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VwSen-100232/2/Weg/Ri

Linz, 29.11.1991

VwSen - 100232/2/Weg/Ri Linz, am 29.November 1991 DVR.0690392 Dr. G St, N a.A.; Straferkenntnis wegen Übertretung der StVO 1960 Berufung

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch das Mitglied Dr. Kurt Wegschaider über die Berufung des Dr. G St, Gemeindearztin N vom 25. Oktober 1991 gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 15. Oktober 1991, VerkR96-4403-1991, zu Recht:

Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verfahren eingestellt.

Rechtsgrundlage: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl.Nr. 51/1991 i.V.m. §§ 6, 24, 51 Abs.1 und 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), BGBl.Nr. 52/1991.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck hat mit dem in der Präambel zitierten Straferkenntnis über den Berufungswerber wegen der Verwaltungsübertretung nach § 20 Abs.2 StVO 1960 eine Geldstrafe von 1.200 S und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 48 Stunden verhängt, weil dieser am 12. September 1990 gegen 13.24 Uhr den PKW auf der Bundesstraße 151, auf der Höhe des Yachthafens, bei Strkm. 16,500, im Ortsgebiet von A in Richtung U gelenkt und dabei anstatt der dort erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h eine solche von 84 km/h gefahren ist. Außerdem wurde er zum Ersatz des Verfahrenskostenbeitrages in der Höhe von 120 S verpflichtet.

2. Gegen diese mittels Radar festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung wendet der Berufungswerber rechtfertigend ein, daß er an diesem Tage Herrn Dr. H K den Gemeindearzt von A, vertreten habe und auch dessen Patienten zu betreuen gehabt hätte. Er habe daher zu dieser Zeit sehr viele Visiten zu erledigen gehabt und war auch zu jenem Zeitpunkt, als der Patient G anrief, gerade unterwegs zu einem Hausbesuch gewesen. Seine Gattin habe den Anruf entgegengenommen. Dabei habe Herr G in diesem Telefongespräch gebeten, der Arzt möge dringend kommen, da es ihm sehr schlecht gehe. Er sei auf Grund des Ärztegesetzes zur Leistung erster Hilfe bei drohender Lebensgefahr verpflichtet und es müsse diese ärztliche Hilfe dem Bedrohten so rasch wie möglich zuteil werden. Er sei, weil es sich um einen 85-jährigen Patienten gehandelt habe der Überzeugung gewesen, daß ein äußerst dringlicher Fall vorliege und habe deswegen versucht, diesem Patienten so schnell wie möglich beizustehen. Bei der Fahrt zu diesem Patienten habe er die gegenständliche Geschwindigkeitsüberschreitung begangen.

3. Die Berufung ist rechtzeitig. Vom Instrumentarium der Berufungsvorentscheidung hat die Erstbehörde nicht Gebrauch gemacht. Damit ist die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates gegeben. Da bereits aus der Aktenlage ersichtlich war, daß die von der Erstbehörde aufgenommenen Beweise im Zweifel für den Beschuldigten sprechen und somit schon auf Grund der Aktenlage mit einer Aufhebung vorzugehen war, war keine mündliche Verhandlung anzuberaumen. (§ 51e Abs.1 VStG).

4. Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den von der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vorgelegten Akt. Daraus geht hervor, daß Dr. St den im Krankenhaus befindlichen Dr. K, den Gemeindearzt von A, vertreten hat. Der im Verfahren vor der ersten Instanz zeugenschaftlich vernommene Dr.K bestätigte, daß Herr G wegen seines schlechten Gesundheitszustandes laufend Hausbesuche und auch öfter dringende Visiten benötigte. Herr G hat sich damals in einem so schlechten körperlichen Zustand befunden, daß er schließlich in einem Pflegeheim untergebracht werden mußte. Dr. K meint, daß zum seinerzeitigen Zeitpunkt eine dringliche Visite sicherlich notwendig gewesen und die Verantwortung seines Vertreters glaubhaft ist. Herr G wurde im Wege des Gemeindeamtes A ebenfalls befragt. Dieser konnte sich auf Grund des zeitlichen Abstandes an dieses Ereignis nicht mehr erinnern. Er meinte aber, daß er damals keine dringende Visite benötigt habe.

5. Der unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

Wenn im Verfahren vor der ersten Instanz nicht mit Sicherheit erhoben werden konnte, daß eine Notstandsituation im Sinne des § 6 VStG vorlag, so ist dem entgegenzuhalten, daß es auf das tatsächliche Vorliegen einer solchen nicht unbedingt ankommt, sondern auch ein Putativnotstand die Anwendung des § 6 VStG rechtfertigt. Selbst wenn man annimmt, daß der Arzt irrtümlich eine Notstandssituation angenommen hat, so ist er entschuldigt, sofern dieser Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Notstandes nicht auf Fahrlässigkeit beruht, also ihm vorwerfbar ist. Der Berufungswerber nimmt, selbst wenn kein echter Notstand vorgelegen sein sollte - was zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr eruierbar ist - im Zweifel für den Beschuldigten einen ihn entschuldigenden Putativnotstand an. Gemäß § 6 VstG ist eine Tat nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt oder, obgleich sie dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt ist.

Bei der Beurteilung der Frage, ob eine (wenn auch putative) Notstandssituation gemäß § 6 VStG gegeben ist, ist vom Vorliegen einer Interessenskollision auf seiten eines Arztes dann auszugehen, wenn dieser im Sinne der Bestimmungen des Ärztegesetzes verpflichtet ist, ärztliche Hilfe zu leisten. Es ist ferner Voraussetzung, daß die begangene Tat, hier die Geschwindigkeitsüberschreitung, das einzige Mittel ist, um der schweren unmittelbaren Gefahr (vermeintliche lebensbedrohliche Situation des Patienten) zu begegnen. Das Überschreiten der Geschwindigkeit bei der Fahrt zu dieser dringenden Visite war das aus der Sicht des Arztes einzige Mittel und wird bei der Abwägung der Rechtsgüter (Leben eines Patienten Geschwindigkeitsüberschreitung) als ein die Strafbarkeit ausschließender Notstand anerkannt.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist eine weitere Berufung unzulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden. Sie muß von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Wegschaider 6

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