Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-163112/2/Zo/Da

Linz, 29.04.2008

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Zöbl über die Berufung des Herrn M G, geb. , vertreten durch Rechtsanwalt Dr. J P, vom 2.4.2008 gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Steyr-Land vom 18.3.2008, Zl. VerkR96-3613-2008, wegen einer Übertretung der StVO zu Recht erkannt:

 

I.                   Die Berufung wird im Schuldspruch abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis insoweit bestätigt.

 

II.                 Bezüglich der Strafhöhe wird der Berufung teilweise stattgegeben und die verhängte Geldstrafe auf 80 Euro sowie die Ersatzfreiheitsstrafe auf 36 Stunden herabgesetzt.

 

III.              Die erstinstanzlichen Verfahrenskosten reduzieren sich auf 8 Euro, für das Berufungsverfahren sind keine Kosten zu bezahlen.

 

 

Rechtsgrundlagen:

zu  I. u. II.:      § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1 und 19 VStG;

zu III.:             §§ 64 ff VStG.

 

 


 

Entscheidungsgründe:

 

1. Die Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land hat dem Berufungswerber im angefochtenen Straferkenntnis vorgeworfen, dass er am 18.8.2006 um 11.00 Uhr in Aschach an der Steyr, auf der L1348 bei km 2,010 in Fahrtrichtung Aschach an der Steyr die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 35 km/h überschritten habe. Die in Betracht kommende Messtoleranz sei bereits zu seinen Gunsten abgezogen worden. Er habe dabei das Motorrad mit dem Kennzeichen gelenkt. Der Berufungswerber habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 20 Abs.2 StVO begangen, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs.3 lit.a StVO eine Geldstrafe von 110 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 48 Stunden) verhängt wurde. Weiters wurde er zur Zahlung eines Verfahrenskostenbeitrages in Höhe von 11 Euro verpflichtet.

 

2. In der dagegen rechtzeitig eingebrachten Berufung führte der Berufungswerber zusammengefasst aus, dass er die Geschwindigkeitsüber­schreitung nie bestritten habe. Allerdings sei er gegen seinen Willen verpflichtet worden, eine Lenkerauskunft zu erteilen, was verfassungsrechtlich unzulässig sei. Die Urteile des EGMR in den Fällen O'Halloran und Francis scheinen zwar die Konformität des Lenkerauskunftsystems iSd Art. 6 EMRK zu bestätigen, wobei aber zu berücksichtigen sei, dass nach der englischen Rechtslage für die Verweigerung der Lenkerauskunft nur moderate Strafdrohungen bestehen würden. Die Strafdrohung im KFG betrage allerdings 5.000 Euro und damit das siebenfache der gegenständlich angewendeten Strafnorm des § 99 Abs.3 StVO.

 

Die Bestimmung des § 103 Abs.2 KFG verstoße auch gegen seinen Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK; dies auch deswegen, weil er allenfalls sich selbst oder einen Familienangehörigen belasten müsse, obwohl eine derartige Belastung durch entsprechende Zeugnisentschlagungs­rechte in den Verfahrensgesetzen ausgeschlossen sei. Der EGMR habe im Fall Buck gegen Deutschland (BeschwNr. 41.604/98) bereits festgehalten, dass eine Hausdurchsuchung zur Aufklärung eines Verkehrsdeliktes nicht zulässig sei. Die selben Überlegungen würden auch für die Lenkererhebung zutreffen.

 

Weiters machte der Berufungswerber geltend, dass das Straferkenntnis gegen die Bestimmung des Art. 6 Abs.1 EMRK verstoße, wonach er das Recht habe, dass die Angelegenheit innerhalb einer angemessenen Frist von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht entschieden wird. Bei ihm habe das Verfahren in I. Instanz bereits unangemessen lange gedauert, weil zwischen der Abgabe seiner Stellungnahme am 20.10.2006 und der Zustellung des Straferkenntnisses am 21.3.2008 17 Monate vergangen sind, in welchen keine Verfahrensschritte gesetzt und auch keine mündliche Verhandlung durchgeführt worden sei. Trotz dieses langen Zeitraumes hat die Bezirkshauptmannschaft die in der Strafverfügung ursprünglich verhängte Geldstrafe von 110 Euro nicht reduziert und damit die überlange Verfahrensdauer nicht als Milderungsgrund berücksichtigt. Im Übrigen sei er völlig unbescholten, was von der Bezirkshauptmannschaft ebenfalls nicht berücksichtigt worden sei. Er habe die Übertretung zugestanden, weshalb die Geldstrafe insgesamt überhöht sei.

 

Der Berufungswerber kritisiert weiters, dass im Verwaltungsstrafverfahren kein Tagsatzsystem angewendet wird, weshalb die Geldstrafe einen Spitzenverdiener kaum berührt, während sie für Personen mit geringem Einkommen übertrieben streng ist. Diese "Opferungleichheit" sei ungerecht und eines modernen Rechtsstaates unwürdig.

 

Das erstinstanzliche Verfahren habe mehr als 18 Monate gedauert, was unangemessen lang sei. Dennoch habe er sich gegen diese Verfahrensverzögerungen nicht zur Wehr setzen können, weil für das erstinstanzliche Verwaltungsstrafverfahren keine Entscheidungsfristen bestehen würden, sie müsse nur die dreijährige Verjährungsfrist beachten. Er habe keinerlei Möglichkeit, sich gegen diese Verzögerungen zu wehren, was nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR das Rechtsstaatlichkeitsprinzip beeinträchtige. Österreich sei bereits in zahlreichen Fällen wegen überlanger Verfahrensdauer verurteilt wurden.

 

Der Umstand, dass er gegen die lange Verfahrensdauer keinen Devolutionsantrag stellen könne, mache die Bestimmung des § 52b VStG verfassungswidrig. Die selbe Problematik bestehe auch bei Art. 129a Abs.1 Z4 B-VG, weil die Verletzung der Entscheidungspflicht nur in Privatanklagesachen oder im landesgesetzlichen Abgabenstrafrecht geltend gemacht werden kann, nicht jedoch in den sonstigen Verwaltungsstrafverfahren. Diese Bestimmung mache es ihm unmöglich, sich gegen unangemessene Verfahrensverzögerungen zu wehren, weshalb sie gegen die Grundsätze des EMRK und das Rechtsstaatprinzip verstoße.

 

3. Der Bezirkshauptmann von Steyr-Land hat den Verwaltungsakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Entscheidung vorgelegt. Eine Berufungsvorentscheidung wurde nicht erlassen. Es ergibt sich daher die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates, wobei dieser durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden hat (§ 51c VStG).

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt. Aus diesem ergibt sich der für die Entscheidung wesentliche Sachverhalt zur Gänze, eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung ist daher nicht erforderlich. Eine solche hat der anwaltlich vertretene Berufungswerber auch nicht beantragt.

 

4.1. Folgender Sachverhalt steht fest:

 

Der Berufungswerber lenkte am 18.8.2006 um 11.00 Uhr das Motorrad mit dem Kennzeichen in Aschach an der Steyr auf der L1348. Eine Geschwindigkeitsmessung bei Strkm. 2,010 mit dem geeichten Laser-Verkehrsgeschwindigkeitsmessgerät LTI 20.20 TS/KM-E, Nr. 5738, ergab, dass er die im Ortsgebiet zulässige Geschwindigkeit von 50 km/h um 35 km/h überschritten hatte.

 

Auf Grund einer Lenkererhebung vom 23.8.2006 gab der Berufungswerber mit Schreiben vom 30.8.2006 bekannt, dass er das Fahrzeug selbst gelenkt hatte. In weiterer Folge wurde mit Strafverfügung vom 11.9.2006 eine Geldstrafe in Höhe von 110 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 48 Stunden) verhängt.

 

Der Berufungswerber erhob dagegen rechtzeitig Einspruch und führte nach Akteneinsicht zusammengefasst aus, dass er das Motorfahrrad damals selbst gelenkt habe. Zur Geschwindigkeitsüberschreitung selbst machte er keine Angaben, allerdings führte er umfangreich aus, dass eine Bestrafung rechtswidrig sei, weil § 103 Abs.2 KFG 1967 aus mehreren Gründen verfassungswidrig sei. Dabei verwies er auch auf die beim EGMR anhängigen Verfahren in den Fällen O'Halloran und Francis.

 

In weiterer Folge erließ die Erstinstanz das nunmehr angefochtene Straferkenntnis, welches dem Berufungswerber am 21.3.2008 (also ca. 17 Monate nach seiner Stellungnahme) zugestellt wurde. In dieser Zeit hat die Erstinstanz – zumindest aktenkundig – keine Tätigkeit entfaltet.

 

5. Darüber hat der UVS des Landes Oberösterreich in rechtlicher Hinsicht Folgendes erwogen:

 

5.1. Gemäß § 20 Abs.2 StVO 1960 darf der Lenker eines Fahrzeuges, sofern die Behörde nicht gemäß § 43 eine geringere Höchstgeschwindigkeit erlässt oder eine höhere Geschwindigkeit erlaubt, im Ortsgebiet nicht schneller als 50 km/h fahren.

 

5.2. Der Berufungswerber ist mit seinem Vorbringen jedenfalls insoweit im Recht, als es sich tatsächlich um einen einfachen Fall handelt. Der Berufungswerber hat als Lenker eines Motorrades im Ortsgebiet die zulässige Höchstgeschwindigkeit erheblich überschritten und die Überschreitung wurde mit einem geeichten Messgerät festgestellt. Er hat diese auch nicht bestritten und das Verfahren hat keine Umstände ergeben, dass ihn allenfalls kein Verschulden treffen könnte. Die Übertretung ist ihm daher objektiv und subjektiv zurechenbar, weshalb die Bestrafung grundsätzlich zu Recht erfolgte.

 

Was die lange Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens anbelangt, darf nicht übersehen werden, dass der Berufungswerber in seiner Rechtfertigung vom 20.10.2006 umfangreiche verfassungsrechtliche Probleme geltend gemacht hat und auch auf beim EGMR anhängige Verfahren verwiesen hat. Der EGMR hat in seinem Urteil vom 29.6.2007 in den Fällen O'Halloren und Francis entschieden, dass das System der Lenkerauskunft (im englischen Recht) nicht gegen Art. 6 Abs.1 EMRK verstößt. Diese Entscheidung wurde im Juli 2007 in englischer und französischer Sprache im Internet publiziert, weshalb es im Interesse der Rechtssicherheit sowie der Zweckmäßigkeit des Verfahrens durchaus sinnvoll war, dass die Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land das angeführte Urteil abgewartet hat. Auch wenn dies im Akt nicht ausdrücklich angeführt ist, kann der Erstinstanz doch kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass sie im Hinblick auf das Vorbringen des Berufungswerbers die gegenständliche Entscheidung des EGMR abgewartet hat. Es kann ihr daher allenfalls die Untätigkeit im Zeitraum von Juli 2007 bis März 2008 vorgeworfen werden.

 

Soweit sich der Berufungswerber darauf stützt, dass seine Verpflichtung zur Lenkerauskunft dem Art. 8 EMRK widerspreche, ist ihm einerseits vorzuhalten, dass das von ihm zitierte Urteil immerhin eine Hausdurchsuchung betrifft, während es bei § 103 Abs.2 KFG nur um die Mitteilung einer Tatsache, nämlich den Lenker eines Fahrzeuges zu einem bestimmten Zeitpunkt, geht. Andererseits ist im konkreten Verfahren primär die Geschwindigkeitsüberschreitung zu beurteilen und nicht die Frage, ob die Behörde berechtigt gewesen wäre, eine Lenkeranfrage zu stellen oder nicht. Tatsache ist, dass der Berufungswerber die Anfrage beantwortet hat und seine Antwort im weiteren Verfahren herangezogen werden konnte.

 

Im Übrigen macht der Berufungswerber im Wesentlichen die lange Dauer des Verfahrens geltend, wobei er darauf hinzuweisen ist, dass diese Verfahrensdauer einerseits auch durch sein umfangreiches verfassungsrechtliches Vorbringen mitverursacht wurde und andererseits durch eine rasche Berufungsentscheidung die Gesamtdauer des Verfahrens nicht übermäßig lange erscheint. Der Umstand, dass es im Verwaltungsstrafverfahren keine Möglichkeit eines "Fristsetzungsantrages" gibt, mag für den Vertreter des Berufungswerbers unangenehm sein, nach Ansicht des zuständigen Mitgliedes des UVS Oö. sind die entsprechenden gesetzlichen bzw. verfassungsrechtlichen Bestimmungen deswegen aber nicht verfassungswidrig.

 

Soweit der Berufungswerber bemängelt, dass bei der Strafbemessung nicht das Tagsatzsystem angewendet wird und es deshalb zu einer "Opferungleichheit" kommt, ist er darauf hinzuweisen, dass gemäß § 19 Abs.2 VStG ohnedies die persönlichen Verhältnisse des Berufungswerbers bei der Strafbemessung berücksichtigt werden. Im Übrigen mögen die Ausführungen zur "Opferungleichheit" zwar aus rechtstheoretischen Überlegungen nachvollziehbar sein, der Berufungswerber macht aber mit keinem Wort geltend, weshalb er selber davon betroffen ist. Er verfügt nach der unwidersprochenen Einschätzung über ein durchschnittliches Einkommen, weshalb er wohl auch bei Anwendung eines Tagsatzsystems nicht profitiert hätte.

 

5.3. Gemäß § 19 Abs.1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.

 

Gemäß § 19 Abs.2 VStG sind im ordentlichen Verfahren überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

 

Die Erstinstanz hat zutreffend den Unrechtsgehalt der gegenständlichen Geschwindigkeitsüberschreitung im Ortsgebiet berücksichtigt und eine entsprechend spürbare Strafe verhängt. Andererseits ist der Berufungswerber aktenkundig unbescholten, was einen erheblichen Strafmilderungsgrund bildet. Er hat – zumindest aktenkundig – seit der Begehung der konkreten Übertretung keine weiteren Verkehrsdelikte begangen, was im Hinblick auf die seither vergangene Zeit und die Dauer des Verfahrens ebenfalls als mildernd berücksichtigt werden muss. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände konnte die verhängte Strafe herabgesetzt werden. Auch diese erscheint nach Ansicht des zuständigen Mitgliedes des UVS ausreichend, um den Berufungswerber in Zukunft von ähnlichen Übertretungen abzuhalten. Eine noch weitere Herabsetzung war jedoch auch aus generalpräventiven Überlegungen nicht angebracht.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 [ab 1. Juli 2008: 220] Euro zu entrichten.

 

 

 

 

Mag. Gottfried  Z ö b l

 

 

 

 

Beschlagwortung:

Lenkerauskunft; überlange Verfahrensdauer; Devolutionsantrag im VStG; Tagsatzsystem

 

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