Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-700018/2/SR/Sta

Linz, 28.01.2009

 

 

 

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des R S, geboren am , russischer Staatsangehöriger, vertreten durch die Rechtsanwaltsgemeinschaft M&S OEG, W-D-S, S, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes, Erstaufnahmestelle West, vom 21. November 2008, AZ 08 11.242, wegen des Entzugs der Grundversorgung nach dem Bundesbetreuungsgesetz (BGBl Nr. 405/1991 idF BGBl I Nr. 32/2004) nunmehr Grundversorgungsgesetz - Bund 2005 - GVG-B 2005, BGBl I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl I Nr. 4/2008 zu Recht erkannt:

 

 

Die Berufung wird abgewiesen und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, als der Spruch wie folgt ergänzt wird: "Der Zugang zur medizinischen Notversorgung wird weiterhin gewährt."

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG iVm § 3 Abs 1 Z. 3 und § 3 Abs. 1 letzter Satz iVm § 2 Abs. 4 letzter Satz GVG-B 2005;

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit dem oben angeführten Bescheid vom 21. November 2008, AZ 08 11.242, hat der Direktor des Bundesasylamtes dem Berufungswerber (im Folgenden: Bw) die aufgrund des Grundversorgungsgesetzes bisher gewährte Versorgung gemäß § 3 Abs. 1 Z. 3 GVG-B 2005 entzogen.

 

In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Asylverfahren zu AZ 08 04281 mit 10. November 2008 rechtskräftig abgeschlossen worden sei und der Bw am 12. November 2008 einen neuerlichen Asylantrag (AZ 08 11.242) eingebracht habe.

 

Da der Bw einen neuerlichen Asylantrag innerhalb von sechs Monaten nach rechtskräftigem Abschluss seines früheren Asylverfahrens eingebracht habe, habe der Ausschluss von der Versorgung gemäß § 3 Abs. 1 Z. 3 GVG-B 2005 angeordnet werden können. Im Hinblick darauf, dass mehrere Verwandte des Bw in Österreich aufhältig seien und notorisch bekannt sei, dass in tschetschenischen Großfamilien ein enger Zusammenhalt bestehe, könne angenommen werden, dass der Bw von seinen Verwandten in Österreich versorgt werden könne. Die Zurückziehung der Beschwerde und die unmittelbar darauf erfolgte Einbringung eines zweiten Asylantrages werde als taktische Maßnahme betrachtet, um einer "rechtskräftigen Abschiebung" zu entgehen. Mit der Zurückziehung der Beschwerde habe sich der Bw mit der Entscheidung der Asylbehörde einverstanden erklärt und mit der Einbringung des zweiten Asylantrages musste der rechtsfreundlich vertretene Bw damit rechnen, dass er aus der Grundversorgung ausgeschlossen werde. Nach Beendigung der Grundversorgung sei auch weiterhin die medizinische Notversorgung der kranken Kinder gewährleistet und der Zugang zur medizinischen Notversorgung nicht beschränkt. Unter Beachtung aller bekannten Umstände und der Gesamtabwägung aller Interessen sei die Entziehung der Grundversorgung gerechtfertigt.

 

Nach dem aktenkundigen Faxbericht erfolgte die Bescheidzustellung an den Rechtsvertreter des Bw am 21. November 2008.   

 

2. Mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2008 (Faxkennung: 5/12 2008 FR 13:26) hat der Rechtsvertreter rechtzeitig Berufung eingebracht und "ausdrücklich ANTRAG auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung" gestellt.

 

Einleitend beantragte der Bw neben der ersatzlosen Aufhebung des angefochtenen Bescheides die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung für den Fall, dass diese nicht schon kraft Gesetzes bestehen sollte.

 

Begründend brachte der Bw vor, dass die Entziehung nicht rechtmäßig und gerechtfertigt sei, da sich im gegenständlichen Fall gute und sachliche Gründe für die neuerliche Asylantragsstellung ergeben hätten. Mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 6. November 2008 sei der Beschwerde der Mutter des Bw die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden. Es sei unzumutbar, den Bw und seine Familienangehörigen von seiner Mutter zu trennen. Diese benötige sowohl den Sohn als auch den Rest der Familie, da sie pflegebedürftig sei.

 

Unter dem Druck der drohenden Abschiebung sei beim Bw eine akute psychische Krise aufgetreten und daher befinde er sich seit längerem in stationärer psychiatrischer Behandlung im Krankenhaus Vöcklabruck. Die Ärzte hätten eine massive Depression mit suizidalen Tendenzen attestiert. Der Bw sei akut suizidgefährdet und leide aufgrund seiner bisherigen Erlebnisse unter einem posttraumatischen Belastungstrauma. Gegenteilige gutachterliche oder ärztliche Einschätzungen könnten nicht richtig sein. Im Falle der Entziehung der Grundversorgung würde für den Bw eine extreme humanitäre Notlage entstehen, da es sich dabei um eine Familie mit vier Kindern handeln würde, die man im Winter nicht einfach auf die Straße stellen könne. Es sei nicht das Verschulden der Betroffenen, dass ihre Verwandten nur über kleine Sozialwohnungen verfügen würden. Im vorliegenden Fall sei die Hilfsbedürftigkeit so ausgeprägt, dass die Gründe für eine neuerliche Asylantragsstellung derart plausibel, verständlich und nachvollziehbar seien und es geradezu willkürlich und extrem unmenschlich wäre, "all diesen Menschen" nunmehr die Grundversorgung zu entziehen und von ihnen zu verlangen, dass sie entweder auf der Straße weiter existieren oder von ihren Verwandten aufgenommen werden, die damit in extremen Wohnungsnotstand geraten würden. Die Kinder würden die Härten einer Obdachlosigkeit nicht ertragen können und schweren gesundheitlichen Schaden davontragen.   

 

Das Grundversorgungsgesetz sei gleichheits- und verfassungskonform auszulegen und zu vollziehen. In vielen anderen Fällen sei keine Entziehung der Grundversorgung vorgenommen worden. Bei einer derartigen Entziehungsentscheidung würde es immer noch ein behördliches Entscheidungsermessen geben, welches im gegenständlichen Fall zugunsten der Schutzbedürftigkeit der betroffenen Personen ausgeübt werden müsse. Dem Bw drohe die Entlassung aus der Grundversorgung nur deshalb, weil er versucht habe, die "katastrophal menschlichen, familienmäßigen und sonstigen Auswirkungen einer Ausweisung und Abschiebung nach Polen dadurch hintanzuhalten, dass er einen neuerlichen, zweiten Asylantrag gestellt" habe. Es sei "sachlich nicht gerechtfertigt, einem schutzbedürftigen Asylwerber und seiner Familie die Möglichkeit zu nehmen, durch einen zweiten Anlauf im Asylverfahren doch noch erreichen zu können, dass eine Abschiebung und Ausweisung nach Polen unterbleibt, welche mit Sicherheit verheerende Auswirkungen auf die Gesundheit, das psychische und physische Wohlverhalten der Betroffenen und deren soziale Lebensgrundlage hätte". Das Grundversorgungsgesetz solle mittellosen, bedürftigen Asylwerbern, welche schutzbedürftig sind, extreme Notlagen ersparen. Genau eine solche Notlage drohe jedoch dem Bw und seinen Angehörigen, sollte der bekämpfte Bescheid tatsächlich in Vollzug gesetzt werden.

 

3.1. Das Bundesasylamt hat mit Schreiben vom 15. Dezember 2008, AZ 08 11.242-EAST-West, den bezughabenden Verwaltungsakt zur Entscheidung vorge­legt.

 

3.2. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Vorlageakt.

 

Aufgrund der Aktenlage steht folgender Verfahrensgang und entscheidungsrelevanter Sachverhalt fest:

 

3.2.1. Der Bw reiste in einem Reisebus von Polen kommend am 14. Mai 2008 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 14. Mai 2008 beim Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle West einen Antrag auf internationalen Schutz (im Folgenden: Asylantrag).

 

Aufgrund der Ergebnisse der Erstbefragung leitete das Bundesasylamt am
16. Mai 2008 das Konsultationsverfahren mit Polen ein. Am 21. Mai 2008 langte die Zustimmung Polens zur Führung des Asylverfahrens ein.

 

Am 3. Juni 2008 wurde eine "§ 10 Abklärung" veranlasst und die entsprechende Untersuchung von Dr. A durchgeführt. Die gutachterliche Stellungnahme von Dr. A langte am 5. Juni 2008 beim Bundesasylamt ein.

 

Ein für den Bw verfasstes "Petitionsschreiben" wurde von der "C F" am 17. Juni 2008 dem Bundesasylamt per Fax übermittelt.

 

Am 12. August 2008 wurde eine neuerliche "§ 10 Abklärung" veranlasst. Im Anschluss daran verfasste Dr. A eine gutachterliche Stellungnahme. Diese langte am 13. August 2008 beim Bundesasylamt ein und wurde dem Rechtsvertreter des Bw am 21. August 2008 übermittelt.

 

Nach der zweiten niederschriftlichen Befragung am 2. September 2008 übermittelte der Rechtsvertreter am 8. September 2008 eine Stellungnahme und stellte in der Folge am 12. September 2008 einen Beweisantrag.

 

Am 17. September 2008 langte ein ärztlicher Befund des Landeskrankenhauses Vöcklabruck ein.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 8. Oktober 2008, AZ 08 04.281 wurde der Asylantrag des Bw gemäß § 5 AsylG zurückgewiesen und gemäß § 10 AsylG die Ausweisung nach Polen verfügt. Der Bescheid wurde dem Rechtsvertreter mittels RSa zugestellt. Das genaue Zustelldatum lässt sich der AI/DGA nicht entnehmen.

 

Mit Schreiben vom 24. Oktober 2008 erhob der Bw Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesasylamtes und beantragte die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. In der am 27. Oktober 2008 übermittelten Beschwerdeergänzung legte der Bw einen psychotherapeutischen Kurzbericht von Dr. K vor.

 

Am 11. November 2008 teilte der Rechtsvertreter des Bw per Fax mit, dass die Beschwerde zurückgezogen werde und der Bw einen neuen Asylantrag stellen werde. Aufgrund der Beschwerdezurückziehung ist der Zurückweisungs- und Ausweisungsbescheid am 11. November 2008 in Rechtskraft erwachsen.

 

Entsprechend der Ankündigung brachte der Bw am 12. November 2008 um 11.00 Uhr im Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle-West einen weiteren Asylantrag ein. Das neuerliche Asylverfahren wird unter der Zahl 08 11.242 geführt.   

 

Bedingt durch diesen Asylantrag wurde das bereits in die Wege geleitete Abschiebeverfahren ausgesetzt und eine Stornierung des Fluges vorgenommen.

 

3.2.2. Im Zuge des Verfahrens wurde Polen am 17. November 2008 von der Stellung des zweiten Asylantrages verständigt. Dabei hielt die belangte Behörde in der AI/DGA fest, dass eine Überstellung nach Polen bis zum "12.November 2009" zulässig ist.

 

3.2.3. Aufgrund der zweiten Asylantragsstellung leitete die belangte Behörde ein Ermittlungsverfahren "gemäß § 3/1/3-GVG-Bund 2005" ein. Bei der niederschriftlichen Befragung am 19. November 2008 führte der Bw über Befragen aus, dass ihm sein "Anwalt empfohlen habe, nicht alles zu unterschreiben". Erst nach Kenntnis, dass es sich bei der Zustellung um einen Landungsbescheid handelt, habe er das Schriftstück übernommen und unterschrieben. Trotz der aufrechten Grundversorgung habe er am
12. November 2008 die Unterkunft in B K verlassen, da sein Anwalt zu ihm gesagt habe, dass er nach T fahren und dort einen weiteren Asylantrag stellen solle. Die Unterkunft habe er ohne Abmeldung verlassen. Er habe alles getan, was ihm sein Anwalt gesagt habe. So könne er auch nicht erklären, warum er die Beschwerde im ersten Asylverfahren zurückgezogen und einen neuen Asylantrag gestellt habe. Er habe getan, was ihm der Anwalt gesagt habe.

Zwei Brüder, zwei Cousins und die Mutter würden in Österreich leben. Finanzielle Unterstützung würden weder er noch seine Familie von den Angehörigen erhalten. Derzeit verfüge er über 1 Euro. Seinem Anwalt habe er 600 Euro bezahlt. Das Geld habe seine Frau als Remuneration für Tätigkeiten in der Küche erhalten und dann gespart. In T sei er bereits am 11. November 2008 angekommen, habe die Nacht mit der Familie im Freien verbracht und dabei hätten sich seine Kinder verkühlt. Diese würden ärztliche Hilfe benötigen. Bei den angeführten Familienangehörigen könne er aufgrund der Größe seiner Familie nicht wohnen. Am 26. November 2008 werde er im "LKH Linz" an der Nase operiert. Falls ihm die Grundversorgung entzogen werde, würde er mit seiner Familie auf der Straße stehen. Seine kleinen Kinder würden in der Kälte sterben. Den zweiten Asylantrag habe er nur gestellt, weil ihm das empfohlen worden sei. 

 

3.2.4. Unmittelbar nach der Asylantragstellung am 14. Mai 2008 wurde dem Bw in der Betreuungsstelle T Versorgung gewährt. Die Versorgung des Bw erfolgte vom 14. Mai 2008 bis zum 31. Mai 2008 in der Betreuungsstelle T, vom 31. Mai 2008 bis zum 2. September 2008 in der Betreuungsstelle West und vom 2. September 2008 bis zum 11. November 2008 in der Betreuungsstelle Nord.

 

Am 11. November 2008 hat der Bw die Betreuungsstelle Nord ohne Angabe von Gründen und ohne Abmeldung verlassen. Seit der zweiten Asylantragstellung am 12. November 2008 wird dem Bw in der Betreuungsstelle West Versorgung gewährt.

 

3.3. Unstrittig steht fest, dass dem Bw seit seiner ersten Asylantragstellung durchgehend Versorgung in einer Betreuungseinrichtung des Bundes zuteil wird. Wie sich weiters unbestritten aus der Aktenlage ergibt, hat der durch seinen Rechtsanwalt vertretene Bw die Beschwerde gegen den Zurückweisungs- und Ausweisungsbescheid des Bundesasylamtes zurückgezogen, um eine neuerliche Asylantragstellung zu ermöglichen, mit dieser Vorgangsweise die unmittelbar bevorstehende Abschiebung nach Polen zu vereiteln und durch die Stellung des zweiten Asylantrages ein zugelassenes Asylverfahren in Österreich zu erwirken. Auch wenn der Rechtsvertreter mit seinem Vorbringen den Eindruck vermitteln möchte, dass der Bw nach dem Ausschluss aus der Versorgung auf der "Straße stehen" werde, ist diesen unglaubwürdigen Angaben nicht zu folgen. Es ist nicht davon auszugehen, dass der einschlägig tätige Rechtsanwalt in Kenntnis der Rechtsfolgen eines zweiten Asylantrages den Bw der skizzierten Gefahr aussetzen würde. Schon aufgrund seiner anwaltlichen Sorgfaltspflicht ist vertretbar anzunehmen, dass er für den Fall eines tatsächlichen Ausschlusses aus der Versorgung ein Notquartier für den Bw in Aussicht hat oder zumindest vorgesorgt hat, dass eine Unterbringung bei den Verwandten des Bw in Österreich möglich ist.

 

4. In der Sache hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

 

4.1. Das Grundversorgungsgesetz - Bund 2005 (GVG-B 2005) ist gemäß seinem § 16 Abs. 12 am 1. Jänner 2006 zur Gänze in Kraft getreten. Gemäß § 9 Abs. 1 GVG-B 2005 ist das Bundesasylamt Behörde erster Instanz. Über Berufungen entscheiden die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern durch Einzelmitglied, wobei sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Ort der zuletzt gewährten Grundversorgung bzw. nach dem Sprengel, in dem das asylrechtliche Zulassungsverfahren geführt wird oder wurde, richtet (vgl. § 9 Abs. 2 und 3a GVG-B 2005).

 

Nach § 2 Abs. 1 GVG-B 2005 leistet der Bund Asylwerbern im Zulassungs­verfahren Versorgung in einer Betreuungseinrichtung des Bundes (§ 1 Z. 5). Darüber hinaus sorgt der Bund in gleichem Ausmaß für Fremde, deren Asylantrag im Zulassungsverfahren

1.  zurückgewiesen oder

2.  abgewiesen wurde, wenn der Berufung die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde, solange ihr diese nicht wieder zuerkannt wird,

bis diese das Bundesgebiet verlassen, solange sie in einer Betreuungseinrichtung des Bundes untergebracht sind.

 

Gemäß § 1 Z. 3 GVG-B 2005 sind unter Versorgung die gemäß Art 6 und 7 der Grundversorgungsvereinbarung (vgl. Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG, BGBl I Nr. 80/2004) zu erbringenden Leistungen zu verstehen.

 

Nach § 3 Abs. 1 Z. 3 GVG-B 2005 können von der Versorgung gemäß § 2 jene Asylwerber ausgeschlossen werden, die einen weiteren Asylantrag innerhalb von sechs Monaten nach rechtskräftigen Abschluss ihres früheren Asylverfahrens eingebracht haben. Der Zugang zur medizinischen Notversorgung darf nicht beschränkt werden.

 

4.2.1. Wie unbestritten feststeht, hat der Bw auf Anraten seines Rechtsanwaltes die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 8. Oktober 2008, AZ 08 04.281, mit dem der Asylantrag gemäß § 5 AsylG zurückgewiesen und die Ausweisung nach Polen gemäß § 10 AsylG verfügt worden ist, aus freien Stücken zurückgezogen. Den entsprechenden Schriftsatz hat der Rechtsfreund des Bw an den Asylgerichtshof adressiert und der belangten Behörde am 10. November 2008 per Fax übermittelt. Mit der Zurückziehung der Beschwerde ist der Bescheid der belangten Behörde in Rechtskraft erwachsen.

 

Trotz der rechtskräftigen Ausweisungsentscheidung wäre der Bw bis zur tatsächlichen Außerlandesschaffung nach den Bestimmungen des GVG-B 2005 versorgt worden.

 

Dem Rechtsfreund des Bw, der seit Jahren im Fremdenrecht tätig ist, kann nicht unterstellt werden, dass ihm die Bestimmung des § 3 Abs. 1 Z. 3 GVG-B 2005 unbekannt ist und er sich der Rechtsfolgen, die durch die Stellung eines zweiten Asylantrages ausgelöst werden, nicht bewusst war. Gerade wegen seiner Fachkunde auf diesem Gebiet und dem umfassenden Wissen über die behördliche Vollzugsweise ist davon auszugehen, dass er bei der von ihm gewählten Vorgangsweise entsprechende Vorkehrungen getroffen hat, damit der Bw im Fall des (tatsächlichen) Ausschlusses aus der (Grund-)Versorgung nicht "auf der Straße weiter existieren" muss.

 

Bestätigung für diese Ansicht findet sich auch in der Berufungsbegründung, wo der Rechtsvertreter ausführt, dass "in vielen anderen Tschetschenien-Dublin-Polen-Fällen" neuerliche Asylanträge innerhalb der "ominösen 6 Monats-Frist" nicht zum Anlass für eine Entziehung der Grundversorgung nach § 3 Abs. 1 Z. 3 genommen worden seien. Da der Rechtsvertreter des Bw nur von "vielen anderen" und nicht von "allen anderen Fällen" spricht, ist davon auszugehen, dass er Kenntnis von Entscheidungen des Bundesasylamtes hat, die in vergleichbaren Fällen zu Ausschlüssen von der Versorgung geführt haben.

 

Wiederholt bringt der Rechtsvertreter des Bw zum Ausdruck, dass das Grundversorgungsgesetz "mittellosen, bedürftigen Asylwerbern, welche schutzbedürftig sind, extreme menschliche Notlagen ersparen" soll und daher ein behördliches Entscheidungsermessen zugunsten der Schutzbedürftigkeit der betroffenen Personen ausgeübt werden müsse.

 

Die einleitenden Ausführungen zum Grundversorgungsgesetz sind zutreffend. Wie schon der Blick in die "Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über gemeinsame Maßnahmen zur vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich (Grundversorgungsvereinbarung – Art. 15a B-VG; BGBl. I Nr. 80/2004)" zeigt, sind Zielgruppe dieser Vereinbarung die hilfs- und schutzbedürftigen Fremden, die unterstützungswürdig sind. In Umsetzung dieser Vereinbarung hat der Bundesgesetzgeber im GVG-B 2005 vorgesehen, dass der Bund den Asylwerbern im Zulassungsverfahren Versorgung in einer Betreuungseinrichtung des Bundes leistet. Die Formulierung des Gesetzgebers lässt den Schluss zu, dass er grundsätzlich jeden Asylwerber für hilfs- und schutzbedürftig angesehen hat. Lediglich bei bestimmten Fallkonstellationen ist der Gesetzgeber von einer mangelnden Unterstützungswürdigkeit ausgegangen und hat für diese Fälle den Behörden eingeräumt, einen Ausschluss  von der Versorgung zu verfügen.

 

Obwohl sich der Bw seiner Hilfs- und Schutzbedürftigkeit bewusst war, hat er auf Veranlassung seines Rechtsvertreters den Ausschlusstatbestand nach § 3 Abs. 1 Z. 3 GVG – B 2005 gesetzt. Das Motiv für diese Vorgangsweise ist der Berufungsschrift zu entnehmen. Danach hat der Bw (über Anraten seines Rechtsanwaltes) um eine Außerlandesschaffung (Ausweisung und Abschiebung nach Polen) zu verhindern, eine Entlassung aus der Versorgung in Kauf genommen. Er selbst hat einen "Aufenthalt auf der Straße" oder eine "Unterkunft in beengten Wohnverhältnissen" bei Verwandten der Abschiebung nach Polen vorgezogen. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Verfahrenseinlassung, die Mitwirkungsbereitschaft und die zeitlich wohlbedachte Beschwerdezurückziehung des Bw. Bezogen auf die Fristen der Dublin II VO hat der Bw mit der Beschwerdezurückziehung und der neuerlichen Asylantragstellung die Außerlandesschaffung endgültig verhindert und ein inhaltliches Asylverfahren in Österreich erwirkt.

 

Mit den Berufungsausführungen versucht der Rechtsvertreter des Bw die Behörden für die allenfalls entstehende "extreme humanitäre Notlage" verantwortlich zu machen. Dass er in Kenntnis der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen diese Notlage mehr oder weniger bewusst in Kauf genommen hat, um die Außerlandesschaffung hintan zuhalten, verschweigt er dabei. Der Bw hat die (von ihm skizzierte und behauptete) Notstandslage, deren Eintritt ohnehin äußerst ungewiss ist, durch die zweite Asylantragstellung vorsätzlich herbeigeführt. In strafrechtlichen Kategorien gedacht, könnte sich ein Notstandstäter in einem vergleichbaren Fall nicht auf einen rechtfertigenden Notstand berufen, da er als ein Notstandsprovokateur betrachtet werden würde (vgl. Kienapfel, ÖJZ 1975, 426).

 

Würde man dem Rechtsvertreter folgen und auch in diesem Fall – ohne auf die mangelnde Unterstützungswürdigkeit des Bw Bedacht nehmen - ausschließlich auf seine Hilfs- und Schutzbedürftigkeit abstellen, wäre der Ausschlusstatbestand des § 3 Abs. 1 Z. 3 GVG-B 2005 totes Recht. Gerade bei dieser Fallkonstellation kann weder dem Rechtsvertreter beigepflichtet noch der belangten Behörde eine fehlende Ermessensprüfung vorgehalten werden. Wie bereits dargelegt, will der Bundesgesetzgeber mit dem GVG-B 2005 hilfs- und schutzbedürftige Asylwerber versorgen. Er möchte aber keinesfalls jene Asylwerber umfassend versorgen, die nicht geneigt sind, ihr Asylverfahren im zuständigen Staat zu führen und die sich den Zugang zu einem inhaltlichen Verfahren in Österreich durch einen weiteren Asylantrag erwirken. Zu Recht ist die belangte Behörde nach Abwägung aller Tatsachen davon ausgegangen, dass der Bw von der Versorgung gemäß § 2 GVG-B 2005 ausgeschlossen werden kann.

 

4.2.2. Die Prüfung, ob die Zurückweisung des Asylantrages und die Ausweisung des Bw nach Polen zulässig ist, obliegt ausschließlich dem Bundesasylamt und dem Asylgerichtshof. Im Beschwerdeverfahren hat der Asylgerichtshof zu prüfen, ob eine Ausweisung gemäß § 10 Abs. 1 AsylG  unzulässig ist, ob diese eine Verletzung nach Art. 8 EMRK bedeuten oder ob die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde.

 

Wesentliche Teile des Berufungsvorbringens beschäftigen sich mit der Unzulässigkeit der Ausweisung und der psychischen Belastung des Bw durch die drohende Ausweisung. Wäre bei Gesamtschau des bisherigen Verfahrens nicht die Verfahrensverschleppungsabsicht klar erkennbar, erschiene die Zurückziehung der Beschwerde im Asylverfahren nicht nachvollziehbar. Denn gerade mit der Beschwerdezurückziehung hat der Bw eine – durch das Asylgericht – zu erfolgende gerichtliche Prüfung jener Umstände verhindert, die seiner Ansicht nach geeignet erscheinen, eine Ausweisung zu verhindern. 

 

4.2.3. Nicht nachvollziehbar ist auch die Verknüpfung der Hilfsbedürftigkeit des Bw mit der weiteren Asylantragsstellung (siehe die Ausführungen des Rechtsvertreters auf den Seiten 3 und 4 der Berufungsschrift). Wie bereits ausführlich dargelegt, wäre dem Bw bis zu einer allfälligen Außerlandesschaffung die umfassende Versorgung in einer Betreuungseinrichtung des Bundes zugekommen. Inwieweit aus der (nach der Aktenlage nicht bestehenden) Hilfsbedürftigkeit "derart plausible, verständliche und nachvollziehbare" Gründe für eine neuerliche Asylantragstellung abzuleiten sind, kann nicht erkannt werden und diesbezüglich bleibt der Bw auch eine schlüssige Erklärung schuldig. Jedenfalls bringt der Rechtsvertreter mit dieser Darstellung klar zum Ausdruck, dass der Bw einerseits nicht geneigt ist, das inhaltliche Asylverfahren in Polen zu führen und andererseits nach der Verfahrenserwirkung in Österreich keinesfalls auf die umfassende Versorgung in einer Betreuungseinrichtung verzichten möchte. Für den Fall des tatsächlichen Ausschlusses aus der Versorgung wird der – vom Bw selbst herbeigeführte Zustand – als extremer unmenschlicher Akt bezeichnet und eine gleichheits- und verfassungskonforme Auslegung des Grundversorgungsgesetzes eingefordert.  

 

4.3. Die Tatbestandsmerkmale des Ausschlussgrundes nach § 3 Abs. 1 Z. 3 GVG-B 2005 sind auf Grundlage der vorliegenden Feststellungen als erfüllt anzusehen. Aufgrund der besonderen Umstände dieses Falles ist der Ausschluss aus der Versorgung als verhältnismäßig anzusehen. Schon aus diesem Grund war die Berufung abzuweisen und der angefochtene Bescheid mit der vorgenommenen Spruchergänzung zu bestätigen.

 

4.4. Da der Berufung ex lege eine aufschiebende Wirkung zugekommen ist, war auf Eventualantrag des Bw nicht mehr einzugehen.

 

  

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

 

1) Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2) Im gegenständlichen Verfahren sind Stempelgebühren in der Höhe von 13,20 Euro angefallen. 

 

 

Mag. Christian Stierschneider

 

 


 

 

Rechtssatz: VwSen-700018/2/SR/Sta

§ 3 Abs. 1 Z. 3 und Abs. 1 letzter Satz GVG-B 2005

 

Fremde, die vorsätzlich einen Ausschlusstatbestand nach § 3 Abs. 1 Z. 3 GVG-B 2005 herbeiführen, indem sie ein inhaltliches Asylverfahren in Österreich erwirken und dadurch in eine Notstandssituation geraden können (sogenannte Notstandsprovokateure) sind nicht als unterstützungswürdig anzusehen.  


 

 

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