Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720181/2/Gf/Mu/Ga

Linz, 03.09.2007

 

 

B E S C H L U S S

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Grof aus Anlass der Berufung des H D, vertreten durch RAe Mag. H S und Mag. C A, gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 27. Juni 2007, Zl. 1025414/FRB, beschlossen:

 

I.               Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreichs ist zur Entscheidung über diese Berufung sachlich nicht zuständig.

 

II.             Die Berufung wird an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich weitergeleitet.

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 i.V.m. § 6 Abs. 1 AVG.

 

 

 

Begründung:

 

 

1.1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, hält sich seit 22. Oktober 2002 in Österreich auf und ist – wie sich dem von der belangten Behörde vorgelegten Akt entnehmen lässt – entsprechend den bestehenden Rechts­vorschriften ins Bundesgebiet eingereist. Am 28. Oktober 2002 hat er einen ersten Antrag für eine Niederlassungsbewilligung gestellt, die ihm in der Folge auf Grund mehrere Verlängerungsanträge mittlerweile seit 15. April 2005 unbefristet erteilt wurde. Er lebt bei seiner Mutter, einer türkischen Staatsangehörigen, und hat, nachdem er ab 25. Oktober 2002 die Schuljahre 2002/2003 und 2003/2004 in einer Hauptschule absolviert hat, während seine Mutter mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet war, als damals begünstigter Drittstaatsangehöriger jeweils kurz bei verschiedenen Unternehmen gearbeitet.

 

1.2. Mit Urteil des LG Linz vom 24. Jänner 2007, Zl. 25 Hv 152/06z, wurde über den Rechtsmittelwerber wegen mehrerer Übertretungen des Strafgesetzbuches eine Freiheitsstrafe von 10 Monaten, davon 9 Monate bedingt auf 3 Jahre, verhängt.

 

1.3. In der Folge wurde gegen ihn mit Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 27. Juni 2007, Zl. 1025414/FRB, ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthalts­verbot erlassen.

 

1.4. Gegen diesen ihm am 25. Juli 2007 zugestellten Bescheid hat der Beschwerdeführer die vorliegende, am 8. August 2007 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebene Berufung eingebracht. Diese wurde von der Erstbehörde formlos dem Oö. Verwaltungssenat zur Entscheidung vorgelegt.

 

 

2. Hierüber hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich er­wogen:

 

 

2.1. Nach der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 157/2005 (im Folgenden: FPG), entscheiden, sofern nicht anderes bestimmt ist, über Berufungen gegen Ent­scheidungen nach dem FPG im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und be­günstigten Drittstaatsangehörigen die Unabhängigen Verwaltungssenate in den Län­dern, in allen anderen Fällen hingegen die Sicherheitsdirektionen (in letzter Instanz).

 

2.2. Gemäß der – aus verfassungsrechtlicher Sicht bedenklichen[1] – Legaldefinition des § 2 Abs. 4 Z. 8 FPG ist unter einem EWR-Bürger ein Fremder zu verstehen, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.

 

Dieses EWR-Abkommen (BGBl. Nr. 909/1993 i.d.F. 566/1994, zuletzt geändert durch BGBl. III Nr. 53/2006) wurde zwar von zahlreichen Staaten und Staaten-gemeinschaften[2], nicht jedoch von jenem Staat, dessen Angehöriger der Rechts­mit­telwerber ist (Türkei), ratifiziert. Eine Zuständigkeit des Oö. Verwaltungssenates nach § 9 Abs. 1 Z. 1 erste Alternative FPG scheidet daher – ebenso wie eine solche gemäß § 9 Abs. 1. Z. 1 zweite Alternative FPG ("Schweizer Bürger") – schon von vorn­h­erein aus.

 

2.3. Es bleibt daher zu untersuchen, ob der Beschwerdeführer als ein "Begünstigter Drittstaatsangehöriger" i.S.d. § 9 Abs. 1 Z. 1 dritte Alternative i.V.m. § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG anzusehen ist.

 

2.3.1. Unter einem (bloßen) "Drittstaatsangehörigen" ist gemäß § 2 Abs. 4 Z. 10 FPG jeder Fremde, der nicht EWR-Bürger ist (vgl. FN 2), zu verstehen.

 

2.3.2. Nach § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG gelten dem gegenüber als "Begünstigte Drittstaatsangehörige" solche Fremde, die zwar selbst nicht EWR-Bürger, aber entwe­der der Ehegatte oder (eigene) geradlinig Verwandte (bzw. geradlinig Verwandte des Ehegatten) eines EWR-Bürgers, eines Schweizer Bürgers oder eines Österreichers, der – soweit überhaupt möglich – sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat, sind. Hinsichtlich derartiger geradlinig Verwandter ist weiters insofern zu unterscheiden, als den in gerader absteigender Linie Verwandten dieser Status jeweils bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres (bzw. darüber hinaus, sofern ihnen tatsächlich Unterhalt gewährt wird) zukommt; den in gerader aufsteigender Linie Verwandten hingegen nur, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird und ein solcher Drittstaatsangehöriger den freizügigkeits­berechtigten EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder Österreicher, von dem sich seine gemeinschaftsrechtliche Begünstigung herleitet, tatsächlich begleitet oder diesem nachzieht.

 

Um die Stellung eines "Begünstigten Drittstaatsangehörigen" erlangen zu können, muss der EWR-Bürger oder der Österreicher sein "Recht auf Freizügigkeit" in An­spruch genommen haben.

 

Nach § 2 Abs. 4 Z. 15 FPG ist unter "Recht auf Freizügigkeit"[3] das gemeinschaftliche Recht eines EWR-Bürgers, sich in Österreich niederzulassen, zu verstehen. Das "Recht auf Freizügigkeit" für einen Österreicher lässt sich aus dem Gemeinschafts­recht oder den - umgesetzten - nationalen Vorschriften jenes Staates entnehmen, in dem er sein Niederlassungsrecht in Anspruch nehmen möchte.

 

Nur jene EWR-Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen und sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufgehalten haben, sind unter den Vor­aussetzungen des § 51 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 31/2006 (im Folgenden: NAG), zur Nie­derlassung berechtigt und als freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger anzu­sehen. Auch Österreicher müssen, um als Freizügigkeitsberechtigte betrachtet werden zu können, ihr Recht auf Freizügigkeit in einem von ihnen gewählten EWR-Mitgliedstaat in Anspruch genommen und sich dort entsprechend den umgesetzten nationalen Rechtsvorschriften länger als drei Monate aufgehalten und in der Folge niedergelas­sen haben. 

 

2.3.3. Aus dem von der belangten Behörde vorgelegten Akt geht weder hervor, dass der Rechtsmittelwerber mit einer EWR-Bürgerin, einer Schweizerin oder einer Öster­reicherin verheiratet noch, dass er mit einem solchen Staatsangehörigen in gerader Linie verwandt ist. Derartiges wird auch von ihm selbst gar nicht behauptet. Vielmehr geht aus dem erstbehördlichen Akt hervor, dass die zweite Ehe zwischen seiner Mutter und einem österreichischen Staatsangehörigen bereits am 19. September 2005 geschieden worden ist und sie mittlerweile wieder seit 5. Jänner 2007 mit ihrem Exmann, dem leiblichen Vater des Kindes, verheiratet ist und dass daher seine Eltern offenkundig selbst türkische Staatsangehörige sind.

 

Somit ist der Beschwerdeführer kein "Begünstigter Drittstaatsangehöriger" i.S.d. § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG[4].

 

2.3.4. Im Ergebnis ist daher – weil auf den vorliegenden Fall keine der dort angeführ­ten Alternativen zutrifft – eine Zuständigkeit des Oö. Verwaltungssenates nach § 9 Abs. 1 Z. 1  FPG nicht gegeben; vielmehr fällt es nach dem in § 9 Abs. 1 Z. 2 FPG normierten Auffangtatbestand in die Kompetenz der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich, über die vorliegende Berufung zu entscheiden.

 

2.4. Aus allen diesen Gründen hatte der Oö. Verwaltungssenat daher – weil die gegenständliche Berufung bereits an ihn weitergeleitet worden war (s.o., 1.4.) – in sinn­­gemäßer Anwendung des § 66 Abs. 4 i.V.m. § 6 Abs. 1 AVG bescheidmäßig seine Un­zuständigkeit festzustellen und das Rechtsmittel an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich weiterzuleiten (vgl. e contrario VwGH v. 30. Mai 1996, 94/05/0370 – verst. Senat). 

 

3. Diesem Ergebnis kann auch nicht eine vermeintlich gegenteilige Judikatur des EuGH und des VwGH, die im Ergebnis eine auf dem sog. "Assoziations­ratsbe­schluss"[5] basierende Stärkung der Rechtsstellung türkischer Staatsange­höriger zu bezwecken scheint, entgegen gehalten werden.

 

3.1. Der Beschluss des Assoziationsrates Nr. 1/80 vermittelt nämlich lediglich jenen türkischen Arbeitnehmern weitergehende Rechte auf Arbeit und Aufenthalt, die zu­vor den ersten Integrationsschritt eines rechtmäßigen Zugangs zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaats vollzogen haben. Hingegen ist damit ein allgemeines Zuzugs­recht eines türkischen Arbeitnehmers aus seinem Heimatstaat in die Gemeinschaft nicht verbunden. Der genannte Beschluss lässt vielmehr die Kompetenz der Mit­gliedsstaaten, über die Einreise bzw. die erstmalige Erteilung einer Arbeits- und Auf­enthaltserlaubnis autonom zu befinden, grundsätzlich unberührt (stRsp des EuGH, vgl. z.B. im Fall Günaydin, 30. September 1997, Rs C-36/96, Rz 36 bis 38, und im Fall Birden, 26. November 1998, Rs C-1/97, Rz 37; s.a. Feik, Das Aufenthaltsrecht türkischer Arbeitnehmer, ZfV 1995, 8, mwN; Akyürek, Das Assoziationsabkommen EWG–Türkei, Wien 2005, 47 f;).

 

Im Urteil vom 7. Juli 2005, C-383/03 (Fall Dogan), Rz 13, hat der EuGH ausdrücklich darauf hingewiesen, "dass sich aus dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 ergibt, dass ..... ein türkischer Arbeitnehmer, der rechtmäßig in das Ho­heitsgebiet eines Mitgliedstaates eingereist ist und dort die Erlaubnis erhalten hat, eine Beschäftigung auszuüben, seine Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat ausüben kann". 

 

Die Zugehörigkeit zum "regulären Arbeitsmarkt" setzt daher eine rechtmäßige (lega­le) Beschäftigung voraus (vgl. nochmals EuGH vom 26. November 1998, Rs C‑1/97 [Fall Birden], Rz 50).

 

Das Erfordernis einer ordnungsgemäßen (legalen) Beschäftigung ist aber jedenfalls dann nicht erfüllt, wenn eine Beschäftigung auf Grund eines Aufenthaltstitels ausgeübt wurde, der unrechtmäßiger Weise – insbesondere durch eine Täuschung (zB Scheinehe) – erlangt wurde (vgl. EuGH vom 5. Juli 1997, Rs C-285/95, Rz 24ff).

 

Der EuGH hat in seinem auf Grund eines Vorabentscheidungsersuchens des VwGH ergangenen Urteils vom 2. Juni 2005, C‑136/03[6], daher auch lediglich ausgeführt, dass (nur) hinsichtlich türkischer Staatsangehöriger, die rechtmäßig[7] eingereist sind und dem regulären[8] Arbeitsmarkt angehören[9], zwar Art. 8 der Richtlinie 64/221/EWG (im Folgenden: RL 64/221) für aufenthaltsbeendende Maßnahmen grundsätzlich eine derartige Ausgestaltung des Rechtsschutzes erfordern würde,

dass solche Entscheidungen einer gerichtsförmigen Kontrolle unterliegen und einem dementsprechenden Rechtsbehelf auch aufschiebende Wirkung zukommen muss. Wenn jedoch eine Garantie in diesem Umfang – wie zum damaligen Zeitpunkt in Österreich allseits unbestritten – nicht bestand, musste nach Art. 9 Abs. 1 RL 64/221 zumindest gewährleistet sein, dass eine von jener, die letztlich über die aufenthalts­beendende Maßnahme zu entscheiden hat, verschiedene Stelle eingerichtet ist, vor der sich der Fremde entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann und die zur Abgabe einer Stellungnahme berechtigt ist.

 

Diesem Erfordernis (war und) ist aber auch dann Rechnung getragen, wenn im gegenständlichen Fall – wie zuvor dargetan – die Sicherheitsdirektion als Berufungs­behörde zuständig ist. Denn z.B. nach § 15a Abs. 1 des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl. Nr. 566/1991, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. I 158/2005 (im Folgenden: SPG), obliegt es dem Menschenrechtsbeirat explizit, u.a. die Tätigkeit der Sicher­heitsbehörden, die die Sicherheitsverwaltung – wozu gemäß § 2 Abs. 2 SPG auch die Fremdenpolizei zählt – zu besorgen haben (vgl. § 2 Abs. 1 SPG), unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Menschenrechte zu beobachten und begleitend zu über­prüfen. Europarechtskonform, nämlich unter dem Blickwinkel des Art. 9 Abs. 1 der RL 64/221 interpretiert, bestünde daher für die Sicherheitsdirektion nicht nur kein Hindernis, sondern sogar die Verpflichtung, vor ihrer Entscheidung über eine Beru­fung aus Anlass einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme jeweils eine Stellung­nahme des Menschenrechtsbeirates abzuwarten, sofern sich der Rechtsmittelwerber an diesen gewandt hat[10].

 

3.2. Dem entsprechend hat der VwGH in seinen zahlreichen im Anschluss an dieses Vorabentscheidungsverfahren ergangenen Erkenntnissen[11] die angefochtenen Be­scheide gerade nicht wegen Unzuständigkeit der belangten Behörden (nämlich: der Sicherheitsdirektionen), sondern vielmehr jeweils wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts aufgehoben.

 

3.3. Das auf Grund eines Vorabentscheidungsersuchens des VwGH ergangene Ur­teil des EuGH vom 2. Juni 2005, C‑136/03 bezog sich auf die Rechtslage vor der Umsetzung der Richtlinie 2004/38/EG (im Folgenden: Unionsbürger-RL 2004/38)[12] durch den österreichischen Gesetzgeber. Unter Punkt 2 des Beschlusses vom 18. März 2003, Zlen EU 2003/0001, 0002-1, hatte der VwGH dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob "die Rechtsschutzgarantien der Art 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Son­der­­vorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, auf türkische Staatsangehörige anzuwenden sind, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder 7 des Beschlusses des – durch das Abkommen zur Gründung der Assozi­ation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten – Assoziationsrates vom 19. September 1980, Nr. 1/80, über die Ent­wicklung der Assoziation zukommt".

 

Die RL 64/221 wurde durch Art. 38 Abs. 2 der Unionsbürger-RL 2004/38 mit Wirkung vom 30. April 2006 aufgehoben.

 

Durch die Unionsbürger-RL 2004/38 wurde der besondere Rechtsschutz der Unions­bürger[13] in Bezug auf Aufenthalt und freie Bewegung im Hoheitsgebiet der Mitglieds­staaten ausgeweitet und die wesentlichen europarechtlichen Bestimmungen geändert, ersetzt oder sogar aufgehoben[14]. Dieser Ansatz lässt schon a priori nicht erwar­ten, dass der EuGH eine solche Rechtsposition auch den – wenngleich im Wege spezifischer Abkommen mitunter begünstigten – Bürgern von Drittstaaten wie den türkischen Staatsangehörigen zubilligen wird[15]. Dies würde nämlich zu dem unver­ständlichen Ergebnis führen, dass türkische Staatsangehörige – ohne dass die Türkei Mitglied der EU ist – den Unionsbürgern vollkommen gleichgestellt wären.

 

Denn das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union haben wohl in Kenntnis der einschlägigen Entscheidungspraxis des EuGH und vor allem der damit verbundenen "Rechtsfortbildung durch den EuGH"[16] in der Frage des Rechts­schutzes türkischer Staatsangehöriger – denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder 7 des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation zukommt und auf die der EuGH die verfahrensrechtlichen Mindest­garantien in Art. 8 und 9 der mit 30. April 2006 weggefallenen RL 64/221 ausgedehnt hat – die in Rede stehende Unionsbürger-RL 2004/38 deshalb erlassen, um das Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht aller Unionsbürger zu vereinfachen und zu verstärken[17].  Weder in der Richtlinie selbst noch in den vorab dargestellten Über­legungen der Kommission, des Europäischen Wirtschafts- und Sozialaus­schusses und des Ausschusses der Regionen findet sich irgendein Hinweis, dass der nunmehr wesentlich erweiterte Rechtsschutz in gleicher Weise auch auf bloß "Assoziierte" Anwendung finden sollte. Vor diesem Hintergrund und den weiteren einleitenden Erwägungen zur Unionsbürger-RL 2004/38, wo sehr wohl auch auf die Judikatur des EuGH[18] hingewiesen und gerade auf Grund dieser Rechtsprechung und der damit verbunden Rechtsfortentwicklung eine entsprechende Umsetzung vor­genommen wurde, ist davon auszugehen, dass bei der Erlassung dieser Richtlinie der den Unionsbürgern zukommende Rechtsschutz nicht auch auf "Assoziierte" aus­gedehnt werden sollte.

 

Auch die Regierungsvorlage zum "Fremdenrechtspaket 2005" (vgl 952 Blg.
Nr. 22. GP, Seite 2) führt aus, dass mit dem vorgeschlagenen Entwurf u.a. die RL 2004/38/EG umgesetzt werden sollte. Da aber, wie bereits zuvor dargetan, der Ge­setzes­text des FPG 2005, mit dem der Unionsbürger-RL 2004/38 entsprochen wer­den sollte[19] und auch tatsächlich vollkommen entsprochen wurde, nicht einmal ansatz­­weise zum Ausdruck bringt, dass auch jenen türkischen Staatsangehörigen, die vom Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 erfasst werden, der an sich nur Unions­bürgern garantierte erweiterte Rechtsschutz zukommen soll, ist davon auszu­gehen, dass die Umsetzung der Unionsbürger-RL 2004/38/EG eben nur jenen in § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG 2005 genannten Personenkreis erfasst und mangels entsprechen­der Mehrheitsfindung in der gesetzgebenden Körperschaft den türkischen Staats­angehörigen diese "privilegierte", den Rechten eines Unionsbürgers voll ent­sprechen­de Stellung nicht gewährt werden sollte.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

 

 

Dr.  G r o f

 

 



[1] Weil auf diese Weise der Inhalt einer Verfassungsbestimmung durch eine einfachgesetzliche Norm näher konkretisiert wird, noch dazu, wo es um eine zuständigkeitsbegründende Vorschrift zwi­schen unterschiedlichen Gebietskörperschaften, nämlich letztlich um die Klärung der Frage "Unmittel­bare oder  mittelbare Bundesverwaltung?" geht.

[2] Mittlerweile - d.h. seit dem 6. Dezember 2005 - insgesamt 30, darunter zwölf Staaten (im Folgenden kursiv), die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des EWR-Abkommens (1. Jänner 1994) schon Mitglied der EG waren, sowie drei derzeitige Nicht-EU-Mitglieder (im Folgenden fett): Belgien, Dänemark, Deutschland, EGKS, EWG, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Island, Italien, Liechtenstein, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Spanien, Tschechien, Estland, Zypern, Lettland, Litauen, Ungarn, Malta, Polen, Slowenien, Slowakei.

[3] Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art 39 EGV, Niederlassungsfreiheit nach Art 43ff EGV, Dienst­leistungsfreiheit nach Art 49ff EGV und "Allgemeines Freizügigkeitsrecht" des Art 18 Abs.1 EGV (Familienangehörige von Unionsbürgern, die selbst die Staatsangehörigkeit eines Drittstaates besitzen, können sich nicht auf Art. 18 EGV berufen; ihnen wird ein Aufenthaltsrecht aber sekundärrechtlich gewährleistet [Winfried Kluth, in: Calliess/Ruffert {Hrsg.}, EUV/EGV, Art 18, Rn. 7]).

[4] Dem widerspricht auch nicht die – neben dem offiziellen Ausschussbericht und im Übrigen bloß mit Stimmenmehrheit getroffene – Feststellung des Ausschusses für Innere Angelegenheiten, 1055 Blg. Nr. 22. GP, S 9 f., wonach "die Rechtsschutzgarantien der Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG für türkische Staatsangehörige, denen die Rechtsstellung nach Artikel 6 oder Artikel 7 des Beschlus­ses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation zukommt, gelten". Offensichtlich fand diese Auffassung nämlich dann in der gesetz­gebenden Körper­schaft nicht die erforderliche Mehrheit, hätte doch ansonsten keinerlei Hindernis bestanden, diese Wendung ausdrücklich in den Gesetzestext aufzunehmen. Vor diesem Hintergrund ist daher diese Feststellung nicht als - insbesondere auch nicht als interpretativ erschließbarer - Inhalt des Geset­zes­textes anzusehen, weil die tragfähige Grundlage für eine historische Interpretation entfällt. Denn unter den dargestellten Umständen ist die Annahme einer fiktiven Zustimmung der beschlussfassen­den Mehrheit der Parlamentarier zu dieser (Mehrheits-)Feststellung des Ausschusses für Innere An­gelegenheiten nicht mehr vertretbar, sondern erschiene als rein willkürlich (zu dieser Hypothese bei der historischen Interpretation vgl. Öhlinger, Verfassungsrecht, 3. Aufl., Wien 1997, 30). Nach herrschender Meinung zum Verhältnis der Auslegungsmethoden im Öffentlichen Recht ist aber ohne­hin stets vom Vorrang des Gesetzeswortlauts und damit von der Wortinterpretation in Verbindung mit der grammatikalischen und der systematischen Auslegung bei äußerster Zurück­haltung gegen­über Methoden "berichtigender" Interpretation auszugehen (vgl. mit zahlreichen Nachw. Antoniolli-Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., Wien 1996, 101 f). Für eine prinzipiell objektive Ausle­gung treten daher auch Walter-Mayer, Grundriss des österreichischen Bundes­verfassungsrechts, 9. Auflage, Wien 2000, RN 132 ("Wenn also der objektive Ausdruck deutlich ist, so ist er maßgeblich, un­abhängig davon, ob der [subjektive] Wille damit übereinstimmt, divergiert oder überhaupt undeut­lich ist") unmissverständlich ein. Deshalb ist auch nach übereinstimmender Rechtsprechung der Gerichts­höfe des Öffentlichen Rechts bei einem Widerspruch zwischen dem klaren Gesetzeswortlaut und den an sich unverbindlichen Materialien ausschließlich das Gesetz maßgeblich und entschei­dend (vgl. schon VfSlg 4340/1963, 4442/1963 5153/1965 und 7698/1975 sowie VwSlg 5362 A/1960). Auf andere Erkenntnisquellen (wie Regierungsvorlage und Steno­graphische Protokolle) außerhalb des Gesetzeswortlauts, die für sich allein nichts über den Inhalt aussagen, darf nur bei zweifelhafter Ausdrucksweise des Gesetzgebers zurückgegriffen werden (vgl. die Nachweise aus der Judikatur bei Antoniolli-Koja, a.a.O., 102 FN 38). Dies ist jedoch gegenständlich, wie oben im Text bereits dargelegt, keineswegs der Fall.

[5] Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980.

[6] Abgedr. in EuGRZ 2005, 319 ff.

[7] In den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 21. Oktober 2004 hat dieser unter Punkt V (Ergebnis) Abs. 61 Z 2 ausgeführt, dass "die in Artikel 8 und 9 der Richtlinie 64/221 vorgesehenen verfahrensrechtlichen Garantien auf türkische Arbeitnehmer Anwendung finden, denen die Rechtsstellung nach Artikel 6 oder 7 des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation zukommt".

[8] Vgl. dazu auch EuGH v. 7. Juli 2005, C-383/03.

[9] Vgl. Art. 6 und 7 des Assoziationsratsbeschlusses (FN 4).

[10] Art. 9 Abs 1 RL 64/221 bestimmte: "Sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, trifft die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltser­laubnis ..... außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufenthaltslandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechts­vorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann."

[11] Vgl. VwGH v. 11. Oktober 2005, Zl. 2005/21/0165; v. 15. Dezember 2005, Zl. 2005/18/0357; u.v.a.

[12] Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhe­bung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73//148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158 vom 30.4.2004).

[13] Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt (Art. 17 EGV). Obwohl die Unionsbürgerschaft an die Staatsangehörigkeit in den Mitgliedstaaten anknüpft, handelt es sich um ein unmittelbar statusbegründendes Rechtsverhältnis. Die mit dem Status als Unionsbürger ver­bundenen Rechte und Pflichten werden nicht durch die staatliche Rechtsordnung vermittelt, sondern ergeben sich unmittelbar aus dem Recht der Union (Winfried Kluth, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, Art 17, RN. 6).

[14] vgl. näher Ralf Ramin, Die Rechtsstellung der Unionsbürger nach dem Fremdenrechtspaket 2005, migralex 2006, 13.

[15] Hinsichtlich der türkischen Staatsangehörigen iSd Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 müsste wie­derum zwischen legal eingereisten und in den Arbeitsmarkt integrierten und solchen Türken, auf die dies nicht zutrifft, unterschieden werden; vgl. EuGH in FN 4.

[16] Die autonome richterliche Rechtsfortbildung durch den EuGH wirft im Hinblick darauf, dass Öster­reich – etwa im Gegensatz zur BRD – der EG vorbehaltlos beigetreten ist, besondere Probleme auf. Einerseits war dem Bundesvolk bei der Abstimmung über das "Bundesverfassungsgesetz über den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union" (BGBl. Nr. 744/1994) dessen Inhalt und Dynamik nicht ein­mal ansatzweise klar, und andererseits kann sich diese Ermächtigung nur auf einen bestimmten Status quo, jedoch nicht auch auf alle daraus für die Zukunft resultierenden, damals noch gar nicht abschätz­baren Änderungen im Hinblick auf die Baugesetze der österreichischen Verfassung bezogen haben. Der Verfassungsgerichtshof hat im Erkenntnis VfSlg 13839/1994 unter Hinweis auf seine inso­weit fehlende Zuständigkeit eine inhaltliche Prüfung dieses Beitritts-BVG abgelehnt (vgl. dem­gegenüber VfSlg 11500/1987, S. 363, zu Art. 6 EMRK: "..... erweist sich mithin als offene Rechts­fortbildung, die wohl erwogene Gründe haben mag, den Staaten aber Verpflichtungen auferlegt, die einzugehen sie niemals gewollt und erklärt haben."). Damit scheint im Ergebnis jeden­falls kein dem­ent­sprechendes Fehlerkalkül zu bestehen, weshalb – juristisch besehen – jede Unver­ein­barkeit mit den Baugesetzen der Verfassung unmittelbar zur absoluten Teilnichtigkeit des Beitritts-BVG führen müsste (zur Frage der Bedenklichkeit des Beitritts-BVG im Hinblick auf Art. 44 Abs. 3 B-VG vgl. auch Winkler, Integrationsverfassungsrecht, Wien 2003, 44 f., mwN). Rechtspolitisch betrachtet scheint die vorbehaltlose Übernahme des Sekundärrechts der EG auf eine schleichende Beein­trächtigung von Baugesetzen des B-VG hinauszulaufen, was im Ergebnis als ein "stiller Staats­streich" angesehen werden kann.

[17] Pkt. 3 der Erwägungen zur RL 2004/38.

[18] Pkt. 27 der Erwägungen zur RL 2004/38.

[19] Mitteilung nationaler Vorschriften - Dokument Nr. 72004L0038.

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