Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401000/5/Gf/Mu

Linz, 11.05.2009

 

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Dr. Grof über die Beschwerde des F K, vertreten durch RA Dr. B R, S, wegen Anhaltung in Schubhaft durch den Bezirkshauptmann von Vöcklabruck zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird stattgegeben; es wird festgestellt, dass die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vom 30. April bis 6. Mai 2009 rechtswidrig war.

II. Der Bund (Verfahrenspartei: Bezirkshauptmann von Vöcklabruck) hat dem Beschwerdeführer Kosten in Höhe von insgesamt 750,80 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Rechtsgrundlage:

§ 83 FPG; § 67c Abs. 3 AVG; § 79a AVG; § 1 UVS-AufwandersatzVO.

Entscheidungsgründe:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, ist unter Umgehung der Grenzkontrolle und ohne gültige Reisedokumente am 21. April 2009 ins Bundesgebiet eingereist und hat am selben Tag in Linz einen Asylantrag gestellt.

1.2. Mit Schriftsatz des Bundesasylamtes vom 23. April 2009, GZ 904752, wurde ihm gemäß § 29 Abs. 3 des Asylgesetzes mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, seinen Asylantrag abzuweisen und Konsultationen mit Tschechien, Bulgarien und Rumänien über seine Abschiebung in eines dieser Länder zu führen.

1.3. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 30. April 2009, Zl. Sich40-1944-2009, wurde über den Rechtsmittelwerber zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung und zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt und durch Über­stellung in das Polizeianhaltezentrum St. Pölten sofort vollzogen.

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass er in Österreich nicht aus eigenem bei der Fremdenpolizeibehörde vorstellig geworden, sondern vielmehr im Zuge einer Polizeikontrolle aufgegriffen worden sei. Außerdem habe er bereits im Jahr 2007 in Tschechien einen Asylantrag gestellt; dieser sei jedoch abgewiesen und der Beschwerdeführer in der Folge in seinen Heimatstaat abgewiesen worden. Auf Grund seines nunmehrigen Wissens um die Konsultationsverhandlungen samt drohender nachfolgender Abschiebung in einen dieser drei Staaten in Verbindung mit seiner dezidierten Weigung, keinesfalls wieder nach Tschechien zurückkehren zu wollen, sei daher zu befürchten, dass er sich – in Freiheit belassen – dem im Zuge der Abschiebung erforderlichen zwangsweisen behördlichen Zugriff zu entziehen versuchen werde. Daher sowie auch deshalb, weil er für seine Reise bereits erhebliche finanzielle Mittel aufgewendet habe, deren Einsatz im Falle einer Abschiebung in seinen Heimatstaat vergeblich gewesen wäre, sei eine akute Fluchtgefahr anzunehmen. Weiters sei er alleinstehend und mangels sozialer Verpflichtungen – seine gesamte Familie befinde sich in seinem Heimatstaat – in seiner Lebensgestaltung sehr flexibel. Schließlich verfüge er weder über einen gemeldeten Aufenthalt oder einen ordentlichen Wohnsitz noch über die erforderlichen finanziellen Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts. Aus allen diesen Gründen sei auch die Anordnung von gelinderen Mitteln anstelle der Schubhaft nicht in Betracht zu ziehen gewesen.

1.4. Gegen seine Anhaltung in Schubhaft richtet sich die vorliegende, ebenfalls am 6. Mai 2009 beim Oö. Verwaltungssenat eingegangene Beschwerde.

Darin wird vorgebracht, dass sich der Rechtsmittelwerber in der Grundversorgung befunden und sich nicht strafbar gemacht habe. Außerdem habe er keine Handlungen gesetzt, die die Annahme rechtfertigen würde, dass eine akute Fluchtgefahr bzw. die Gefahr eines Untertauchens in der Anonymität bestehe, sodass anstelle der Anhaltung auch gelindere Mittel zur Zweckerreichung geeignet gewesen wären. Insbesondere gäbe es für den Beschwerdeführer auch keinen triftigen Grund, zu befürchten, dass er in naher Zukunft tatsächlich nach Tschechien abgeschoben würde, weil die Frage, ob dieser Staat für die Bearbeitung seines Asylantrages zuständig sei, erst noch rechtsverbindlich geklärt werden müsse, was geraume Zeit in Anspruch nehmen werde.

Daher wird die kostenpflichtige Feststellung der Rechtswidrigkeit der Schubhaftverhängung und stattdessen die Anordnung gelinderer Mittel beantragt.

1.5. Noch am selben Tag wurde der Rechtsmittelwerber aus der Schubhaft entlassen und bei der Erstaufnahmestelle West einquartiert.

1.6. Mit Schriftsatz vom 7. Mai 2009, GZ Sich40-1944-2009, hat die belangte Behörde dem Oö. Verwaltungssenat den Bezug habenden Akt des fremdenpolizeilichen Verfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Darin wird ergänzend darauf hingewiesen, dass am 6. Mai 2009 bekannt geworden sei, dass Tschechien und Rumänien einer Übernahme des Rechtsmittelwerbers nicht zugestimmt hätten. Da sohin anzunehmen sei, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers nicht zurückgewiesen werden kann, sondern sein Asylverfahren zuzulassen sein wird, habe sich sohin dessen weitere Anhaltung in Schubhaft nicht mehr als tunlich erwiesen.

2. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der BH Vöcklabruck zu Zl. Sich40-1944-2009; da sich bereits aus diesem in Verbindung mit dem Parteienvorbringen der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ und die Verfahrensparteien einen entsprechenden Antrag nicht gestellt haben, konnte im Übrigen gemäß § 83 Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 4/2008 (im Folgenden: FPG), von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Nach § 82 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 29/2009 (im Folgenden: FPG), hat ein Fremder, gegen den die Schubhaft ange­ordnet wurde, das Recht, den Unabhängigen Verwaltungssenat u.a. mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit seiner Anhaltung in Schubhaft anzurufen.

Gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 und 3 FPG können auch Asylwerber u.a. zu dem Zweck festgenommen und in Schubhaft angehalten werden, wenn gegen diese nach den Bestimmungen des AsylG bereits ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde – wobei nach § 29 Abs. 3 Z. 4 und 5 des Asylgesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 29/2009 (im Folgenden: AsylG), ein Ausweisungsverfahren ex lege als eingeleitet gilt, wenn dem Asylwerber (formlos) mitgeteilt wurde, dass beabsichtigt ist, seinen Asylantrag entweder zurück- oder abzuweisen – oder gegen ihn bereits zuvor eine durchsetzbare Ausweisung verhängt worden ist.

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat die Behörde jedoch von der Anordnung der Schubhaft Abstand zu nehmen, wenn sie Grund zu der Annahme hat, dass deren Zweck durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Als in diesem Sinne gelinderes Mittel kommt gemäß § 77 Abs. 3 FPG insbesondere die Anordnung in Betracht, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen oder sich in perio­dischen Abständen bei einem bestimmten dem Fremden zuvor bekannt gegebenen Polizei­kommando zu melden.

3.2. Im gegenständlichen Fall lag seit dem 23. April 2009 eine Mitteilung gemäß § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG (s.o., 1.2.) und somit ex lege ein eingeleitetes Ausweisungsverfahren vor. Damit waren die formalen Voraussetzungen für die Anordnung der Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z. 2 3 FPG gegeben.

3.3. Hinsichtlich der Frage, ob die Inschubhaftnahme auch in inhaltlicher Hinsicht rechtmäßig war, insbesondere, ob diese dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entsprach, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die von der belangten Behörde unter Berücksichtigung aller Begleitumstände gezogene Schlussfolgerung, dass es sich beim Rechtsmittelwerber der Sache nach in Wahrheit bloß um einen sog. "Wirtschaftsflüchtling" handelt, zumindest nicht völlig abwegig ist (siehe auch unten, 3.3.5.).

3.3.1. Da jedoch eine gesetzliche Regelung, die konkret jene Konstellation regelt, wie die Behörden mit bloßen Wirtschaftsflüchtlingen umzugehen haben, (zumindest bislang nach wie vor) fehlt, muss insoweit zur Lösung der damit verbundenen Rechtsprobleme auf die allgemeinen fremdenrechtlichen Grundsätze zurückgegriffen werden. Weil nun diesbezüglich nicht unterschieden wird, kann daher über Fremde, die formell – nämlich durch Stellung eines Asylantrages – als Asylwerber anzusehen sind, grundsätzlich auch dann die Schubhaft verhängt werden, wenn diese materiell betrachtet in erster Linie als Wirtschaftsflüchtlinge zu gelten haben.

Andererseits unterliegt aber eine derartige Anhaltung – wiederum mangels bestehender Sondervorschriften – denselben Regelungen, wie sie generell für fremden­polizeiliche aufenthaltsbeendende Maßnahmen gelten. Dies bedeutet zum einen, dass zunächst sämtliche formellen Voraussetzungen für die konkret in Aussicht genommene aufenthaltsbeendende Maßnahme (hier: der Schubhaftgrund des §  76 Abs. 2 Z. 2 FPG – siehe dazu oben, 3.2.) vorliegen müssen (vgl. zur "finalen Determinierung" der Schubhaft, d.h. dass diese nur aus den in § 76 Abs. 1 und 2 FPG taxativ genannten Gründen verhängt werden darf, z.B. VwGH vom 20. Dezember 2007, Zl. 2006/21/0359, und vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0067). Darüber hinaus darf sich die Anhaltung – was in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen ist – nicht als eine unverhältnismäßige Maßnahme erweisen und nur im Sinne einer ultima-ratio-Maßnahme zum Einsatz gebracht werden (vgl. VfGH v. 15. Juni 2007, B 1330/06), d.h. dass die alternative Heranziehung gelinderer Mittel nur dann nicht zum Tragen kommt, wenn das Sicherungsbedürfnis anders nicht erreichbar ist (vgl. VwGH vom 24. Oktober 2007, Zl. 2007/21/0370). Diesbezüglich hat der Verwaltungs­gerichtshof z.B. in seinem Erkenntnis vom 28. Juni 2007, Zl. 2004/21/0003, einer Schubhaftbeschwerde unter Hinweis auf seine mit der dg. Entscheidung vom 22. Juni 2006, Zl. 2006/21/0081, geänderte Recht­sprechung, wonach allein das Vorliegen einer vollstreckbaren aufenthaltsbeenden­den Maßnahme sowie von strafgerichtlichen Verur­teilungen (weil die Inschubhaftnahme nicht der Aufdeckung, Verhinderung oder Sanktionierung von Straftaten dienen darf; vgl. VfSlg 13715/1994 und VwGH v. 22. November 2007, 2006/21/0189) und einer fehlenden Ausreise­willigkeit (insbesondere, solange noch nicht feststeht, ob die Abschiebung zulässig und die Ausreise zu überwachen ist sowie ein konkreter Sicherungsbedarf besteht) für die Tragfähigkeit der Prognose, dass sich der Asylwerber dem weiteren fremden­polizeilichen Verfahren entziehen werde, nicht mehr hinreichen, stattge­geben.

3.3.2. Insgesamt besehen bewirkt so das Fehlen gesonderter, auf Wirtschafts­flüchtlinge bezogener gesetzlicher Bestimmungen in der Praxis gerade in jenen aus rechtlicher Sicht in aller Regel unproblematischen Fällen, wo die Fremden bereits in einem anderen Staat einen Asylantrag gestellt haben, dass diese faktisch i.d.R. nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand wieder außer Landes geschafft werden können, weil die Behörden dazu verpflichtet und gleichzeitig darauf angewiesen sind, Rechtsvorschriften anwenden zu müssen, die nicht sachadäquat sind. Denn das auf der Genfer Flüchtlingskonvention fußende Asylrecht hat nur die Regelung der Rechtsstellung von aus politischen, rassischen, religiösen o.ä. Gründen verfolgten Personen zum Gegenstand, nicht aber von solchen, die ihren Heimatstaat in der Absicht verlassen, in einem anderen Staat bessere ökonomische Bedingungen vorzufinden und zu diesem Zweck auch eine Umgehung von formellen Einreisebestimmungen, einen Missbrauch des Asylrechts u.a. in Kauf nehmen.

Mangels (bislang) anders lautender Rechtsvorschriften ist jedoch allein der Umstand, dass sich ein Fremder in diesem Sinne rechtsmissbräuchlich verhält, diesem nur dann und selbst in jenem Fall nur insoweit „anlastbar“, als dies entsprechend gesetzlich vorgesehen ist. So kann z.B. wegen illegaler Einreise ins Bundesgebiet eine Verwaltungsstrafe verhängt, ein Ausweisungsverfahren eingeleitet, ein Asylantrag mangels Zuständigkeit eines anderen Staates zurückgewiesen, etc. werden – es vermögen also Einzelmaßnahmen gesetzt werden, die jedoch seitens der Fremdenbehörde stets nur situationsangepasst zum Einsatz gebracht werden können und damit auch keine Gewähr dafür bieten, dass sie (isoliert oder in ihrem Zusammenwirken) das beabsichtigte Ziel auch tatsächlich erreichen; insbesondere darf die Schubhaftverhängung nicht als eine "Standardmaßnahme" gegen Asylwerber (vgl. VwGH vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0239) oder als eine präventive Vorbereitungshandlung zur erfolgreichen Durchführung der Abschiebung (vgl. VwGH vom 26. September 2007, Zl. 2004/21/0150) zum Einsatz gebracht werden.

3.3.3. Diese dargestellte – zudem unter der Kautel des Art. 18 Abs. 1 B-VG, wonach die Handlungen der Behörde bei sonst drohendem Grundrechtseingriff stets einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, stehende – Rechtslage bedingt zunächst, dass, wie sich aus den zuvor angesprochenen Entscheidungen der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ergibt, eine generalisierende Betrachtungsweise von vornherein unzulässig ist. So darf z.B. aus dem Nichtvorhandensein von Bargeld nicht ausschließlich „unter Zugrundelegung allgemeiner Erfahrungssätze“ (vgl. nochmals VwGH vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0067) a priori darauf geschlossen werden, dass sich der Fremde, würde er in Freiheit belassen, die erforderlichen finanziellen Mittel durch illegale Arbeit beschaffen wird; und aus dem Nichtvorhandensein eines ordnungsgemäßen Wohnsitzes nicht darauf, dass er sich (allein deshalb) dem behördlichen Zugriff entziehen wird; und aus einer Einreise ohne die hiefür erforderlichen Dokumente darauf, dass er eine gegenüber der Rechtsordnung des Aufnahmestaates generell ablehnende oder zumindest gleichgültige Haltung einnimmt; etc.

Vielmehr muss die Fremdenpolizeibehörde, wenn sie – wie gegenständlich – als eine von mehreren Maßnahmen zur Außerlandesschaffung eines Fremden die Schubhaft anordnet, in jedem Einzelfall das Vorliegen der Voraussetzungen für diese gewählte aufenthaltsbeendende Maßnahme, sodann den aktuellen Sicherungsbedarf und schließlich noch konkret begründen, weshalb keine gelindere, in gleicher Weise zur Zielerreichung geeignete Maßnahme zum Tragen kommen konnte. Dabei sind beispielsweise die Fragen nach einer allfälligen beruflichen Tätigkeit und/oder einer – allenfalls auch wechselnden – Wohnmöglichkeit im Inland (bei Verwandten oder Bekannten) als Aspekte der sozialen Integration des Fremden jeweils von Amts wegen zu ermitteln (vgl. VwGH vom 26. September 2007, Zl. 2004/21/0150).

3.3.4. Davon ausgehend ist zunächst der zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung der Ausweisung sowie zur Sicherung der Abschiebung konkret erforderliche Sicherungsbedarf zu prüfen.

Ein solcher ist offenkundig generell umso größer, je weiter fortgeschritten dieses Verfahren bereits ist und dabei einem negativen Ausgang zustrebt: Ein Sicherungsbedarf wird daher regelmäßig – d.h. aber, wenn keine konkreten Umstände vorliegen, die eine gegenteilige Annahme rechtfertigen (wie z.B. eine amtsbekannt langdauernde Übermittlung von Heimreisezertifikaten durch bestimmte Staaten) – dann zu bejahen sein, wenn dem Fremden ein Ausweisungsbescheid zugestellt wird, mit dem gleichzeitig die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung ausgeschlossen wurde, weil ihm dann jedenfalls klar sein muss, dass er regelmäßig in kurzer Zeit zwangsweise außer Landes geschafft werden wird, wenn er das Bundesgebiet nicht freiwillig verlässt (bzw. verlassen kann). Aus dieser Zwangslage könnte er sich dann i.d.R. eben nur dadurch befreien, dass er sich dem behördlichen Zugriff faktisch zu entziehen versucht, was gerade durch die Verhängung der Schubhaft verhindert werden soll.

Umgekehrt ist aber – gleichsam am gegenüberliegenden Extrem – ein derartiges Sicherungsbedürfnis beispielsweise regelmäßig dann nicht gegeben, wenn ein Aufenthalts- oder Ausweisungsverfahren noch nicht über das Stadium der persönlichen Einvernahme eines Fremden, der sich etwa bisher legal in Österreich aufgehalten und hier über einen Wohnsitz und ein regelmäßiges Einkommen verfügt hat, hinausgekommen ist. Bei einer im Lichte des Art. 5 MRK und des PersFrSchG gebotenen verfassungskonformen Interpretation kann daher ein Bedürfnis zu „Sicherung des Verfahrens“ in § 76 Abs. 2 FPG nicht allein schon deshalb, weil ein solches Verfahren zumindest bereits formell eingeleitet worden ist, angenommen werden, sondern es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Notwendigkeit der Sicherung eines derartigen Verfahrens durch eine freiheitsentziehende Maßnahme umso größer ist, je näher sich dieses einem negativen Abschluss nähert bzw. umgekehrt aus grundrechtlicher Sicht stets umso weniger gerechtfertigt erscheint, je weiter es von einem derartigen Ergebnis noch entfernt bzw. dessen Ausgang überhaupt offen ist.

3.3.5. Im gegenständlichen Fall war gegen den Rechtsmittelwerber bis zum Zeitpunkt der Schubhaftverhängung nur eine Mitteilung dahin ergangen, dass sein Asylantrag voraussichtlich zurückzuweisen sein wird und Konsultationsverhandlungen mit Tschechien, Rumänien und Bulgarien geführt werden.

Objektiv besehen sprach dabei zwar Manches für die Annahme, dass es sich beim Beschwerdeführer in Wahrheit nicht um einen Asylwerber, sondern um einen bloßen Wirtschaftsflüchtling handelt, nämlich insbesondere, dass er sich – seinen eigenen Angaben zufolge – nach seiner Abschiebung aus Tschechien über ein Jahr unbehelligt in seinem Heimatstaat aufhielt, nunmehr für seine Reise von der Türkei nach Österreich 7.500 Euro bezahlen musste und zudem keine Hinweise dafür vorliegen, dass er bei einer Rückkehr in seinen Heimatstaat eine gravierende Strafe oder sonstige Sanktionen zu befürchten hätte (vgl. z.B. die Niederschrift des Stadtpolizeikommandos Linz vom 21. April 2009, GZ E1/21528/2009-Wie, S. 5).

Dennoch stellte sich zum Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft die Situation für den Rechtsmittelwerber damit insgesamt besehen nicht so dar, dass er bereits in Kürze mit seiner faktischen zwangsweisen Außerlandesschaffung zu rechnen hatte. Denn zum einen trifft sein Einwand, dass die nach der Dublin-Verordnung erforderlichen Konsultationsverhandlungen in der Regel einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen, zu; und zum anderen bot auch die bloße Mitteilung, dass sein Asylantrag voraussichtlich zurückzuweisen sein wird, für ihn offensichtlich noch keinen derart triftigen Grund dafür, sich unmittelbar dem behördlichen Zugriff zu entziehen, um eine allfällige zwangsweise Abschiebung zu verhindern oder sie zumindest zu erschweren.

3.3.6. In objektiver Hinsicht wurden von der Fremdenpolizeibehörde der Sache nach weiters die Illegalität der Einreise und des Aufenthalts, die Mittellosigkeit und die fehlende Unterkunftsmöglichkeit als einen Sicherungsbedarf begründende Argumente ins Treffen geführt.

In diesem Zusammenhang trifft zwar unbestritten zu, dass der Rechtsmittelwerber illegal nach Österreich eingereist ist und über keine gültigen Aufenthaltsdokumente sowie bloß über geringe Barmittel verfügt.

Aus ordnungsrechtlicher Sicht handelt es sich dabei jedoch bloß um Begatellvergehen; zudem hatte der Beschwerdeführer als Asylwerber im Zulassungsverfahren gemäß § 2 Abs. 1 des Grundversorgungsgesetzes, BGBl.Nr. 405/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 4/2008 (im Folgenden: GVG-B), einen Anspruch auf Versorgung in einer Betreuungseinrichtung des Bundes. Da es zudem nicht offensichtlich war, dass ein allfälliger Ausschlussgrund gemäß § 3 Abs. 1 GVG-B vorlag, konnte die belangte Behörde ohne zusätzliche konkrete Anhaltspunkte nicht in vertretbarer Weise von einer Mittellosigkeit und einer fehlenden Unterkunftsmöglichkeit ausgehen.

3.3.7. Andererseits hat der Beschwerdeführer weder ein entsprechendes Vorbringen dahin erstattet noch haben sich sonst entsprechende Hinweise dafür ergeben, dass er in Österreich in irgendeiner Weise sozial integriert wäre (sodass sich weitergehende amtswegige Ermittlungen in diese Richtung erübrigten; vgl. z.B. VwGH v. 17. März 2009, 2007/21/0542). Denn zum einen wurde er bereits unmittelbar nach seiner Einreise von Polizeiorganen betreten und zum anderen hat er bei seiner niederschriftlichen Einvernahme selbst angegeben, dass seine gesamte Verwandtschaft in der Türkei lebt und er im gesamten EU-Raum keine Angehörigen hat.

Vor diesem Hintergrund kann es daher auch nicht als rechtswidrig angesehen werden, wenn die belangte Behörde im Zuge der gemäß Art. 8 EMRK gebotenen Abwägung im konkret vorliegenden Fall die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber den dadurch beeinträchtigten privaten Interessen des Beschwerdeführers als höher stehend bewertet hat.

3.3.8. Zu prüfen bleibt jedoch, ob anstelle der Schubhaftverhängung nicht auch gelindere Mittel dazu hingereicht hätten, den mit der Schubhaft verfolgten Zweck in gleicher Weise sicherzustellen. Als ein in diesem Sinne gelinderes Mittel sieht § 77 Abs. 3 FPG insbesondere vor, dem Fremden aufzutragen, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen und/oder sich in periodischen Abständen bei einem ihm bekannt gegebenen Polizeikommando zu melden.

Berücksichtigt man – wie bereits zuvor angesprochen (vgl. oben, 3.3.5. und 3.3.6.) –, dass der Rechtsmittelwerber hier nicht mit seiner unmittelbar bevorstehenden Abschiebung rechnen musste und zudem auch einen Anspruch auf Grundversorgung hatte, dann sprechen insbesondere unter dem Aspekt, dass eine Freiheitsentziehung nach Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG stets nur eine ultima-ratio-Maßnahme darstellen darf – sodass die Bestimmung des § 77 Abs. 1 FPG auch nicht als eine Ermächtigung zu einer Ermessensentscheidung, sondern vielmehr als eine Rechtsentscheidung aufzufassen ist – gerade diese beiden Umstände dafür, dass im vorliegenden Fall jedenfalls im Sinne einer Erstmaßnahme gelindere Mittel in gleicher Weise dazu hingereicht hätten, um den mit der Schubhaftverhängung beabsichtigten Zweck zu realisieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn man in diesem Zusammenhang auch die höchstgerichtliche Judikatur, wonach die Schubhaftverhängung beispielsweise nicht als eine "Standardmaßnahme" gegen Asylwerber oder als eine präventive Vorbereitungshandlung zur erfolgreichen Durchführung der Abschiebung zum Einsatz gebracht werden darf (vgl. oben, 3.3.2.; s.a. 3.3.1. und 3.3.3.), in die Überlegungen mit einbezieht.

Erst wenn auf Grund konkreter Anhaltspunkte offenbar geworden wäre, dass gelindere Mittel wie z.B. der Auftrag, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen und/oder sich in periodischen Abständen bei einem ihm bekannt gegebenen Polizeikommando zu melden, tatsächlich nicht dazu hingereicht hätten, um die Durchführung des fremdenpolizeilichen Verfahrens ordnungsgemäß zu gewährleisten, hätte in einem zweiten Schritt die Schubhaft als eingriffsintensivere Maßnahme angewendet werden dürfen.

Im gegenständlichen Verfahren hat die belangte Behörde jedoch zunächst nicht einmal den Versuch unternommen, gelindere Mittel anstelle der Schubhaftverhängung anzuwenden und im weiteren Verlauf die hier vertretende Ansicht faktisch selbst dadurch bestätigt, dass sie am 6. Mai 2009 die Schubhaft aus eigenem aufgehoben und den Rechtsmittelwerber in die Bundesbetreuung übernommen hat, obwohl das Konsultationsverfahren mit Bulgarien derzeit noch offen ist (bzw. möglicherweise gar nicht mehr weitergeführt wird).

3.4. Aus diesen Gründen hatte der Oö. Verwaltungssenat daher gemäß § 83 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG in Stattgebung der gegenständlichen Beschwerde festzustellen, dass die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vom 30. April bis 6. Mai 2009 rechtswidrig war.

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Bund als Rechtsträger der belangten Behörde (Verfahrenspartei: Bezirkshauptmann von Vöcklabruck) dazu zu verpflichten, dem Beschwerdeführer nach § 79a Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 AVG i.V.m. § 1 Z. 1 der UVS-Aufwandersatzverordnung, BGBl.Nr. II 456/2008, antragsgemäß Kosten in Höhe von insgesamt 750,80 Euro (Gebühren: 13,20 Euro; Schriftsatzaufwand: 737,60 Euro) zu ersetzen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweise:

1.             Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

2.             Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in einer Höhe von 13,20 Euro entstanden; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

Dr.  G r o f

Rechtssatz:

 

VwSen-401000/4/Gf/Mu vom 11. Mai 2009

 

Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG; § 77 FPG

Weil der Fremde nicht mit seiner unmittelbar bevorstehenden Abschiebung rechnen musste und zudem auch einen Anspruch auf Grundversorgung hatte, sprechen selbst bei fehlender sozialer Integration gerade diese beiden Umstände dafür, dass hier jedenfalls im Sinne einer Erstmaßnahme gelindere Mittel in gleicher Weise dazu hingereicht hätten, um den mit der Schubhaftverhängung beabsichtigten Zweck zu realisieren; dies gilt insbesondere auch dann, wenn man in diesem Zusammenhang die höchstgerichtliche Judikatur, wonach die Schubhaftverhängung beispielsweise nicht als eine "Standardmaßnahme" gegen Asylwerber oder als eine präventive Vorbereitungshandlung zur erfolgreichen Durchführung der Abschiebung zum Einsatz gebracht werden darf, in die Überlegungen mit einbezieht; erst in einem zweiten Schritt hätte die Schubhaft als eingriffsintensivere Maßnahme dann angewendet werden dürfen, wenn auf Grund konkreter Anhaltspunkte offenbar geworden wäre, dass die gelinderen Mittel tatsächlich nicht dazu hingereicht hätten, um die Durchführung des fremdenpolizeilichen Verfahrens ordnungsgemäß zu gewährleisten;

Die Bestimmung des § 77 Abs. 1 FPG ist insbesondere unter dem Aspekt, dass eine Freiheitsentziehung nach Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG stets nur eine ultima-ratio-Maßnahme darstellen darf, nicht als eine Ermächtigung zu einer Ermessensentscheidung, sondern vielmehr als eine Rechtsentscheidung zu qualifizieren.

 

 

 

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