Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-162590/2/Fra/Ba

Linz, 13.02.2008

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Johann Fragner über die Berufung der Frau Mag. E B, G, K, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. K K, Dr. K L, H, L, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Perg vom 27. September 2007, VerkR96-349-2007, betreffend Übertretung des § 19 Abs. 7 iVm § 19 Abs.4 Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO),  zu Recht erkannt:

 

Der Berufung wird stattgegeben. Das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt; die Berufungswerberin hat keine Verfahrenskostenbeiträge zu entrichten.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24 und 45 Abs.1 Z1 VStG; § 66 Abs.1 VStG.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Die Bezirkshauptmannschaft Perg hat mit dem in der Präambel angeführten Straferkenntnis über die Berufungswerber (Bw) wegen Übertretung des § 19 Abs.7 iVm § 19 Abs.4 StVO 1960 gemäß § 99 Abs.3 lit.a leg.cit. eine Geldstrafe von 150 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 60 Stunden) verhängt, weil sie als Lenkerin des Personenkraftwagens, am 8.9.2006 um 11.05 Uhr in der Gemeinde Engerwitzdorf, Ortschaftsbereich H, Prager Bundesstraße B125 – Kgasse, durch Einbiegen auf der Kreuzung, vor der sich das Vorschriftszeichen "Vorrang geben" befindet, einem im Vorrang befindlichen Fahrzeug den Vorrang nicht gegeben hat und dieses dadurch zu unvermitteltem Bremsen genötigt hat.

Ferner wurde gemäß § 64 VStG ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 10 % der verhängten Geldstrafe vorgeschrieben.

 

Die Bezirkshauptmannschaft Perg stützt den Schuldspruch auf die Zeugenaussage des Herrn J R vom 10.1.2007, wonach ihm die nunmehrige Berufungswerberin den Vorrang genommen habe und er eine Notbremsung einleiten habe müssen.

 

2. Dagegen richtet sich die rechtzeitig durch die ausgewiesenen Vertreter eingebrachte Berufung. Die Bezirkshauptmannschaft  Perg - als nunmehr belangte Behörde - legte das Rechtsmittel samt bezughabendem Verwaltungsstrafakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vor, der, weil eine 2.000  Euro nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden hat (§ 51c erster Satz VStG).

 

3.   Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

Die Bw bringt vor, dass die Darstellung des Herrn J R, wonach er als Vorrangberechtigter durch ihr Fahrmanöver zu einem unvermittelten Bremsen genötigt worden sei, in diametralem Widerspruch zu ihrer Darstellung stehe, wonach sie sich zwar der Kreuzung genähert habe, das Fahrzeug allerdings vor der Kreuzung angehalten habe, weshalb ein allfälliges Abbremsen des Busses nicht notwendig gewesen und eine Überreaktion gewesen sei. Zur Aufklärung des Ablaufes und zum Beweis dafür, dass keine Vorrangverletzung von ihr begangen wurde, habe sie im erstinstanzlichen Verfahren unter anderem die Durchführung eines Ortsaugenscheines unter Einbeziehung der beteiligten Fahrzeuge, ihre eigene Einvernahme und die Erstellung eines kraftfahrtechnischen Sachverständigengutachtens beantragt. In der Stellungnahme vom 13.3.2007 habe sie ausdrücklich darauf hingewiesen, die Besonderheit an Ort und Stelle zeige, dass eine ursächliche Veranlassung durch sie im konkreten Fall nicht gegeben sei. Die belangte Behörde habe sich mit dem Beweisantrag auf Durchführung eines Ortsaugenscheines nicht auseinandergesetzt und zum Antrag auf Einholung eines kraftfahrtechnischen Sachverständigengutachtens ausgeführt, diesem Antrag werde nicht entsprochen, da unabhängig von der Einschätzung der Verkehrssituation der Lenker des Postbusses sein Fahrzeug auf Grund ihres Verhaltens zumindest abbremsen hätte müssen. Diese Begründung sei keinesfalls ausreichend, um die gestellten Anträge zur Aufklärung des Sachverhaltes abzuweisen. Tatsache sei, dass der Bus vom Lenker abgebremst wurde. Ob nunmehr die Verkehrssituation vom Buslenker für dieses Abbremsen richtig oder unrichtig eingeschätzt wurde, sei allerdings von entscheidungswesentlicher Bedeutung. Erst dann, wenn durch ihr Verhalten eine Nötigung zum Abbremsen des Fahrzeuges erfolgte, könne der Tatbestand der Vorrangverletzung erfüllt sein. Gerade diese Frage könne allerdings nur dadurch ausreichend aufgeklärt werden, dass in Form eines Zeit-Weg-Diagrammes im Zuge der Annäherung in kraftfahrtechnischer Hinsicht ermittelt werde, ob so eine Nötigungssituation entstanden sei. Wenn nämlich der Lenker den Postbus abgebremst hat, ohne dazu objektiv genötigt worden zu sein, weil er eben die Verkehrssituation unrichtig eingeschätzt habe, könne ihr daraus kein Vorwurf gemacht werden. In der Begründung des Straferkenntnisses werde nicht dargestellt, warum die ihr vorgeworfene Vorrangverletzung als erwiesen angenommen wird. Es wird lediglich der Verfahrensablauf geschildert und die Zeugenaussage des Postbuslenkers R zitiert, der vermeint, wegen der bereits absolvierten hohen Fahrleistung die Verkehrssituation richtig einschätzen zu können. Grade diese Ausführung zeige aber, dass möglicherweise eine Fehleinschätzung vorliege. Tatsächlich sei kein KFZ-Lenker davor gefeit, einen verkehrsrechtlichen Fehler zu begehen oder eine Verkehrssituation unrichtig einzuschätzen. Allein die hohe Kilometerleistung ändere nichts daran, dass eine Fehleinschätzung erfolgen könne. Es wäre daher gerade in diesem Zusammenhang wichtig, objektive Kriterien zur Beurteilung des Geschehensablaufes heranzuziehen. Im konkreten Falle sei es so, dass sich im Wesentlichen zwei Ablaufdarstellungen, welche zumindest ohne technisch genauere Rekonstruktion beide möglich seien, gegenüberstehen, sodass schon auf Grund dieser Situation unter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes im Verwaltungsstrafverfahren aus rechtlichen Gründen gemäß § 45 VStG eine Einstellung des Verfahrens erfolgen hätte müssen.

 

Abschließend beantragt die Bw nach Durchführung einer Berufungsverhandlung ihrem Rechtsmittel stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

 

Die belangte Behörde hat ein verkehrstechnisches Gutachten eingeholt. Das Gutachten der Abteilung Verkehrstechnik des Amtes der Oö. Landesregierung vom 11. September 2007, AZ. VT-010000/7179-2007-He, lautet wie folgt:

 

"Aufgrund der vorliegenden Akt- bzw. Fotounterlagen kann aus technischer Sicht zu der Frage, ob Frau B die Vorrangregel missachtet hat und so Herrn R zu einer Vollbremsung und zum Ablenken des Postbusses gezwungen hat, folgendes festgestellt werden.

 

Zusammenfassung:

Aus technischer Sicht wird festgestellt, dass nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, ob Frau B die Vorrangregel missachtet hat und Herr R zum Abbremsen- bzw. Ablenken nötigte, da die genaue Stellung des Pkws von Frau B zum Zeitpunkt des Einleitens der Vollbremsung nicht bekannt ist.

 

Gutachten

 

Aus den vorhandenen Akt- bzw. Fotounterlagen geht hervor, dass Herr R den Postbus im Ortschaftsbereich Holzwiesen, auf der Prager Bundesstraße B 125 von Gallneukirchen kommend in Richtung Linz lenkte.

Frau B lenkte den BMW auf der Gemeindestraße Klingergasse und wollte bei der Straßenkreuzung Prager Bundessstraße – Klingergasse links in Richtung Gallneukirchen einbiegen. An der Klingergasse befindet sich vor der Straßenkreuzung Prager Bundesstraße – Klingergasse ein Verkehrszeichen "Vorrang geben".

 

Laut Aussage von Herrn R musste er vor der Straßenkreuzung eine Notbremsung einleiten und den Bus nach links ablenken, um einen Zusammenstoß mit dem aus seiner Sicht aus von rechts kommenden Pkw von Frau B zu vermeiden, da diese ca. 1 Meter in den von Herrn R benutzten Fahrstreifen auf der B 125 einfuhr. Er brachte den Omnibus ca. 0,5-1 Meter vor dem BMW der Frau B zu Stillstand.

Frau B gab an, dass sie ihr Fahrzeug so zum Stillstand brachte, dass die vordere Stoßstange ihres Pkw in der Flucht mit dem Gehsteig stand, der sich an der B125 befindet.

 

Unter Zugrundelegung der vorhandenen Akt- bzw. Fotounterlagen wird festgehalten, dass sich im Bereich der B125 in dem sich der gegenständliche Verkehrsunfall ereignete, eine Geschwindigkeits-Begrenzung (70 Km/h) befindet.

 

Laut Aussage von Herrn R näherte er sich mit dem gegenständlichen Postbus laut Tachoscheibe mit einer Geschwindigkeit von etwas schneller als 60 Km/h der Kreuzung und verzögerte mit einem angenommenen Wert von 7m/s2 (Notbremsung). Weiters wird dem Lenker des Busses eine Reaktionszeit von 1 Sekunden eingeräumt.

Aus diesen Werten ergibt sich ein Anhalteweg von ca. 41 Metern. Dieser Wert deckt sich auch mit der Aussage des Herrn R, der angab, zu Beginn des Bremsmanövers ca. 2-3 Buslängen (eine Buslänge beträgt 15 Meter) vom Pkw der Frau B entfernt zu sein. Um diese Entfernung zurückzulegen benötigt der Bus mit konstanter Geschwindigkeit von 65 Km/h ca. 2,3 Sekunden.

 

Unter Zugrundelegung einer halbkreisförmigen Abbiegebahn hätte Frau B bei einer angenommenen Beschleunigung von 1,5m/s2 (durchschnittliches Anfahren) mindestens 4 Sekunden gebraucht um die Strecke von ca. 12 Meter (halbkreisförmige Abbiegebahn+Autolänge) zurückzulegen und links abzubiegen. Ein Abbiegen wäre unter Umständen nicht möglich gewesen, da der Pkw von Frau B nach einer Zeit von 2,3 Sekunden, den von Herrn R benutzten Fahrstreifen noch nicht verlassen hätte.

Dies bedeutet auch, dass Frau B in die Kreuzung einfahren hätte können, bis der Omnibus einen Tiefenabstand von nur mehr ca. 75 Metern zu ihrem Pkw erreicht hat, da sich bis zu dieser Entfernung ein Linksabbiegen ausgeht.

 

Frau B gab an, dass sie ihr Fahrzeug so zum Stillstand brachte, dass die vordere Stoßstange ihres Pkws in der Flucht mit dem Gehsteig stand, der sich an der B125 befindet. In diesem Fall gibt es aus technischer Sicht keine Veranlassung den Bus mittels Notbremsung zum Stillstand zu bringen.

 

Aus technischer Sicht ist daher festzustellen, dass nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, ob Frau B die Vorrangregel missachtet hat und Herrn R zum Abbremsen- bzw. Ablenken nötigte, da die genaue Stellung des PKWs von Frau B zum Zeitpunkt des Einleitens der Vollbremsung nicht bekannt ist.

 

ASV R H"

 

 

Für den Oö. Verwaltungssenat ist es nicht nachvollziehbar, wenn die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses unter anderem ausführt, dass dem Antrag auf Einholung eines kraftfahrtechnischen Gutachtens nicht entsprochen wird, da unabhängig von der Einschätzung der Verkehrssituation der Lenker des Postbusses sein Fahrzeug auf Grund des Verhaltens der Beschuldigten zumindest abbremsen musste, entgegen diesen Ausführungen dennoch ein entsprechendes Gutachten einholt, dieses jedoch – obwohl der Sachverständige schlüssig zum Ergebnis kommt, dass aus technischer Sicht nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, ob die Bw die Vorrangregel missachtet hat und Herr R zum Abbremsen bzw. Ablenken nötigte, – nicht  der Entscheidung zu Grunde legt.

 

Der Oö. Verwaltungssenat hat daher unter Zugrundelegung des oa. Gutachtens, wie von der Bw beantragt, unter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes ("in dubio pro reo") die spruchgemäße Entscheidung zu treffen. In diesem Zusammenhang wird noch auf die Judikatur des VwGH verwiesen, wonach bei einer Vorrangverletzung gemäß § 19 Abs.7 StVO 1960 der Sachverhalt insoweit zu konkretisieren ist, dass die ungefähre Entfernung der Fahrzeuge voneinander und die von ihnen ungefähr eingehaltene Geschwindigkeit festzustellen ist (VwGH 15.9.1999, 99/03/0253).

 

Bei diesem Ergebnis entfiel, obwohl von der Bw beantragt, gemäß § 51c Abs.2 Z 1 VStG eine öffentliche mündliche Verhandlung.

 

4.  Die Kostenentscheidung ist gesetzlich begründet.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss  - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

 

Dr. F r a g n e r

 

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum