Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720240/4/BP

Linz, 21.04.2009

 

Mitglied, Berichter/in, Bearbeiter/in:                                                                                                                               Zimmer, Rückfragen:

Mag. Dr. Bernhard Pree                                                                                     4A13, Tel. Kl. 15685

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Berufung des A K, Staatsangehöriger der Türkei, vertreten durch Mag. Dr. H B, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirks Linz-Land vom 17. März 2008, GZ: Sich04/212/1987, zu Recht erkannt:

 

 

 

I.       Der Berufung wird mit der Maßgabe stattgegeben, als das gegen       den Berufungswerber auf unbefristet erlassene Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich auf eine Befristung von zwei Jahren herabgesetzt wird.

 

II.     Dem Berufungswerber wird gemäß § 86 Abs. 3 des          Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) BGBl I Nr. 100/2005 in der          Fassung BGBl I Nr. 29/2009, von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt.

 

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 iVm. § 67a Abs. 1 Z 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirks Linz-Land vom 17. März 2008 GZ.: Sich-04/212/1987, wurde über den Berufungswerber (im Folgenden Bw) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich verhängt. Als Rechtsgrundlagen werden § 60 Abs. 1 und 2 Z. 1 sowie §§ 63 bis 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF. genannt.

 

1.1.1. Nach Darstellung der Rechtsgrundlagen führt die belangte Behörde zum  Sachverhalt aus, dass sich der Bw seit seiner Geburt in Österreich aufhalte und somit als langjährig in Österreich niedergelassen gelte.

 

Während seines Aufenthalts habe der Bw folgende Straftaten begangen:

1.) Landesgericht Linz, Zl. Hv 155/95 vom 11. Jänner 1996, rechtskräftig seit 16. Jänner 1996 gemäß §§ 136 Abs. 1, 127, 129 Abs. 3, 130, 135 Abs. 1 und 3 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 3 Monaten;

2.) Landesgericht Linz, Zl. Hv 5/99 vom 9. April 1999, rechtskräftig seit 25. November 1999 gemäß §§ 142 Abs. 1, 143, 278 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten;

3.) Landesgericht Linz, Zl. 28 Hv 5/2006D vom 3. März 2006, rechtskräftig seit 7. März 2006 gemäß §§ 127, 129 Abs. 1 und 2, 169 Abs. 1, 125 StGB, § 27 Abs. 1 (1. 2. und 6. Fall) zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.

 

In einer Stellungnahme vom 10. Dezember 2007 habe der Bw u.a. zu den Familienverhältnissen angegeben, dass seine Eltern den Bw gemeinsam mit seinen Brüdern und seiner Schwester in Österreich großgezogen hätten. Die Eltern seien schon seit über 30 Jahren in der Gemeinde Hörsching wohnhaft. Der Bw habe hier die Volks- und Hauptschule besucht und auch die Lehre als Stahlbauschlosser positiv abgeschlossen. Ab 11. Dezember 2007 habe der Bw vor, bei der Firma V als Schlosser tätig zu werden. Der Bw habe eine Freundin, wobei die Heirat in nächster Zeit beabsichtigt sei. In der Türkei hätte er keine Lebensgrundlage. Er sei weder mit der Sprache noch mit der dort herrschenden Kultur vertraut. Der Bw habe sich seit seiner Geburt höchstens sieben Monate in der Türkei aufgehalten. Er würde sich bereit erklären, seinen unbefristeten in einen befristeten Aufenthalt umzutauschen, sollte im Gegenzug dazu das Aufenthaltsverbot gegen ihn eingestellt werden.

 

1.1.2. In rechtlicher Hinsicht führt die belangte Behörde aus, dass gemäß § 60 Abs.1 Fremdenpolizeigesetz (früher § 36 Abs. 1 Fremdengesetz) ein Aufenthaltsverbot auch dann erlassen werden könne, wenn triftige Gründe vorlegen, die zwar nicht die Voraussetzungen die im Abs. 2 angeführten Fälle aufweisen, wohl aber in ihrer Gesamtheit die in § 60 Abs.1 Fremdenpolizeigesetz umschriebene Annahme rechtfertigen würden.

 

Die belangte Behörde sei demnach unter Zugrundelegung des festgestellten Gesamtverhaltens des Fremden berechtigt zu prüfen, ob die im § 60 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz umschriebene Annahme gerechtfertigt sei.

 

Aus der Schwere der obzit. gerichtlichen Verurteilungen gehe hervor, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z1 Fremdenpolizeigesetz erfüllt sei.

 

Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 9. April 1999, Zl. 28 Hv 5/99, sei der Bw für schuldig befunden worden gemeinsam mit Anderen am 31. Dezember 1996 einen schweren Raub unter Gewaltanwendung verübt zu haben und sich mit Anderen vorsätzlich verbunden zu haben um fortgesetzt Raubüberfälle zu begehen. Deswegen sei er wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs. 1, 143, 1. und 2. Fall StGB und des Vergehens der Bandenbildung gemäß § 278 Abs. 1 StGB zu der massiven unbedingten Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Dieses Urteil habe auch vor dem obersten Gerichtshof Bestand gehabt. Besonders erschwerend sei vom Gericht die einschlägige Vorstrafe, die Faktenmehrheit, das Vorliegen mehrfacher Qualifikationen, nämlich der Bandenbildung und der Verwendung einer Waffe und die Verletzung des Opfers gewertet worden.

 

Auch diese schwere Verurteilung habe den Bw nicht davon abgehalten eine weitere Straftat zu begehen, wie das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 3. März 2006 beweisen würde.

Hier sei der Bw für schuldig befunden worden,

1.) das Verbrechen des Diebstahles durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Z1 und 2 StGB

2.) das Verbrechen der versuchten Brandstiftung nach den §§ 15 Abs. 1, 169 Abs. 1 StGB

3.) das Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB

4.) die Vergehen nach § 27 Abs. 1, 1. 2. und 6. Fall SMG.

 

Begangen zu haben und sei hiefür zu einer unbedingten Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten gerichtlich verurteilt worden. Besonders erwähnenswert erscheine der belangten Behörde die Verurteilung wegen versuchter Brandstiftung, wo der Bw in der Nacht vom 28. auf den 29. September 2005 in Hörsching im Lokal "Barbara" versucht habe, absichtlich eine Feuerbrunst herbeizuführen, indem er an mehreren Stellen des Lokales mit Streichhölzern Papierstapel angezündet habe sowie in den Mikrowellenherd, den Pizzaofen und das Backrohr mehrere Geschirrtücher gelegt und die genannten Elektrogeräte sowie Herdplatten eingeschaltet habe.

 

Gemäß § 61 Abs.4 Fremdenpolizeigesetz dürfe ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen sei, es sei denn der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als einer unbedingten zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden oder würde einen der in § 60 Abs. 2 Z12 bis Z14 bezeichneten Tatbestand verwirklichen.

 

In seinem Fall sei festzuhalten, dass er starke familiäre Bindungen zu Österreich habe. Andererseits sei der Bw einmal zu einer fünfeinhalbjährigen und einmal zu einer zweieinhalbjährigen unbedingten Haftstrafe verurteilt worden. Nach Verbüßung der ersten Haftstrafe sei ihm die Möglichkeit eingeräumt worden, ein neues Leben zu beginnen und sich in Österreich zu integrieren. Er habe jedoch weiterhin Straftaten begangen, was zu einer neuerlichen massiven Verurteilung geführt habe. Somit könne seitens der belangten Behörde keine günstige Zukunftsprognose abgegeben werden, da nicht auszuschließen sei, dass der Bw neuerlich straffällig werde. Gerade die gewaltsamen Raubüberfälle und die versuchte Brandstiftung würden eine erhebliche Gefährdung der in Österreich lebenden Menschen darstellen.

 

Aus den oben angeführten Tatsachen sei nicht nur die im § 60 Abs.1 Fremdenpolizeigesetz umschriebene Annahme gerechtfertigt, sondern das Aufenthaltsverbot auch im Lichte des § 66 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz gerechtfertigt. Von der Ermessensbestimmung des § 60 Abs. 1 Fremden­polizeigesetz müsse schon aufgrund der hohen Gefahr der Begehung von strafbaren Handlungen Gebrauch gemacht werden.

 

Da unter Abwägung aller oben angeführten Tatsachen – im Hinblick auf die für seinen Aufenthalt im Bundesgebiet zu stellende negative Zukunftsprognose – die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthalts­verbotes wesentlich schwerer zu wiegen scheinen würden, als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine Lebenssituation, sei das Aufenthaltsverbot auch zulässig im Sinn des § 61 und 66 Fremdenpolizeigesetz.

 

Die Dauer des Aufenthaltsverbotes werde mit unbefristet festgelegt, da derzeit nicht abzusehen sei, wann die Gründe, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes geführt hätten, weggefallen seien. Aus dem sich der belangten Behörde darstellenden Persönlichkeitsbild sei klar, dass der Bw über ein erhebliches Potential an krimineller Energie verfüge.

 

Sollten diese Gründe vor Ablauf dieser Zeit wegfallen, stehe dem Bw das Rechtsinstitut des § 65 Fremdenpolizeigesetz jederzeit offen.

 

Gemäß § 64 Abs. 2 AVG könne die Behörde die aufschiebende Wirkung einer Berufung ausschließen, wenn die vorzeitige Vollstreckung im Interesse des öffentlichen Wohles wegen Gefahr im Verzug dringend geboten sei.

Bei Fremden, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten würden, dürfe gemäß § 64 FPG die aufschiebende Wirkung einer Berufung gegen ein Aufenthaltsverbot nur ausgeschlossen werden, wenn die sofortige Ausreise des Fremden im Interesse der öffentlichen Ordnung oder aus Gründen der nationalen Sicherheit erforderlich sei. Die Begehung weiterer Straftaten könne angesichts des vorliegenden Sachverhaltes nicht ausgeschlossen werden. Der Bw habe auch keine Möglichkeit seinen Aufenthalt im Inland zu legalisieren. Es sei somit einer allfälligen Berufung die aufschiebende Wirkung abzuerkennen.

 

1.2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Berufung vom 2. Mai 2008. Darin führt der Bw aus, dass er seit seiner Geburt in Österreich lebe und verweist hinsichtlich der Ausführungen zu seiner Integration auf seine Stellungnahme vom 10. Dezember 2007. Es stimme, dass er die Straftaten begangen habe.

 

Der Bw verweist jedoch auf die §§ 84 ff FPG. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sei nur zulässig, wenn der Bw aufgrund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde. Das persönliche Verhalten müsse eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen. Strafrechtliche Verurteilungen alleine würden nicht ausreichen. Der Bw führt weiter aus, dass er weder tatsächlich, gegenwärtig oder erheblich eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Er arbeite derzeit im Schichtbetrieb bei der Firma M I, Personals. GmbH & Co, L. Der Bw nehme darüber hinaus an einer Gruppentherapie in der Forensischen Ambulanz in Linz teil. In diesen 14tägig stattfindenden Sitzungen setze sich der Bw intensiv mit seiner Persönlichkeit und Straffälligkeit auseinander, um künftig ein delikt- und straffreies Leben führen zu können.

 

Um zu zeigen, dass der Bw an seiner Entschuldung und damit auch an einer Schadenswiedergutmachung sehr interessiert sei, übermittle er Zahlscheine seiner bisherig geleisteten Zahlungen (u.a. Uniqa, Schaden Cafe Haid). Er bezahle auch an seine frühere Lebensgefährtin R-P monatlich 200 Euro. Im Falle eines Aufenthaltsverbotes müsste diese mit Schulden in Höhe von 15.000 Euro bei der Bank Austria bezahlen, weil sie als Bürgin für den Kredit des Bw haften würde. Abschließend stellt der Bw fest, dass er hoffe, das Aufenthaltsverbot gegen ihn werde nicht durchgesetzt. Er habe in der Türkei keine Zukunftsperspektiven und wolle hier in Österreich als integrierter, arbeitender und anständiger Bürger leben und sich eine tragfähige Zukunft aufbauen.

 

1.3. Mit Bescheid vom 19. Mai 2008 (Zl. St 104/08) gab die Sicherheitsdirektion für das Land Oberösterreich dieser Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid.

 

1.4. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Februar 2009, Zl. 2008/21/0508-10, wurde einer Beschwerde gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion stattgegeben und der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben. Das Erkenntnis des Höchstgerichts legt dar, dass der Bw die Berechtigung nach Art. 7 des Beschlusses des – durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten – Assoziationsrates vom 19. September 1980, Nr. 1/80, über die Entwicklung der Assoziation (ARB) hat, weshalb zur Entscheidung über das Aufenthaltsverbot der Unabhängige Verwaltungssenat berufen ist.

 

 

2. Mit Schreiben vom 18. März 2009 wurde der gegenständliche Verwaltungsakt dem Oö. Verwaltungssenat von der Sicherheitsdirektion des Landes Oberösterreich vorgelegt.

 

2.1. Mit Schreiben des Oö. Verwaltungssenates vom 6. April 2009 wurde dem Bw – nunmehr offensichtlich rechtsfreundlich vertreten – Parteiengehör bis längstens 15. April 2009 eingeräumt.

 

2.2. Mit Schreiben vom 15. April 2009 nahm der rechtsfreundliche Vertreter des Bw das Parteiengehör wahr und führte u.a. aus, dass der Bw seit seiner frühzeitigen Entlassung aus der Strafhaft bis vor 2 Wochen einer sozial­versicherungs­pflichtigen Beschäftigung nachgegangen, nun aber wegen der angespannten wirtschaftlichen Lage gekündigt worden sei.

 

Der Bw besuche eine Gruppentherapie der forensischen Ambulanz in Linz und sei bestrebt, den von ihm verursachten Schaden gutzumachen. Es werde ersucht zu berücksichtigen, dass auch die Strafbehörden von einer positiven Zukunfts­prognose ausgegangen seien, indem sie den Bw bedingt entlassen und Bewährungs­hilfe angeordnet hätten. Auch auf Grund der Gruppentherapie sei davon auszugehen, dass der Bw keinerlei weitere strafbaren Handlungen begehen werde. Die letzte Straftat habe der Bw zudem in einem Zustand verminderter Zurechnungsfähigkeit begangen.

 

Vor dem Hintergrund all dieser Umstände, aber auch des Umstandes, dass dem Bw durchaus bewusst sei, dass im Falle einer weiteren strafbaren Handlung er mit einer langjährigen Haftstrafe sowie nach Beendigung derselben mit der sofortigen Außerlandesschaffung zu rechnen habe, könne von einer positiven Zukunftsprognose gesprochen werden, sodass es der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht bedürfe.

 

Im Hinblick auf die geschilderte Integration, insbesondere die Dauer des Aufenthaltes und des Familienlebens in Österreich könne auch die Interessensabwägung des § 66 FPG zu Gunsten des Bw vorgenommen werden.

 

2.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde und – wie eben dargestellt zusätzlich dem Bw . Parteiengehör eingeräumt.

 

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine solche nicht erforderlich war, nachdem sich der Sachverhalt zweifelsfrei - und vom Bw im Übrigen auch nicht substantiell widersprochen - aus der Aktenlage und der Stellungnahme des Bw ergibt, im Verfahren im Wesentlichen die Beurteilung von Rechtsfragen strittig ist und die Akten erkennen lassen, dass eine weitere mündliche Erörterung eine tiefgreifendere Klärung der Sache nicht erwarten lässt. Im Übrigen liegt kein darauf gerichteter Parteienantrag vor (§ 67d AVG).

 

2.4. Der Oö. Verwaltungssenat geht bei seiner Entscheidung von dem unter den Punkten 1.1., 1.2. und 2.2. dargestellten Sachverhalt aus.

 

2.5. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (vgl. § 67a Abs. 1 Z 1 AVG).

 

 

3. In der Sache hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1.1.  Gemäß § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) BGBl I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl I Nr. 29/2009 ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige dann zulässig, wenn aufgrund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

 

3.1.2. Beim Bw handelt es sich um einen türkischen Staatsangehörigen, der seit seiner Geburt in Österreich aufhältig war. Es ist völlig unbestritten und auch von einem einschlägigen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes bestätigt, dass der Bw Rechte nach Art.6 Abs.1 3. Untersatz und Art. 7 2. Untersatz des Assoziationsratsbeschlusses (ARB) 1/1980 geltend machen kann. In die dem Bw dadurch zukommende Rechtstellung kann nach der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften zu Art.14 ARB nur unter den gleichen Voraussetzungen eingegriffen werden, unter denen ein Eingriff in die gemeinschaftsrechtlich gewährleistete Freizügigkeit von Arbeitnehmern aus Mitgliedsstaaten zulässig ist. Die gemeinschaftsrechtlichen Beschränkungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes finden sich in § 86 FPG und sind im vorliegenden Fall anwendbar. Im Folgenden wird der Einfachheit halber die Differenzierung und eigene Anführung als Assoziationsabkommensbegünstigter bei den rechtlichen Erwägungen nicht durchgängig angeführt.

 

3.2. § 86 FPG enthält Sonderbestimmungen für die Erlassung von Aufenthaltsverboten für EWR-Bürger. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtslage vor dem 1. Jänner 2006 durfte gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthalts­verbot nämlich nur erlassen werden, wenn die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Z 1 FrG erfüllt waren. Dabei war § 36 Abs. 2 FrG als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehen (vgl. Verwaltungsgerichtshof vom 13. Oktober 2000, 2000/18/0013).

 

Demgemäß sind auch die – von der belangten Behörde herangezogenen - §§ 60 ff FPG als bloßer Orientierungsmaßstab für § 86 FPG anzusehen.

 

3.3. Gemäß § 60 Abs.2 Z1 FPG 2005 hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs.1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einem wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

 

Gemäß § 61 Z. 3 FPG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs.1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 verliehen hätte werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mindestens einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden oder er würde einen der in § 60 Abs.2 Z12-14 bezeichneten Tatbestände verwirklichen.

 

Gemäß § 61 Z4 FPG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als einer unbedingten zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden oder würde einen der in § 60 Abs.2 Z12-14 bezeichneten Tatbestände verwirklichen.

 

Würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist das Aufenthaltsverbot gemäß § 66 FPG 2005 zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art.8 Abs.2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

3.4. Es ist nun nach dem festgestellten Sachverhalt zunächst völlig klar, dass der Bw vom Landesgericht Linz:

1.) unter Zl. Hv 155/95 vom 11. Jänner 1996, rechtskräftig seit 16. Jänner 1996          gemäß §§ 136 Abs. 1, 127, 129 Abs. 3, 130, 135 Abs. 1 und 3 StGB zu einer   bedingten Freiheitsstrafe von 3 Monaten;

2.) unter Zl. Hv 5/99 vom 9. April 1999, rechtskräftig seit 25. November 1999     gemäß §§ 142 Abs. 1, 143, 278 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten        Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten;

3.) unter Zl. 28 Hv 5/2006D vom 3. März 2006, rechtskräftig seit 7. März 2006 gemäß §§ 127, 129 Abs. 1 und 2, 169 Abs. 1, 125 StGB, § 27 Abs. 1 (1. 2.    und 6. Fall) zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs    Monaten;

verurteilt wurde.

 

Sohin ist § 60 Abs. 2 Z. 1 fraglos und in hohem Maße gegeben. Die Ausnahme­bestimmungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 61 Z. 3 und § 61 Z. 4 kommen per se nicht zum Tragen, da über den Bw eben eine langjährige unbedingte Haftstrafe verhängt wurde, die die in den genannten Bestimmungen angeführten Haftdauern bei weitem übersteigt. Dabei sei aber angemerkt, dass ebenfalls völlig außer Zweifel steht, das der Bw ansonsten wegen der Tatsache, dass er schon in Österreich geboren wurde und wegen seines ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalts, unter diese Bestimmungen fallend anzusehen wäre.

 

Grundsätzlich ist somit § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt, was im Übrigen auch vom Bw nicht in Abrede gestellt wird.

 

3.5.1. Wie oben angeführt (vgl. § 86 Abs. 1 FPG), muss das persönliche Verhalten des Bw zur rechtmäßigen Erlassung eines Aufenthaltsverbotes die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden und eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

 

Die Verhinderung von Straftaten gerade im so sensiblen Bereich der Eigentumsdelikte, insbesondere wenn sie in der hier vorliegenden massiven form gegeben sind, zählt unbestritten zum Grundinteresse der Gesellschaft, auf dem die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit basieren. Dies gilt aber auch besonders für die aktenkundige versuchte Brandstiftung, die ein äußerst brutales und Personen schädigendes Verhalten des Bw offenbart; diese Feststellung ist nicht wesentlich dadurch gemildert, dass der Bw diese Brandstiftung in einem durch Suchtmittel beeinträchtigten Zustand beging, da prinzipiell die kriminelle Energie, die keinerlei Rücksicht auf den - im vorliegenden Fall als logische Folge der Tat im Falle ihrer Vollendung – zu erwartenden Personenschaden nahm, per se bestand und durch die Bewusstseinseinschränkung nur zum vollen Tragen kam.

 

Aber auch bei den zuvor begangenen Straftaten zeichnete sich der Bw durch äußerst brutales - Personenschäden in Kauf nehmendes – Verhalten aus, das Waffenverwendung und Bandenbildung miteinschloss.

 

3.5.2. Im vorliegenden Fall ist jedoch zu überprüfen, ob das Verhalten des Bw eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefährdung des o.a.  Grundinteresses darstellt.

 

Maßgeblich ist somit nicht primär, dass eine strafgerichtliche Verurteilung - bzw. hier mehrere strafgerichtliche Verurteilungen - ausgesprochen wurden, sondern dass im Sinne einer Prognoseentscheidung das gegenwärtige und zukünftige Verhalten einer Person im Lichte einer strafgerichtlichen Verurteilung rechtlich zu würdigen ist. Es ist also im konkreten Einzelfall zu analysieren, ob davon ausgegangen werden kann, dass sich der Bw hinkünftig rechtskonform verhalten wird. Dabei sind die Umstände der von ihm begangenen Tat (hier der begangenen Taten) zu beleuchten.

 

3.5.3. Es zeugt fraglos von beträchtlicher krimineller Energie - gleich mehrfach – schwere Eigentumsdelikte zu setzen. Bei offenen Raubüberfällen, wenn sie noch dazu bewaffnet durchgeführt werden, wird von vorne herein vom Täter zumindest in Kauf genommen, dass er zur Erreichung seines widerrechtlichen Ziels Gewalt anwenden muss. Alleine dazu erfolgt ja die gezeigte Machtdemonstration in Form vorgehaltener Waffen. Erschwerend kommt hier dazu, dass der Bw im Rahmen einer Bande straffällig wurde. Auch von gerichtlicher Seite wurde insbesondere der Umstand gewürdigt, dass im rahmen der Straftaten Personen verletzt wurden, was eine hohe Gewaltbereitschaft dokumentiert. Diese findet in der versuchten Brandstiftung einen unrühmlichen Höhepunkt.

 

3.5.4. Schon in seiner Berufung, aber auch vor allem im Rahmen des Parteiengehörs bringt der Bw vor, dass in seinem Fall die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes nicht notwendig sei, um ihn an der Begehung weiterer Straftaten in Österreich zu hindern, da er sich sowohl der Konsequenzen eines erneuten Straffällig-Werdens bewusst sei als auch gegenwärtig Bewährungshilfe sowie auch eine forensische Gruppentherapie in Anspruch nehmen würde. Darüber hinaus sei er bemüht den Schaden wieder gut zu machen. An diesen Feststellungen hegt das erkennende Mitglied des Oö. Verwaltungssenates zunächst grundsätzlich keinen Zweifel und anerkennt die diesbezüglichen Bemühungen des Bw.

 

Im Gegenzug ist jedoch festzustellen, dass – betrachtet man den bisherigen Verlauf der Straffälligkeiten des Bw – auffällt, dass die einzelnen Straftaten gerade zwischen den letzten beiden Verurteilungen nicht unmittelbar im Anschluss an die vorhergegangene Inhaftierung erfolgten. Es kann also nicht aus dem Umstand, dass der Bw seit seiner letzten frühzeitigen Entlassung aus der Strafhaft noch nicht wieder straffällig wurde, geschlossen werden, dass nunmehr das oben beschriebene Gefährdungspotential vom Bw nicht mehr ausgeht und die damals unbestritten in hohem Maße vorhandene kriminelle Energie nicht mehr vorliegt.

 

Weiters ist dem Bw zu entgegnen, dass eine drohende Abschiebung in die Türkei, nach der Verbüßung seiner langjährigen Haftstrafe als Folge der Verurteilung im Jahr 1999 ihn nicht von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abgehalten hat, weshalb dieses nun vom Bw vorgebrachte Argument nicht unreflektiert herangezogen werden kann.

 

Gegen die behauptete Resozialisierung des Bw spricht, dass er immer wieder straffällig wurde, vornehmlich im Bereich von Eigentumsdelikten. Wenn er auch anführt nun professionelle Hilfe zumindest 14-tägig aufzusuchen, reicht dies alleine noch nicht aus, um die Annahme zu rechtfertigen, er habe seine kriminelle Einstellung bis dato völlig geändert. Die frühzeitige Entlassung aus der Strafhaft und die Anordnung der Bewährungshilfe per se sind ebenfalls nicht geeignet, das vom Bw ausgehende Gefährdungspotential auszuschließen.

 

Auch die Tatsache, dass der Bw um eine Wiedergutmachung der Schäden, die sein bisheriges Verhalten verursachte, bemüht ist, schließt per se nicht aus, dass er – bei passender Gelegenheit zukünftig wieder straffällig werden würde.

 

3.5.5. Weiters kann durch den längeren Zeitraum, der Begehung der verschiedenen Delikte, nicht davon ausgegangen werden, dass die kriminelle Motivation bloß punktuell und kurzfristig bestand, sondern von ihm bewusst gewählt wurde. Bezeichnend ist darüber hinaus, dass die Delikte zumeist offensichtlich nicht "Inspiration eines Augenblicks", sondern gut geplante Aktionen voraussetzten.

 

3.5.6. Ohne den Grundsatz in dubio pro reo außer Acht zu lassen, folgt das erkennende Mitglied des Oö. Verwaltungssenates der Ansicht der belangten Behörde, dass das Verhalten des Bw auch zum jetzigen bzw. zukünftigen Zeitpunkt eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefährdung des Grundinteresses der Gesellschaft an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, der Verhinderung von Straftaten sowie des Schutzes der Gesundheit von Menschen und den Schutz von Rechten Dritter bildet; dies sogar in einem durchaus hohen Maß.

 

Allerdings ist auch festzustellen, dass es der Bw selbst in der Hand hat, innerhalb  eines gewissen "Beobachtungszeitraums" den beabsichtigten Weg der Änderung seiner bisherigen Verhaltensmuster erfolgreich abzuschließen, was – aus derzeitigem Blickwinkel – doch einige Jahre benötigen wird, wobei erst dann von einer positiven Prognose zu sprechen sein wird.

 

Es ist dem Bw also nicht ausreichend gelungen darzulegen, dass das oben beschriebene Gefährdungspotential gegenwärtig und auch zukünftig nicht von ihm ausgehen werde.

 

Festzuhalten ist also, dass die Verhängung des Aufenthaltsverbotes gegen den Bw in § 86 Abs. 1 FPG durchaus Deckung findet. Darüber hinaus ist diese Maßnahme jedoch auch unter den Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit und des gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Grundrechts auf den Schutz des Privat- und Familienlebens zu beurteilen.

 

3.6.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist allerdings ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts gemäß Abs. 1 (nur) statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

3.6.2. Grundsätzlich ist vorerst – der belangten Behörde im Übrigen folgend – festzuhalten, dass die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes massiv in das Privat- und Familienleben des Bw eingreift.

 

Er lebt seit seiner Geburt in Österreich, ging hier zur Schule, absolvierte seine Lehre im Bundesgebiet und war hier seither aufhältig und zumindest teilweise beruflich tätig. Auch seine Familienmitglieder leben – nach seinen Angaben – allesamt in Österreich. Er ist offensichtlich der deutschen Sprache mächtiger als der seines Heimatstaates.

 

Sein Lebensumfeld ist also Österreich. An diesen Feststellungen hegt auch das erkennende Mitglied des Oö. Verwaltungssenates keine Zweifel, wenn auch von einer zumindest emotionalen Bindung des Bw zur Türkei ausgegangen werden kann, da er ansonsten seine Intention zur Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft in der Vergangenheit wohl intensiver betrieben haben würde. Festzuhalten ist aber auch, dass die vom Bw in der Berufung geltend gemachte Verlobung und beabsichtigte Heirat zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr konkretisiert sind.

 

Dennoch ist von einem hohen Grad der Integration des Bw in Österreich auszugehen.

 

3.6.3. Es steht aber auch außer Zweifel, dass von den in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Schutzgütern die Verhinderung von Straftaten und der Schutz der Rechte und Freiheiten Dritter durch das oben prognostizierte Verhalten des Bw im Hinblick auf das Prinzip des "ordre public" berührt und gefährdet sind. Weiters ist in konsequenter Subsumtion des Art. 8 Abs. 2 EMRK anzumerken, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes - unter den entsprechenden Bedingungen – eine gesetzlich vorgesehene Maßnahme darstellt.

 

Nun ist eine konkrete Interessensabwägung und Gewichtung vorzunehmen (vgl. § 66 FPG und Art. 8 Abs. 2 EMRK), in deren Rahmen die Gefährdung der Schutzgüter des Art. 8 Abs. 2 EMRK und die Massivität des Eingriffs in das Grundrecht des Bw gegenüber zu stellen sind.

 

3.6.4. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK sind gemäß der mit 1. April 2009 novellierten Fassung des § 66 Abs. 2 FPG insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3. die Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens;

4. der Grad der Integration;

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl- Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

 

Nach Abs. 3 leg. cit. ist über die Zulässigkeit der Ausweisung jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Ausweisung schon allein aufgrund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein gemeinschaftsrechtliches oder unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

 

Diese Bestimmung ist auch auf Aufenthaltsverbote anzuwenden - § 60 Abs.6 FPG, wobei diese Verweisung im § 86 FPG dezidiert nicht vorgenommen wird – aus der Systematik des FPG jedoch auch auf Aufenthaltsverbote gemäß § 86 FPG anzuwenden sein wird.

 

Was hier nicht zum Ausdruck gebracht wird, vom Bw jedoch (nach der alten Fassung des § 66 Abs. 2 FPG) intendiert sein hätte können, ist, dass bei einem besonders hohen Grad des Vorliegens der in § 66 Abs. 2 FPG auf das Privat- und Familienleben bezogenen, genannten Umstände die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes von vorne herein nicht mehr zulässig sei. Vielmehr bedarf es der schon erwähnten Gegenüberstellung der Interessen in besonders intensiver Form, wobei hier auch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu beobachten ist. Eine anders lautende Interpretation von § 66 Abs. 2 FPG würde – auch unter Bedachtnahme auf eventuelle Einflüsse von Seiten des Gemeinschaftsrechts oder der Europäischen Menschenrechtskonvention – diese Gesetzesbestimmung ad absurdum führen.

 

3.6.5. Beide Interessenssphären sind im vorliegenden Fall besonders stark betroffen. Dazu wird vorerst auf die Punkte 3.6.2. und 3.6.3. verwiesen und noch weiter ausgeführt:

 

Der Aufenthalt des Bw ist langjährig und weist– mit Ausnahme der unter Punkt 1 der Interessensauflistung wohl nicht zu berücksichtigenden Straftaten -  keine Merkmale auf, die dessen Art und Weise in Zweifel ziehen würden. Das Familienleben zu seinen Eltern und Geschwistern, aber auch sein vermutlicher Bekannten- und Freundeskreis und sein soziales Umfeld finden ihre Anknüpfung in Österreich. Diese Sphäre ist auch unbestrittener Maßen schützenswert. Wie schon oben dargestellt, ist aber auch zu berücksichtigen, dass der Bw bzw. zunächst seine Eltern für ihn – trotz seines langjährigen Aufenthalts hier auch schon vor den seine Einbürgerung erschwerenden Straffälligkeiten – offensichtlich auf Grund einer zumindest emotionalen Bindung an den Heimatstaat Türkei die Einbürgerung in Österreich nicht allzu massiv betrieben. Ader Bw war Zeit seines Lebens – nach eigenen Angaben ca. 7 Monate in der Türkei aufhältig, was entgegen seiner Angaben - doch auf eine gewisse Nahebeziehung, entsprechende – wohl auch familiäre - Kontakte und zumindest rudimentäre Sprachkenntnisse schließen lässt.

 

Auf der anderen Seite stehen die schon eingehend beschriebenen öffentlichen Interessen, die im konkreten Fall unter der in Punkt 3.5. dieses Erkenntnisses dargestellten Weise – basierend auf einer ungünstigen Zukunftsprognose – gefährdet und betroffen sind.

 

3.6.6. Der belangten Behörde folgend erachtet das erkennende Mitglied des Oö. Verwaltungssenates – nach eingehender Abwägung der detailliert aufgeführten Kriterien des § 66 Abs. 2 FPG und darüber hinausgehend auch unter Berücksichtigung des Abs. 3 leg. cit. – die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes als bedeutender, denn die Interessenssphäre des Bw und seiner Familie. Dies vor allem deshalb, weil es der Bw selbst in der Hand gehabt hätte jegliche Berührung mit aufenthalts­beendenden Maßnahmen gegen seine Person hintan zu halten. Auch, wenn der Eingriff in das Privat- und Familienleben äußerst gravierend ist, müssen doch gewisse Konsequenzen zum Schutz öffentlicher Interessen Platz greifen, um letztere - im gesetzlichen Rahmen – zu gewährleisten. Eine dieser Konsequenzen ist das Instrument des Aufenthaltsverbotes. Wenn auch für den Bw und seine Angehörigen hart, wäre diese Konsequenz als eine der logischen Folgen seiner Verbrechen für den Bw durchaus nicht unvorhersehbar gewesen. Die fraglos berührten massiven Interessen des Privat- und Familienlebens finden jedoch Einfluss bei der Festsetzung der Höhe des Aufenthaltsverbotes.

 

Unter diesem Gesichtspunkt ist auch festzustellen, dass - wie in § 66 Abs. 3 gefordert – die Maßnahme auch unter den dort gesetzten Bedingungen zulässig ist.

 

Auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips kommt man zu den eben dargestellten Überlegungen, wodurch grundsätzlich die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Bw gerechtfertigt ist.

 

3.7. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit ist jedoch auch die Dauer der Befristung der verhängten Maßnahme rechtlich zu würdigen.

 

Gemäß § 63 Abs. 1 FPG kann ein Aufenthaltsverbot u.a. in den Fällen des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG unbefristet und sonst für die Dauer von höchstens 10 Jahren erlassen werden. Wiederum als Orientierungsmaßstab ist diese Bestimmung auch im vorliegenden Fall anzuwenden.

 

Gemäß § 63 Abs.2 FPG 2005 ist bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes oder des Rückkehrverbotes auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände bedacht zu nehmen. Die Frist beginnt mit Eintritt der Durchsetzbarkeit zu laufen.

 

Aus immanent zu berücksichtigenden gemeinschaftsrechtlichen Überlegungen ist eine Beschränkung der Grundfreiheiten von Unionsbürgern oder Begünstigten aus Assoziierungsabkommen möglichst maß- und zurückhaltend vorzunehmen. In diesem Sinn erachtet das erkennende Mitglied des Oö. Verwaltungssenates die von der belangten Behörde ausgesprochene unbefristete Dauer des Aufenthalts­verbotes als zu hoch bemessen und angesichts des prognostizierten Verhaltens als unverhältnismäßig. Ein "Beobachtungszeitraum" von zwei Jahren dürfte ausreichen um den Schutz der Rechtsgüter des § 86 Abs. 1 FPG zu gewährleisten und gleichzeitig möglichst schonend die Interessen des Bw und seiner Familienangehörigen an einer Resozialisierung seiner Person berücksichtigen. Die verhältnismäßig niedrige Dauer der Maßnahme soll den Bw auch in die Lage versetzen, nach Beendigung des "Beobachtungszeitraums" einen erfolgreichen "Neustart" im Bundesgebiet in Angriff zu nehmen.

 

Diese Frist entspricht dem Zeitraum, der vom erkennenden Mitglied des Oö. Verwaltungssenates als erforderlich erachtet wird, um den vom Bw beschrittenen Prozess seines Gesinnungs- und Wesenswandels tatsächlich Nachhaltigkeit zu verleihen, auf deren Basis erst eine günstigere Zukunfts­prognose gestellt werden kann.

 

3.8. Gemäß § 86 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen bei Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise des Fremden wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

 

Im Sinne dieser Bestimmung und im Hinblick darauf, dass die belangte Behörde das Aufenthaltsverbot nicht auf § 86 Abs. 1 FPG gestützt hatte und somit per se Abs. 3 leg. cit. nicht zur Anwendung brachte, war dem Bw der Aufschub nunmehr

vom Oö. Verwaltungssenat zu erteilen, da für die fristlose Durchsetzung der Maßnahme derzeit kein Anlass vorzuliegen scheint.

 

3.9. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

 

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

Hinweis: Im Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 13,20 Euro (Eingabegebühr) angefallen; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

Bernhard Pree

 

VwSen-720240/4/BP vom 21. April 2009

Fremdenpolizeigesetz, § 86 Abs. 1

Aufenthaltsverbot

 

Auch, wenn der Eingriff in das Privat- und Familienleben äußerst gravierend ist, müssen doch gewisse Konsequenzen zum Schutz öffentlicher Interessen Platz greifen, um letztere - im gesetzlichen Rahmen – zu gewährleisten. Eine dieser Konsequenzen ist das Instrument des Aufenthaltsverbotes. Wenn auch für den Bw und seine Angehörigen hart, wäre diese Konsequenz als eine der logischen Folgen seiner Verbrechen für den Bw durchaus nicht unvorhersehbar gewesen.

 

Beachte:

Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgelehnt;

VwGH vom 14.06.2012, Zl. 2009/21/0144-9

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