Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-163670/2/Kei/Ps

Linz, 04.03.2009

 

Mitglied, Berichter/in, Bearbeiter/in:                                                                                                                               Zimmer, Rückfragen:

Michael Keinberger, Dr.                                                                                      2B07, Tel. Kl. 15597

 

 

 

E r k e n n t n i s

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Michael Keinberger über die Berufung des Dr. R A L, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. M L und Mag. M R, Z, F, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 8. Oktober 2008, Zl. VerkR96-4227-2008, zu Recht:

 

 

Der Berufung wird stattgegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt; der Berufungswerber hat keine Verfahrenskostenbeiträge zu entrichten.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs.4 AVG iVm § 45 Abs.1 Z2 VStG; § 66 Abs.1 VStG

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Die Bezirkshauptmannschaft Gmunden hat mit dem in der Präambel angeführten Straferkenntnis über den Berufungswerber (= Bw) wegen einer Verwaltungsübertretung nach § 18 Abs.1 StVO 1960 gemäß § 99 Abs.2c Z4 StVO 1960 eine Geldstrafe in der Höhe von 320 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 168 Stunden, verhängt, weil er am 19. April 2008 um 09.39 Uhr in der Gemeinde Vorchdorf, Autobahn Freiland, Nr. 1 bei Strkm. 210,500, Richtungsfahrbahn Wien, als Lenker des Kfz mit dem Kennzeichen zu einem vor ihm am gleichen Fahrstreifen fahrenden Fahrzeug nicht einen solchen Abstand eingehalten habe, dass ihm ein rechtzeitiges Anhalten möglich gewesen wäre, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst würde. Es wurde mittels Videomessung ein zeitlicher Abstand von 0,29 Sekunden festgestellt.

Ferner wurde gemäß § 64 VStG ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 10 % der verhängten Geldstrafe vorgeschrieben.

 

2. Über die dagegen rechtzeitig durch die ausgewiesenen Vertreter eingebrachte Berufung hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich durch sein nach der Geschäftsverteilung zuständiges Einzelmitglied (§ 51c erster Satz VStG) erwogen:

 

2.1. Laut Anzeige der Landesverkehrsabteilung Oberösterreich wurde die dem Bw zur Last gelegte Verwaltungsübertretung mittels geeichtem Messsystem VKS 3.0-VIDIT-A11 festgestellt.

 

2.2. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 9. Dezember 2008, B1944/07-9, einen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 24. August 2007, Z uvs-2007/16/1441-4, wegen Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums aufgehoben.

 

Mit dem durch den Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Bescheid bestätigte der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Schwaz, mit dem der Beschwerdeführer wegen Übertretung des § 18 Abs.1 StVO 1960 bestraft wurde, weil er auf der A12-Inntalautobahn als Lenker des Fahrzeuges die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 24 km/h überschritten hat und zu einem vor ihm am gleichen Fahrstreifen fahrenden Fahrzeug nicht einen solchen Abstand eingehalten hat, dass ein rechtzeitiges Anhalten möglich gewesen wäre. Die Sachverhaltsfeststellungen zur gemessenen Geschwindigkeit und zum eingehaltenen Abstand wurden auf das geeichte videogestützte Geschwindigkeits- und Abstandsmessgerät Verkehrs-Kontrollsystem, Version 3.0 Austria (VKS 3.0), gestützt.

 

Der Verfassungsgerichtshof begründete sein Erkenntnis unter anderem wie folgt:

 

"III.   Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -Beschwerde erwogen:

 

1. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde über den Be­schwerdeführer eine Geldstrafe in Höhe von € 140,-- (zuzüglich Verfahrenskosten) verhängt. Der Bescheid greift in das verfas­sungsgesetzlich gewährleistete Recht des Beschwerdeführers auf Unversehrtheit des Eigentums ein.

 

1.1. Dieser Eingriff wäre nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 13.587/1993 mwN, 15.364/1998, 15.768/2000, 16.113/2001, 16.430/2002) dann ver­fassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrund­lage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

 

1.2. Die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Verwaltungsübertretungen wurden mit Hilfe eines videogestützten Geschwindigkeits- und Abstandsmessgerätes (Type Verkehrs-Kontroll-System, Version 3.0 Austria [VKS 3.0], Hersteller SUWO EDV-Services) festgestellt.

 

Das VKS 3.0-System ermöglicht es, der Stellungnahme des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie zufolge, aus einer Videoaufzeichnung Geschwindigkeiten von Fahrzeugen und deren Abstände zu vorausfahrenden Fahrzeugen zu bestimmen. Hiezu wird das Verkehrsgeschehen in einem Fahrbahnabschnitt mit einer Videokamera von einem festen, mindestens drei Meter über der Fahrbahnoberfläche liegenden Kamerastandpunkt aufgenommen. Mit dieser Videoaufzeichnung wird die Abstands- und Geschwindigkeits­messung durchgeführt.  Zur Identifizierung eines betroffenen Fahrzeuges dient eine weitere Videoeinrichtung bestehend aus zwei Kameras. Mit diesen beiden Kameras werden nur sehr kurze Fahr­bahnabschnitte beobachtet, um sicherstellen zu können, dass (ins­besondere) das Kennzeichen erfasst wird. Das System besteht somit aus drei Kameras: der Messbereichskamera, die die Beobachtung des ankommenden Fahrzeugverkehrs auf einer Entfernung von ca. 500 Metern ermöglicht und jenen Abschnitt der Fahrbahn erfasst, auf dem die Fahrzeuge die markierte Wegstrecke zurücklegen, sowie zwei weiteren Kameras, die auf den jeweiligen Fahrstreifen aus­gerichtet sind und eine Großaufnahme von Fahrzeugen (insbesondere deren Kennzeichen), die den Sicherheitsabstand nicht eingehalten haben, erlauben. Die Auswertung des Videos der Messbereichskamera erfolgt in Verbindung mit einem Computersystem durch einen Beamten, der das Gerät bedient. Nachdem der Mess- und Auswer­tungsvorgang abgeschlossen und eine Verwaltungsübertretung fest­gestellt worden ist, werden von den Fahrzeugen Fotos aus den Bildern der beiden weiteren Kameras angefertigt. Die Auswertungen werden mit Datum, Kennzeichen und Fotos in einer sog. Protokoll­datei gespeichert. Die 'Übertretungsvideos' werden entweder auf Videoband oder CD/DVD archiviert und drei Jahre lang aufbewahrt. Die Videoaufnahmen der beiden zur Fahrzeugidentifikation be­stimmten Kameras werden nicht archiviert. Die Videoaufzeichnungen jener Verkehrsteilnehmer, die keine Übertretung begangen haben, bleiben daher nur so lange gespeichert, bis im Zuge des Mess- und Auswertungsvorganges festgestellt wurde, ob eine Übertretung vorliegt. Danach werden die Videobilder jener Fahrzeuge, deren Lenker keine Übertretung begangen haben, gelöscht.

 

1.3. Mit dem videogestützten Geschwindigkeits- und Abstandsmessgerät werden somit Videoaufnahmen all jener Fahrzeuge gemacht, die im Zeitpunkt der Messung den betreffenden Fahrbahn­abschnitt passieren, wobei - von den zwei weiteren Kameras - die Fahrzeugkategorie und auch etwaige Aufschriften auf den Fahr­zeugen (zB die Namen natürlicher oder juristischer Personen, Markenzeichen usw.) und insbesondere auch das Kennzeichen der Fahrzeuge aufgenommen werden. Darüber hinaus kann nicht ausge­schlossen werden, dass die Fahrzeuginsassen (je nach Qualität der Kameras und der Einstellwinkel) erkennbar sind. Die Abstands- und Geschwindigkeitsmessung mit dem videogestützten Geschwindigkeits- und Abstandsmessgerät basiert sohin auf der Ermittlung und Speicherung personenbezogener Daten. Im Unterschied zum auto­matischen Geschwindigkeitsmesssystem 'Section Control' werden dabei zunächst die Daten aller Verkehrsteilnehmer gespeichert, unabhängig davon, ob eine Verwaltungsübertretung vorliegt oder nicht.

 

1.4. Für die Anforderungen an die gesetzliche Grundlage von Eingriffen in das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums, die sich auf die Verwendung personenbezogener Daten stützen, gelten die Bedingungen des § 1 Abs. 2 DSG 2000 sinngemäß. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist die Ermittlung und Verwendung personenbezogener Daten durch Eingriffe einer staatlichen Behörde wegen des Gesetzesvorbehalts des § 1 Abs. 2 DSG 2000 nur auf Grund von Gesetzen zulässig, die aus den in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Gründen notwendig sind und ausreichend präzise, also für jedermann vorhersehbar regeln müssen, unter welchen Voraussetzungen die Ermittlung bzw. die Verwendung personenbezogener Daten für die Wahrnehmung konkreter Verwaltungsaufgaben zulässig ist (vgl. VfSlg. 16.369/2001). Der jeweilige Gesetzgeber muss somit nach § 1 Abs. 2 DSG 2000 eine materienspezifische Regelung in dem Sinn vorsehen, dass die Fälle zulässiger Eingriffe in das Grundrecht auf Datenschutz konkreti­siert und begrenzt werden.

 

1.5. Weder die Straßenverkehrsordnung (StVO) noch das Verwaltungsstrafgesetz (VStG) oder auch das Kraftfahrgesetz (KFG) enthalten jedoch eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung im Sinne des § 1 Abs. 2 DSG 2000 zum Einsatz entsprechender video­gestützter Geschwindigkeits- und Abstandsmesssysteme. § 100 Abs. 5b StVO regelt allein den Einsatz automatischer Geschwindig­keitsmesssysteme für die Feststellung der Überschreitung einer ziffernmäßig festgesetzten Höchstgeschwindigkeit. Auch der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie hat in seiner Stellungnahme festgehalten, dass weder die StVO noch das VStG nähere Bestimmungen hinsichtlich für die Abstandsmessung einzusetzender Messgeräte oder deren Funktionsweise enthielten. In § 134 Abs. 3 KFG ist lediglich allgemein davon die Rede, dass Geschwindigkeitsübertretungen 'mit Messgeräten' festgestellt werden können. Daneben lässt sich auch aus den Regelungen der StVO betreffend die Zuständigkeit und die Aufgaben der Straßen­polizeibehörden ('Überwachung der Einhaltung straßenpolizeilicher Vorschriften', vgl. insb. § 94b Abs. 1 lit. a StVO) in Verbindung mit den allgemeinen Grundsätzen über die Verwendung von Daten aus dem 2. Abschnitt des DSG 2000 (s. insb. §§ 6, 7, 8 DSG 2000) keine Ermächtigung zum Einsatz eines solchen videogestützten Geschwindigkeits- und Abstandsmesssystems ableiten.

Der Verfassungsgerichtshof stellte in seinem Erkenntnis VfSlg. 18.146/2007 ('Section Control') fest, dass sich aus den Regelungen der StVO betreffend Zuständigkeiten und Aufgaben der Straßenpolizeibehörden, sowie aus den im 2. Abschnitt des DSG 2000 enthaltenen allgemeinen Grundsätzen über die Verwendung von Daten lediglich die 'näheren Grenzen der rechtlichen Ermächti­gung' zur Ermittlung und Verwendung personenbezogener Daten im Rahmen eines automatischen Geschwindigkeitsmesssystems ergeben können. Diese können daher eine fehlende gesetzliche Ermächtigung im Sinne des § 1 Abs. 2 DSG 2000 nicht ersetzen.

 

1.6. Das Erfordernis einer - über das DSG 2000 hinaus­gehenden - gesetzlichen Ermächtigung für die Datenanwendung wird durch die Verfassungsbestimmung des § 61 Abs. 4 DSG 2000 be­stätigt, wonach Datenanwendungen, 'die für die in § 17 Abs. 3 genannten Zwecke notwendig sind', bis 31. Dezember 2007 auch ohne eine dem § 1 Abs. 2 DSG 2000 entsprechende Rechtsgrundlage erfolgen konnten. Diese Bestimmung wäre überflüssig, würden bereits die Bestimmungen des DSG 2000 für sich genommen (allen­falls in Verbindung mit materiengesetzlichen Zuständigkeits­vorschriften) eine ausreichende gesetzliche Grundlage im Sinne des § 1 Abs. 2 DSG 2000 bilden.

 

Beim Einsatz des videogestützten Geschwindigkeits- und Abstandsmessgerätes zum Zweck der Verkehrsüberwachung handelt es sich aber auch um keinen Anwendungsfall der Verfassungsbestimmung des § 61 Abs. 4 DSG 2000. Die Übergangsregelung bezieht sich u.a. auf jene Datenanwendungen, die 'für Zwecke ... der Vorbeugung, Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten' von der Meldepflicht ausgenommen sind (§ 17 Abs. 3 Z 5 DSG 2000), 'soweit dies zur Verwirklichung des Zweckes der Datenanwendung notwendig ist.' Nach den Erläuterungen zu § 17 Abs. 3 DSG 2000 sollten nur jene Datenanwendungen ausgenommen werden, bei welchen die Nichtmeldung auf Grund der konkreten Zweckbestimmung der einzelnen Daten­anwendung notwendig ist. Daraus erhellt, dass mit 'Straftaten' Taten, die durch das Strafrecht im Sinne des Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG mit Strafe bedroht sind, nicht aber Verwaltungsübertretungen gemeint sein können.

 

1.7. Da die Geschwindigkeits- und Abstandsmessung, die die Grundlage für die Bestrafung des Beschwerdeführers bildete, sohin ohne gesetzliche Grundlage im Sinne des § 1 Abs. 2 DSG 2000 durchgeführt worden ist, entbehrt der angefochtene Bescheid insofern ebenfalls der Rechtsgrundlage."

 

Da auch die dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde zugrunde liegende Verwaltungsübertretung mit Hilfe des videogestützten Geschwindigkeits- und Abstandsmesssystems VKS 3.0 festgestellt wurde – es liegt sohin ein identer Sachverhalt vor –, war vor dem Hintergrund der o.a. Judikatur des Verfassungsgerichtshofes spruchgemäß zu entscheiden.

 

3. Die Kostenentscheidung ist gesetzlich begründet.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsge­richtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

Dr. Keinberger

 

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