Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-400953/6/BMa/Se

Linz, 09.07.2008

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Gerda Bergmayr-Mann über die Beschwerde des R H, geb. , russischer Staatsangehöriger (T), dzt. Polizeianhaltezentrum L, N, 40 L, vertreten durch RA Mag. Dr. B R, 50 S, wegen Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides vom 23. Juni 2008 und wegen der Verhängung der Schubhaft und Anhaltung in dieser durch den Bezirkshauptmann von Vöcklabruck zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der Schubhaftbescheid des Bezirkshauptmanns von Vöcklabruck vom 23. Juni 2008, Sich40-2043-2008, und die darauf basierende Festnahme und Anhaltung in Schubhaft ab 23. Juni 2008 als rechtswidrig erkannt. Gleichzeitig wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des Unabhängigen Verwaltungssenates die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Schubhaft nicht vorliegen.

Rechtsgrundlagen:

zu I.: §§ 82 Abs.1 und 83 Abs.1, 2 und 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG (BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 4/2008).

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit dem in der Präambel bezeichneten Bescheid des Bezirkshauptmanns von Vöcklabruck wurde über den Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf) gemäß § 76 Abs.2 Z4 FPG iVm § 80 Abs.5 FPG iVm § 57 AVG 1991 die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 Asylgesetz 2005 angeordnet. Dieser Bescheid wurde dem Bf durch Übergabe zugestellt. Die Bestätigung der Übernahme durch Unterschrift wurde vom Bf verweigert. Unmittelbar daran wurde die Schubhaft im Polizeianhaltezentrum L vollzogen.

 

Begründend wurde im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen nach Zitierung der Rechtsgrundlagen ausgeführt, die Angaben des Bf, er wäre illegal als U-Boot in Berlin im Juni 2008 aufhältig gewesen, seien nicht glaubhaft. Vielmehr habe er versucht, mittels Asylantrag in Deutschland ein Aufenthaltsrecht für Deutschland zu erlangen, um in der Folge seine Familie nachzuholen. Gegen die negative asylrechtliche Entscheidung in Deutschland hat der Bf Berufung erhoben. Unmittelbar vor seiner (befürchteten) Abschiebung aus Deutschland reiste er nach Österreich und stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz. Er würde mit seinem im Vergleich zu seiner Ehefrau zeitverzögert eingebrachten Asylantrag auf Fristversäumnisse im Familienverfahren spekulieren, um zum Asylverfahren in Österreich zugelassen zu werden. Die illegalen Grenzübertritte innerhalb der Europäischen Union würden sich nicht mit der Gefahr einer Verfolgung rechtfertigen lassen. Seine falschen Angaben hinsichtlich seines Aufenthaltsstatus in Deutschland würden nur seine unkooperative Einstellung gegenüber den österreichischen Behörden und eine damit verbundene Fluchtgefahr in seinem asyl- und fremdenpolizeilichen Verfahren unterstreichen. Darüber hinaus sei er ja auch schon eigenen Angaben zufolge in seinem in Deutschland geführten Asylverfahren nach Österreich abgetaucht. Hintergrund seiner Flucht nach Österreich sei es gewesen, den rechtlichen Konsequenzen in Deutschland zu entgehen, um in weiterer Folge in spekulativer Art und Weise durch bewusste zeitverzögerte Antragstellung zum Asylverfahren in Österreich zugelassen zu werden. Von der Anwendung gelinderer Mittel sei Abstand zu nehmen gewesen, weil ein konkreter und akuter Sicherungsbedarf zu seiner Person zu bejahen sei, so sei er bislang nicht in Kenntnis von seiner beabsichtigten Ausweisung nach Polen gewesen. Durch die Anordnung der Schubhaft werde in sein Privat- und Familienleben eingegriffen. Dem sei jedoch entgegen zu halten, dass er ab Mai 2007 von seiner Frau und seinen Kindern getrennt gelebt habe, somit ein Familienleben seit diesem Zeitpunkt nicht mehr bestanden habe. Auch die Einhaltung der österreichischen Rechtsordnung habe er nicht respektiert. Eine Verhältnismäßigkeit der Verhängung der Schubhaft liege im konkreten Fall vor.

 

1.2. Gegen diesen Bescheid erhob der Bf mit Schriftsatz vom 3. Juli 2008 (eingelangt beim Oö. Verwaltungssenat am 7. Juli 2008) durch rechtsfreundliche Vertretung Beschwerde. Er gab im Wesentlichen an, sowohl die Schubhaftverhängung als auch die weitere Anhaltung in Schubhaft seien rechtswidrig.

 

Unter anderem wurde begründend ausgeführt, er habe am 11. Juni 2008 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt, weil sich seine Ehefrau und seine beiden Kinder in Österreich befinden würden und diese hier Asyl beantragt hätten. Gegen seine Gattin würde aufgrund des Bescheids des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 18. März 2008 und vom 21. Mai 2008 keine durchsetzbare Ausweisungsentscheidung mehr vorliegen, auch Aufenthaltsberechtigungskarten seien ihr und den Kindern ausgefolgt worden. Seine Frau und die beiden gemeinsamen Kinder würden sich aufgrund der Zulassung zum Verfahren und der Ausfolgung der Aufenthaltsberechtigungs-karten rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.

Sein Antrag auf internationalen Schutz vom 11. Juni 2008 solle im Sinn des § 2 Abs.1 Z 22 iVm § 34 Abs.1 Z 3 Asylgesetz als Antrag auf Gewährung des selben Schutzes gelten.

Er habe sich keine Handlungen zu Schulden kommen lassen, die die Annahme rechtfertigen würden, dass bei ihm akute Fluchtgefahr bestehe. Viel mehr wäre anzunehmen, dass er bei seiner Familie verbleiben würde. Seine Familie sei in die Grundversorgung aufgenommen worden und auch er habe aufgrund seines Antrages Anspruch auf Versorgung durch die öffentliche Hand. Der Pauschalverdacht, dass bei ihm Fluchtgefahr bestehe, weise keinerlei auf seine Person bezogene Gründe auf und daher bestehe kein Sicherungsbedarf.

Zudem sei eine Trennung der durch die EMRK geschützte Familie ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben und daher nicht zu rechtfertigen. Die schubhaftverhängende Behörde habe die Anwendung des gelinderen Mittels zu prüfen. Dies sei im konkreten Fall mit dem Pauschalverweis, es bestehe akute Fluchtgefahr, unterlassen worden. Der Umstand, dass er in einem anderen Land die Gewährung von Asyl beantragt habe, rechtfertige für sich nicht den Schluss, dass er unrechtmäßig in einen anderen Staat weiter ziehen und sich so dem Verfahren entziehen werde. Der Bescheid lasse auch eine nachvollziehbare Begründung dahingehend vermissen, weshalb eine Trennung des Bf von seiner Familie erforderlich gewesen sei.

 

Ein Kostenbegehren wurde in der Schubhaftbeschwerde nicht gestellt.

 

1.3. Mit Schreiben vom 7. Juli 2008 legte die belangte Behörde die wesentlichen Aktenteile des bezughabenden Aktes per Mail vor und teilte ergänzend mit, der Bf habe sich im Streit von seiner Ehefrau getrennt. Diese Trennung von Tisch und Bett sei im Mai 2007, also im sechsten Schwangerschaftsmonat der H Z erfolgt, sodass aus Sicht der Fremdenpolizeibehörde seit diesem Zeitpunkt de facto kein Eheleben mehr bestanden habe. Der Bf sei nach diesem Streit nach Deutschland eingereist, während seine Ehefrau vorerst in Weißrussland geblieben sei und erst im Jänner 2008 illegal von Polen kommend nach Österreich eingereist sei. In ihrer niederschriftlichen Einvernahme habe H Z angegeben, dass sich ihr Mann von ihr bereits in Brest getrennt habe. Der Grund sei darin gelegen, dass der Bf gesagt habe, es sei besser sich zu trennen und extra zu fahren. Sie habe zwei Wochen auf ihren Ehemann gewartet und sodann einen Anruf bekommen, dass er sich in Deutschland befinden würde. Sie sei nach Polen gereist, weil sie nicht mehr nach T (rückkehren) habe können, und habe 8,5 Monate auf ihren Mann gewartet.

Aus fremdenpolizeilicher Sicht sei die illegale Einreise nach Österreich bewusst zeitverzögert zu jener seiner Gattin über verschiedene Länder erfolgt, um den Bestimmungen gemäß dem Dubliner Abkommen und dem österreichischen Asylgesetz entgegen zu wirken.

Diese Einreisetaktik sei überdies auch im Verfahren der Ehefrau ersichtlich, welche ihrerseits zeitverzögert zum Verfahren ihres Bruders, ihrer Mutter und ihres Vaters nach Österreich eingereist sei.

Die Aussage des Bf in der niederschriftlichen Einvernahme vom 30. Juni 2008, er würde auf keinen Fall nach Polen zurück wollen und er würde nicht verstehen, warum Polen für sein Asylverfahren zuständig sei, da er nie dort gewesen sei, unterstreiche nicht nur die Ausreiseunwilligkeit, sondern auch die Gefahr – wie bereits in Deutschland bewiesen – bei aussichtlichslosem Asylverfahren in die Illegalität abzutauchen. Aufgrund dieses Sachverhalts gehe die Behörde von einem erhöhten Sicherungsbedarf aus. Die Zustimmung seitens der Republik Polen zur Übernahme des Bf sei mit 25. Juni 2008 erfolgt. Die Überstellung der Familie nach Polen nach negativ finalisiertem Asylverfahren werde daher veranlasst werden.

Abschließend wurde beantragt, die Anträge im gegenständlichen Schubhaftbeschwerdeverfahren kostenpflichtig abzuweisen.

 

1.4. Vom Rechtsvertreter des Bf wurde mit Mitteilung, die sowohl mit 3. Juli als auch mit 7. Juli 2008 datiert ist, eingelangt beim Oö. Verwaltungssenat am

7. Juli 2008, eine Zustelladresse zur Zustellung der Schriftstücke an den Rechtsvertreter des Bw bekannt gegeben.

Über Anforderung des Unabhängigen Verwaltungssenates wurde mit Mail vom 8. Juli 2008 die Mitteilung vom 17. Juni 2008 gemäß § 29 Abs.3 Asylgesetz, die dem Bf am 23. Juni 2008 übergeben wurde, vorgelegt.

 

2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat nach Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt festgestellt, dass der Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde hinreichen geklärt ist, weshalb gemäß § 83 Abs.2 Z1 FPG von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen werden konnte.

 

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

 

3.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von folgendem entscheidungsrelevanten Sachverhalt aus:

R H wurde am geboren und ist Staatsangehöriger der Russischen Förderation. Er kommt aus T und ist M. Am 25. April 2007 reiste er mit dem Zug mit seiner Familie, seiner Frau H Z und seinem damals ca. 10 Monate alten Kind, mit dem Zug nach Moskau. Am selben Tag reiste die Familie weiter nach Weissrussland, wo sie sich ca. 2 Wochen in einer Mietwohnung aufhielt. Nach einem Streit mit seiner Gattin trennte er sich von seiner Familie und wollte mit einem Taxi nach Belgien zu seinem Bruder reisen und später seine Familie nachholen. Am 15. Mai 2007 reiste er in das Bundesgebiet von Deutschland ein und erstellte am 29. Mai 2007 einen Asylantrag, um der Abschiebung zu entgehen.

Am 12. November 2007 wurde ihm eine bis 11. Februar 2008 befristete Duldung erteilt und am 10. April 2008 wurde sein Asylantrag abgelehnt, wogegen er  Berufung erhoben hat.

Am 11. Juni 2008 fuhr er nach Linz, wo er von seiner Frau erwartet wurde. Noch am gleichen Tag brachte er einen Asylantrag in Österreich ein. Mit Wirkung vom selben Tag wurde ihm für die Dauer des weiteren Asylverfahrens eine Unterkunft in der EAST-West in 48 S, T, zugewiesen. In seinen Einvernahmen im Asylverfahren hat er angegeben, in Deutschland, Berlin, 5 Monate in Haft gewesen zu sein. Er habe in Deutschland einen Asylantrag gestellt, um nicht abgeschoben zu werden und er sei am 23. September 2007 in Deutschland aus der Haft entlassen worden. Ihm sei eine Duldung zugesprochen und eine grüne Karte ausgestellt worden. Die deutschen Behörden hätten ihm zu verstehen gegeben, dass ihm kein Asyl gewährt werden würde und er habe sich in den nächsten Monaten immer illegal in Berlin aufgehalten.    

Mit Schreiben vom 17. Juni 2008 wurde ihm am 23. Juni 2008 die Mitteilung gemäß § 29 Abs.3 Asylgesetz ausgehändigt. Damit wurde er davon in Kenntnis gesetzt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, weil Dublin Konsultationen mit Polen seit 17. Juni 2008 geführt werden.

Am selben Tag wurde ihm auch der Schubhaftbescheid ausgehändigt und der Bf wurde in Schubhaft genommen. Zum Zeitpunkt seiner Festnahme war er im Besitz von 3,40 Euro an Bargeld. Er ist damit als mittellos zu bezeichnen.

 

Nach der Trennung des Bf von seiner Frau nach dem Streit in Weissrussland hat diese zunächst auf ihn gewartet, bis er ihr mitteilte, dass er in Deutschland sei. Weil sie nicht mehr nach Tschetschenien zurückkehren konnte, ist sie nach Polen gereist und sie war ca. 8,5 Monate in Polen. Dort hat sie auch das zweite gemeinsame Kind entbunden und um Asyl angesucht. Nach einem negativen Asylbescheid reiste die Gattin des Bf am 30. Jänner 2008 mit beiden Kleinkindern nach Österreich ein und sie stellte hier einen Asylantrag. In Österreich befinden sich auch die Eltern und drei Brüder der Gattin des Bf.

 

3.2. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem vorgelegten Akt. Er wird vom Bf auch nicht bestritten.

 

3.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat in rechtlicher Hinsicht erwogen:

 

3.3.1. Gemäß § 82 Abs.1 FPG hat der Fremde das Recht, den Unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen

1) wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist;

2) wenn er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz oder das Asylgesetz 2005 angehalten wird oder wurde oder

3) wenn gegen ihn die Schubhaft angeordnet wurde.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat hat, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden (vgl. § 83 Abs.4 FPG).

 

Der Bf wurde am 23. Juni 2008 in Schubhaft genommen und seit dem im Polizeigefangenenhaus der BPD Linz angehalten. Seine Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides und Anhaltung in Schubhaft ist damit zulässig.

 

3.3.2. Gemäß § 76 Abs.2 FPG kann die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn

1.      gegen ihn eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) erlassen wurde;

2.      gegen ihn nach den Bestimmungen des AsylG 2005 ein Ausweisungs-verfahren eingeleitet wurde;

3.      gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60) verhängt worden ist oder

4.      auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.

Aus den Feststellungen ergibt sich, dass das Asylverfahren eingeleitet wurde und Konsultationen mit Polen gemäß Dublin II geführt wurden, weil der Bf über Polen in das Gebiet der Europäischen Union eingereist war.

Die Schubhaft wurde damit zu Recht aufgrund des § 76 Abs.2 FPG verhängt.

Die belangte Behörde hat den Schubhaftgrund auf die Z 4 der vorzitierten Norm gestützt. Die Mitteilung gem. §29 Abs.3 AsylG gilt gemäß § 27 Abs.1 Z1 FPG als Einleitung eines Ausweisungsverfahrens. Damit aber wäre die Schubhaft richtigerweise auf Z 2 des § 76 Abs. 2 FPG zu stützen gewesen (vgl. VwGH vom 30.8.2007, 2007/21/0034). Dass die Mitteilung gem. § 29 Abs. 3 AsylG vor Erlassung des Schubhaftbescheides erfolgte, ergibt sich aus dem Verweis auf diese Mitteilung im Schubhaftbescheid.

 

Gemäß § 77 Abs.1 FPG kann die Behörde von der Anordnung der Schubhaft Abstand nehmen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass der Zweck durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Gegen Minderjährige hat die Behörde gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn, sie hätte Grund zur Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann.

 

Die Schubhaft ist also nur bei konkretem Sicherungsbedarf anzuordnen und muss verhältnismäßig sein. Entgegen den Erwägungen der belangten Behörde, wonach dem Bf vorgeworfen wurde, er habe falsche Angaben betreffend seines Aufenthaltsstatus in Deutschland gemacht, ergibt sich aus den vorgelegten Akten, der niederschriftlichen Erstbefragung nach dem Asylgesetz 2005 am 13. Juni 2008, der Befragung am 30. Juni 2008 und aus dem von der PIF Traunstein-Kontaktstelle übermittelten Auszug aus dem Ausländerzentralregister, dass der Bf zu seiner Einreise und seinem Aufenthalt in Deutschland wahrheitsgemäße Angaben getätigt hat. Seine Angabe, er sei illegal als U-Boot in Berlin bis Juni 2008 aufhältig gewesen, welche die belangte Behörde als nicht glaubwürdig erachtet, ist nachvollziehbar. So wurde ihm befristet bis 11. Februar 2008 eine Duldung erteilt und sein Asylantrag wurde am 10. April 2008 abgelehnt. Er hat sich aber dennoch weiter bis Juni 2008 in Berlin aufgehalten.

Das Argument der belangten Behörde, es zeige sich dadurch eine unkooperative Einstellung gegenüber den österreichischen Behörden und eine damit verbundene Fluchtgefahr in seinem asyl- und fremdenpolizeilichen Verfahren, ist damit nicht haltbar.

Dem Bf wurde auch vorgeworfen, er sei in seinem in Deutschland geführten Asylverfahren nach Österreich abgetaucht. Hintergrund seiner Flucht nach Österreich sei es gewesen, den rechtlichen Konsequenzen in Deutschland zu entgehen, um in weiterer Folge in spekulativer Art und Weise durch bewusste zeitverzögerte Asylantragstellung zum Asylverfahren in Österreich zugelassen zu werden.

Dem ist entgegen zu halten, dass der Bf, obwohl er sich im Streit von seiner Gattin getrennt hatte, immer wieder Kontakt zu ihr gesucht hat und auch über ihren Aufenthalt in Österreich Bescheid wusste. Nachdem sein Asylantrag in Deutschland negativ entschieden worden war und er dagegen Berufung eingebracht hatte, ist er nicht etwa – wie ursprünglich beabsichtigt – zu seinem Bruder nach Belgien weiter gereist, sondern er hat einen Asylantrag in Österreich und hier in unmittelbarer Nähe zum Aufenthalt seiner Gattin und seinen zwei Kindern gestellt. Er wurde in Österreich am Hauptbahnhof auch von seiner Gattin empfangen. Es ist daher davon auszugehen, dass er den Asylantrag in Österreich gestellt hat, weil sich seine Familie, die ebenfalls um Asyl angesucht hatte, hier befunden hat.

Die Annahme der belangten Behörde der bewussten zeitverzögerten Asylantragstellung des Bf zur Antragstellung seiner Gattin, um in Österreich zum Asylverfahren zugelassen zu werden, vermag eine angenommene Fluchtgefahr nicht zu begründen.

 

Gemäß VwGH-Erkenntnis vom 28.6.2007, 2006/21/0051, kann sich die Notwendigkeit der Schubhaft daraus ergeben, dass sich der Fremde vor der Einreise in das Bundesgebiet in einem anderen Staat dem behördlichen Zugriff entzogen und hierüber nach seiner Einreise zusätzlich falsche Angaben gemacht hat.

Im konkreten Fall aber ist der Bf nach Österreich gekommen, wo sich auch seine Familie befunden hat, und hat hier keine Auskünfte über sein Asylverfahren in Deutschland verschleiert oder dazu falsche Angaben gemacht.

 

Die belangte Behörde geht davon aus, dass der Bf von seiner Gattin seit Mai 2007 von Tisch und Bett getrennt sei. Dabei übersieht sie aber, dass er die ganze Zeit der Trennung über mit seiner Gattin Kontakt gehalten hat und letztendlich auch nach Österreich gekommen ist, um seinen Asylantrag in unmittelbarer Nähe des Aufenthaltsortes seiner Familie zu stellen. Es ist daher davon auszugehen, dass er die Beziehung zu seiner Gattin und seinen Kindern weiterhin aufrecht erhalten möchte.

Erhebungen, die die Aspekte einer zerrütteten Beziehung des Bf zu seiner Gattin belegen könnten, sind im Akt nicht auffindbar, diesbezüglich wurden offenbar keine weiteren Erhebungen durch die belangte Behörde durchgeführt.

 

Gemäß ständiger Judikatur des VwGH (siehe u.a. Entscheidung vom 24. Oktober 2007, 2006/21/0267, VwGH vom 20.12.2007, 2007/21/0261) ist ungeachtet eines Dublin-Bezugs eine Inschubhaftnahme nur dann gerechtfertigt, wenn besondere Umstände vorliegen, die ein Untertauchen des betreffenden Fremden befürchten lassen. Als entscheidungswesentliche Punkte wurde die unverzügliche Stellung eines Asylantrags nach der Einreise, die Erstattung wahrheitsgemäßer Angaben über die Identität und den Ablauf der bisherigen Flucht, insbesondere der bereits erfolgten Stellung eines Asylantrags, (im konkreten Fall in der Bundesrepublik Deutschland), sowie in Österreich aufhältige Familienangehörige angeführt.

 

In keinem dieser vorangeführten Kriterien hat sich aufgrund des gegenständlichen Sachverhalts ein besonderer Sicherungsbedarf ergeben.

Aus diesem Grund ist auch davon auszugehen, dass nicht zu befürchten ist, der Bf werde sich seiner Ausweisung entziehen.

 

Abgesehen davon ist der Beschwerde beizupflichten, dass im Hinblick auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes bei Verhängung der Schubhaft die belangte Behörde auf die konkrete [aktuelle] familiäre Situation des Bf eingehen hätte müssen (VfGH-Erkenntnis vom 28. September 2004, B292/04). Bloß allgemeine Annahmen zur familiären Situation genügen nicht, um die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit einer Freiheitsentziehung im Einzelfall zu begründen.

 

Der bekämpfte Bescheid war somit mangels Vorliegens eines Sicherungsbedarfs und wegen der Unterlassung der Auseinandersetzung mit der konkreten (aktuellen) familiären Situation des Bf mit Rechtswidrigkeit behaftet.

 

Ein weiteres Eingehen auf die Ausführungen der Beschwerde erübrigt sich daher.

 

Weil kein Kostenbegehren gestellt wurde, waren der obsiegenden Partei diese auch nicht zuzusprechen.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

 

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungs­gerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 13,20 Euro angefallen.

Mag. Gerda Bergmayr-Mann

 

 

Rechtssatz:

Rechtswidrigkeit der Schubhaft mangels Vorliegens eines Sicherungsbedarfs und wegen Unterlassung der Auseinandersetzung mit der konkreten (aktuellen) familiären Situation des Bf – gängige Rsp. Des VwGH und VfGH

 

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