Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401022/6/SR/Sta

Linz, 30.07.2009

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Stierschneider über die Beschwerde des A T, geboren am , marokkanischer Staatsangehöriger, vertreten durch M B, O G, S, wegen Rechtswidrigkeit der Anhaltung in Schubhaft durch die Bezirkshauptfrau von Steyr-Land zu Recht erkannt:

 

 

I.       Aus Anlass der Beschwerde werden der Schubhaftbescheid der belangten Behörde vom 3. Juli 2009 und die darauf beruhende Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft seit 6. Juli 2009 für rechtswidrig erklärt und festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen. 

 

II.     Der Bund (Verfahrenspartei: Bezirkshauptfrau von Steyr-Umgebung) hat dem Beschwerdeführer den notwendigen Verfahrensaufwand in der Höhe von 765,20 Euro (darin enthalten 13,20 Euro Eingabe- und 14,40 Euro Beilagengebühr) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§§ 82 Abs. 1 und 83 Abs. 2 und 4 Fremdenpolizeigesetz – FPG (BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 29/2009) iVm §§ 67c und 79a Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG und der UVS-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 456/2008.

Entscheidungsgründe:

 

1. Der Unabhängige Verwaltungssenat geht auf Grund der Aktenlage und der Gegenschrift in Verbindung mit der eingebrachten Beschwerde von folgendem Sachverhalt aus:

 

1.1. Dem Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf), geboren am , Staatsangehöriger von Marokko, wurde von der BPD Wien ab 29. Dezember 1998 eine "Aufenthaltserlaubnis als Student" erteilt. In der Folge wurde die Aufenthaltserlaubnis verlängert, obwohl der Bf praktisch nie Deutschkurse besucht und seinen Pflichten als Studierender nicht nachgekommen war. Am 31. Jänner 2001 hat der Bf die österreichische Staatsangehörige E M H geehelicht. Über Antrag erteilte die BPD Leoben eine Niederlassungsbewilligung (Familiengemeinschaft mit Österreicher); auch diese wurde mehrmals (bis einschließlich 28. Jänner 2005) verlängert. Seit 16. September 2006 (BG F, GZ 2C121/06X-6) ist der Bf rechtskräftig geschieden.

 

1.2. In den Zeiten "Dezember 2002 bis 20. August 2003", "November 2004 bis Jänner 2005" und "Oktober 2004 bis März 2005" hat der Bf an verschiedene Personen insgesamt rund 29.000 Gramm Cannabisharz und 800 Gramm Cannabiskraut gewinnbringend mit der Absicht weiterverkauft, sich durch den wiederkehrenden Verkauf übergroßer Mengen von Suchtgift eine fortlaufende Einkommensquelle zu erschließen und sich auf diese Art und Weise den Lebensunterhalt zu finanzieren bzw. aufzubessern.

 

Am 7. April 2005 wurde der Bf auf Grund eines Haftbefehles festgenommen, in die JA Graz-Jakomini eingeliefert und am 26. Jänner 2006 vom Landesgericht für Strafsachen Graz, GZ 8 Hv 130/05 i, zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt. Mildernd wurde dabei das umfassende und reumütige Geständnis und erschwerend der lange Deliktszeitraum, die einschlägige Vorverurteilung und die Anhaltung in Frankreich gewertet.

 

1.3. Zum Zwecke der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes hat die belangte Behörde mit Schreiben vom 7. März 2008 der BH Graz-Umgebung den Fremdenakt übermittelt.

 

1.4. Mit Bescheid vom 5. Mai 2008, GZ 2.2.T650/2001, hat der Bezirkshauptmann von Graz-Umgebung gegen den Bf ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen und gemäß § 64 Abs. 2 AVG einer allfälligen Berufung die aufschiebende Wirkung aberkannt. Da sich der Bf bereits zum Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes in der JA Garsten aufgehalten hat, wurde die belangte Behörde von der Bescheiderlassung unverzüglich verständigt. Die vom Rechtsvertreter des Bf, RA Dr. W L W, eingebrachte Berufung wies die Sicherheitsdirektion Steiermark mit Bescheid vom 18. März 2009, Zl. 2F 294/2008, ab und bestätigte den angefochtenen Bescheid. Dagegen hat der Rechtsvertreter des Bf, RA Dr. W L W, am 9. Juli 2009 Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben.

 

1.5. Im Hinblick auf den Anhörungstermin am 2. September 2008 hat das Landesgericht Steyr die belangte Behörde um Mitteilung ersucht, ob gegen den Bf ein Aufenthaltsverbot oder eine Abschiebeanordnung vorliegt. Mit Schreiben vom 15. Juli 2008 hat die belangte Behörde die gewünschte Auskunft erteilt.

 

1.6. Am 15. Mai 2009 wurde der belangte Behörde von der JA Garsten der bedingte Entlassungstermin des Bf bekannt gegeben. Weiters wurde mitgeteilt, dass der Bf auf Grund des laufenden Berufungsverfahrens nicht gewillt sei, freiwillig in sein Heimatland zurückzukehren. Über Ersuchen der belangten Behörde vom 2. Juni 2009 gab die Sicherheitsdirektion Steiermark bekannt, dass die Berufungsentscheidung bereits am 18. März 2009 ergangen und dagegen eine VfGH-Beschwerde eingebracht worden sei.

 

1.7. Laut Aktenvermerk vom 29. Juni 2009 lag dem Verfassungsgerichtshof zum Anfragezeitpunkt lediglich ein Antrag auf Verfahrenshilfe vor. Daraus schloss die belangte Behörde, dass das "Aufenthaltsverbot der BH Graz-Umgebung vom
5. Mai 2008 rechtskräftig" sei.

 

1.8. Mit Schreiben vom 3. Juli 2009 teilte die belangte Behörde dem Bf das Ergebnis der Beweisaufnahme, die Einleitung eines Ausweisungsverfahrens gemäß § 53 FPG und die beabsichtigte Schubhaftverhängung mit. Die Bestätigung der Übernahme der behördlichen Mitteilung wurde vom Bf am 4. Juli 2009 ohne Angabe von Gründen verweigert.

 

Der der PI Garsten am 3. Juli 2009 übermittelte Schubhaftbescheid wurde dem Bf am 6. Juli 2009 unmittelbar vor seiner Überstellung in das PAZ Wels ausgefolgt. Der Bf hat die Übernahme des Schubhaftbescheides bestätigt. Die belangte Behörde wurde davon am 10. Juli 2009 verständigt.

 

1.9. Mit Fax vom 3. Juli 2009 (Fax-Kennung: ...2009 13:58), eingelangt bei der belangten Behörde am 6. Juli 2009 (Eingangsstempel), teilte der Rechtsvertreter des Bf RA Dr. W L W (Vertreter in der "Fremdenrechtssache wegen Aufenthalt") mit, dass er auf Grund der Entscheidung der Sicherheitsdirektion Steiermark einen Verfahrenshilfeantrag beim Verfassungsgerichtshof eingebracht habe und über diesen noch nicht entschieden sei. Unter Hinweis auf das Verfahren des Bruders des Bf ersuche er die belangte Behörde, dass sie keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen setze und auch keine Schubhaft verhänge. Der Bf könne bei seiner Schwester in L Wohnsitz nehmen.

 

1.10. Im Aktenvermerk vom 7. Juli 2009 hielt die belangte Behörde fest, dass der Verein Menschenrechte mitgeteilt habe, dass kein Heimreisezertifikat vorliege und der Reisepass des Bf abgelaufen sei. Das PAZ Wels sei daher um Übermittlung der erforderlichen Unterlagen zur Beschaffung eines Heimreisezertifikates ersucht worden.

 

1.11. Mit Schreiben vom 7. Juli 2009 ersuchte die belangte Behörde das Bundesministerium für Inneres um Beantragung eines Heimreisezertifikates für den Bf.

 

1.12. Am !3. Juli 2009 teilte der Rechtsvertreter des Bf, RA Dr. W L W mit, dass der Verfassungsgerichtshof die Verfahrenshilfe bewilligt und er eine Verfassungsgerichtshofbeschwerde eingebracht habe. Über die beantragte aufschiebende Wirkung habe der Verfassungsgerichtshof noch nicht abgesprochen.

 

1.13. Dem Aktenvermerk vom 21. Juli 2009 ist zu entnehmen, dass der Bf von Herrn B, Verein J J, besucht worden ist. Im Gespräch mit dem Behördenvertreter habe Herr B erklärt, dass der Bf "in Hinkunft" von RA Dr. C R vertreten werde und dem Fremden 700 Euro in Rechnung gestellt würden. Eine unterfertigte Vollmacht werde der belangten Behörde übermittelt.

 

1.14. Laut Aktenvermerk vom 27. Juli 2009 langte im PAZ Wels eine Schubhaftbeschwerde ein.

 

1.15. Mit E-Mail vom 27. Juli 2009 urgierte die belangte Behörde das Heimreisezertifikat für den Bf und ersuchte um Mitteilung, bis wann mit der Ausstellung gerechnet werden könne.

 

2.1. Mit Bescheid vom 3. Juli 2009, GZen Sich41-7/20-2009, dem Bf am 6. Juli 2009 in der JA Garsten zu eigenen Handen zugestellt, wurde über ihn unmittelbar im Anschluss an seine Entlassung aus der Strafhaft zur Sicherung des Verfahrens Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 Z. 3 FPG verhängt.

 

Nach Wiedergabe der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen stellte die belangte Behörde fest, dass der Bf, ein Staatsangehöriger von Marokko, seit 1997 teilweise rechtmäßig in Österreich aufhältig, am 26. Jänner 2006 vom Landesgericht Graz wegen zahlreicher Verstöße gegen das Suchtmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt worden sei. Seit dem 20. Februar 2007 verbüße der Bf die Strafe in der JA Garsten.

 

Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Graz-Umgebung sei über den Bf ein unbefristetes Aufenthaltsverbot verhängt worden. Die dagegen erhobene Berufung habe die Sicherheitsdirektion Steiermark mit Bescheid vom 18. März 2009 abgewiesen und den angefochtenen Bescheid bestätigt. Es liege somit ein rechtskräftiges und durchsetzbares Aufenthaltsverbot vor. Eine freiwillige Rückkehr in seinen Herkunftsstaat habe der Bf wiederholt abgelehnt.

 

Derzeit halte sich der Bf nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung sowie zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung dieses Landes erscheine es auf Grund seiner Einstellung zur österreichischen Rechtsordnung sowie der daraus resultierenden gerichtlichen Verurteilungen und seines unrechtmäßigen Aufenthaltes im Gebiet der Republik Österreich gerechtfertigt, die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung anzuordnen. Er habe durch sein Gesamtverhalten eindeutig dokumentiert, an der Einhaltung der österreichischen Rechts- und Werteordnung kein Interesse zu haben. Die Summe dieser Gründe würden nicht dafür sprechen, dass er gewillt sei, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten. Auch liege ihm nicht viel daran, sich in die österreichische Gesellschaft zu integrieren, da er zuletzt keiner regelmäßigen Beschäftigung nachgegangen sei und er seinen Lebensunterhalt vorrangig durch die Begehung von strafbaren Suchtmitteldelikten oder durch die öffentliche Hand bestritten habe. Der Zweck der Schubhaft (Sicherung der Abschiebung) könne unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit nicht durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, weil auf Grund des dargestellten Sachverhaltes zu befürchten sei, dass er die geplanten bzw. aufenthaltbeendenden Maßnahmen verhindern bzw. zumindest zu erschweren versuchen werde. Auch habe der Bf die ihm angebotene freiwillige Rückkehr abgelehnt. Dies könne als ein weiteres Indiz angesehen werden, dass er keinesfalls freiwillig in sein Heimatland zurückkehren wolle. Nicht zuletzt auch aus diesem Grund seien im konkreten Fall die Voraussetzungen für § 77 FPG nicht erfüllt.

 

2.2. Mit Schriftsatz vom 21. Juli 2009, per E-Mail beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich am 27. Juli 2009 um 10.03 Uhr eingebracht, erhob der Bf durch seinen nunmehrigen Vertreter "Schubhaftbeschwerde" mit der Behauptung der "Rechtswidrigkeit der bisherigen Anhaltung" und beantragte neben dem Ersatz der Verfahrenskosten und der Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Feststellung, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine maßgeblichen Gründe für die weitere Anhaltung vorliegen würden.

Im ergänzenden Schreiben vom 27. Juli 2009 ersuchte der Vertreter die mündliche Verhandlung erst nach dem 6. August 2009 anzuberaumen, da er ab dem 28. Juli 2009 eine Woche auf Urlaub sei.

 

Zum Sachverhalt brachte der Vertreter vor, dass sich der Bf seit 1999 legal in Österreich aufhalte und seit 2001 geschieden sei. Wegen eines Suchtgiftdeliktes sei der Bf von Landesgericht Graz zu einer 5-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Nach der Verbüßung von 4 Jahren und 3 Monaten sei der Bf am 6. Juli 2009 entlassen und unverzüglich in Schubhaft genommen worden.

Die Schubhaft sei von einer offensichtlich unzuständigen Behörde verhängt worden, die es darüber hinaus unterlassen habe, gelindere Mittel anzuwenden. Hätte sie ordnungsgemäß ermittelt, wäre sie zum Schluss gekommen, dass infolge der zahlreichen Unterlagen und dem bisherigen Lebenswandel des Bf keine Schubhaft von Nöten gewesen wäre. Seit dem 30. Mai 2008 sei der Bf bei seiner Schwester gemeldet. Die Anmeldung habe u.a. dazu gedient, um im Entlassungsvollzug seine Interessen wahren bzw. sich auf das Leben in Freiheit vorbereiten zu können. Der Bf könne sich bei seiner Schwester aufhalten und würde von ihr verpflegt werden. Weiters habe der Bf über eine Arbeitsbestätigung verfügt, wonach er nach der Haftentlassung ein unselbständiges Beschäftigungsverhältnis beginnen hätte können. Bisher habe der Bf keine Vorkehrungen getroffen, um sich der etwaigen Abschiebung zu entziehen.

 

2.3. Nach Übermittlung der Schubhaftbeschwerde durch den Oö. Ver­waltungssenat am 27. Juli 2009 hat die belangte Behörde vorab den Schubhaftbescheid per E-Mail übermittelt und in der Folge ihre Bezug habenden Akten vorgelegt. Von der Erstattung einer Gegenschrift hat die belangte Behörde Abstand genommen.

 

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat nach Einsicht in den vorgelegten Verwaltungsakt festgestellt, dass bereits aus der Aktenlage der Sachverhalt hinlänglich geklärt ist. Da im Wesentlichen Rechtsfragen zu klären waren, konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

 

4.1.1. Nach § 82 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 29/2009 (im Folgenden: FPG), hat der Fremde das Recht, den unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn er

1. nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist;

2. unter Berufung auf dieses Bundesgesetz oder das Asylgesetz 2005 angehalten wird oder wurde oder

3. gegen ihn die Schubhaft angeordnet wurde.

 

Gemäß § 83 Abs. 1 FPG ist der unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung zuständig, in dessen Sprengel der Beschwerdeführer festgenommen wurde. Sofern die Anhaltung noch andauert, hat der unabhängige Verwaltungssenat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden (vgl. § 83 Abs. 4 FPG).

 

4.1.2. Dem Bf wurde am 6. Juli 2009 in der JA Garsten der Schubhaftbescheid der belangten Behörde ausgefolgt, anschließend wurde er in das PAZ Wels verbracht und wird seither in Schubhaft angehalten. Seine Beschwerde wegen der Anhaltung in Schubhaft im PAZ Wels ist zulässig.

 

4.2. Gemäß § 76 Abs. 1 FPG 2005 können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft nur verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

 

Die Schubhaft ist nach dem § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich mit Mandatsbescheid gemäß § 57 AVG anzuordnen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zur Erlassung des Bescheides aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft.

 

4.3. Obwohl der Bf lediglich die Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig erachtet, ist der unabhängige Verwaltungssenat im Hinblick auf § 83 Abs. 4 FPG gehalten, eine umfassende Beurteilung vorzunehmen.

 

4.3.1. Bei Vorliegen sämtlicher formeller Voraussetzungen für die konkret in Aussicht genommene aufenthaltsbeendende Maßnahme kann die Schubhaft auf  § 76 Abs. 1 FPG gestützt werden. 

Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist bei Eingriffen in das Recht auf persönliche Freiheit stets das unmittelbar anwendbare Gebot der Verhältnismäßigkeit zu beachten und die zuständige Fremdenpolizeibehörde hat in jedem Fall eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof folgert daraus, dass die die Schubhaft anordnende Behörde nachvollziehbar darzulegen hat, inwiefern die Anordnung der Schubhaft erforderlich ist, um den Sicherungszweck zu erreichen. In diesem Sinn seien auch die Überlegungen anzustellen, ob dem Sicherungszweck bereits durch die Anwendung gelinderer Mittel gemäß § 77 FPG entsprochen werden kann (siehe VwSen-401019/5/Wei/Se mit zahlreichen Verweisen). Im Erkenntnis vom
30. August 2007 hat der Verwaltungsgerichtshof zudem ausgeführt, dass dies im Ergebnis bedeute, dass die Schubhaft auch dann, wenn sie auf einen der Tatbestände des § 76 FPG gestützt werden soll, stets nur die ultima ratio sein darf.

 

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes verlangt die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit einer Schubhaft nach § 76 Abs. 1 FPG eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Außerlandesschaffung und dem privaten Interesse an der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen. Dabei ist der Frage nach dem Sicherungsbedürfnis nachzugehen, was die gerechtfertigte Annahme voraussetzt, der Fremde werde sich dem Verfahren oder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen oder diese Maßnahmen zumindest wesentlich erschweren.

 

So hat der Verwaltungsgerichtshof z.B. in seinem Erkenntnis vom 28.6.2007, Zl. 2004/21/0003, einer Schubhaftbeschwerde unter Hinweis auf seine mit der dg. Entscheidung vom 22.6.2006, Zl. 2006/21/0081, geänderte Rechtsprechung, wonach allein das Vorliegen einer vollstreckbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme sowie von strafgerichtlichen Verurteilungen (weil die Inschubhaftnahme nicht der Aufdeckung, Verhinderung oder Sanktionierung von Straftaten dienen darf; vg. VfSlg 13715/1994; VwGH vom 22.11.2007, Zl. 2006/21/0189; VwGH 28.5.2008, Zl. 2007/21/0246) und einer fehlenden Ausreisewilligkeit (insbesondere, solange noch nicht feststeht, ob die Abschiebung zulässig und die Ausreise zu überwachen ist sowie ein konkreter Sicherungsbedarf besteht) für die Tragfähigkeit der Prognose, dass sich der Asylwerber dem weiteren fremdenpolizeilichen Verfahren entziehen werde, nicht mehr hinreichen, stattgegeben.

 

Zur fehlenden Ausreisewilligkeit eines Fremden führt der Verwaltungsgerichtshof nunmehr in ständiger Rechtsprechung aus, dass diese für sich allein nicht die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung rechtfertigt. Es ist nämlich in einem zweiten Schritt die Frage des Bestehens eines Sicherungsbedarfes zu prüfen, der insbesondere im Fall mangelnder sozialer Verankerung im Inland in Betracht kommt (vgl ua. VwGH 8.9.2005, Zl. 2005/21/0301; VwGH 22.6.2006, Zl. 2006/21/0081; VwGH 27.3.2007, Zl. 2005/21/0381; VwGH 28.6.2007, Zl. 2005/21/0288; VwGH 30.8.2007, Zl. 2006/21/0107; VwGH 28.5.2008, Zl. 2007/21/0246).

 

Ebenso darf die Schubhaft nicht als eine präventive Vorbereitungshandlung zu einer erfolgreichen Durchführung der Abschiebung (siehe VwGH vom 26. September 2007, Zl. 2004/21/0150) zum Einsatz gebracht werden. 

 

Darüber hinaus ist eine generalisierende Betrachtungsweise von vornherein unzulässig. Beispielsweise darf aus dem Nichtvorhandensein von Bargeld nicht schon "unter Zugrundelegung allgemeiner Erfahrungssätze" (siehe VwGH vom 24. 10.2007, 2006/21/0067) a priori darauf geschlossen werden, dass sich der Fremde, würde er in Freiheit belassen, die erforderlichen Mittel durch illegale Arbeit beschaffen wird.

 

4.3.2. Hinsichtlich der im vorliegenden Fall gewählten aufenthaltsbeendenden Maßnahme (rechtskräftiges Aufenthaltsverbot) ist der Oö. Verwaltungssenat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes an die diesbezüglichen vollstreckbaren Entscheidungen der Fremdenpolizeibehörden gebunden. Es ist daher davon auszugehen, dass diese dem Gesetz entsprechen.

 

4.3.2.1. Die belangte Behörde hat die Schubhaft gemäß "§ 73 Abs. 2 Z. 3 FPG" zur "Sicherung des Verfahrens" verhängt und in der Begründung dargelegt, dass die Schubhaft der "Sicherung der Abschiebung" dienen solle.

 

Unstrittig steht fest, dass der Bf keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und daher auch nicht als Asylwerber anzusehen ist. Schon aus diesem Grund kann § 76 Abs. 2 Z. 3 FPG zur Begründung der Schubhaft nicht herangezogen werden.

 

Wie den behördlichen Feststellungen zu entnehmen ist, hat sich die belangte Behörde bei der Begründung der Schubhaft u.a. auf das rechtskräftige Aufenthaltsverbot gestützt. Da es sich beim Bf um keinen Asylwerber handelt, hätte sich die belangte Behörde auf § 76 Abs. 1 FPG beziehen müssen. Die Verhängung der Schubhaft wäre aber auch nach dieser Bestimmung nur bei Vorliegen des Sicherungsbedarfes und der Verhältnismäßigkeit zulässig.

 

Die belangte Behörde ist zwar zutreffend von einem rechtskräftigen und durchsetzbaren Aufenthaltsverbot ausgegangen, hat aber entgegen der eigenen Feststellung im Spruch die Verfahrenssicherung und nicht die Sicherung der Abschiebung als relevant angesehen. Welches Verfahren im Hinblick auf das rechtskräftige und durchsetzbare Aufenthaltsverbot noch gesichert werden sollte, kann nicht erkannt werden.

 

Da sich die belangte Behörde auf eine Bestimmung gestützt hat, die zur Begründung der Schubhaft nicht herangezogen werden kann, erweist sich der Schubhaftbescheid schon aus diesem Grund als rechtswidrig.

 

4.3.2.2. Abgesehen davon sind der Schubhaftbescheid und die darauf gestützte Anhaltung als rechtswidrig zu betrachten.

 

Im Erkenntnis vom 30.8.2007, Zl. 2006/21/0107, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass bei fehlenden Ausführungen zum Sicherungsbedarf und bei gänzlichem Fehlen nachvollziehbarer Begründungselemente von der Rechtswidrigkeit des angeordneten Freiheitsentzuges auszugehen sei.

 

Auch wenn aus der Begründung des vorliegenden Bescheides nicht in jeder Hinsicht zu folgen ist, kann aus dieser und dem festgestellten Sachverhalt das Vorliegen eines Sicherungsbedarfes abgeleitet werden.

Die Ausreiseunwilligkeit des Bf ist unstrittig und bedarf auf Grund der Aktenlage keiner näheren Erläuterung.

Es bleibt daher der erforderliche Sicherungsbedarf im Zusammenhang mit dem genannten durchsetzbaren Aufenthaltsverbot sowie die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft zu prüfen.

Auch wenn nicht verkannt wird, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 17.03.2009, 2007/21/0542, mwN) die Schubhaft keinesfalls dazu dienen könne, den Fremden von der Begehung weiterer Straftaten in Österreich bis zur Außerlandesbringung abzuhalten und dass die Annahme, die Schubhaft sei aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit geboten, nach dem Gesetz keinen tauglichen Schubhaftzweck darstelle, sind die strafgerichtlichen Verurteilungen des Bf und die daraus zu entnehmenden Feststellungen des Strafgerichtes von besonderem Interesse (zur „Bindungswirkung“ eines rechtskräftigen Strafurteiles und zur Bedeutung strafgerichtlicher Sachverhaltsfeststellungen als “maßgebender Sachverhalt" iSd § 37 AVG vgl. Eisner/Schiffkorn in Gruber/Paliege-Barfuß [Hrsg.], Die Relevanz der bedingten Strafnachsicht nach § 43 Abs. 1 StGB im Verfahren zur Entziehung der Gewerbeberechtigung, Jahrbuch Gewerberecht 2009, 205ff).

 

Aus dem unter Pkt. 1.2. wiedergegebenen Strafurteil in Verbindung mit seiner "beruflichen" Laufbahn und dem privaten Lebensweg lassen sich Rückschlüsse auf das Vorliegen eines Sicherungsbedarfes ziehen.

Nach anfänglich misslungenem Versuch, als Student in Österreich eine Aufenthaltsberechtigung zu erlangen, wurde dem Bf in der Folge die Möglichkeit gestattet, in Österreich zu studieren. Da der Bf sich weder die erforderlichen Deutschkenntnisse aneignete noch den notwenigen Studienerfolg nachweisen konnte, wäre ihm zukünftig der weitere Aufenthalt in Österreich verwehrt worden. Infolge der Eheschließung mit einer österreichischen Staatsangehörigen wurde ihm eine befristete Niederlassungsbewilligung gewährt. Abgesichert durch diesen Titel begann der Bf mit dem Transport und dem Handel von Suchtmitteln, der sich über Italien und Frankreich bis nach Spanien erstreckte. Erstmals wurde der Bf 2003 in Frankreich festgenommen, angeklagt und in eine Strafanstalt eingewiesen. In Österreich erfolgte im März 2005 die neuerliche Festnahme und die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren.

Durch die kriminelle Tätigkeit des Bf, die sich über mehrere Jahr hinzog, gefährdete der Bf die Gesundheit und das Leben von Menschen in hohem Maße. Dies alles tat der selbst nicht drogenabhängige Bf ausschließlich, um sich durch den wiederholten gewerbsmäßigen Handel mit großen Mengen an Suchtmitteln eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Dieses Verhalten lässt keinen anderen Schluss zu, als dass der Bf die Gesundheitsgefährdung, schlimmstenfalls den Tod von Menschen zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes bewusst in Kauf nahm. Bemerkenswert ist überdies, dass nach den Feststellungen des Strafgerichtes das Fehlverhalten des Bf in den letzten Jahren seines Aufenthaltes im Bundesgebiet gegeben war und sich somit über einen wesentlichen Zeitraum seiner Anwesenheit erstreckt haben. Aus den Sachverhaltsfeststellungen des Strafgerichtes, an die der Unabhängige Verwaltungssenat gebunden ist (vgl. Eisner/Schiffkorn, aaO), ergibt sich, dass sich der Bf in den letzten Jahren, in der er sich in Freiheit befand, von sich aus nicht wohl verhalten hat.

Die strafgerichtlichen Verurteilungen offenbaren die völlige Gleichgültigkeit des Bf gegenüber der österreichischen Rechtsordnung sowie seine mangelnde charakterliche Zuverlässigkeit. Diese Einschätzung wird weiters dadurch unterstrichen, dass er auch nach der Festnahme in Frankreich sein Fehlverhalten wieder aufnahm und erneut einschlägig straffällig wurde.

Vor dem Hintergrund seines bisherigen Fehlverhaltens im Bundesgebiet und der daraus zu erschließenden Persönlichkeitsstruktur war für die belangte Behörde daher nicht zu erwarten, dass der Bf freiwillig das Land verlassen und sich den entsprechenden fremdenpolizeilichen Zwangsmaßnahmen ohne Weiteres fügen werde.

Die Anhaltung des Bf wäre somit nicht als bloß rein präventive Vorbereitungshandlung für die Abschiebung anzusehen, sondern diese wäre auf Grund des möglichen Untertauchens des Bf zu deren Sicherung dringend erforderlich.

 

Trotz des vorliegenden und konkreten Sicherungsbedarfes kann die Verhängung der Schubhaft und die Anhaltung in Schubhaft nicht als verhältnismäßig betrachtet werden.

 

Der Bf hat eine mehr als vierjährige Haftstrafe verbüßt. Jedenfalls seit Anfang 2008 war die belangte Behörde in Kenntnis, dass die zuständige Fremdenbehörde ein Aufenthaltsverbot gegen den Bf vorbereitet. Von der Erlassung des unbefristeten Aufenthaltsverbotes ist die belangte Behörde unverzüglich in Kenntnis gesetzt worden. Wie der übermittelten Bescheidausfertigung zu entnehmen ist, wurde einer allfälligen Berufung die aufschiebende Wirkung aberkannt. Mit Erlassung des Bescheides im Mai 2008 war das unbefristete Aufenthaltsverbot durchsetzbar. Ein "Zuwarten" auf eine Entscheidung der Sicherheitsdirektion Steiermark kann nicht nachvollzogen werden.

 

Die belangte Behörde wäre daher gehalten gewesen, den verbleibenden "Haftzeitraum" zu nutzen und die Voraussetzungen für die Außerlandesschaffung des Bf zu schaffen. Indem die belangte Behörde mehr als ein Jahr untätig geblieben ist, weder versucht hat, eine Verlängerung des Reisepasses des Bf zu erreichen noch – in Kenntnis des Entlassungszeitpunktes – rechtzeitig die Ausstellung eines Heimreisezertifikates zu erlangen, und erst nach der Bescheiderlassung und der Schubhaftverhängung das Bundesministerium für Inneres am 7. Juli 2009 eingeschaltet hat, damit dieses die Ausstellung eines Heimreisezertifikates veranlasst, kann das behördliche Verhalten nicht als verhältnismäßig angesehen werden. 

 

4.4. Aus Anlass der Beschwerde war daher der vorliegenden Schubhaftbeschwerde Folge zu geben, der Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft von Beginn an für rechtswidrig zu erklären und im Sinne des § 83 Abs. 4 FPG festzustellen, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

 

5. Bei diesem Verfahrensergebnis waren dem Bf nach § 79a Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 Z 1 und 3 AVG iVm. § 1 Z. 1 der UVS-Aufwandsersatzverordnung 2008 (BGBl II Nr. 456/2008) Kosten in beantragten Höhe von insgesamt 765,20 Euro (darin enthalten 13,20 Euro Eingabe- und 14,40 Euro Beilagengebühr) zuzusprechen. 

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

 

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt unter­schrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Eingabe- und Beilagengebühren in Höhe von 27,60 Euro (13,20 Euro für die Eingabe und 14,40 Beilagen) angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

Mag. Stierschneider

Beachte:


Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgelehnt.

VwGH vom 29.04.2010, Zl.: 2009/21/0268-8

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