Linz, 31.08.2009
E R K E N N T N I S
Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn S T, geb. , W, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Dr. R S, W, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wels vom 27.7.2009, Zl. 2-S-10567/09, zu Recht:
Der Berufung wird Folge gegeben; der angefochtene Bescheid vom 27. Juli 2009 wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag vom 15. Juli 2009 statt gegeben und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt wird;
der Einspruch gegen die Strafverfügung vom 18. Juni 2009 (gleiche Aktenzahl) gilt demnach als rechtzeitig eingebracht.
Rechtsgrundlage:
§ 66 Abs.4 iVm § 71 Abs.1 Z1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl.Nr.51, idF BGBl. I Nr. 20/2009 - AVG iVm § 24, § 51 Abs.1, § 71 Abs.1 Z1 und § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52, idF BGBl. I Nr. 20/2009 - VStG.
Entscheidungsgründe:
2. Begründend wurde folgendes ausgeführt:
Gemäß § 71 Abs. 6 AVG
2.1. Der Berufungswerber erhob durch seinen ausgewiesenen Rechtsvertreter gegen diesen Bescheid binnen offener Frist Berufung, welche er wie folgt begründet:
"Hiermit erhebe ich gegen den Bescheid der BPD Wels vom 27.7.2009, 2-S-10567/09, meinem Rechtsvertreter zugestellt am 29.7.2009 in offener Frist
Berufung:
Der Bescheid der BPD Wels vom 27.7.2009 wird zur Gänze angefochten.
Die BPD Wels hat mit dem oben genannten Bescheid meinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 15.7.2009 abgewiesen und den gleichzeitig eingebrachten Einspruch zurückgewiesen.
Dies begründete sie im Wesentlichen damit, daß ein grobes Verschulden meines Rechtsvertreters bezüglich der Einhaltung der Frist vorliegen würde. Der Anwalt habe selbst die entsprechende Frist festzusetzen, die Vormerkung anzuordnen und die richtige Eintragung im Kalender zu überwachen.
Die BPD Wels übersieht dabei, daß der Termin tatsächlich vom Rechtsanwalt persönlich in den Kalender eingetragen wurde und diese Eintragung auch jedenfalls rechtzeitig erfolgte, dies sogar einige Tage vor dem tatsächlichen Ablauf der Frist, da dem Rechtsanwalt der genaue Beginn der Abholfrist nicht bekannt war und er daher sogar sicherheitshalber vom Ablauf der Einspruchsfrist einen Werktag früher ausging.
Ein unrichtiges Eintragen der Frist im Kalender war dadurch nicht gegeben und gehen diese Argumente daher ins Leere.
Tatsächlich wurde der Einspruch auch rechtzeitig ausgefertigt, nach der Korrektur auch rechtzeitig ausgedruckt und an die Sekretärin übergeben.
Diese mußte nur noch den Einspruch zu einem Bogen kopieren und unterfertigen lassen.
Daß dies nicht übersehen wird, wird dadurch verhindert, daß das Schriftstück mit dem gesamten Akt übergeben wird. Ein Übersehen würde durch den noch auf dem Schreibtisch liegenden Akt auffallen, sodaß auch dies auszuschließen ist.
Erst wenn tatsächlich das Schriftstück bereits fertig zum Postauslauf Postmappe liegt, wird der Akt von der Sekretärin wieder zur Ablage gelegt.
Das einzige Versehen lag also daran, daß die Unterschriftsmappe nicht einem Rechtsanwalt zur Unterschrift vorgelegt wurde.
In der Kanzlei meines Vertreters sind insgesamt drei Anwälte tätig und ist es völlig üblich, daß, wenn einer nicht anwesend ist, dessen Post von einem der Kollegen unterschrieben wird.
Es ist überhaupt noch nie vorgekommen, daß ein Schriftstück in der Unterschriftenmappe vergessen wurde und nicht rechtzeitig abgesendet wurde.
Es liegt daher nur ein minderer Grad des Versehens vor, der einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht entgegen steht.
Es wird daher gestellt der
Antrag,
der Berufung Folge zu geben und den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattgegeben wird und das ordentliche Verfahren eingeleitet wird.
3. Die Erstbehörde hat den Akt zur Berufungsentscheidung vorgelegt. Die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates ist somit gegeben. Dieser hat, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu erkennen.
Beweis erhoben wurde durch Vorlage einer eidesstättigen Erklärung der Kanzleibediensteten des ausgewiesenen Rechtsvertreters, der Frau G. H. Ebenfalls wurde der Behörde erster Instanz diesbezüglich Parteiengehör gewährt.
3.1. Sachverhalt:
Mit der Strafverfügung vom 18.6.2009 wurde von der Behörde erster Instanz über den Berufungswerber wegen Übertretung nach § 9 Abs. 2 StVO gemäß § 99 Abs.2c Z1 StVO eine Geldstrafe in der Höhe von € 150,00 verhängt. Mit Schreiben vom 2.7.2009 hat er gegen diese Strafverfügung Einspruch erhoben. Darauf wurde ihm von der Behörde erster Instanz mit Schreiben vom 10.7.2009 mitgeteilt, dass dieser Einspruch verspätet eingebracht wurde. Mit Schriftsatz vom 15.7.2009 (Datum des Poststempels 16.7.2009) hat er durch seinen Rechtsvertreter unter Hinweis auf den Einspruch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.
Die Behörde erster Instanz wies demnach den Wiedereinsetzungsantrag im Ergebnis mit der Begründung ab, dass ein Versehen einer Kanzleiangestellten gleichsam immer als Verschulden des Rechtsanwaltes anzurechnen wäre.
3.2. Im Rahmen des Berufungsverfahrens erklärt die Kanzleikraft des Berufungswerbervertreters nochmals die bereits im Antrag dargestellte Situation der Verfristung mit einem unerwarteten Auswärtstermin des bearbeitenden Juristen. Von diesem Termin kam der Bearbeiter unerwartet und ohne Kenntnis der Kanzleikraft nicht mehr zurück, sodass dadurch die bereits vorgelegte Unterschriftenmappe, worin sich auch diese Fristsache befunden habe, erst später zur Unterschrift gelangte, was letztlich zur Verspätung des Rechtsmittels führte.
Die hier geschilderten Umstände werden entgegen der Sichtweise des Bearbeiters der Behörde erster Instanz als minderer Grad des Versehens beurteilt. Selbst die Behörde erster Instanz teilt diese Sichtweise zwischenzeitig im Rahmen des ihr mit Blick auf die eidesstättigen Erklärung gewährten Parteiengehörs.
Ein solches Versehen kann gleichsam jedem Menschen einmal unterlaufen. Es handelt sich dabei um solche Fälle, welche die Rechtsordnung mit dem hier anzuwendenden Rechtsinstitut zu korrigieren vorgesehen hat.
Schon in der Berufung wird lebensnah und nachvollziehbar dargelegt, dass hier offenkundig nur ein minderer Grade des Versehens zu erblicken ist, welcher jeden auch noch so sorgfältigen Menschen unterlaufen kann und wohl jedem auch unterläuft.
Mit Blick darauf vermag den wohl pragmatisch und theoretisch aber jedenfalls nicht lebensnah anmutenden Ausführungen der Behörde erster Instanz nicht gefolgt werden. Dies laufen im Ergebnis auf ein Anforderungsprofil der Unfehlbarkeit eines Menschen hinaus und verlassen damit jegliche nachvollziehbare Lebensrealität.
An der vorgetragenen und eidesstättig belegten Darstellung vermag daher nicht gezweifelt werden. Ein derartiges zu einer Fristversäumnis führendes Ereignis muss angesichts der geschilderten Situation als typischer Fall auch einem noch so auf Sorgfältigkeit bedachten Menschen widerfahrendes Ereignis gewertet werden. Vorfälle die in bewährten und gut organisierten Abläufen jedem einmal unterlaufen können und letztlich unvermeidbar sind, weil sie einfach Ausfluss der jedem Menschen inne wohnenden Unzulänglichkeit sind.
4. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat hiezu erwogen:
Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn (§ 71 Abs.1 AVG):
1. die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder......
Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden (§ 71 Abs.2 AVG).
Im Fall der Versäumung einer Frist hat die Partei die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen (§ 71 Abs.3 AVG).
Zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist die Behörde berufen, bei der die versäumte Handlung vorzunehmen war oder die versäumte Verhandlung angeordnet oder die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt hat (§ 71 Abs.4 AVG).
4.1. In dem hier plausibel dargelegten Handlung der Kanzleikraft, welche den fraglichen Schriftsatz in die Unterschriftsmappe des diesen Fall bearbeitenden Anwaltes legte, der jedoch aus für sie nicht vorhersehbaren Gründen an diesen Tag nicht mehr in die Kanzlei zurückkehrte, konnte es geschehen, dass dieses Rechtsmittel nicht rechtzeitig zur Beförderung an die Behörde erster Instanz gelangte. In lebensnaher Beurteilung ist ein solches Ereignis ein typischer Fall eines unvorhersehbaren Ereignisses, welches selbst in einem best organisierten und kontrollierten System, typischer Weise Menschen und demnach auch im Organisationssystem einer Anwaltskanzlei unterlaufen kann. Dies stellt auch im Sinne der Judikatur sehr anschaulich einen auf einem minderen Grad des Versehens beruhendes Versäumnis des Rechtsvertreters dar (vgl. unter vielen VwGH 29.9.1993, Zl. 93/03/0206, 29.9.1994, Zl.94/18/0526). Diese dem Rechtsvertreter zuzurechnende Handlung der Kanzleikraft ist in diesem Zusammenhang nur auf die Verkettung unerwarteter Umstände zurückzuführen, welche letztlich jeder von einem Menschen erwartbaren Sorgfalt entzogen bleibt. Vor diesem Hintergrund kann daher der Behörde erster Instanz nicht gefolgt werden; diese würde letztlich einen der menschlichen Disposition entzogenen Sorgfaltsmaßstab zu Grunde legen und just damit diesem Rechtsinstitut den sachlichen Boden entziehen.
Da letztlich im Zweifel zu Gunsten des Rechtsschutzes und nicht im Sinne dessen Verhinderung als Grundsatz gelten sollte, soll an dieser Stelle ebenfalls nicht verschwiegen werden. Im Zweifel sollte der Ermöglichung und nicht die Verhinderung einer Sachentscheidung der Vorrang zukommen.
Bei bloß automatischer und ohne wirkliche Würdigung des entsprechenden Vorbringens getätigter Verneinung der Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung würde dieses Rechtsinstitut im Ergebnis bloß als "leere Hülse" existieren und dem primären Zweck eines inhaltlichen Rechtsschutzes nicht gerecht werden können. Dem Vorbringen des Rechtsvertreters des Berufungswerbers kommt daher Recht zu.
4. 2. Der Bescheid war daher ersatzlos aufzuheben, wobei hinzuweisen ist, dass gemäß des vorliegenden - als rechtzeitig zu wertenden - Einspruches, im Rahmen eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens das Verwaltungsstrafverfahren in erster Instanz durchzuführen sein wird.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.
Dr. B l e i e r