Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-420519/7/SR/Sta

Linz, 23.10.2007

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Stierschneider über die Beschwerde des R S, vertreten durch Dr. E P, Rechtsanwalt in B H, H, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt am 22. Juli 2007 durch ein dem Bezirkshauptmann von Steyr-Land zurechenbares Organ, zu Recht erkannt:

 

 

I. Der Beschwerde wird insoweit Folge gegeben, als der Beschwerdeführer im Zuge der Anhaltung am 22. Juli 2007, in der Zeit zwischen 03.51 Uhr und
04.00 Uhr, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, dadurch verletzt wurde, dass er nach der Verbringung zum polizeilichen Dienstfahrzeug minutenlang vor diesem in kniender Stellung mit am Rücken fixierten Händen verbringen musste. 

 

II. Der Bund (Verfahrenspartei Bezirkshauptmann von Steyr-Land) hat dem Beschwerdeführer den notwendigen Verfahrensaufwand in Höhe von 695,60 Euro (darin enthalten Bundesstempel von 13,20 Euro und Beilagegebühren von 21,60 Euro) binnen 2 Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsgrundlagen:

Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs 1 Z 2 und § 67c AVG 1991; § 79a AVG iVm UVS-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl II Nr. 334/2003.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

1.1. Mit der am 28. August 2007 beim Oö. Verwaltungssenat eingelangten Maßnahmenbeschwerde brachte der Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf) vor, am 21. Juli 2007 in Waldneukirchen (vor dem Veranstaltungsort des "Summer Strike Festes") anlässlich einer von dem Bezirkshauptmann von Steyr-Land zurechenbaren Organen durchgeführten Amtshandlung in verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechten verletzt worden zu sein. Durch das Einschreiten der Polizei, insbesondere die unnotwendige Fesselung, durch das nachfolgende Verschleppen und Verbleiben in Fesselung direkt beim Auto sei er im Recht nach Art 3 EMRK, keiner unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, und im Recht nach Art 5 EMRK verletzt worden.

 

Im Wesentlichen wird in der Beschwerde folgender Sachverhalt geschildert:

 

Der Bf habe am 21. Juli 2007 gemeinsam mit seiner Freundin K S gegen 03.45 Uhr das Summer Strike Fest in Waldneukirchen verlassen wollen. Nach einem kurzen Wortwechsel mit C E, der für einen privaten Security-Dienst tätig war, sei er über dessen Anweisung von anderen Security Mitarbeitern und C E zu Boden geworfen und mit Fäusten und Füßen traktiert worden. Der Polizist S habe ebenfalls auf ihn eingeschlagen und ihm anschließend die Handschellen angelegt. Anschließend sei er zum Polizeiauto geschleppt worden. Dort hätte er sich hinknien und die Hände auf das Auto legen müssen. Dabei sei ihm schlecht geworden, er sei zur Seite gefallen und habe erbrechen müssen. Weiters habe er durch das Anlegen der Handschellen Verletzungen erlitten, welche im Krankenhaus festgestellt worden seien.    

 

Abschließend begehrte der Bf den Aufwandersatz und stellte den Antrag auf Erlassung der folgenden Entscheidung:

 

"Ich begehre daher den angefochtenen Verwaltungsakt der Fesselung (Schließung mit Handfesseln) für rechtswidrig zu erklären."

 

1.2. Im unter Punkt 1.1. genannten Schriftsatz hat der Bf weiters eine "Richtlinienbeschwerde" eingebracht und die Weiterleitung an die Aufsichtsbehörde beantragt.

 

Mit Beschluss des Oö. Verwaltungssenates vom 30. August 2007, VwSen-440086/2/SR/Ri, wurde diese Beschwerde an das Landespolizeikommando für Oberösterreich weitergeleitet. 

 

2. Die belangte Behörde hat im E-Mail vom 3. Oktober 2007 mitgeteilt, dass von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen, auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufgrund der dokumentierten umfangreichen Erhebungen verzichtet und der Akt unverzüglich mit Boten überbracht werde. Ein Kostenbegehren wurde nicht gestellt. Der angekündigte Akt langte am 4. Oktober 2007 beim
Oö. Verwaltungssenat ein. 

 

3.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch Einsicht in den bezughabenden Verwaltungsakt, die Beschwerde und deren Beilagen.

 

Da der Beschwerdeschrift nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnommen werden konnte, ob nur der Verwaltungsakt der Fesselung oder auch weitere Verwaltungsakte angefochten worden sind, wurde der Rechtsvertreter des Bf mit Schreiben vom
18. Oktober 2007 zur Verbesserung aufgefordert.

 

Mit Schreiben vom 22. Oktober 2007 teilte der Rechtsvertreter mit, dass nur der Verwaltungsakt der Fesselung, die am 22. Juli 2007 stattgefunden hat, angefochten worden ist. Abschließend wurde ein genau beziffertes Kostenbegehren gestellt.

 

3.2. Auf Grund der aktenkundigen Beweislage geht das erkennende Mitglied des
Oö. Verwaltungssenates von folgendem S a c h v e r h a l t aus:

 

Am 22. Juli 2007, gegen 03.45 Uhr,  kam es in S, Mstraße, im Eingangsbereich zum Veranstaltungsgelände (Veranstaltung: "Summer Strike") zwischen dem Bf und Bediensteten der Sicherheitsfirma GFE zu verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen. Der in unmittelbarer Nähe mit einer anderen Amtshandlung beschäftigte GrInsp S ging sofort zum Tatort. Im Zuge der  nunmehrigen Amtshandlung wurde der Bf gegen 03.50 Uhr festgenommen, unter Beihilfe von zwei Bediensteten der Sicherheitsfirma GFE zu Boden gebracht und die Hände mittels Handfesseln am Rücken geschlossen. Anschließend wurde der Bf "auf die Beine gestellt" und zum in unmittelbarer Nähe abgestellten Zivilstreifenwagen geführt. Dort angekommen, musste sich der Bf vor der Fahrzeugtür des Zivilstreifenwagens niederknien. Nach einem Gespräch mit der Freundin beruhigte sich der Bf. Die Festnahme wurde gegen 04.00 Uhr aufgehoben und ihm gleichzeitig die Handfesseln abgenommen. Der Bf verharrte weiter in der knienden Stellung und verlangte die Rettung. Laut Aktenlage (Auszug aus dem BLS-Protokoll) wurde über Ersuchen von GrInsp B die Rettung um 03.50 Uhr verständigt und um
04.05 Uhr über die BLS Steyr nochmals urgiert. Nachdem der Bf nach der Aufhebung der Festnahme noch einige Minuten vor der Fahrzeugtür kniend verbracht hatte, ließ er sich auf die Seite fallen und blieb anschließend in der Wiese liegen. Kurz darauf musste der Bf erbrechen. Die um ca. 04.20 Uhr eingetroffene Rettung transportierte den Bf und seine Freundin als Begleitperson in das Landeskrankenhaus Steyr. Bei der durchgeführten Untersuchung wurden abgesehen von Druckschmerzen im Bereich der Wirbelsäule und des linken Ellbogens nur eine geringe Schwellung im Bereich des Ellbogens festgestellt. Nach der Untersuchung wurde der Bf aus dem LKH Steyr entlassen. In der Folge ersuchte der Bf um Überstellung mit der Rettung in das LKH Kirchdorf.  Da ihm ein derartiger Transport verwehrt wurde, begab sich der Bf auf eigene Kosten zum LKH Kirchdorf. Im Anschluss an die Untersuchung im LKH Kirchdorf wurde der Bf stationär aufgenommen. Die Entlassung erfolgte am
23. Juli 2007.  

 

3.3.1. Der zu beurteilende Sachverhalt ergibt sich aus den Schilderungen des Bf und aus den zahlreichen, teilweise deutlich widersprüchlichen Zeugenaussagen. Dabei waren die Aussagen der Zeugen von unterschiedlicher Bedeutung und Glaubhaftigkeit.

 

Abgesehen von den Angaben des Bf und der Aussage seiner Freundin haben alle anderen Zeugen übereinstimmend ausgesagt, dass der Bw zum Zivileinsatzfahrzeug geleitet und nicht geschliffen worden ist. Da sich bei diesen Zeugen auch vollkommen Unbeteiligte befunden haben, ist davon auszugehen, dass der Bf nicht zum Einsatzfahrzeug geschliffen worden ist.

 

Unstrittig steht jedoch fest, dass der Bf die Handfessel unmittelbar nach der Festnahme bis zu deren Aufhebung angelegt hatte und so gesichert über Anweisung des amtshandelnden Beamten ca. 10 Minuten in kniender Stellung vor dem Zivilstreifenfahrzeug verbringen musste.

 

Wie sich aus der Aktenlage ergibt, konnte der Bf während der Anhaltung seine Hände nicht auf das Auto legen, da sich seine Hände am Rücken befanden und diese mit Handfesseln gesichert waren. Die diesbezüglichen Ausführungen des Bf und seiner Freundin widersprechen in dem Punkt dem Beschwerdevorbringen.

 

3.3.2. Im Hinblick auf das eingeschränkte Beschwerdevorbringen (argum.: "Angefochten wird der Verwaltungsakt der Fesselung") war von weiteren Feststellungen Abstand zu nehmen. Es hatte auch eine Befassung mit den übrigen Zeugenaussagen, die über den Beschwerdegegenstand hinausgingen, zu unterbleiben.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat in rechtlicher Hinsicht erwogen:

 

4.1. Gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs 1 Z 2 AVG erkennen die Unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten durch Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein (sog. Maßnahmenbeschwerde), ausgenommen Finanzstrafsachen des Bundes.

 

Die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt setzt nach der Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts die unmittelbare Anwendung physischen Zwanges oder die Erteilung eines Befehles mit unverzüglichem Befolgungsanspruch voraus (vgl VwGH 14.12.1993, 93/05/0191; VfSlg 11935/1988; VfSlg 10319/1985; VfSlg 9931/1984 und 9813/1983). Die bloße Untätigkeit einer Behörde erfüllt diesen Begriff nicht (vgl VfSlg 9813/1983; VfSlg 9931/1984; VfSlg 10319/1985, VfSlg 11935/1988). Für die Ausübung von Zwangsgewalt ist ein positives Tun begriffsnotwendig (vgl VwGH 25.4.1991, 91/06/0052; VwSlg 9461 A/1977; VfSlg 6993/1973; VfSlg 4696/1964). Dieses kann auch in einem schlüssigen Tun iSd § 863 ABGB bestehen (vgl Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1983, 74).

 

Voraussetzung für die Zulässigkeit einer sog. Maßnahmenbeschwerde ist daher, dass gegen den Beschwerdeführer physischer Zwang ausgeübt wurde oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehles droht (vgl mwN Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 8. A, 1996, Rz 610).

 

Im gegebenen Fall erfolgte die Festnahme durch GrInsp S. Diese dürfte auf der Grundlage des § 35 Z 3 VStG erfolgt sein. Nach der Festnahme wurden die Hände des Bf mit Handfesseln am Rücken fixiert und er musste nach der Verbringung zum Zivilstreifenwagen ca. 10 Minuten vor diesem in kniender Stellung verbringen. Die Maßnahmen sind der belangten Behörde zuzurechnen.  

 

4.2.1. Nach Art 5 Abs 1 EMRK hat jedermann ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den Fällen des Absatz 1 lit a) bis f) und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden.

 

Art 1 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrSchG), BGBl Nr. 684/1988, gewährleistet dieses Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) ebenfalls. Nach Art 1 Abs 2 PersFrSchG darf niemand aus anderen als den in diesem BVG genannten Gründen oder auf andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise festgenommen oder angehalten werden. Der Entzug der persönlichen Freiheit darf nach Art 1 Abs 3 PersFrSchG nur gesetzlich vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist. Er ist nur zulässig, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht.

 

Nach Art 2 Abs 1 Z 2 PersFrSchG darf einem Menschen die persönliche Freiheit auf die gesetzlich vorgesehene Weise u.a. entzogen werden, wenn der Betroffene einer gerichtlich strafbaren Handlung verdächtig ist, und zwar zum Zweck der Beendigung des Angriffes oder zur Feststellung des Sachverhaltes, sofern der Verdacht im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Tat oder dadurch entsteht, dass der Verdächtige einen bestimmten Gegenstand innehat (lit. a) oder um ihn daran zu hindern, sich dem Verfahren zu entziehen oder Beweismittel zu beeinträchtigen (lit. b).

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kann von einem Eingriff in die persönliche Freiheit nur gesprochen werden, wenn der behördliche Wille primär auf eine Freiheitsbeschränkung gerichtet war, diese sich also nicht bloß als sekundäre Folge anderer Maßnahmen, mit denen Bewegungsbehinderungen verbunden sind, darstellt (vgl etwa VfSlg 5280/1966, 5570/1967, 8327/1978, 7298/1974, 12.017/1989, 12.792/1991).

 

4.2.2.1. Gemäß § 35 VStG dürfen die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes außer in den gesetzlich besonders geregelten Fällen Personen, die auf frischer Tat betreten werden, zum Zweck ihrer Vorführung vor die Behörde festnehmen, wenn der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht.

 

4.2.2.2. Die Verwaltungsübertretung einer Störung der öffentlichen Ordnung nach     § 81 Abs 1 Sicherheitspolizeigesetz - SPG begeht und ist mit Geldstrafe bis 218 Euro (vgl Art 21 des BGBl I Nr. 98/2001) oder bei Vorliegen erschwerender Umstände mit Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen (Abs 1 Satz 2) zu bestrafen, wer durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt stört.

 

Nach § 81 Abs 2 SPG haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes von der Festnahme eines Menschen, der bei einer Störung der öffentlichen Ordnung auf frischer Tat betreten wurde und trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht (§ 35 Z 3 VStG), abzusehen, wenn die Fortsetzung oder Wiederholung der Störung durch Anwendung eines oder beider gelinderer Mittel (Abs 3) verhindert werden kann.

 

Als gelindere Mittel kommen nach § 81 Abs 3 SPG folgende Maßnahmen der unmittelbaren Befehls- und Zwangsgewalt in Betracht:

die Wegweisung des Störers vom öffentlichen Ort;

das Sicherstellen von Sachen, die für die Wiederholung der Störung benötigt werden.

 

Gemäß § 82 Abs 2 SPG schließt eine Bestrafung nach § 82 Abs 1 SPG wegen aggressiven Verhaltens gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht eine solche nach § 81 SPG aus. Nach der Subsidiaritätsklausel des § 85 SPG liegt überdies keine Verwaltungsübertretung vor, wenn eine Tat nach den §§ 81 bis 84 SPG den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet. § 81 SPG ist demnach subsidiär zu § 82 SPG und im Verhältnis zu gerichtlich strafbaren Handlungen wie beispielsweise auch Beleidigungen nach § 115 StGB (dazu Hauer/Keplinger, Kommentar Sicherheitspolizeigesetz: Kommentar3, 2005, 783, Anm A.4.1.2.)

 

4.2.3. Gemäß Art 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen werden.

 

Die Anwendung von Körperkraft kann gegen Art 3 EMRK verstoßen. Der Verfassungsgerichtshof hat dies für Ohrfeigen (VfSlg 8.296/1978, 10.052/1984), Fußtritte (VfSlg 10.250/1984, 11.095/1986, 11.144/1986, 11.230/1987, 11.687/1988), Schläge (VfSlg 8.645/1979, 10.250/1984, 11.096/1986, 11.170/1986, 11.328/1987, 11.421/1987, 12.603/1991) mehrfach ausgesprochen. Eine den Rechtsgrundsätzen des Waffengebrauchsgesetz 1969 entsprechende verhältnismäßige und maßhaltende Zwangsausübung verstößt nicht gegen Art 3 EMRK (vgl VfSlg 9.298/1981, 10.250/1984, 10.321/1985, 10427/1985, 11.809/1988; 12.271/1990). Auch die Anwendung von Körperkraft ist daher nur dann gesetzmäßig, wenn die Zwangsausübung "notwendig und maßhaltend" ist (vgl Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz: Kommentar2, 927, Anm B.1.)

 

4.3.  Der notwendige Inhalt einer Maßnahmenbeschwerde ergibt sich aus § 67c    Abs. 2 AVG. Anders als bei einer VwGH-Beschwerde müssen bei einer Maßnahmenbeschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat jene Rechte, in denen der Bf verletzt zu sein behauptet, nicht genau enthalten sein. Der Unabhängige Verwaltungssenat darf sich bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes nicht auf die vom Bf vorgebrachten Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, beschränken, sondern er hat den angefochtenen Verwaltungsakt ohne Bindung an das Beschwerdevorbringen nach jeder Richtung hin zu untersuchen. Die Prüfungsbefugnis des Unabhängigen Verwaltungssenates wird durch die Beschwerdegründe nicht beschränkt.  Daraus kann aber keine alles umfassende Prüfungspflicht abgeleitet werden. Die Prüfungspflicht besteht nur in Bezug auf den Gegenstand des Verfahrens, den der Bf in der Beschwerde durch die Darstellung des Sachverhaltes (§ 67c Abs. 1 Z. 3 AVG), die Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsaktes (§ 67c Abs. 1 Z. 1 AVG), sowie das Begehren, diesen für rechtswidrig zu erklären (§ 67c Abs. 1 Z. 4 AVG) zu umschreiben hat. Diese Angaben des Bf definieren die Grenzen des Verfahrensgegenstandes. Erst auf dem Boden dieser Vorgaben der Beschwerde besteht die allseitige rechtliche Prüfungspflicht der Unabhängigen Verwaltungssenate. Wird daher in einer Maßnahmenbeschwerde auf eine bestimmte Form des behördlichen Handelns weder in der Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsaktes, noch in der Sachverhaltsdarstellung oder in den Beschwerdeanträgen Bezug genommen, kann diese nicht als in Beschwerde gezogen betrachtet werden (siehe Eisenberger/Ennöckl/Helm, Maßnahmen­beschwerde, Seite 72 f, mit zahlreichen Judikaturhinweisen).   

 

4.3.1. Nach entsprechender Konkretisierung durch den Rechtsvertreter steht fest, dass in der vorliegenden Maßnahmenbeschwerde ausschließlich der "Verwaltungsakt  der Fesselung (Schließung mit Handfesseln)" samt den damit verbunden Begleitumständen (zum Polizeiauto "geschleppt" und "hinknien") angefochten worden ist. Gegen die zeitlich davor erfolgte Festnahme und die folgende Anhaltung (Dauer ca. 10 Minuten) hat der Bf keine Beschwerde erhoben.

 

Gegenstand des Verfahrens ist daher die Sicherung des Bf mit Handfesseln über einen Zeitraum von ca. 10 Minuten und die damit verbundene Behandlung. 

 

4.3.2. Der Verfassungsgerichtshof hat in einer Vielzahl von Erkenntnissen eine ungerechtfertigte Fesselung als rechtswidrig angesehen und diese als einen Verstoß gegen Art 3 EMRK beurteilt. Daraus kann abgeleitet werden, dass eine notwendige Fesselung mit Handschellen grundsätzlich keine "unmenschliche und erniedrigende Behandlung" darstellt.

 

Ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK liegt aber auch dann vor, wenn (rechtmäßig) fixierte Angehaltene einer erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sind. So können Vorgänge, die eigentlich nicht als Misshandlung zu bezeichnen sind, eine erniedrigende Behandlung darstellten.

 

Wie unbestritten feststeht, musste der Bf beinahe für den gesamten Zeitraum der Fixierung (ca. 10 Minuten) vor der Tür des Einsatzfahrzeuges in kniender Stellung verharren. Der die Maßnahme anordnende Polizeibeamte hat seine Anordnung damit begründet, dass durch die kniende Stellung weitere Wutausbrüche des Bf verhindert werden sollten.

 

Es erscheint äußerst zweifelhaft, dass sich ein erregter und aufgebrachter Mensch, der kurz zuvor in eine körperliche Auseinandersetzung mit mehren Personen verwickelt war, beruhigen wird, wenn er mit Handfesseln fixiert sich vor diesem Personenkreis und einer größeren Menschenmenge unmittelbar vor der Tür des Zivilstreifenwagens niederknien und minutenlang in dieser Stellung verharren muss.

 

Wie sich aus dem Vorlageakt ergibt, ist der Festnahme ein hitziges Streitgespräch vorausgegangen, dass zu einer körperlichen Auseinandersetzung geführt hat. Nach der Festnahme haben die einschreitenden Polizeibeamten den Bf zwar ein Stück vom Zentrum des Geschehens entfernt, ihn aber dennoch in Sichtweite der weiteren Teilnehmer der Auseinandersetzung und mehrerer unbeteiligter Festbesucher zum Niederknien veranlasst. Bezogen auf die hier vorliegenden besonderen Umstände kann die zu beurteilende Maßnahme ("Knien in fixierter Stellung") nicht damit gerechtfertigt werden, dass diese der Beruhigung des Bf dienen sollte.

 

Schon die öffentliche Zurschaustellung des Bw in dieser knienden und fixierten Stellung kommt einem an den Pranger stellen gleich und ist als menschenunwürdige und erniedrigende Behandlung zu beurteilen. Es mag daher dahingestellt bleiben, ob dem "Knien vor dem Polizeifahrzeug" eine weitergehende Symbolik innewohnen sollte oder sich der Bf nur zufällig an dieser Örtlichkeit niederknien musste.    

 

Nach Ansicht des erkennenden Mitglieds wurde durch die beschriebene menschenunwürdige Vorgangsweise die Person des Bf gröblich missachtet und er gleichsam dadurch erniedrigend behandelt. 

 

Im Hinblick auf das eingeschränkte Beschwerdebegehren und den unbestritten gebliebenen relevanten Sachverhalt bedurfte es auch keiner weiteren Erörterungen, ob die Fesselung als solche im Anschluss an die Festnahme notwendig war oder nicht.

 

5. Der Maßnahmenbeschwerde war spruchgemäß Folge zu geben und der Bund als Rechtsträger, für den die belangte Behörde tätig geworden ist, antragsgemäß zu verpflichten, dem Bf als der obsiegenden Partei gemäß § 79a Abs 2 AVG 1991 Aufwandsersatz zu leisten. Als Aufwendungen gelten nach § 79a Abs. 4 AVG neben Stempel- und Kommissionsgebühren sowie Barauslagen die durch Verordnung des Bundeskanzlers (vgl. Aufwandersatzverordnung UVS 2003, BGBl II Nr. 334/2003) festgesetzten Pauschalbeträge für Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand.

 

Nach § 1 Z 1 beträgt der Schriftsatzaufwand des Beschwerdeführer als obsiegende Partei 660,80 Euro. Weiters sind Eingaben- und Beilagegebühren für die Beschwerdeschrift vom 27. August 2007 und die beigelegten Niederschriften und ärztlichen Bestätigungen (34,80 Euro) angefallen. Dem Beschwerdeführer war daher für seinen Verfahrensaufwand einschließlich der Stempelgebühren, für die er aufzukommen hat (vgl § 79a Abs. 4 Z 1 AVG), ein Betrag in Höhe von 674 Euro zuzusprechen.

 

Analog dem § 59 Abs. 4 VwGG 1985 war eine Leistungsfrist von 2 Wochen festzusetzen, zumal das Schweigen des § 79a AVG nur als planwidrige Lücke aufgefasst werden kann, sollte doch die Neuregelung idF BGBl Nr. 471/1995 im Wesentlichen eine Angleichung der Kostentragungsbestimmungen an das VwGG bringen (vgl. Erl zur RV 130 BlgNR 19. GP, 14 f).

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Bundesstempelgebühren in Höhe von
13,20 Euro und Beilagegebühren in der Höhe von 21,60 Euro angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

Mag. Stierschneider

 

 

 

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