Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-230478/3/Br

Linz, 20.11.1995

VwSen-230478/3/Br Linz, am 20. November 1995 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn M D, M, vertreten durch Dres. F. K, Ch. S u. Mag. A.

P, Rechtsanwälte, S, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung, vom 24. Oktober 1995, Zl. Sich96-241-1994-OJ, zu Recht:

I. Der Berufung wird F o l g e gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z2 VStG eingestellt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 471/1995 AVG iVm § 21, § 24, § 45 Abs.1 Z2, § 51 Abs.1 und § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 620/1995 VStG.

II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskosten.

Rechtsgrundlage:

§ 65 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung hat mit dem obbezeichneten Straferkenntnis vom 24. Oktober 1995 über den Berufungswerber wegen der Übertretung nach § 81 Abs.1 Sicherheitspolizeigesetz eine Geldstrafe von 1.000 S und für den Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von 24 Stunden verhängt, weil er am 14.5.1994 gegen 16.45 Uhr in O, A, neben der D, durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt gestört habe, indem er nach Ende des Fußballmeisterschaftsspieles gegen A am Fußballplatz O, wo mindestens 100 Besucher anwesend gewesen seien, Herrn G M einen Faustschlag versetzt habe, wodurch dieser zu Sturz gekommen sei.

1.1. Die Erstbehörde wertete den von ihr als erwiesen angenommenen Sachverhalt als Störung der öffentlichen Ordnung im Sinne des § 81 Abs.1 SPG.

2. In der dagegen fristgerecht durch seine ausgewiesenen Rechtsvertreter erhobenen Berufung vermeinte der Berufungswerber, daß sein Verhalten nicht tatbestandsmäßig sei. Es ermangle dem subjektiven Tatbestandselement der "besonderen Rücksichtslosigkeit". Ferner ermangle es sowohl am objektiven Kriterium einer Störung an sich, als auch an einer entsprechenden Öffentlichkeit, welche an diesem Vorfall aktiv teilnehmen habe können.

3. Die Erstbehörde hat den Akt zur Entscheidung vorgelegt.

Somit ist die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates gegeben. Dieser hat, da keine 10.000 S übersteigende Strafe verhängt worden ist, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu erkennen.

Gemäß § 51e Abs.1 VStG war die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung nicht erforderlich.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis geführt durch die Einsichtnahme in den erstbehördlichen Verwaltungsakt und durch die Erhebung des Sachausganges bei der Bezirksanwaltschaft Urfahr-Umgebung.

5. Aufgrund des Ergebnisses der Aktenlage und des ergänzenden Erhebungsergebnisses steht fest, daß der hier verfahrensgegenständliche Vorfall der Strafverfolgungsbehörde zur Anzeige gelangte (GZ. BAZ 321/94) und in der Folge unter der Anwendung des § 42 StGB nach § 90 StPO durch die Staatsanwaltschaft L zur Verfahrenseinstellung führte.

6. Rechtlich ist daher folgendes zu erwägen :

6.1. Gemäß § 81 Abs.1 SPG begeht eine Verwaltungsübertretung, "wer durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt stört; er ist mit einer Geldstrafe bis zu 3.000 S zu bestrafen. Anstelle einer Geldstrafe kann bei Vorliegen erschwerender Umstände eine Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen verhängt werden." 6.1.1. Nach § 85 SPG liegt jedoch eine Verwaltungsübertretung nicht vor, wenn eine Tat nach den §§ 81 bis 84 (auch) den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet.

6.1.2. Der § 85 SPG schränkt somit die Reichweite der Tatbestände der §§ 81 bis 84 SPG - in Abkehrung von der bisherigen Gesetzeslage (vgl. etwa VfSlg. 3597/1959) - ein.

Eine Verwaltungsübertretung liegt nicht vor, wenn die Tat den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung bildet; die Tatbestandsumschreibungen der §§ 81ff SPG sind also um das Tatbestandsmerkmal: "soweit die Tat nicht gerichtlich strafbar ist" erweitert zu lesen.

So ist etwa nunmehr ein Täter - im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage - der an einem öffentlichen Ort einen anderen vorsätzlich am Körper verletzt hat, nicht mehr vom Gericht (Körperverletzung; §§ 83ff StGB) und zugleich auch von einer Verwaltungsbehörde (Ordnungsstörung; § 81 SPG) zu bestrafen.

Dabei ist gleichgültig, ob der Täter von einem Gericht etwa auch tatsächlich bestraft wird (vgl. VwSlg. 2079A/1951 und 3640A/1955). Ausschlaggebend ist allein, ob eine Handlung (Unterlassung) den "äußeren" Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt. Auch wenn die gerichtliche Bestrafung mangels Zurechnungsfähigkeit, Vorsatz, Fahrlässigkeit oder etwa auch nur wegen Arbeitsüberlastung der Gerichte entfällt, liegt gleichwohl keine Verwaltungsübertretung vor.

Die Verwaltungsbehörden haben die Frage, ob eine Tat den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt, im Grundsatz eigenständig als Vorfrage im Sinne von § 38 AVG zu beurteilen; dabei sind die besonderen Regelungen des § 30 Abs. 2 und 3 VStG zu beachten.

Ist aber eine Tat von den Behörden nur zu ahnden, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit anderer Verwaltungsbehörden oder der Gerichte fallenden strafbaren Handlungen bildet, und ist zweifelhaft, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, so hat die Behörde das Strafverfahren auszusetzen, bis über die Frage von der sonst in Betracht kommenden Verwaltungsbehörde oder vom Gericht rechtskräftig entschieden ist.

Hat die Behörde allenfalls schon vor dieser Entscheidung ein Straferkenntnis gefällt, so darf es vorläufig nicht vollzogen werden. Ergibt sich später, daß das Verwaltungsstrafverfahren nicht hätte durchgeführt werden sollen, so hat die Behörde erster Instanz, wenn aber in der Sache ein unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, dieser, das Straferkenntnis außer Kraft zu setzen und das Verfahren - was hier eben zu geschehen hat - einzustellen.

Die Behörde ist wohl nur an ein "verurteilendes Erkenntnis des Strafgerichtes, nicht aber durch dessen Einstellungsbeschluß gebunden" (VwSlg. 2079A/1951); im Fall der Einstellung - das gleiche muß auch für den Freispruch gelten - "hat die Verwaltungsstrafbehörde die Frage, ob die von ihr dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat einen gerichtlich zu ahndenden Tatbestand bildet, selbst zu beurteilen" (VwSlg. 4169A; 10276A/1980).

Diese Tat war hier vom äußeren Tatbild (Körperverletzung) zweifelsfrei als in die Zuständigkeit des Gerichtes fallend zu erachten. Dies liegt insbesondere (hier) darin begründet, daß die Anklagebehörde unter Anwendung des § 42 StGB vorgegangen ist, was besagt, daß vom Vorliegen einer strafbaren Handlung ausgegangen wurde und wohl auch auszugehen war.

Die Behörde hat sich Kenntnis von der gerichtlichen Entscheidung amtswegig zu verschaffen; eine Mitteilungspflicht der Gerichte ist nicht vorgesehen. Auch dies hatte hier von der Berufungsbehörde ergänzend zu geschehen (vgl. anders etwa Art. IX Abs. 5 EGVG).

Durch eine allfällige Aussetzung des Verfahrens würde der Lauf der Frist für die Strafbarkeitsverjährung weder gehemmt noch unterbrochen (§ 31 Abs.3, letzter Satz VStG; Ringhofer, Verwaltungsverfahrensgesetze II, 274).

6.2. Der Ausschluß verwaltungsbehördlicher Strafbarkeit tritt nur ein, wenn - so wie hier - ein und dieselbe Tat auch den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung bildet; werden in einem Geschehensablauf zwei "Taten" hintereinander gesetzt, kann das eine Mal der Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung, das andere Mal eine Verwaltungsübertretung gegeben sein.

Ausschlaggebend ist lediglich, wie oben bereits dargelegt, ob die Tat den "äußeren" Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung bildet. Ob die Tat letztlich von den Gerichten geahndet wird oder ob der Täter - aus welchen Gründen auch immer - straffrei bleibt, ist irrelevant.

6.3. Das derzeit nicht selten bestehende Nebeneinander von gerichtlicher und verwaltungsbehördlicher Strafbarkeit war gerade im Bereich der Sicherheitspolizei und wegen deren Nähe zum gerichtlichen Strafrecht nicht mehr angebracht.

Dementsprechend war eine Subsidiarität vorzusehen (vgl. zur Subsidiarität, Sicherheitspolizeigesetz, Handbuch zum SPG, Hauer-Kepplinger, Prugg Verlag Eisenstadt 1993, 1. Juli 1993 Seite 404 und 405 und den Hinweis auf die RV).

Durch diese ausführliche Darlegung sollten die durch die neue Rechtslage bedingten Änderungen entsprechend breit dargestellt werden.

6.4. Ein weiteres Eingehen auf die Begründung des Straferkenntnisses und auf die Berufungsausführungen (welches auf diese rechtlichen Belange nicht Bedacht nahm) war angesichts dieser Entscheidungsgründe nicht mehr erforderlich.

6.5. Angesichts dieser Rechtslage war im gegenständlichen Fall das Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

6.6. Erwähnt sei abschließend, daß aus der Sicht der Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Sicherheitspolizeigesetzes den Ausführungen im Straferkenntnis wohl zu folgen gewesen wäre.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. B l e i e r

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