenommen) die Zuordnung des (jetzt) § 7 Abs.3 Z9 FSG zu (jetzt) § 7 Abs.1 Z2 FSG für verfehlt angenommen und ausgeführt, die Begehung derartiger Delikte könne vielmehr auf eine zur Gewaltbereitschaft neigende Sinnesart hinweisen, aufgrund der anzunehmen sei, dass der Betreffende im Sinne des § 7 Abs.1 Z1 FSG beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr gefährden werde. Bezogen auf das Wirksamwerden der Entziehung in diesem Fall – Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides 2001 – bestehe für eine Annahme gemäß § 7 Abs.1 Z1 kein Grund, weil der Beschwerdeführer unbescholten sei, seit 1980 eine Lenkberechtigung besessen habe und auch tatsächlich Kraftfahrzeuge bis zur Erlassung des Entziehungsbescheides gelenkt habe und die Tat in einer familiären Ausnahmesituation begangen worden sei. Die Ansicht der Behörde, dem Beschwerdeführer müsse für die Zeit von fünf Jahren nach Verbüßung der Freiheitsstrafe die Lenkberechtigung entzogen werden, könne mit dem sich aus § 7 Abs.1 Z1 FSG ergebenden Verwaltungszweck, die Gefährdung der Verkehrssicherheit durch verkehrsunzuverlässige Lenker von Kraftfahrzeugen zu verhindern, nicht vereinbart werden. Bei der Entziehung der Lenkberechtigung handle es sich um eine Administrativmaßnahme zum Schutz der Öffentlichkeit vor verkehrsunzuverlässigen Personen und nicht um eine Nebenstrafe mit dem Zweck, vom Besitzer der Lenkberechtigung begangene Straftaten zu sühnen oder durch die abschreckende Wirkung der Entziehungsmaßnahme der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegen zu wirken.
Der Fall des Bw weist, nicht im Hinblick auf eine Verurteilung wegen § 75 StGB, wohl aber hinsichtlich der in diesem Zusammenhang vom VwGH angestellten Überlegungen Parallelen zum im zitierten Erkenntnis dargestellten Fall auf:
Der am 27. November 1969 geborene Bw war seit 18. Jänner 1988 im Besitz einer Lenkberechtigung für die Klassen A und B. Er war bis zum Vorfallstag, dem 5. Oktober 2004, unbescholten und hat auch keine nennenswerten Verwaltungsvormerkungen aus den letzten fünf Jahren. Er hat bis zum 5. Oktober 2004 und als Freigänger auch während der Haft Kraftfahrzeuge gelenkt. Die Entziehung würde, da die erstinstanzliche Entscheidung bislang nicht rechtskräftig ist, erst mit Zustellung des Berufungserkenntnisses wirksam, dh ca ab Haftende Anfang Februar 2007. Laut Urteilsbegründung ist beim Bw mildernd von einem besonderen "Naheverhältnis" zu seinem Opfer auszugehen ("Partnerkonfliktsituation"), wobei im Jahr 2004 offenbar auch Depressionen eine wesentliche Rolle gespielt haben. All das lässt nach Auffassung des UVS noch nicht zwingend erwarten, dass der Bw in Hinkunft, dh ab seiner Haftentlassung 2007, im Straßenverkehr auch tatsächlich rücksichtsloses Verhalten an den Tag legen wird. Er hat nun zwei Jahre und vier Monate tatsächlich verbüßte Strafhaft hinter sich, in denen er Zeit und Gelegenheit hatte, seine Lebenseinstellung zu überdenken, seine Vergangenheit gedanklich abzuschließen. Seine Motivation, die ein geregeltes Arbeitsverhältnis, eine grundlegende Wohnsitzänderung (in einen anderen Teil Oberösterreichs) und die Lebensgefährtin einschließt, ist auf Zukunft und den "Aufbau eines neuen Lebens" gerichtet und nach der vorliegenden Bestätigung der Fa AHZ vom 8. Jänner 2007 kein Luftschloss sondern Realität - der Bw ist seit 27. Dezember 2006 an der Linzer Adresse als Hauptwohnsitz gemeldet. In der Zusammenschau ergibt sich, dass die Prognose, wann der Bw seine Verkehrszuverlässigkeit wiedererlangen wird, doch günstiger ist als von der Erstinstanz angenommen, zumal nun immerhin seit Tatbegehung zwei Jahre und vier Monate vergangen sind, mit denen im Hinblick auf die Ausführungen zum vom VwGH im zitierten Erkenntnis verneinten Charakter der Entziehung als Nebenstrafe das Auslangen zu finden war. Aus diesen Überlegungen waren die Spruchpunkte betreffend die Entziehung der Lenkberechtigung und die Anordnung, den Führerschein abzuliefern, ersatzlos zu beheben.
Im Hinblick auf die Anordnung zur Vorlage eines amtsärztlichen Gutachtens wurde der angefochtene Bescheid mangels Bekämpfung rechtskräftig, dh der Bw hat sich an den für seinen nunmehrigen Wohnsitz Linz zuständigen Polizeiarzt der BPD Linz zu wenden, wobei sein Vorhaben, sich um eine Facharzt-Stellungnahme D G W , FA für Psychiatrie in Linz, R, im Hinblick auf § 8 FSG zu bemühen, sicher günstig sein wird. Die Zuständigkeit dafür ist von der Behörde wahrzunehmen, dh die Erstinstanz wird den Verfahrensakt an die neue Wohnsitzbehörde weiterleiten.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Im gegenständlichen Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 13 Euro angefallen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.
Mag. Bissenberger
Beschlagwortung:
Haft wegen § 87 StGB 2 Jahre und 4 Monate = Dauer der Verkehrsunzuverlässigkeit, weitere Entziehung nicht erforderlich wegen § 7 Abs. 1 Z 1 FSG => Aufhebung