Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401009/4/Gf/Mu

Linz, 15.05.2009

 

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Dr. Grof über die Beschwerde des S C, dzt. Polizeianhaltezentrum Wien, vertreten durch G S, W, 10 W, wegen Anhaltung in Schubhaft durch den Polizeidirektor von Wels seit dem 22. September 2009 zu Recht erkannt:

I. Die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft wird als rechtswidrig festgestellt.

II. Der Bund (Verfahrenspartei: Polizeidirektor von Wels) hat dem Beschwerdeführer Kosten in Höhe von insgesamt 750,80 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Rechtsgrundlage:

§ 83 FPG; § 67c Abs. 3 AVG; § 79a AVG; § 1 UVS-AufwandersatzVO.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 16. März 2006, GZ 1‑1053802/FRB/06, wurde über den Beschwerdeführer, einen am 17. September 2004 in Österreich eingereisten Staatsangehörigen von Gambia, ein seit dem 1. April 2006 rechtskräftiges Aufenthaltsverbot verhängt, nachdem zuvor sein Asylantrag mit Wirkung vom 3. Dezember 2005 abgewiesen worden war. Vom 17. März bis zum 16. April und ab dem 16. Juli 2006 befand sich der Rechtsmittelwerber in Schubhaft, aus der er schließlich am 6. Dezember 2006 mangels eines Heimreisezertifikates entlassen werden musste.

1.2. In der Folge wurde über ihn mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wegen zwei Übertretungen des Suchtmittelgesetzes eine Freiheitsstrafe von insgesamt 12 Monaten und zwei Tagen verhängt, die er unter Anrechnung von Vorhaften und nach bedingter Entlassung vom 9. April bis zum 22. September 2008 verbüßt hat.

1.3. Mit Bescheid des Polizeidirektors von Wels vom 22. September 2009, GZ 1-1025556/FP/08, wurde über den Rechtsmittelwerber zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung und zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt und durch Über­stellung in das Polizeianhaltezentrum Wels sofort vollzogen.

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass gegen ihn eine durchsetzbare Ausweisung des Bundesasylamtes bzw. ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot der BPD Linz bestehe. Außerdem sei er wegen zweier Drogendelikte rechtskräftig gerichtlich verurteilt worden. Da er über keinen ordentlichen Wohnsitz verfüge und zu befürchten sei, dass er sich – in Freiheit belassen – dem im Zuge der Abschiebung erforderlichen zwangsweisen behördlichen Zugriff zu entziehen versuchen werde, sei die Anordnung von gelinderen Mitteln anstelle der Schubhaft nicht in Betracht zu ziehen gewesen.

1.3. Ein im PAZ Wels gestellter neuerlicher Asylantrag wurde zunächst mit Bescheid des Bundesaslyamtes und in der Folge auch mit Entscheidung des Asylgerichtshofes, die am 31. Oktober 2008 in Rechtskraft erwachsen ist, als unzulässig zurückgewiesen.

1.4. Am 19. Jänner 2009 wurde dem Rechtsmittelwerber niederschriftlich mitgeteilt, dass sein Heimatstaat am 13. Oktober 2008 um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates ersucht worden, dieses jedoch bis dahin noch nicht eingelangt gewesen sei, sodass die Schubhaft gemäß § 80 Abs. 2 und 4 des Fremdenpolizeigesetzes um höchstens weitere 6 Monate verlängert wird.

1.5. Gegen seine Anhaltung in Schubhaft richtet sich die vorliegende, am 15. Mai 2009 beim Oö. Verwaltungssenat eingegangene Beschwerde.

Darin wird vorgebracht, dass er vom PAZ Wels ins PAZ Wien verbracht worden sei und sich nunmehr in gesetzwidriger Weise in Einzelhaft befinde. Außerdem dauere die Schubhaft insgesamt schon viel zu lange. Schließlich hätte der mit der Schubhaft verfolgte Zweck in gleicher Weise auch durch die Anordnung gelinderer Mittel – wie die Verpflichtung zur periodischen Meldung bei einer Polizeidienststelle – erreicht werden können, zumal er sich nunmehr schon seit zwei Jahren in Österreich aufhalte, hier Freunde habe und eine tatsächliche Abschiebung in seinen Heimatstaat offensichtlich ohnehin nicht realisierbar sei.

Daher wird die kostenpflichtige Feststellung der Rechtswidrigkeit der Schubhaftverhängung beantragt.

1.6. Mit Schriftsatz vom 15. Mai 2009, GZ 1-1025556/FP/09, hat die belangte Behörde dem Oö. Verwaltungssenat den Bezug habenden Akt des fremdenpolizeilichen Verfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.

Darin wird ergänzend darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer am 10. Februar 2009 als Angehöriger des Staates Gambia akzeptiert worden sei und daher die Ausstellung eines Heimreisezertifikates erfolgen werde, sodass die Abschiebung im April/Mai 2009 erfolgen könne.

2. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der BPD Wels zu GZ 1-1025556/FP/09; da sich bereits aus diesem in Verbindung mit dem Parteienvorbringen der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ und die Verfahrensparteien einen entsprechenden Antrag nicht gestellt haben, konnte im Übrigen gemäß § 83 Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 4/2008 (im Folgenden: FPG), von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Nach § 82 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 29/2009 (im Folgenden: FPG), hat ein Fremder, gegen den die Schubhaft ange­ordnet wurde, das Recht, den Unabhängigen Verwaltungssenat u.a. mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit seiner Anhaltung in Schubhaft anzurufen.

Gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 und 3 FPG können auch Asylwerber u.a. zu dem Zweck festgenommen und in Schubhaft angehalten werden, wenn gegen diese nach den Bestimmungen des AsylG bereits ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde – wobei nach § 29 Abs. 3 Z. 4 und 5 des Asylgesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 29/2009 (im Folgenden: AsylG), ein Ausweisungsverfahren ex lege als eingeleitet gilt, wenn dem Asylwerber (formlos) mitgeteilt wurde, dass beabsichtigt ist, seinen Asylantrag entweder zurück- oder abzuweisen – oder gegen ihn bereits zuvor eine durchsetzbare Ausweisung verhängt worden ist.

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat die Behörde jedoch von der Anordnung der Schubhaft Abstand zu nehmen, wenn sie Grund zu der Annahme hat, dass deren Zweck durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Als in diesem Sinne gelinderes Mittel kommt gemäß § 77 Abs. 3 FPG insbesondere die Anordnung in Betracht, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen oder sich in perio­dischen Abständen bei einem bestimmten dem Fremden zuvor bekannt gegebenen Polizei­kommando zu melden.

3.2. Im gegenständlichen Fall lag eine seit dem 14. November 2005 durchsetzbare Ausweisung des Bundesasylamtes, ein seit dem 1. April 2006 rechtskräftiges Aufenthaltsverbot der BPD Linz und eine seit dem 31. Oktober 2008 durchsetzbare Ausweisung des Asylgerichtshofes vor. Damit waren die formalen Voraussetzungen für die Anordnung der Schubhaft nach § 76 Abs. 2 Z. 2 3 FPG gegeben.

3.3. Hinsichtlich der Frage, ob die Inschubhaftnahme auch in inhaltlicher Hinsicht rechtmäßig war, insbesondere, ob diese dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entsprach, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die von der belangten Behörde unter Berücksichtigung aller Begleitumstände gezogene Schlussfolgerung, dass es sich beim Rechtsmittelwerber der Sache nach in Wahrheit bloß um einen sog. "Wirtschaftsflüchtling" handelt, zumindest nicht völlig abwegig ist (siehe auch unten, 3.3.5.).

3.3.1. Da jedoch eine gesetzliche Regelung, die konkret jene Konstellation regelt, wie die Behörden mit bloßen Wirtschaftsflüchtlingen umzugehen haben, (zumindest bislang nach wie vor) fehlt, muss insoweit zur Lösung der damit verbundenen Rechtsprobleme auf die allgemeinen fremdenrechtlichen Grundsätze zurückgegriffen werden. Weil nun diesbezüglich nicht unterschieden wird, kann daher über Fremde, die formell – nämlich durch Stellung eines Asylantrages – als Asylwerber anzusehen sind, grundsätzlich auch dann die Schubhaft verhängt werden, wenn diese materiell betrachtet in erster Linie als Wirtschaftsflüchtlinge zu gelten haben.

Andererseits unterliegt aber eine derartige Anhaltung – wiederum mangels bestehender Sondervorschriften – denselben Regelungen, wie sie generell für fremden­polizeiliche aufenthaltsbeendende Maßnahmen gelten. Dies bedeutet zum einen, dass zunächst sämtliche formellen Voraussetzungen für die konkret in Aussicht genommene aufenthaltsbeendende Maßnahme (hier: der Schubhaftgrund des §  76 Abs. 2 Z. 2 FPG – siehe dazu oben, 3.2.) vorliegen müssen (vgl. zur "finalen Determinierung" der Schubhaft, d.h. dass diese nur aus den in § 76 Abs. 1 und 2 FPG taxativ genannten Gründen verhängt werden darf, z.B. VwGH vom 20. Dezember 2007, Zl. 2006/21/0359, und vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0067). Darüber hinaus darf sich die Anhaltung – was in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen ist – nicht als eine unverhältnismäßige Maßnahme erweisen und nur im Sinne einer ultima-ratio-Maßnahme zum Einsatz gebracht werden (vgl. VfGH v. 15. Juni 2007, B 1330/06), d.h. dass die alternative Heranziehung gelinderer Mittel nur dann nicht zum Tragen kommt, wenn das Sicherungsbedürfnis anders nicht erreichbar ist (vgl. VwGH vom 24. Oktober 2007, Zl. 2007/21/0370). Diesbezüglich hat der Verwaltungs­gerichtshof z.B. in seinem Erkenntnis vom 28. Juni 2007, Zl. 2004/21/0003, einer Schubhaftbeschwerde unter Hinweis auf seine mit der dg. Entscheidung vom 22. Juni 2006, Zl. 2006/21/0081, geänderte Recht­sprechung, wonach allein das Vorliegen einer vollstreckbaren aufenthaltsbeenden­den Maßnahme sowie von strafgerichtlichen Verur­teilungen (weil die Inschubhaftnahme nicht der Aufdeckung, Verhinderung oder Sanktionierung von Straftaten dienen darf; vgl. VfSlg 13715/1994 und VwGH v. 22. November 2007, 2006/21/0189) und einer fehlenden Ausreise­willigkeit (insbesondere, solange noch nicht feststeht, ob die Abschiebung zulässig und die Ausreise zu überwachen ist sowie ein konkreter Sicherungsbedarf besteht) für die Tragfähigkeit der Prognose, dass sich der Asylwerber dem weiteren fremden­polizeilichen Verfahren entziehen werde, nicht mehr hinreichen, stattge­geben.

3.3.2. Insgesamt besehen bewirkt so das Fehlen gesonderter, auf Wirtschafts­flüchtlinge bezogener gesetzlicher Bestimmungen in der Praxis gerade in jenen aus rechtlicher Sicht in aller Regel unproblematischen Fällen, wo die Fremden bereits in einem anderen Staat einen Asylantrag gestellt haben, dass diese faktisch i.d.R. nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand wieder außer Landes geschafft werden können, weil die Behörden dazu verpflichtet und gleichzeitig darauf angewiesen sind, Rechtsvorschriften anwenden zu müssen, die nicht sachadäquat sind. Denn das auf der Genfer Flüchtlingskonvention fußende Asylrecht hat nur die Regelung der Rechtsstellung von aus politischen, rassischen, religiösen o.ä. Gründen verfolgten Personen zum Gegenstand, nicht aber von solchen, die ihren Heimatstaat in der Absicht verlassen, in einem anderen Staat bessere ökonomische Bedingungen vorzufinden und zu diesem Zweck auch eine Umgehung von formellen Einreisebestimmungen, einen Missbrauch des Asylrechts u.a. in Kauf nehmen.

Mangels (bislang) anders lautender Rechtsvorschriften ist jedoch allein der Umstand, dass sich ein Fremder in diesem Sinne rechtsmissbräuchlich verhält, diesem nur dann und selbst in jenem Fall nur insoweit „anlastbar“, als dies entsprechend gesetzlich vorgesehen ist. So kann z.B. wegen illegaler Einreise ins Bundesgebiet eine Verwaltungsstrafe verhängt, ein Ausweisungsverfahren eingeleitet, ein Asylantrag mangels Zuständigkeit eines anderen Staates zurückgewiesen, etc. werden – es vermögen also Einzelmaßnahmen gesetzt werden, die jedoch seitens der Fremdenbehörde stets nur situationsangepasst zum Einsatz gebracht werden können und damit auch keine Gewähr dafür bieten, dass sie (isoliert oder in ihrem Zusammenwirken) das beabsichtigte Ziel auch tatsächlich erreichen; insbesondere darf die Schubhaftverhängung nicht als eine "Standardmaßnahme" gegen Asylwerber (vgl. VwGH vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0239) oder als eine präventive Vorbereitungshandlung zur erfolgreichen Durchführung der Abschiebung (vgl. VwGH vom 26. September 2007, Zl. 2004/21/0150) zum Einsatz gebracht werden.

3.3.3. Diese dargestellte – zudem unter der Kautel des Art. 18 Abs. 1 B-VG, wonach die Handlungen der Behörde bei sonst drohendem Grundrechtseingriff stets einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, stehende – Rechtslage bedingt zunächst, dass, wie sich aus den zuvor angesprochenen Entscheidungen der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ergibt, eine generalisierende Betrachtungsweise von vornherein unzulässig ist. So darf z.B. aus dem Nichtvorhandensein von Bargeld nicht ausschließlich „unter Zugrundelegung allgemeiner Erfahrungssätze“ (vgl. nochmals VwGH vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0067) a priori darauf geschlossen werden, dass sich der Fremde, würde er in Freiheit belassen, die erforderlichen finanziellen Mittel durch illegale Arbeit beschaffen wird; und aus dem Nichtvorhandensein eines ordnungsgemäßen Wohnsitzes nicht darauf, dass er sich (allein deshalb) dem behördlichen Zugriff entziehen wird; und aus einer Einreise ohne die hiefür erforderlichen Dokumente darauf, dass er eine gegenüber der Rechtsordnung des Aufnahmestaates generell ablehnende oder zumindest gleichgültige Haltung einnimmt; etc.

Vielmehr muss die Fremdenpolizeibehörde, wenn sie – wie gegenständlich – als eine von mehreren Maßnahmen zur Außerlandesschaffung eines Fremden die Schubhaft anordnet, in jedem Einzelfall das Vorliegen der Voraussetzungen für diese gewählte aufenthaltsbeendende Maßnahme, sodann den aktuellen Sicherungsbedarf und schließlich noch konkret begründen, weshalb keine gelindere, in gleicher Weise zur Zielerreichung geeignete Maßnahme zum Tragen kommen konnte. Dabei sind beispielsweise die Fragen nach einer allfälligen beruflichen Tätigkeit und/oder einer – allenfalls auch wechselnden – Wohnmöglichkeit im Inland (bei Verwandten oder Bekannten) als Aspekte der sozialen Integration des Fremden jeweils von Amts wegen zu ermitteln (vgl. VwGH vom 26. September 2007, Zl. 2004/21/0150).

3.3.4. Davon ausgehend ist zunächst der zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung der Ausweisung sowie zur Sicherung der Abschiebung konkret erforderliche Sicherungsbedarf zu prüfen.

Ein solcher ist offenkundig generell umso größer, je weiter fortgeschritten dieses Verfahren bereits ist und dabei einem negativen Ausgang zustrebt: Ein Sicherungsbedarf wird daher regelmäßig – d.h. aber, wenn keine konkreten Umstände vorliegen, die eine gegenteilige Annahme rechtfertigen (wie z.B. eine amtsbekannt langdauernde Übermittlung von Heimreisezertifikaten durch bestimmte Staaten) – dann zu bejahen sein, wenn dem Fremden ein Ausweisungsbescheid zugestellt wird, mit dem gleichzeitig die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung ausgeschlossen wurde, weil ihm dann jedenfalls klar sein muss, dass er regelmäßig in kurzer Zeit zwangsweise außer Landes geschafft werden wird, wenn er das Bundesgebiet nicht freiwillig verlässt (bzw. verlassen kann). Aus dieser Zwangslage könnte er sich dann i.d.R. eben nur dadurch befreien, dass er sich dem behördlichen Zugriff faktisch zu entziehen versucht, was gerade durch die Verhängung der Schubhaft verhindert werden soll.

Umgekehrt ist aber – gleichsam am gegenüberliegenden Extrem – ein derartiges Sicherungsbedürfnis beispielsweise regelmäßig dann nicht gegeben, wenn ein Aufenthalts- oder Ausweisungsverfahren noch nicht über das Stadium der persönlichen Einvernahme eines Fremden, der sich etwa bisher legal in Österreich aufgehalten und hier über einen Wohnsitz und ein regelmäßiges Einkommen verfügt hat, hinausgekommen ist. Bei einer im Lichte des Art. 5 MRK und des PersFrSchG gebotenen verfassungskonformen Interpretation kann daher ein Bedürfnis zur „Sicherung des Verfahrens“ in § 76 Abs. 2 FPG nicht allein schon deshalb, weil ein solches Verfahren zumindest bereits formell eingeleitet worden ist, angenommen werden, sondern es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Notwendigkeit der Sicherung eines derartigen Verfahrens durch eine freiheitsentziehende Maßnahme umso größer ist, je näher sich dieses einem negativen Abschluss nähert bzw. umgekehrt aus grundrechtlicher Sicht stets umso weniger gerechtfertigt erscheint, je weiter es von einem derartigen Ergebnis noch entfernt bzw. dessen Ausgang überhaupt offen ist.

3.3.5. Im gegenständlichen Fall bestanden gegen den Rechtsmittelwerber bereits im Zeitpunkt der Schubhaftverhängung schon länger, nämlich schon über drei Jahre zurück liegende und rechtskräftige aufenthaltsbeendende Maßnahmen, die allerdings erst gegenwärtig kurz vor ihrer tatsächlichen Umsetzung stehen.

Damit stellte sich zumindest von Beginn an für den Rechtsmittelwerber die Situation so dar, dass er damals unmittelbar mit seiner faktischen zwangsweisen Außerlandesschaffung zu rechnen hatte.

3.3.6. In objektiver Hinsicht wurden von der Fremdenpolizeibehörde der Sache nach weiters die Illegalität der Einreise und des Aufenthalts, die Mittellosigkeit und die fehlende Unterkunftsmöglichkeit als einen Sicherungsbedarf begründende Argumente ins Treffen geführt.

In diesem Zusammenhang trifft zwar unbestritten zu, dass der Rechtsmittelwerber illegal nach Österreich eingereist ist und über keine gültigen Aufenthaltsdokumente sowie bloß über geringe Barmittel verfügt.

Aus ordnungsrechtlicher Sicht handelt es sich dabei allerdings bloß um Bagatellvergehen. Da es zudem nicht offensichtlich war, dass er bei seinen Freunden keine Unterkunftsmöglichkeit finden konnte, konnte die belangte Behörde ohne zusätzliche konkrete Anhaltspunkte sohin auch nicht in vertretbarer Weise von einer völligen Mittellosigkeit und dem Fehlen jeglicher Unterkunftsmöglichkeit ausgehen.

3.3.7. Andererseits hat der Beschwerdeführer selbst weder ein entsprechendes Vorbringen dahin erstattet noch haben sich sonst entsprechende Hinweise dafür ergeben, dass er in Österreich in intensiver Weise sozial integriert wäre (sodass sich weitergehende amtswegige Ermittlungen in diese Richtung erübrigten; vgl. z.B. VwGH v. 17. März 2009, 2007/21/0542), im Gegenteil: Er hat sogar aus eigem vorgebracht, dass er „die Freunde, die er hatte, schon beinahe 2 Jahre nicht mehr gesehen hat“; dies stelle sich allerdings als eine Folge seiner Straf- und Schubhaft dar. Weiters hat er selbst nicht darauf hingewiesen, dass bzw. ob Angehörige oder Verwandte hier in Österreich leben würden.

Vor diesem Hintergrund kann es damit grundsätzlich auch nicht als rechtswidrig angesehen werden, wenn die belangte Behörde im Zuge der gemäß Art. 8 EMRK gebotenen Abwägung im konkret vorliegenden Fall die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber den dadurch beeinträchtigten privaten Interessen des Beschwerdeführers als höher stehend bewertet hat.

3.3.8. Selbst wenn man – wie bereits zuvor angesprochen (vgl. oben, 3.3.5.) – berücksichtigt, dass der Rechtsmittelwerber anfangs zwar grundsätzlich mit seiner unmittelbar bevorstehenden Abschiebung rechnen musste, so muss man dennoch auch ins Kalkül ziehen, dass im vorliegenden Fall die Vorbereitungshandlungen offenkundig nicht immer mit der nötigen Zielstrebigkeit und dem nötigen Nachdruck am Laufen gehalten wurden und v.a. insgesamt besehen ungewöhnlich lange dauerten. Der Oö. Verwaltungssenat verkennt dabei nicht, dass die Gründe hiefür in erster Linie nicht im Bereich der Bundespolizeidirektion Wels lagen, sondern vielmehr den Vertretungsbehörden des Heimatstaates des Beschwerdeführers zuzurechen sind. Dies kann allerdings freilich nichts daran ändern, dass es im Ergebnis keinesfalls dazu kommen kann, dass letztlich der Rechtsmittelwerber die Auswirkungen derartiger Missstände zu tragen hätte.

Hier hat die Bundespolizeidirektion Wels nämlich bereits am 13. Oktober 2008 um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates ersucht. Aber erst nahezu fünf Monate später, nämlich am 10. Februar 2009, fand ein „Besuch einer Regierungsdelegation des Heimatstaates“ des Beschwerdeführers statt, in dessen Zuge seine Angehörigkeit zu Gambia festgestellt wurde. Gleichzeitig wurde aber mitgeteilt, dass ein Heimreisezertifikat nicht vor April 2009 ausgestellt werden könne. Und tatsächlich liegt ein solches bis dato (Mitte Mai) noch nicht vor.

Auf der anderen Seite dauert die Schubhaft nunmehr schon seit dem 22. September 2008 an, sodass die in § 80 Abs. 4 FPG vorgesehene Sechsmonatsfrist bereits seit dem 23. März 2009 abgelaufen ist. Diese könnte nach § 80 Abs. 4 erster und zweiter Satz FPG jedoch nur dann bis zu einer Dauer von höchstens zehn Monaten ausgedehnt werden, wenn die Nichtvornahme der Abschiebung dem Verhalten des Fremden zuzurechnen ist. Da dies aber im gegenständlichen Fall offenkundig schon deshalb nicht zutrifft, weil die Verzögerung – wie dargestellt – ausschließlich auf das Verhalten der Vertretungsbehörden seines Heimatstaates zurückzuführen ist, wäre die Anordnung der Schubhaft sohin schon aus diesem Grund aufzuheben gewesen.

3.3.9. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer bislang keinerlei Verhalten gesetzt hat, aus dem konkret und zugleich mit hoher Wahrscheinlichkeit zu schließen gewesen wäre, dass er sich umgehend dem behördlichen Zugriff zu entziehen versuchen würde, wenn er aus der Schubhaft entlassen werden würde. Daher bleibt auch noch zu prüfen, ob anstelle der Schubhaftverhängung nicht auch gelindere Mittel dazu hingereicht hätten, den mit der Schubhaft verfolgten Zweck in gleicher Weise sicherzustellen. Als ein in diesem Sinne gelinderes Mittel sieht § 77 Abs. 3 FPG insbesondere vor, dem Fremden aufzutragen, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen und/oder sich in periodischen Abständen bei einem ihm bekannt gegebenen Polizeikommando zu melden.

Mangels konkreter gegenteiliger Anhaltspunkte spricht insbesondere unter dem Aspekt, dass eine Freiheitsentziehung nach Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG stets nur eine ultima-ratio-Maßnahme darstellen darf – sodass die Bestimmung des § 77 Abs. 1 FPG auch nicht als eine Ermächtigung zu einer Ermessensentscheidung, sondern vielmehr als eine Rechtsentscheidung aufzufassen ist – gerade der Aspekt, dass er allenfalls bei den von ihm angeführten Freunden eine entsprechende Aufnahme finden könnte, dafür, dass im vorliegenden Fall jedenfalls im Sinne einer Erstmaßnahme gelindere Mittel in gleicher Weise dazu hingereicht hätten, um den mit der Schubhaftverhängung beabsichtigten Zweck zu realisieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn man in diesem Zusammenhang auch die höchstgerichtliche Judikatur, wonach die Schubhaftverhängung beispielsweise nicht als eine "Standardmaßnahme" gegen Asylwerber oder als eine präventive Vorbereitungshandlung zur erfolgreichen Durchführung der Abschiebung zum Einsatz gebracht werden darf (vgl. oben, 3.3.2.; s.a. 3.3.1. und 3.3.3.), in die Überlegungen mit einbezieht.

Erst wenn auf Grund konkreter Anhaltspunkte offenbar geworden wäre, dass gelindere Mittel wie z.B. der Auftrag, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen und/oder sich in periodischen Abständen bei einem ihm bekannt gegebenen Polizeikommando zu melden, tatsächlich nicht dazu hingereicht hätten, um die Durchführung des fremdenpolizeilichen Verfahrens ordnungsgemäß zu gewährleisten, hätte in einem zweiten Schritt die Schubhaft als eingriffsintensivere Maßnahme angewendet werden dürfen.

Im gegenständlichen Verfahren hat die belangte Behörde jedoch von Anfang an nicht einmal den Versuch unternommen, gelindere Mittel anstelle der Schubhaftverhängung anzuwenden und im weiteren Verlauf die hier vertretende Ansicht faktisch selbst dadurch bestätigt, dass sie ohnehin versucht hat, durch entsprechende Kontaktaufnahme mit einem gemeinnützigen Verein eine Wohnstelle für den Rechtsmittelwerber zu finden (vgl. den Aktenvermerk der BPD Wels vom 13. Februar 2009, GZ 1-1025556/FP/09).

3.4. Aus diesen beiden Gründen hatte der Oö. Verwaltungssenat sohin gemäß § 83 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG die Rechtswidrigkeit der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft festzustellen.

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Bund als Rechtsträger der belangten Behörde (Verfahrenspartei: Polizeidirektor von Wels) dazu zu verpflichten, dem Beschwerdeführer nach § 79a Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 AVG i.V.m. § 1 Z. 1 der UVS-Aufwandersatzverordnung, BGBl.Nr. II 456/2008, antragsgemäß Kosten in Höhe von insgesamt 750,80 Euro (Gebühren: 13,20 Euro; Schriftsatzaufwand: 737,60 Euro) zu ersetzen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweise:

1.             Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

2.             Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in einer Höhe von 13,20 Euro entstanden; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

Dr.  G r o f

Rechtssatz:

 

VwSen-401009/4/Gf/Mu vom 15. Mai 2009

 

Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG; § 80 Abs. 4 FPG; § 77 FPG

Schubhaftverhängung rechtswidrig, wenn diese einerseits über sechs Monate andauert und die Verzögerung der Abschiebung infolge Nichtausstellung des hiefür erforderlichen Heimreisezertifikates ausschließlich den Vertretungsbehörden des Heimatstaates des Fremden zuzurechnen ist und andererseits im Sinne einer Erstmaßnahme gelindere Mittel in gleicher Weise dazu hingereicht hätten, um den mit der Schubhaftverhängung beabsichtigten Zweck zu realisieren; dies gilt insbesondere auch dann, wenn man in diesem Zusammenhang die höchstgerichtliche Judikatur, wonach die Schubhaftverhängung beispielsweise nicht als eine "Standardmaßnahme" gegen Asylwerber oder als eine präventive Vorbereitungshandlung zur erfolgreichen Durchführung der Abschiebung zum Einsatz gebracht werden darf, in die Überlegungen mit einbezieht; erst in einem zweiten Schritt hätte die Schubhaft als eingriffsintensivere Maßnahme dann angewendet werden dürfen, wenn auf Grund konkreter Anhaltspunkte offenbar geworden wäre, dass die gelinderen Mittel tatsächlich nicht dazu hingereicht hätten, um die Durchführung des fremdenpolizeilichen Verfahrens ordnungsgemäß zu gewährleisten;

Die Bestimmung des § 77 Abs. 1 FPG ist insbesondere unter dem Aspekt, dass eine Freiheitsentziehung nach Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG stets nur eine ultima-ratio-Maßnahme darstellen darf, nicht als eine Ermächtigung zu einer Ermessensentscheidung, sondern vielmehr als eine Rechtsentscheidung zu qualifizieren.

 

 

 

 

 

 

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