Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-105802/3/BR

Linz, 28.09.1998

VwSen-105802/3/BR Linz, am 28. September 1998

DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch das Mitglied Dr. Bleier über die Berufung der Frau G gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land, vom 30. Juli 1998, Zl. VerkR96-16570-1997-PC-N, zu Recht:

I. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs1 Z2 VStG eingestellt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl.Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 471/1995 - AVG, iVm § 24, § 45 Abs.1 Z2, § 51 Abs.1, § 51e Abs.2 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 620/1995 - VStG;

II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 1 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Von der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land wurde mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis wider die Berufungswerberin wegen der Übertretung nach § 4 Abs.2 iVm § 99 Abs.2 lit.a StVO 1960 eine Geldstrafe in der Höhe von 500 S und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 24 Stunden verhängt, weil sie am 3. Juli 1997 um 09.00 Uhr im Ortsgebiet von Traun, auf der Kreuzung J mit der D ihr Damenfahrrad, KTM 24-Gang, gelenkt und es dabei unterlassen habe, nach einem

Verkehrsunfall mit Personenschaden, mit dem ihr Verhalten am Unfallort in ursächlichem Zusammenhang gestanden habe, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle sofort zu verständigen.

1.1. Begründend führt die Erstbehörde substanziell aus, daß sie die Tatbegehung als erwiesen erachte, weil einerseits ein die Dispositionsfähigkeit ausschließender Entschuldigungsgrund (durch einen Unfallschreck) nicht anzunehmen, andererseits die Verständigung der Gendarmerie erst nach dem Arztbesuch nicht mehr mit der "sofortigen" Verständigungspflicht in Einklang zu bringen sei.

Die Erstbehörde vermeint auch noch plakativ, es sei einem dispositionsfähig gebliebenen Verkehrsteilnehmer trotz eines Unfallschrecks ein pflichtgemäßes Verhalten zumutbar, weil von einem Fahrzeuglenker, welcher die Risiken der Teilnahme am Straßenverkehr auf sich nimmt, ein solches Maß an Charakter- und Willensstärke zu verlangen sei, daß er den Schreck über den Unfall und "die etwa drohenden Folgen" zu überwinden vermag.

2. In der fristgerecht durch ihre ag. Rechtsvertreter erhobenen Berufung führt die Berufungswerberin aus, daß sie sich unverzüglich nach dem Unfall im Zustand eines Unfallschocks zum Arzt begeben habe und dieser sie über die Verständigungspflicht der Gendarmerie aufgeklärt habe. Die Gendarmerie sei somit ohnehin am raschest möglichen Weg verständigt worden. Die Erstbehörde habe die Bestimmung der StVO (gemeint wohl in rechtlich unzutreffender Weise) wortwörtlich ausgelegt. Auf Grund der erlittenen Verletzungen habe es die Berufungswerberin für vordringlich gehalten zuerst den Arzt aufzusuchen. Sie habe in ihrem Zustand vorerst gar nicht daran gedacht, daß die Verständigungspflicht der Gendarmerie vordringlicher sein könnte als die Versorgung ihrer blutenden Kopfwunde. Jeder durchschnittliche mit den Grundwerten ausgestattete Mensch, würde das Rechtsgut der gesundheitlichen Beeinträchtigung vor die Verständigungspflicht der Gendarmerie bzw. Polizei des § 4 Abs.2 StVO voranstellen. Ein danach gerichtetes Verhalten könne nicht strafbar sein. Der Zweck der Verständigungspflicht liege vor allem in der möglichst schnellen Organisation von Sicherungs- u. Hilfsmaßnahmen. Diese waren im gegenständlichen Fall nicht erforderlich.

Die Behörde hätte sich jedenfalls mit der Frage des Unfallschocks durch Einholung eines Gutachtens näher auseinanderzusetzen gehabt ehe sie ein allfällig strafbares Verhalten annehmen hätte dürfen.

Abschließend beantragte die Berufungswerberin bei Verzicht auf eine Berufungsverhandlung die Verfahrenseinstellung.

 

3. Die Erstbehörde hat den Akt zur Berufungsentscheidung vorgelegt; somit ist die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates gegeben. Dieser hat, da keine 10.000 S übersteigende Strafe verhängt worden ist, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung war mangels der Verhängung einer über 3.000 S übersteigenden Geldstrafe, mangels strittiger Tatfragen und letztlich des ausdrücklichen Verzichtes einer Verfahrenspartei nicht erforderlich (§ 51e Abs.2 VStG).

4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsstrafakt der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land, sowie durch Erhebung des gerichtlichen Verfahrensausganges durch fernmündliche Anfrage bei der Bezirksanwaltschaft des BG Linz und Einholung der Information, ob die Berufungswerberin Inhaberin einer Lenkberechtigung ist. Das Ergebnis des ergänzenden Ermittlungsergebnisses wurde der Erstbehörde, mit der Einladung sich dazu kurzfristig zu äußern, zur Kenntnis gebraucht.

4.1. Wie sich aus der Aktenlage ergibt, wurde die Berufungswerberin als Radfahrerin, ohne ein sie treffendes Verschulden, in einen Unfall verwickelt. Sie erlitt eine blutende Verletzung am Kopf und begab sich offenbar unverzüglich nach dem Unfall zu einem Arzt. Erst von dort verständigte sie zwei Stunden später, offenkundig über entsprechenden Hinweis des behandelnden Arztes, die Gendarmerie von diesem Vorfall.

Die Berufungswerberin besitzt keine Lenkberechtigung, was insbesondere auch für die Frage einer umfassenden Kenntnispflicht der spezifischen Bestimmung des § 4 Abs.2 StVO 1960 und einer Entschuldbarkeit der diesbezüglichen Unkenntnis von Bedeutung sein könnte.

Der Sachverhalt gelangte auch der Bezirksanwaltschaft zur Kenntnis, wobei laut Mitteilung des Bezirksgerichtes Linz vom 25. September 1998 der Vorfall gegen die Berufungswerberin bei Anwendung des § 90 StPO eingestellt wurde (AZ: 45 BAZ 840/97 - Auskunft über fernmündliche Anfrage).

5. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oö. erwogen:

5.1. Gemäß § 4 Abs.2 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, ........... u.a. wenn bei einem Verkehrsunfall Personen verletzt wurden, die im Abs.1 genannten Personen Hilfe zu leisten; sind sie dazu nicht fähig, so haben sie unverzüglich für fremde Hilfe zu sorgen. Ferner haben sie die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle sofort zu verständigen.

Die Berufungswerberin beruft sich hier u.a. zumindest konkludent auch auf einen entschuldbaren Rechtsirrtum und auf ein fehlendes Verschulden hinsichtlich der nicht sofort erfolgten Verständigung der Gendarmerie. Betreffend den angesprochenen Rechtsirrtum ist diesbezüglich die Rechtsprechung zumindest hinsichtlich eines geprüften Kraftfahrzeuglenkers im Hinblick auf die Kenntnis der Vorschriften des § 4 Abs.5 (Verkehrsunfall mit Sachschaden) dergestalt, daß sie einen solchen Irrtum als nicht entschuldbar wertet (VwGH 27.5.1992. 92/02/0167).

Für eine nicht im Besitz einer Lenkberechtigung befindlichen Person kann daher in sinnrichtiger Interpretation dieser Rechtsprechung die Frage der Kenntnispflicht einer so spezifischen Bestimmung (§ 4 Abs.2 StVO 1960) nicht ohne Berücksichtigung bleiben.

Der § 5 VStG lautet:

"Wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nichts anderes bestimmt, genügt zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.

Unkenntnis der Verwaltungsvorschrift, der der Täter zuwidergehandelt hat, entschuldigt nur dann, wenn sie erwiesenermaßen unverschuldet ist und der Täter das Unerlaubte seines Verhaltens ohne Kenntnis der Verwaltungsvorschrift nicht einsehen konnte".

Auch für das Verwaltungsstrafrecht gilt das Schuldprinzip, dh. eine Bestrafung ist nur bei Vorliegen eines schuldhaften Verhaltens möglich (VwGH 13.5.1987, 85/18/0067).

Losgelöst von der Frage der (hier eher wohl zuzuerkennenden) Entschuldbarkeit der nicht vollumfänglichen Rechtskenntnis, ist hier die Überlegung anzustellen, ob es der am Kopf blutenden Berufungswerberin zumutbar gewesen wäre, daß sie sich vor der Inanspruchnahme der ärztlichen Hilfe zuerst zum Gendarmerieposten begeben hätte? Sie hätte dies wohl zu Fuß, mit dem Taxi oder mit dem Fahrrad tun müssen. Letzteres hätte ihr wohl wieder den Tatvorwurf an der Unfallstelle Veränderungen vorgenommen zu haben eintragen können (§ 4 Abs.1 lit.c StVO).

Zur Frage des Ausmaßes der objektiven Sorgfaltspflicht vertritt der VwGH den Standpunkt (s E Slg 9710 A und 28.10.1980, 2244/80), daß der hiefür geltende Maßstab ein objektiv-normativer ist. Maßfigur ist der einsichtige und besonnene Mensch, den man sich in die Lage des Täters (hier der verletzten Berufungswerberin) versetzt zu denken hat. Objektiv sorgfaltswidrig hat der Täter folglich nur dann gehandelt, wenn sich ein einsichtiger und besonnener Mensch des Verkehrskreises, dem der handelnde angehört, an seiner Stelle anders verhalten hätte (VwGH 12.6.1989, 88/10/0169).

Die objektiven Sorgfaltspflichten legen immer nur das Mindestmaß der anzuwendenden Sorgfalt fest. In atypischen Situationen wird wohl von einem einsichtigen und besonnenen Menschen in der Lage des Täters ein erhöhtes Maß an Sorgfalt verlangt.

Andererseits muß man sich hüten, die Anforderungen an die objektive Sorgfaltspflicht zu überspannen. Nicht schon die Versäumung bloßer Sorgfaltsmöglichkeiten, sondern die Verletzung solcher Sorgfaltspflichten, welche die Rechtsordnung nach den gesamten Umständen des Falles vernünftigerweise auferlegen darf, machen das Wesen der objektiven Sorgfaltswidrigkeit aus (vgl. abermals VwGH 12.6.1989, 88/10/0169).

Die Berufungswerberin ist daher mit ihrer Verantwortung im Recht!

Daher verkannte die Erstbehörde die Rechtslage, wenn sie bloß plakativ und losgelöst vom Einzelschicksal von der Berufungswerberin ein Verhalten erwarten wollte, welches wohl gänzlich einer sozialadäquaten und keinem Menschen ausschlagbare Neigung vermissen hätte lassen, eine blutende Verletzung vorrangig ärztlich versorgen zu lassen. Es muß wohl als elementares Recht des menschlichen Wesens gelten, in allererster Linie auf seine Gesundheit zu achten und es sollte nicht zu einem Schuldvorwurf gereichen, daß ein Mensch in einer solchen Situation zuerst an sich und erst in zweiter Linie an öffentliche Interessen dachte, wobei in gegenständlicher Fallgestaltung auch eine frühere Kenntnis der Gendarmerie vom Unfall keine günstigere Basis für deren Sachverhaltsfeststellungspflicht erwarten hätte lassen.

Dem verfahrensgegenständlichen Verhalten der Berufungswerberin ermangelt es daher vorrangig eines Verschuldens. Somit kann hier letztlich die Frage der Entschuldbarkeit der (Un-)Kenntnis der "sofortigen" Verständigungspflicht auf sich beruhend bleiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist eine weitere Berufung unzulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden. Sie muß von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2500 S zu entrichten

Dr. B l e i e r

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