Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-401030/7/WEI/La

Linz, 10.11.2009

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Beschwerde des X, geb. X, Staatsangehöriger von Afghanistan, vertreten durch X, X, X, wegen Rechtswidrigkeit der Verhängung von Schubhaft und der Anhaltung in Schubhaft durch die Bundespolizeidirektion Linz zu Recht erkannt:

 

 

I.            Der Beschwerde wird Folge gegeben und es werden der Schubhaftbescheid vom 5. September 2009 und die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft in der Zeit vom 5. September 2009 ab 18:45 Uhr bis 7. September 2009 15:30 Uhr für rechtswidrig erklärt.

 

II.        Der Bund (Verfahrenspartei Bundespolizeidirektion Linz) hat dem Beschwerdeführer den notwendigen Verfahrensaufwand in Höhe von 767,60 Euro (darin enthalten Bundesstempelgebühren von 30 Euro) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsgrundlagen:

§§ 82 und 83 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG (BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert mit BGBl I Nr. 29/2009) iVm §§ 67c und 79a Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG iVm UVS-Aufwandersatzverordnung 2008 (BGBl II Nr. 456/2008).

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Der Unabhängige Verwaltungssenat geht auf Grund der Aktenlage in Verbindung mit der eingebrachten Beschwerde vom nachstehenden S a c h v e r h a l t aus:

 

1.1. Mit Mandatsbescheid der belangten Behörde vom 5. September 2009, Zl. Journal (A2/47600/2009-GrüK) wurde gegen den Beschwerdeführer (im Folgenden Bf) auf der Grundlage des § 76 Abs 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung des fremdenpolizeilichen Verfahrens sowie zur Sicherung der Abschiebung bzw Zurückschiebung angeordnet. Laut Vermerk auf der aktenkundigen Bescheidurkunde übernahm der Bf den Bescheid am 5. September 2009 um 18:45 Uhr.

 

Begründend wird in tatsächlicher Hinsicht ausgeführt, dass der Bf am 5. September 2009 um 12:40 Uhr im Zug OEC 564 einer routinemäßigen Schengenkontrolle im Bereich Amstetten unterzogen wurde, wobei seine Identität mangels eines Dokuments nicht geklärt hätte werden können. Die Überprüfung der von ihm zu seiner Person angegebenen Daten habe ergeben, dass er in Österreich über keinen Wohnsitz oder Unterkunft verfügte, keine legale Beschäftigung hätte und mittellos wäre. Er hätte lediglich ein Zugticket nach Zürich und 150 Euro gehabt. Außerdem reiste er illegal ins Bundesgebiet ein.

 

Da er sich nicht rechtmäßig in Österreich aufhalte und ein Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung zu führen sei, hätte zu dessen Sicherung und zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt werden müssen. Das Sicherungserfordernis ergäbe sich aus den genannten Umständen und seiner mangelnden sozialen Verankerung im Inland. Auch eine Weiterfahrt nach Zürich hätte er nicht antreten wollen (Hinweis auf Niederschrift vom 5.09.2009).

 

Auf Grund dieser Umstände könne die Behörde mit Recht davon ausgehen, dass sich der Bf nicht freiwillig der Fremdenpolizeibehörde zur Verfügung halten werde. Der Zweck der Schubhaft könne auch nicht durch Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, da die Behörde auf Grund der bisher gezeigten Missachtung österreichischer Rechtsvorschriften davon ausgehen müsse, der Bf werde der Anordnung gelinderer Mittel nicht Folge leisten.

 

1.2. Der Bf wurde am Freitag, dem 5. September 2009, auf der Polizeiinspektion (PI) Hauptbahnhof unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache "Dari" unter Hinweis auf eine Verwaltungsübertretung gemäß dem § 120 FPG einvernommen. Dabei gab er an, X, geb. am X in X und ledig, zu sein. Als Anschrift gab er X, X, bekannt. Zu seiner Reiseroute gab er an, über Pakistan, den Iran und die Türkei nach Saloniki gelangt zu sein. Von dort sei die Reise mit verschiedenen Verkehrsmitteln und zum Teil zu Fuß fortgesetzt worden. Die Länder wisse er nicht mehr, weil er die Sprachen nicht kannte. Er habe für den Transport in Summe 5.500 Euro bezahlt. Bis Saloniki sei die Reise für 3.000 Euro von einem Schlepper organisiert worden.

 

Obwohl er ein Zugticket in die Schweiz hatte, wollte der Bf laut Niederschrift "unbedingt in Österreich bleiben", ohne dass dies näher hinterfragt worden wäre. Es wurde ihm dazu nur mitgeteilt, dass er in Schubhaft komme und am Montag der Fremdepolizei Linz vorgeführt werde.

 

Die Niederschrift mit dem Bf und seine anschließende Einlieferung ins Polizeiliche Anhaltezentrum (PAZ) Linz wurde nach Rücksprache mit dem Journaldienst der belangten Behörde durchgeführt (vgl Anzeige der PI Hauptbahnhof vom 5.09.2009, Zl. A2/47600/2009-GrüK).

 

1.3. Am 7. September 2009 ab 09:30 Uhr erfolgte die fremdenpolizeibehördliche Einvernahme des Bf. Dieser bestätigte seine bisherigen Angaben und ergänzte, dass er Afghanistan vor etwa sechs Monaten mit Hilfe eines Schleppers verlassen hätte. Von Griechenland (Saloniki) sei er mit anderen Flüchtlingen nach Mazedonien und Serbien und dann nach Österreich gereist. Die Einreise wäre am 4. September 2009 erfolgt. Mit verschiedenen Verkehrsmitteln sowie teilweise zu Fuß wäre er nach Wien gelangt. Am 5. September 2009 kaufte er eine Bahnfahrkarte in die Schweiz und bestieg den Zug, in dem er kontrolliert und festgenommen worden war. Der Bf gab weiter an, er habe in Österreich keinen Wohnsitz und keine Verwandte. An Barmitteln verfüge er über 160,90 Euro. Er hätte noch nie einen Reisepass gehabt. Seinen Personalausweis habe er in Afghanistan zurückgelassen.

 

Der Bf stellte dann einen Asylantrag vor der belangte Behörde. Er bestritt, bereits in Ungarn einen Asylantrag gestellt zu haben. Er sei zwar in einem Land festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt worden, wisse aber nicht, welches Land das war. Die belangte Behörde erklärte ihm, dass er in Schubhaft bleibe und die Schubhaft nunmehr als nach § 76 Abs 2 Z 4 FPG verhängt gelte, da anzunehmen sei, dass sein Antrag auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zurückgewiesen werden wird. Die erkennungsdienstliche Behandlung hätte nämlich ergeben, dass er bereits im August 2009 in Ungarn einen Asylantrag gestellt hätte. Ein entsprechender Aktenvermerk vom 7. September 2009 ist ebenfalls aktenkundig.

 

1.4. Die belangte Behörde verfügte dann aber um 14:03 Uhr die Entlassung des Bf aus der Schubhaft (vgl Entlassungsschein vom 7.09.2009) und der Bf wurde tatsächlich um 15:30 Uhr aus der Haft entlassen. Zuvor war der Bf erkennungsdienstlich behandelt worden. Der am 7. September 2009 um 16:30 Uhr durchgeführte AFIS-Abgleich (vgl Fremdenpolizeiakt ON 17) ergab 2 Eurodac-Treffer und zwar zur Eurodac-ID GR2567184EA am 23.09.2008 für Samos und zu HU1330004992923 am 31.08.2009 für Budapest.

 

Nach einem weiteren Aktenvermerk vom 7. September 2009 wurde der Amtsarzt zum Alter des Bf befragt. Dieser konnte aus medizinischer Sicht nicht angeben, ob der Bf das 18. Lebensjahr bereits überschritten hat oder nicht.

 

Aus diesem Aktenvermerk geht auch hervor, dass eine Rücksprache mit dem Journaldienst des Bundesasylamts gehalten wurde. Im Hinblick auf die Aufhebung der Schubhaft ordnete der Journalbeamte X die Verbringung des unbegleiteten Jugendlichen zur Erstaufnahmestelle (EASt) West an. In weiterer Folge wurde der Bf zur EASt West Thalham überstellt. Aus dem aktenkundigen Speicherauszug des Betreuungsinformationssystems vom 22. September 2009 ergibt sich seine weitere Überstellung ab 9. September 2009 in die EASt Ost Traiskirchen.

 

1.5. Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 7. September 2009 ab 11:46 Uhr blieb der Bf im Wesentlichen bei seinen bisherigen Angaben. Vor ca. 6 Monaten habe er den Heimatort "X" ("X" laut Befragung vom 5.09.2009) in Afghanistan verlassen und sei in der Folge illegal ohne Reisedokument ausgereist. Vor ca 2 Monaten sei er mit dem LKW in die Europäische Union und zwar nach Griechenland/Thessalonike gelangt. Um Asyl hätte er in einem anderen Land nicht angesucht. Angehalten sei er für drei oder vier Stunden in Mazedonien, Serbien oder Ungarn worden, er wisse es nicht genau. Sein Vater hätte in X mit dem Schlepper vereinbart, ihn für 3.000 Euro nach Europa zu bringen. Von Griechenland bis Österreich habe er dann weitere 2.500 Euro gebraucht. Zum Fluchtgrund gab der Bf an, er hätte Angst um sein Leben gehabt und nicht mit den Taliban in den Krieg ziehen wollen.

 

Über Vorhalt des Eurodac-Treffers Ungarn gab der Bf an, dass er sich dort 2 Tage lang aufhielt und am 4. September 2009 ausreiste. Bis zur Grenze sei er zu Fuß gelangt und dann weiter mit dem Taxi gefahren. Er wollte nicht nach Ungarn zurück, sondern in die Schweiz. Auf den Vorhalt von falschen Angaben zur Einreise über einen EU-Staat meinte der Bf, dass er sich nicht ausgekannt hätte.

 

1.6. Mit der per Telefax übermittelten Eingabe vom 21. September 2009 erhob der Bf vertreten durch X von der Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH Schubhaftbeschwerde und beantragte, die Verhängung der Schubhaft und die Anhaltung in Schubhaft vom 5. bis 7. September 2009 für rechtswidrig zu erklären und Kostenersatz zuzuerkennen.

 

Begründend wird im Wesentlichen vorgebracht, dass gegen den minderjährigen Bf gemäß dem § 77 Abs 1 FPG Schubhaft nicht zu verhängen, sondern ein gelinderes Mittel anzuwenden gewesen wäre. Nach der Kann-Bestimmung des § 76 Abs 1 FPG sei nicht automatisch Schubhaft zu verhängen, sondern habe eine individuelle Prüfung stattzufinden. Die Schubhaft sei auch dann unverhältnismäßig, wenn gelindere Mittel zur Sicherung des Verfahrens hinreichend wären. Auch könne eine allenfalls fehlende Ausreisewilligkeit die Schubhaft nicht rechtfertigen (Hinweis auf VwGH 22.6.2006, Zl. 2006/21/0081). Der Bf hätte auch nicht einmal die Möglichkeit gehabt, seine Ausreisewilligkeit unter Beweis zu stellen, zumal er umgehend in Schubhaft genommen wurde. Es lägen auch keine Anhaltspunkte für die Annahme vor, der Bf würde sich dem fremdenrechtlichen Verfahren entziehen.

 

Die Beschwerde zitiert Passagen aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 24. Juni 2006, Zl. B 362/06. Diese Erkenntnis legte einmal mehr klar, dass Schubhaft notwendig sein müsse, um die fremdenpolizeilichen Ziele zu erreichen. Die Notwendigkeit müsse auf den Einzelfall bezogene Tatsachen gegründet sein.

 

2.1. Mit Schreiben vom 22. September 2009 hat die belangte Behörde ihre fremdenpolizeilichen Akten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, mit der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird. Die belangte Behörde weist auf die illegale Einreise ohne Reisedokument und Aufenthaltstitel, den fehlenden Wohnsitz und die Mittellosigkeit (Besitz von nur 161,70 Euro) des Bf und seine fehlenden Sozialkontakte (keine Verwandte oder Bekannte) in Österreich hin, weshalb nur die Schubhaft hätte verhängt werden können (Hinweis auf VwGH 8.9.2005; Zl. 2005/21/0301).

 

Nach § 77 Abs 1 FPG sei die Schubhaft gegen Minderjährige nicht ausgeschlossen. Die belangte Behörde sei zum Ergebnis gekommen, dass im konkreten Fall ein erhöhtes Sicherungsbedürfnis vorliege. Entscheidungsrelevant sei der Aufgriff während einer Reisebewegung mit dem Endziel Zürich. Deshalb habe man davon ausgehen müssen, dass der Bf seine Reise nach Zürich fortsetzen werde. Es sei wirklichkeitsfremd anzunehmen, dass der Bf auf freiem Fuß in Österreich geblieben wäre. Entscheidungsrelevant wäre, dass der angeblich Minderjährige monatelang alleine von Afghanistan nach Europa unterwegs war, was eine ausgeprägte Zielstrebigkeit voraussetze, um das Zielland Schweiz zu erreichen. Daraus wäre zwingend zu schließen, der Bf hätte einem gelinderen Mittel nicht Folge geleistet.

 

Überdies weise der Bf zwei Eurodac-Treffer auf und sei daher offensichtlich bereits auf Samos am 26. September 2008 und zuletzt in Budapest/Ungarn am 31. August 2009 als Asylwerber erkennungsdienstlich behandelt worden. Dies zeige, dass die Angaben zur Reiseroute mit Unglaubwürdigkeit behaftet wären und nicht richtig sein könnten. Dieser Umstand zeige auch auf, dass der Bf nicht in Ländern, wo er aufgegriffen wurde, zu bleiben beabsichtigte, sondern immer danach trachtete, sein Zielland Schweiz zu erreichen. Sein letzter Aufenthalt müsse in Ungarn gelegen sein und wäre eine Rücküberstellung dorthin ohne Asylantragstellung in kürzester Zeit möglich. Die Angaben des Bf, er wüsste nicht über welches Land er eingereist sei, wären völlig unglaubwürdig, da er im Besitze von 35 ungarischen Forint war. Die belangte Behörde habe daher davon ausgehen müssen, dass der Zweck der Schubhaft durch Anordnung eines gelinderen Mittels nicht hätte erreicht werden können.

 

Da sich nach Stellung des Asylantrages der Sachverhalt entscheidend geändert hätte und die Unterbringung in einer Betreuungsstelle mit Grundversorgung gewährleistet war, womit die rasche Außerlandesschaffung nicht mehr möglich gewesen wäre, sei die Schubhaft umgehend aufgehoben worden. Dass dies richtig gewesen sei, zeige der Umstand, dass sich der Bf bislang dem Asylverfahren nicht entzogen hat.

 

2.2. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2009 nahm der Bf durch seine Rechtsvertreterin im Rahmen des eingeräumten Parteiengehörs zur Gegenschrift der belangten Behörde Stellung. Der Bf sei minderjährig, auch wenn die belangte Behörde daran ohne Beweise zweifle. Sie hätte darlegen müssen, weshalb sie im Fall eines Minderjährigen Grund zur Annahme hatte, der Zweck der Schubhaft könne nicht durch gelindere Mittel erreicht werden. Die Feststellungen, dass der Bf illegal einreiste, über kein Reisedokument, keinen Aufenthaltstitel und keine finanziellen Mittel verfügte, würden wohl auf den überwiegenden Prozentsatz von Flüchtlingen zutreffen. Lägen diese Umstände nicht vor, wären jegliche fremdenpolizeiliche Maßnahmen zu unterlassen. Die Notwendigkeit der Haft werde zu Unrecht im Wesentlichen damit begründet, dass der Bf eine Fahrkarte nach Zürich hatte und seine Reise fortsetzen würde.

 

Die belangte Behörde habe widersprechende Begründungen für die Notwendigkeit der Schubhaft herangezogen. Während die belangte Behörde in der Gegenschrift eine Absicht des Bf zur Weiterreise in die Schweiz konstruiere, werde im Schubhaftbescheid dezidiert angeführt, der Bf wollte nicht nach Zürich weiterreisen.

 

Der Bf habe schon bei seiner ersten Befragung am 5. September 2009 ausgesagt, er wolle in Österreich bleiben, was impliziere, dass er einen Asylantrag stellen wollte. Er hätte nämlich keine andere Möglichkeit gehabt, in Österreich zu bleiben. Es stelle sich die Frage, weshalb der Asylantrag erst mit 7. September 2009 eingebracht wurde. Daraus sei weiter abzuleiten, dass kein Sicherungsbedürfnis bestanden habe. Der Bf beabsichtigte eben unter Stellung eines Asylantrags in Österreich zu bleiben, was zur Unmöglichkeit einer raschen Außerlandesschaffung und damit zur Unrechtmäßigkeit der Schubhaft führte.

 

Die Schlüsse der belangten Behörde würden nicht den "Alltag" von Flüchtlingen widerspiegeln. Nur weil der Bf bereits in Griechenland und Ungarn war, bedeute das nicht, dass er Österreich wieder zu verlassen beabsichtigte. Dass afghanische Flüchtlinge oft über Griechenland in die Europäische Union einreisen, dort aber nicht bleiben wollen, weil sie entgegen den EU-Richtlinien ("Aufnahmerichtlinie" und "Versorgungsrichtlinie") kein faires Verfahren und keine Unterbringung erwarten könnten, sei amtsbekannt. Die Flüchtlinge würden daher weiter reisen und zum Unterschied von Ungarn sei Österreich ein Zielland von afghanischen Flüchtlingen. Es sei daher nicht zu erwarten gewesen, dass der Bf entgegen seiner Befragung am 5. September 2009 nicht in Österreich hätte bleiben wollen. Auch sei den Fremdenbehörden sicherlich bekannt, dass Flüchtlinge von Schleppern regelmäßig angehalten werden, keine Angaben über ihre Reiseroute zu machen. Deshalb könnte man aus zunächst unschlüssigen Angaben nicht auf eine allgemeine Unglaubwürdigkeit schließen.

 

3. Der erkennende Verwaltungssenat hat unter Berücksichtigung der Beschwerde und der Stellungnahmen der Parteien auf Grundlage des vorgelegten Verwaltungsaktes festgestellt, dass bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der eingebrachten Beschwerde der entscheidungswesentliche Sachverhalt hinreichend geklärt erscheint, weshalb von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen werden konnte.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 9 Abs 2 FPG ist gegen die Anordnung der Schubhaft weder eine Vorstellung noch eine Berufung zulässig.

 

Gemäß § 82 Abs 1 FPG hat der Fremde das Recht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung den unabhängigen Verwaltungssenat anzurufen,

 

  1. wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist;
  2. wenn er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz oder das Asylgesetz 2005 angehalten wird oder wurde oder
  3. wenn gegen ihn die Schubhaft angeordnet wurde.

 

Gemäß § 83 Abs 1 FPG ist der unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung zuständig, in dessen Sprengel der Beschwerdeführer festgenommen wurde. Sofern die Anhaltung noch andauert, hat der Unabhängige Verwaltungssenat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden (vgl § 83 Abs 4 FPG).

 

Der Bf wurde am 5. September 2009 von der Schengenfahndung aus dem Reisezug OEC 564 genommen, der PI Hauptbahnhof in Linz übergeben, zunächst in Verwahrungshaft genommen und dann ins PAZ Linz eingeliefert. Die belangte Behörde verhängte dann ab 18:45 Uhr die Schubhaft und hielt den Bf bis 7. September 2009 um 15:30 Uhr in Schubhaft an. Die am 13. Oktober 2009 beim Oö. Verwaltungssenat eingelangte Schubhaftbeschwerde ist rechtzeitig und zulässig.

 

4.2. Gemäß § 76 Abs 1 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft nur verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

 

Nach § 76 Abs 2 FPG kann die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn

 

1.     gegen ihn eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) erlassen wurde;

2.     gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;

3.     gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60) verhängt worden ist oder

4.     auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.

 

Nach § 76 Abs 3 FPG ist die Schubhaft mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft.

 

Nach § 76 Abs 6 FPG kann die Schubhaft aufrecht erhalten werden, wenn ein Fremder während der Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz stellt. Liegen die Voraussetzungen des § 76 Abs 2 FPG vor, gilt die Schubhaft als nach dieser Gesetzesstelle vor. Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung der Schubhaft nach Abs 2 ist mit Aktenvermerk festzuhalten.

 

Gemäß § 80 Abs 1 FPG ist die Behörde verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Sie darf gemäß § 80 Abs 2 FPG nur so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann. Mit Ausnahme der Fälle des § 80 Abs 3 und 4 FPG darf die Schubhaft nicht länger als 2 Monate dauern.

 

4.3. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist bei Eingriffen in das Recht auf persönliche Freiheit stets das unmittelbar anwendbare Gebot der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl Erk. des VfGH vom 24.6.2006, B 362/06). Die zuständige Fremdenpolizeibehörde ist stets dazu verpflichtet, die einzelnen Schubhafttatbestände verfassungskonform auszulegen und eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen (vgl Erk. des VfGH vom 15.6.2007, B 1330 und 1331/06).

 

Dementsprechend judiziert der Verwaltungsgerichtshof mittlerweile in ständiger Judikatur, dass auch die Gründe, aus denen über einen Asylwerber gemäß § 76 Abs 2 FPG Schubhaft angeordnet werden kann, im Lichte des Gebots der Verhältnismäßigkeit auszulegen sind, wobei eine verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen ist. Hieraus folge die Verpflichtung der die Schubhaft anordnenden Behörde nachvollziehbar darzulegen, inwiefern die Anordnung der Schubhaft erforderlich ist, um den Sicherungszweck zu erreichen. In diesem Sinn seien auch Überlegungen anzustellen, ob dem Sicherungszweck bereits durch die Anwendung gelinderer Mittel gemäß § 77 FPG entsprochen werden kann (vgl je mwN VwGH 28.6.2007, Zl. 2006/21/0051 unter Hinweis auf Erk. des VfGH 24.6.2006, Zl. B 362/06; VwGH 28.6.2007, Zl. 2006/21/0091; VwGH 30.8.2007, Zl. 2006/21/0027). Im Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043, hat der Verwaltungsgerichtshof zudem ausgeführt, dass dies im Ergebnis bedeute, dass die Schubhaft auch dann, wenn sie auf einen der Tatbestände des § 76 Abs 2 FPG gestützt werden soll, stets nur ultima ratio sein darf.

 

4.4. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs verlangt die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit einer Schubhaft nach § 76 Abs 1 FPG eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Außerlandesschaffung und dem privaten Interesse an der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen. Dabei ist der Frage nach dem Sicherungsbedürfnis nachzugehen, was die gerechtfertigte Annahme voraussetzt, der Fremde werde sich dem Verfahren oder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen oder diese Maßnahmen zumindest wesentlich erschweren.

 

In der neueren Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs vermag die fehlende Ausreisewilligkeit eines Fremden für sich allein die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung nicht zu rechtfertigen. Deshalb kann auch die Nichtbefolgung eines Ausreisebefehls die Schubhaft noch nicht rechtfertigen. Es ist nämlich in einem zweiten Schritt die Frage des Bestehens eines Sicherungsbedarfes zu prüfen, der insbesondere im Fall mangelnder sozialer Verankerung im Inland in Betracht kommt. Dabei hat der Verwaltungsgerichtshof auch schon mehrfach betont, dass in Bezug auf die Annahme eines Sicherungsbedarfes aus Überlegungen zu einem strafgerichtlichen Verurteilungen zugrundeliegenden Fehlverhalten alleine nichts zu gewinnen sei (ständige Rspr; vgl ua. VwGH 8.9.2005, Zl. 2005/21/0301; VwGH 22.6.2006, Zl. 2006/21/0081; VwGH 27.3.2007, Zl. 2005/21/0381; VwGH 28.6.2007, Zl. 2005/21/0288 und Zl. 2004/21/0003; VwGH 30.8.2007, Zl. 2006/21/0107; VwGH 28.5.2008, Zl. 2007/21/0246).

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat auch judiziert, dass die Schubhaft keinesfalls dazu dienen dürfe, den Fremden von der Begehung weiterer Straftaten bis zur Abschiebung abzuhalten (vgl VwGH 7.2.2008; Zl. 2007/21/0446, VwGH 28.3.2006, Zl. 2004/21/0039). Die Annahme einer Schubhaft aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit stellt nämlich keinen tauglichen Schubhaftzweck dar (vgl VwGH 22.5.2007, Zl. 2006/21/0052, VwGH 31.8.2006, Zl. 2006/21/0087).

 

Überdies ist nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs beim Sicherungserfordernis die konkrete Situation des Beschwerdeführers (Einzelfallprüfung) zu prüfen. Deswegen verbietet sich auch ein Abstellen auf allgemeine Erfahrungen im Umgang mit Asylwerbern oder aus anderen Fällen (vgl VwGH 28.6.2007, Zl. 2006/21/0051; VwGH 28.6.2007, Zl. 2006/21/0091).

 

4.5. Im vorliegenden Fall trifft es zwar auch nach Ansicht des erkennenden Verwaltungssenats zu, dass die gegebenen Umstände im Zeitpunkt der Schubhaftanordnung die Annahme eines Sicherungsbedarfs grundsätzlich rechtfertigten. Der Bf, dessen Identität nur auf eigenen Angaben beruhte und der in Österreich in keiner Weise sozial verankert ist, war illegal ohne Reisedokument und Aufenthaltstitel eingereist und mangels ausreichender finanzieller Mittel nicht in der Lage, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Allerdings stellt sich die in der Begründung des Schubhaftbescheids nicht zufriedenstellend behandelte Frage, ob nicht durch Anwendung gelinderer Mittel der Zweck der auf Grundlage des § 76 Abs 1 FPG verhängten Schubhaft erreicht hätte werden können. Die belangte Behörde hat dazu im Schubhaftbescheid keine ausreichenden Überlegungen im Sinne der zitierten Judikatur angestellt, sondern sich mit der ganz allgemeinen Begründungsschablone begnügt, dass die Behörde auf Grund der Missachtung österreichischer Rechtsvorschriften davon ausgehen hätte können, der Bf werde der Anordnung gelinderer Mittel nicht Folge leisten.

 

Gemäß § 77 Abs 1 FPG kann die Behörde von der Anordnung der Schubhaft Abstand nehmen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass deren Zweck durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Gegen Minderjährige hat die Behörde gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn, sie hätte Grund zur Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann.

 

4.6. Die belangte Behörde hatte bei Anordnung der Schubhaft offenbar noch verkannt, dass sie im Falle eines Minderjährigen gemäß § 77 Abs 1 Satz 2 FPG im Regelfall mit gelinderen Mitteln hätte das Auslangen finden müssen und für die Ausnahme Schubhaft eine besondere Begründung im Sinne eines erhöhten Sicherungsbedarfs erforderlich gewesen wäre. In der Gegenschrift gibt die belangte Behörde nunmehr nachträglich, obwohl sie selbst die Schubhaft bald nach der fremdenpolizeilichen Einvernahme am 7. September 2009 aufgehoben hatte, eine Begründung für das anfängliche Absehen von gelinderen Mitteln. Dabei bezweifelt sie - freilich ohne jede Beweisgrundlage – zum Einen die Minderjährigkeit des Bf und versucht zum Anderen, dem Bf eine feste Absicht zur Weiterreise in die Schweiz zu unterstellen und seine Angaben zur Reiseroute wegen der Eurodac-Treffer als unglaubhaft darzustellen, um ein erhöhtes Sicherungsbedürfnis zu konstruieren.

 

Was die Minderjährigkeit des nach eigenen Angaben sechzehnjährigen Bf betrifft, hegt der erkennende Verwaltungssenat nach der Aktenlage keine Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Bf. Die aktenkundigen, bei der erkennungsdienstlichen Behandlung angefertigten Fotos vom Bf zeigen nach dem äußeren Anschein eine durchaus jugendlich wirkende Person. Außerdem hat auch der Amtsarzt der belangten Behörde aus medizinisch-fachlicher Sicht keine gegenteilige Aussage machen können. Dass der Bf monatelang von Afghanistan nach Europa unterwegs war, vermag nichts an dieser Einschätzung zu ändern.

 

Die pauschale Ansicht der belangten Behörde, aus den beschwerlichen Reisebewegungen des Bf eine Zielstrebigkeit und Energie abzuleiten, die zwingend darauf schließen lasse, dass der Bf einem gelinderen Mittel nicht Folge geleistet hätte, kann der erkennende Verwaltungssenat nicht teilen. Der Bf hat bei seiner fremdenpolizeilichen Einvernahme im Wesentlichen wohl zutreffend angegeben, dass seine Reise von seiner Heimat Fabreka bei Pool Khumre, Provinz Baghlan in Afghanistan, über Pakistan, Iran, Türkei bis Griechenland schlepperunterstützt war und danach habe er mit anderen Flüchtlingen gemeinsam die Reise über Mazedonien und Serbien bis nach Österreich fortgesetzt. Er hat auch die Einreise nach Österreich mit 4. September 2009 wahrscheinlich richtig angegeben. Wenn er das Land, von dem er nach Österreich gelangte, zunächst nicht angegeben hat, muss darin keine bewusste Unwahrheit liegen. Bei der kurze Zeit später erfolgten Erstbefragung nach dem AsylG 2005 vom 7. September 2009 berichtete der Bf zum Eurodac-Treffer Ungarn, dass er sich dort zwei Tage aufgehalten hätte und am 4. September 2009 ausgereist wäre, wobei er zu Fuß zur Grenze und dann mit einem Taxi weitergefahren wäre. Über Vorhalt, warum er falsche Angaben zur Reise durch einen EU-Staat (vermutlich gemeint Ungarn) gemacht habe, gab er an, dass er sich nicht ausgekannt hätte.

 

Diese Erklärung erscheint dem Oö. Verwaltungssenat bei einem jugendlichen afghanischen Flüchtling, der weder mit europäischen Sprachen, noch mit der Schrift, noch mit den politischen Verhältnissen in Europa überhaupt hinreichend vertraut sein kann, durchaus plausibel. Auch wenn bei ihm ungarische Forint gefunden wurden, muss er deswegen nicht sicher wissen, dass er von Ungarn über die österreichische Grenze gekommen war. Dass der Bf selbst nach Vorhalt des Eurodac-Treffers noch immer nicht richtig orientiert war, beweist auch der Umstand, dass der Eurodac-Treffer eine erkennungsdienstliche Behandlung des Bf am 31. August 2009 in Budapest/Ungarn ergeben hatte. Er musste daher bei angegebener Einreise am 4. September 2009 länger als 2 Tage in Ungarn gewesen sein. Dies war dem Bf aber offenbar ebenso wenig bewusst wie dem vernehmenden Sicherheitsorgan bei der Erstbefragung nach dem AsylG 2005, dem dieser Widerspruch auch nicht auffiel.

 

Im Ergebnis ist der Unabhängige Verwaltungssenat der Ansicht, dass die Ungereimtheiten in den Angaben des Bf zu seiner Reiseroute nicht von so eindeutiger Beschaffenheit sind, dass von einer bewusst unwahren Darstellung und Unglaubwürdigkeit des Bf ausgegangen werden könnte. Vielmehr können gewisse Widersprüche mit seiner Sprachunkenntnis und mangelnden Ausbildung über politische und geografische Verhältnisse in Europa und auch mit fehlender Lebenserfahrung erklärt werden. Dass er trotz der Eurodac-Treffer überzeugt ist, noch keinen Asylantrag zuvor, und zwar weder in Ungarn noch in Griechenland, gestellt zu haben, könnte damit zusammenhängen, dass er in diesen Ländern ohnehin nicht bleiben wollte und bei Amtshandlungen nur so mitwirkte, wie man es von ihm erwartete, ohne aber genau den Inhalt zu verstehen.

 

Die Rechtsvertreterin des Bf hat in ihrer Stellungnahme mit Recht auf zuletzt auch durch Medien (vgl dazu den Artikel in der Presse vom 13.10.2009, "Wunde für Zivilisation": Griechenlands bittere Asylpraxis) bekannt gewordene Missstände in Griechenland hingewiesen, wo Flüchtlinge offenbar nicht ordnungsgemäß untergebracht und versorgt werden. So geht etwa auch aus dem Urteil der Kammer I des EGMR vom 11. Juni 2009, Bsw.Nr. 53.541/07, S.D. gegen Griechenland (vgl Newsletter Menschenrechte 2009/3, 162 ff) hervor, dass in Griechenland Flüchtlinge trotz Asylwerberstatus ohne hinreichenden Rechtsschutz in Haft kommen und unmenschlich und erniedrigend behandelt werden (Verletzungen des Art 3, Art 5 Abs 1 und Art 5 Abs 4 EMRK wurden einstimmig festgestellt). Der erkennende Verwaltungssenat teilt daher die Ansicht der Rechtvertreterin des Bf, dass afghanische Flüchtlinge wohl häufig über Griechenland in die Europäische Union kommen, dort aber schon wegen der Missstände nicht bleiben wollen. Auch Ungarn scheint nach allgemeinen Erfahrungen kein Zielland für Flüchtlinge zu sein.

 

Jedenfalls kann aus den Eurodac-Treffern nicht geschlossen werden, dass der Bf entgegen seiner Angabe bei der ersten Befragung am 5. September 2009, wonach er trotz des Zugtickets nach Zürich unbedingt in Österreich bleiben wollte, nach Entlassung aus der Schubhaft in die Schweiz weiter gereist wäre. Die belangte Behörde hat überdies nach Ausweis der Aktenlage erst am 7. September 2009 von den Eurodac-Treffern erfahren und konnte daher bei der Schubhaftverhängung davon gar nicht beeinflusst worden sein. In der Begründung des Schubhaftbescheids zum Sicherungserfordernis wurde noch angeführt, dass der Bf auch eine Weiterfahrt nach Zürich nicht antreten wollte. Nunmehr widerspricht dem die belangte Behörde in der Gegenschrift und meint, dass es wirklichkeitsfremd wäre anzunehmen, ein Fremder würde sich so kurz vor seinem Ziel davon abbringen lassen.

 

Richtig ist zwar, dass der Bf am 5. September 2009 in Wien eine Zugfahrkarte nach Zürich gelöst hatte und deshalb in die Schweiz wollte. Es kann aber entgegen der belangten Behörde mangels irgendwelcher Anhaltspunkte aus der Aktenlage nicht behauptet werden, dass der Bf dieses Ziel von vornherein schon seit Beginn seiner Reise hatte. Er kann diesen Entschluss auch erst am 5. September 2009 auf Empfehlung von anderen Flüchtlingen gefasst haben. Im Allgemeinen wird man annehmen können, das Flüchtlinge in ein Zielland kommen wollen, wo sie erwarten, gut und fair behandelt zu werden. Wenn es, was beim Bf nicht bekannt geworden ist, keinen besonderen Grund für das Zielland Schweiz gibt, etwa weil sich dort Verwandte, Freunde oder gute Bekannte des Fremden aufhalten, die er unbedingt treffen will, dann erscheint auch der in der Gegenschrift gezogene Schluss der belangten Behörde unzulässig und unhaltbar, dass der Bf auf freiem Fuße zielstrebig in die Schweiz weiterreisen wollte. Von einem erhöhten Sicherungsbedarf kann keine Rede sein.

 

In diesem Sinne hielt auch der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 28. Juni 2007, Zl. 2006/21/0051, die Überlegungen der Fremdenpolizeibehörde für unzureichend, wenn sie einen Asylwerber nur auf der Grundlage des Sachverhalts, dass er vor seiner illegalen (schlepperunterstützten) Einreise nach Österreich jahrelang in einem Flüchtlingslager nahe Zürich lebte, aus der Betreuungseinrichtung in der EASt West in Schubhaft überstellen zu müssen glaubte.

 

4.7. Der Oö. Verwaltungssenat ist daher im Ergebnis der Ansicht, dass die belangte Behörde weder im Schubhaftbescheid noch in der Gegenschrift eine ausreichende Begründung dafür gegeben hat, warum beim minderjährigen Bf der Zweck der Schubhaft nicht durch die Anwendung gelinderer Mittel hätte erreicht werden können. Nach Ansicht des erkennenden Verwaltungssenats hätte bei gutem Willen wohl auch schon am 5. September 2009 (und nicht erst am 7. September 2009) durch Kontaktaufnahme mit einem Vertreter des Bundesasylamts die Grundversorgung und Unterbringung des unbegleiteten Minderjährigen in der Betreuungseinrichtung EASt-West erreicht werden können. Die Anordnung iSd § 77 Abs 3 FPG, in den zugewiesenen Räumlichkeiten der Betreuungseinrichtung Unterkunft zu nehmen und sich in periodischen Abständen bei der zuständigen Polizeiinspektion zu melden, wäre als gelinderes Mittel nahe gelegen.

 

Nach der nur oberflächlichen Einvernahme durch die PI Hauptbahnhof wäre indiziert gewesen, den Bf, der ohnehin ins PAZ Linz überstellt wurde, aus Anlass der Schubhaftentscheidung ergänzend zu befragen, warum er unbedingt in Österreich bleiben wolle und auf welcher Grundlage er sich das vorstelle. Denn worauf die Rechtsvertreterin des Bf zutreffend hinweist, implizierte der Wunsch des Bf, unbedingt in Österreich bleiben zu wollen, dass er aus rechtslogischer Sicht auch einen Asylantrag stellen wollte, weil er sonst keine andere Möglichkeit dazu gehabt hätte.

 

Gemäß der Sonderbestimmung des § 12 Abs 1 FPG sind Minderjährige, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, im Verfahren nach den Hauptstücken 2 bis 10, also in Verfahren nach dem FPG, handlungsfähig. Minderjährige, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sind nicht voll handlungsfähig. Werden ihre Interessen nicht vom gesetzlichen Vertreter wahrgenommen, wird der Jugendwohlfahrtsträger der Hauptstadt des Bundeslandes, in dem sich der Jugendliche aufhält, mit Einleitung des Verfahrens gesetzlicher Vertreter (vgl § 12 Abs 3 FPG). Entgegen der Ansicht der Rechtsvertreterin des Bf war die belangte Behörde daher bei dem handlungsfähigen 16-jährigen Bf nicht verpflichtet, den Jugendwohlfahrtsträger der Landeshauptstadt Linz mit der Sache zu befassen.

 

Das bedeutet aber nach Ansicht des erkennenden Verwaltungssenats nicht, dass sich die belangte Behörde um nichts weiter zu kümmern brauchte. Vielmehr hätte sie bei einem unbegleiteten Minderjährigen eine besondere Manuduktionspflicht iSd § 13a AVG gehabt. Nach der unzureichenden ersten Befragung durch ein Organ der PI Hauptbahnhof hätte der Bf noch einmal gehört werden müssen, um allfällige Missverständnisse auszuräumen und ihm die nötigen Anleitungen zu geben und ihn über Rechtsfolgen zu belehren. Wäre dies geschehen, hätte nach Überzeugung des erkennenden Verwaltungssenats der Asylantrag des Bf auch schon am 5. September 2009 formell zur Kenntnis genommen werden müssen, so dass sich dann die Anordnung des oben beschriebenen gelinderen Mittels geradezu aufgedrängt hätte.

 

Die belangte Behörde versucht nunmehr in der Gegenschrift für den Oö. Verwaltungssenat wenig überzeugend, die Asylantragstellung des Bf bei der Einvernahme am 7. September 2009 als das entscheidende Kriterium für die Freilassung des Bf darzustellen, obwohl sie sogar noch bei der fremdenpolizeilichen Einvernahme die Schubhaft unter Hinweis auf § 76 Abs 2 Z 4 FPG dennoch aufrecht erhalten hat und einen entsprechenden Aktenvermerk nach § 76 Abs 6 FPG verfasste.

 

Nach Ansicht des Oö. Verwaltungssenats hat sich am maßgeblichen Sachverhalt zur Beurteilung der Frage, ob bei einem unbegleiteten minderjährigen Afghanen, der erklärtermaßen in Österreich bleiben will und nach langer beschwerlicher Reise offenbar Schutz sucht, die Schubhaft notwendig und angemessen war oder durch ein gelinderes Mittel hätte ersetzt werden können, allein durch die förmliche Protokollierung eines schon zuvor im Raum stehenden Asylantrags in Wahrheit inhaltlich nichts geändert.

 

5. Im Ergebnis waren der Schubhaftbescheid und die darauf beruhende Anhaltung des Bf vom 5. bis. 7. September 2009 als unverhältnismäßig anzusehen und für rechtswidrig zu erklären. Bei diesem Verfahrensergebnis ist die belangten Behörde gemäß § 79a Abs 3 AVG als unterlegene Partei anzusehen und war dem Bf antragsgemäß Aufwandersatz zuzuerkennen.

 

Gemäß § 79a Abs 1 AVG hat die im Verfahren nach § 67c obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß § 79a Abs 2 AVG der Beschwerdeführer die obsiegende und die belangte Behörde die unterlegene Partei. Wird die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen oder zurückgezogen, dann ist gemäß dem § 79a Abs 3 AVG die belangte Behörde die obsiegende Partei und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.

 

Nach § 79a Abs 4 AVG gelten als Aufwendungen vor allem die durch Verordnung des Bundeskanzlers festgesetzten Pauschbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand. Nach der am 1. Jänner 2009 in Kraft getretenen UVS-Aufwandersatzverordnung 2008 (BGBl II Nr.456/2008) beträgt der Ersatz für Schriftsatzaufwand des Bf als obsiegende Partei 737,60 Euro.

 

Der Bund hat daher als Rechtsträger, für den die belangten Behörde tätig geworden ist, den Schriftsatzaufwand von 737,60 Euro und die Stempelgebühren von 30 Euro, für die der Bf aufzukommen hat (vgl § 79a Abs 4 Z 1 AVG), insgesamt daher 767,60 Euro zu ersetzen.

 

Analog dem § 59 Abs 4 VwGG 1985 war eine Leistungsfrist von 2 Wochen festzusetzen, zumal das Schweigen des § 79a AVG 1991 nur als planwidrige Lücke aufgefasst werden kann, sollte doch die Neuregelung idF BGBl Nr. 471/1995 im Wesentlichen eine Angleichung der Kostentragungsbestimmungen an das VwGG bringen (vgl Erl zur RV, 130 Blg NR 19. GP, 14 f).

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

1.Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren sind Bundesstempelgebühren für die Beschwerde und eine Stellungnahme (gem. § 14 TP 6 Abs 1 GebG je 13,20 Euro) und für 1 Vollmacht (gem. § 14 TP 5 Abs 1 GebG  3,60 Euro), insgesamt daher von 30 Euro angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

Dr. W e i ß

 

 

 

 

Rechtssatz zu VwSen-401030/7/Wei/La vom 10. November 2009

 

§§ 76 Abs 1, 77 Abs 1 FPG

 

Bei minderjährigen Fremden bedarf es einer besonderen Begründung, wenn die Behörde vom Regelfall des gelinderen Mittels anstelle der Schubhaft absehen will (erhöhter Sicherungsbedarf). Einem unbegleiteten 16-jährigen Afghanen, der illegal und ohne Reisedokument nach monatelanger beschwerlicher Reise von Afghanistan bis Österreich gelangte und weitgehend mittellos mit einem Zugticket bis Zürich aufgegriffen wurde, kann mangels weiterer aktenkundiger Anhaltspunkte nicht unterstellt werden, er werde auf freiem Fuß belassen seine Reise in die Schweiz sicher fortsetzen, wenn er bei der Einvernahme durch Sicherheitsorgane erklärte, unbedingt in Österreich bleiben zu wollen. Ein erhöhtes Sicherungsbedürfnis kann auch nicht aus sog. Eurodac-Treffern und daraus folgenden Ungereimtheiten in den Angaben des Minderjährigen zur Reiseroute und zu früheren Asylanträgen abgeleitet werden, weil bei einem unbegleiteten Minderjährigen aus Afghanistan, der nur in Begleitung anderer Flüchtlinge unterwegs war, weder Sprach- noch Schriftkenntnisse, noch ausreichende Kenntnisse über die politischen und geografischen Verhältnisse in Europa erwartet werden können und es deshalb plausibel erscheint, dass er desorientiert ist und irrtümlich auch unzutreffende Angaben gemacht hat.

 

Manuduktionspflicht gemäß § 13a AVG

 

Die Fremdpolizeibehörde trifft im Falle eines 16-jährigen unbegleiteten Afghanen, bei dessen Befragung durch Sicherheitsorgane nur protokolliert wurde, dass er nunmehr trotz eines Zugtickets nach Zürich unbedingt in Österreich bleiben möchte, ein besondere Manuduktionspflicht. Sie hätte aus Anlass der Schubhaftentscheidung den Bf ergänzend befragen müssen, warum er unbedingt in Österreich bleiben wolle und auf welcher Grundlage er sich das vorstelle, um Missverständnisse auszuräumen und Anleitungen zu geben. Denn sein Wunsch, unbedingt in Österreich bleiben zu wollen, implizierte rechtslogisch einen Asylantrag stellen zu wollen. Wäre die belangte Behörde dieser Pflicht nachgekommen, hätte sie bereits am 5. September 2009 im Zeitpunkt der Entscheidung über Schubhaft (und nicht erst nachträglich bei der behördlichen Einvernahme am 7. September 2009) einen Asylantrag des Bf formell zur Kenntnis nehmen müssen, womit sich die Anordnung des gelinderen Mittels, in Räumlichkeiten der Betreuungseinrichtung der EASt West Unterkunft zu nehmen und sich periodisch bei der nächsten Polizeidienststelle zu melden, geradezu aufgedrängt hätte.

 

 

 

 

 

 

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum