Linz, 29.09.2009
E R K E N N T N I S
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Karin Bissenberger über die Berufung der Frau X, X, X, vertreten durch Frau X, X, X, vom 14. Juli 2009 gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Braunau/Inn vom 1. Juli 2009, VerkR96-5831-2009, wegen Übertretung des Kraftfahrgesetzes 1967, zu Recht erkannt:
Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren diesbezüglich ohne Vorschreibung von Verfahrenskostenbeiträgen eingestellt.
Rechtsgrundlage:
§ 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1, 45 Abs.1 Z2 und 66 VStG
Entscheidungsgründe:
1. Mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis wurde über die Beschuldigte wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß §§ 103 Abs.2 iVm 134 Abs.1 KFG 1967 eine Geldstrafe von 200 Euro (140 Stunden EFS) verhängt, weil sie mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Braunau/Inn vom 26. Mai 2009, VerkR96-4290-2009, als Zulassungsbesitzerin aufgefordert worden sei, binnen zwei Wochen ab Zustellung der anfragenden Behörde bekanntzugeben, wer das Kraftfahrzeug mit dem Kennzeichen am 15. April 2009 um 18.49 Uhr in der Gemeinde St. Peter am Hart auf der B148 bei km 26.893 gelenkt hat, und sie diese Auskunft nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist erteilt und auch keine andere Person benannt habe, die die Auskunft erteilen hätte können.
Gleichzeitig wurde ihr ein Verfahrenskostenbeitrag von 20 Euro auferlegt.
2. Dagegen hat die Berufungswerberin (Bw) fristgerecht Berufung eingebracht, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 51c VStG). Die Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung erübrigte sich (§ 51e Abs.2 Z1 VStG).
3. Die Bw beruft sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht, das ihr nach deutschem Recht zustehe. Dementsprechend könne ihr aus der Wahrnehmung ihrer Rechte kein Nachteil entstehen.
4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz.
Aus der Anzeige geht hervor, dass "der Lenker" des Pkw am 15. April 2009 um 18.49 Uhr bei km 26.893 der B148, Gemeindegebiet St. Peter am Hart, vom Meldungsleger X mittels geeichtem Laser im ankommenden Verkehr mit einer Geschwindigkeit von 101 km/h gemessen wurde, obwohl dort eine Höchstgeschwindigkeit von nur 80 km/h erlaubt war. Als der Polizeibeamte daraufhin bei km 27.317 dem Lenker deutlich sichtbare Zeichen zum Anhalten gab, verlangsamte dieser seine Geschwindigkeit zunächst, setzte aber die Fahrt ohne anzuhalten in Richtung Braunau fort.
Halterin des in Deutschland zugelassenen Kraftfahrzeuges ist die Bw, an die daraufhin die – fristgerecht beeinspruchte – Strafverfügung der Erstinstanz vom 12. Mai 2009, VerkR96-4290-2009, wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung und der Nichtbefolgung des Zeichens zum Anhalten erging. Die Bw bestritt, am 25.4.2009, 18.49 Uhr, mit dem Pkw gefahren zu sein.
Daraufhin erging seitens der Erstinstanz die "Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme und Lenkererhebung gemäß § 103 Abs.2 KFG 1967" vom 26. Mai 2009, VerkR96-4290-2009, mit der der Bw "als Zulassungsbesitzerin" inhaltlich die in der Strafverfügung vorgeworfenen Übertretungen gemäß § 52 lit.a Z10 lit.a StVO und § 97 Abs.5 StVO (bezogen auf das Lenken des Pkw) erneut zur Last gelegt wurden. Gleichzeitig wurde ihr eine Kopie der Anzeige übermittelt und ihr eine Frist von drei Wochen ab Zustellung des Schreibens wahlweise zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme oder zur mündlichen Erörterung bei der Erstinstanz eingeräumt und dazu Rechtsbelehrung erteilt. Gleichzeitig wurde die Bw "als Zulassungsbesitzer gemäß § 103 Abs.2 KFG 1967 aufgefordert, binnen zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens der Erstinstanz mitzuteilen, wer das Fahrzeug am 15.4.2009, 18.49 Uhr, in der Gemeinde St. Peter am Hart, Altheimer Straße Nr.148 bei km 27.317, Neubergham, Fahrtrichtung Braunau, gelenkt bzw verwendet bzw zuletzt vor diesem Zeitpunkt am Tatort abgestellt habe, oder die Person zu benennen, die Auskunft erteilen könne"; diese treffe dann die Auskunftspflicht. Auch diesbezüglich wurde Rechtsbelehrung erteilt und ausdrücklich angekündigt, dass der "Bescheid auf der Grundlage des Ergebnisses des Beweisverfahrens erlassen werde, soweit nicht die Stellungnahme der Bw anderes erfordere." Gleichzeitig wurde die Bw aufgefordert, bis zum vorgeschriebenen Termin ihre Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse bekanntzugeben, ansonsten geschätzt werde, dass sie ein Nettomonatseinkommen von ca 1.000 Euro beziehe und weder Vermögen noch Sorgepflichten habe.
Das Schreiben wurde laut Rückschein am 2. Juni 2009 an die Rechtsvertreterin zugestellt. Mit Schriftsatz vom 16. Juni 2009 teilte diese mit, ihre Mandantin mache von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht betreffend Angehörige Gebrauch, das in Deutschland rechtmäßig sei; eine Verweigerung der Aussage sei daher nicht strafbar. Sie sei sorgepflichtig für einen studierenden Sohn.
Mit Aktenvermerk vom 1. Juli 2009 wurde das gegen die Bw anhängige Verwaltungsstrafverfahren wegen § 52 lit.a Z10 lit.a StVO und § 97 Abs.5 StVO 1960 wegen Nichterweisbarkeit der Lenkereigenschaft eingestellt.
Mit Datum vom selben Tag erging das nunmehr angefochtene Straferkenntnis wegen Übertretung gemäß § 103 Abs.2 KFG 1967.
In rechtlicher Hinsicht hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:
Gemäß § 103 Abs.2 KFG 1967 kann die Behörde Auskünfte darüber verlangen, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt ein nach dem Kennzeichen bestimmtes Kraftfahrzeug gelenkt oder einen nach dem Kennzeichen bestimmten Anhänger verwendet hat bzw zuletzt vor einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort abgestellt hat. Diese Auskünfte, welche den Namen und die Anschrift der betreffenden Person enthalten müssen, hat der Zulassungsbesitzer zu erteilen; kann er diese Auskunft nicht erteilen, so hat er die Person zu benennen, die die Auskunft erteilen kann, diese trifft dann die Auskunftspflicht; die Angaben des Auskunftspflichtigen entbinden die Behörde nicht, diese Angaben zu überprüfen, wenn dies nach den Umständen des Falles geboten erscheint. Die Auskunft ist unverzüglich, im Fall der schriftlichen Aufforderung binnen zwei Wochen nach Zustellung zu erteilen; wenn eine solche Auskunft ohne entsprechende Aufzeichnungen nicht erteilt werden könnte, sind diese Aufzeichnungen zu führen. (Verfassungsbestimmung) Gegenüber der Befugnis der Behörde, derartige Auskünfte zu verlangen, treten Rechte auf Auskunftsverweigerung zurück.
Dazu wird zunächst festgehalten, dass nach der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Artikel 6 MRK ein derartiges Auskunftsverlangen nach Kriterien der österreichischen Rechtsordnung zulässig ist (EGMR 10. April 2008, Beschwerden 58452/00 und 61920/00, Lückhof und Spanner gegen Österreich). Allerdings ist aus der gegenständlichen Judikatur auch die Intention abzuleiten, dass eine unzulässige Selbstbezichtigung dann nicht vorliegt, wenn das solcher Art beschaffte Beweismaterial nicht unfair verwendet bzw. das Gebot der Fairness nicht verletzt wird.
Im vorliegenden Fall wurde das Auskunftsbegehren an die Bw als Zulassungsbesitzerin (Halterin) des in Rede stehenden Pkw zugleich mit der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme mit der Einladung zur Stellungnahme zur Anschuldigung wegen der Grunddelikte (§§ 52 lit.a Z10 lit.a und 97 Abs.5 Straßenverkehrsordnung laut Strafverfügung) gerichtet. Der Unabhängige Verwaltungssenat erachtet eine Verknüpfung dieser Umstände als nicht der gebotenen Fairness entsprechend. Einerseits wird der Bw im Verwaltungsstrafverfahren eine Frist zur Rechtfertigung gewährt, wobei es ihr als Beschuldigte anheim gestellt ist, sich in jede ihr günstig erscheinenden Richtung zu verteidigen. Andererseits wird sie jedoch unter einem im Administrativverfahren nach § 103 Abs.2 KFG 1967 unter Strafdrohung aufgefordert, Lenkerauskunft zu erteilen. Es mag sein, dass seitens der Erstinstanz eine solche Vorgangsweise unter dem Aspekt der Verfahrensökonomie und Kostengünstigkeit gesehen wird. Nach Auffassung des Unabhängigen Verwaltungssenates widerspricht diese Vorgangsweise aber zweifellos dem Gebot der Fairness bei der Beweisaufnahme, sodass das ggst Auskunftsverlangen als unzulässig erachtet wird, dh die Bw war zur Auskunftserteilung nicht verpflichtet und hat auch die ihr im nunmehr angefochtenen Straferkenntnis zur Last gelegte Verwaltungsübertretung gemäß §§ 103 Abs.2 iVm 134 Abs.1 KFG 1967 im Grunde des § 45 Abs.1 Z2 VStG nicht zu verantworten.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden, wobei Verfahrenskosten naturgemäß nicht anfallen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese ist - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt (Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer) einzubringen. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.
unter Aktenrückschluss zu VerkR96-5831-2009 vom 29. Juli 2009 mit dem Ersuchen um nachweisbare Zustellung der beiliegenden Mehrausfertigung an die rechtsfreundliche Vertreterin.
Mag. Bissenberger
Beschlagwortung:
Vermischung Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme (Nach beeinspruchter Strafverfügung wegen StVO-Grunddelikt) mit Aufforderung nach § 103 Abs.2 KFG widerspricht Fairnessgebot -> keine Verpflichtung zur Lenkerauskunft -> Einstellung