Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-100365/13/Fra/Ka

Linz, 10.04.1992

VwSen - 100365/13/Fra/Ka Linz, am 10.April 1992 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch das Mitglied Dr. Johann Fragner über die Berufung der W K, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. M D, M, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau/Inn vom 29. November 1991, VerkR96/168/1991+1/GZ, betreffend Übertretungen der StVO 1960, nach der am 7. April 1992 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben. Das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verfahren eingestellt.

Rechtsgrundlage: § 66 Abs.4 AVG i.V.m. §§ 24, 51, 51e Abs.1 und 45 Abs.1 Z.1 VStG.

II. Es entfällt die Leistung jeglicher Strafkostenbeiträge.

Rechtsgrundlage: § 66 VStG.

Entscheidungsgründe:

I.1. Die Bezirkshauptmannschaft Braunau/Inn hat mit Straferkenntnis vom 29. November 1991, VerkR96/168/1991+1/GZ, über die Beschuldigte wegen der Verwaltungsübertretungen nach 1. § 4 Abs.1 lit.c StVO 1960 eine Geldstrafe von 1.500 S (Ersatzfreiheitsstrafe 72 Stunden) und nach 2. § 4 Abs.5 StVO 1960 eine Geldstrafe von 1.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe 48 Stunden) verhängt, weil sie am 15. Dezember 1990, gegen 16.00 Uhr, den PKW im Gemeindegebiet Sch auf der U Gemeindestraße in Richtung M gelenkt hat und es nach dem nächst dem Hause X verursachten Verkehrsunfall mit Sachschaden, an dem sie ursächlich beteiligt war, unterlassen hat, 1. an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken, zumal sie sich und das Fahrzeug vor der amtlichen Tatbestandsaufnahme von der Unfallstelle entfernte und 2. ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle zu verständigen.

Ferner wurde sie gemäß § 64 VStG zur Leistung eines Kostenbeitrages zum Strafverfahren in Höhe von 250 S, d.s.

10 % der Strafe, verpflichtet.

I.2. Gegen dieses Straferkenntnis hat die Beschuldigte rechtzeitig Berufung erhoben. Vom Instrumentarium der Berufungsvorentscheidung hat die Erstbehörde nicht Gebrauch gemacht. Damit ist die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates gegeben. Dieser hat, da jeweils 10.000 S nicht übersteigende Geldstrafen verhängt wurden, durch eines seiner Mitglieder zu entscheiden (§ 51c VStG). Am 7. April 1992 wurde eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt. I.3. Der unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

I.3.1. Die Berufungswerberin bringt vor, daß der in Rede stehende Unfall allein auf das Fehlverhalten des Unfallgegners J B zurückzuführen sei. Der gegenständliche Unfall wäre somit auch ohne ihre Anwesenheit an der Unfallstelle eingetreten. Da es die Erstbehörde unterlassen hat, den genauen Geschehensablauf bzw. den Unfallshergang anhand eines KFZ-Sachverständigen-Gutachten bzw. Ortsaugenscheines entsprechend nachzuvollziehen, könne nicht davon ausgegangen werden, daß ihr Verhalten unmittelbar Bedingung für das Entstehen des Unfalles gewesen sei. Es sei vielmehr durchaus denkbar, daß Herr J B völlig unabhängig vom sonstigen Verkehrsgeschehen infolge einer überhöhten Geschwindigkeit auf der schneeglatten Fahrbahn die Herrschaft über sein Fahrzeug verloren habe und deshalb gegen das Brückengeländer gestoßen ist. Wenn die Erstbehörde vermeint, sie wäre nicht nur verpflichtet gewesen, kurz anzuhalten, sondern sich auch von den Folgen des Unfalles zu überzeugen, übersieht sie, daß beim Vorliegen eines Vekehrsunfalles mit Schadenseintritt in keiner Weise erkennbar gewesen sei, da sie im Rückspiegel nur eine umgefahrene Schneestange bemerkt habe, nicht aber, daß der PKW auch gegen das Brückengeländer gestoßen sei. Darüber hinaus sei für sie - unter Berücksichtigung aller Begleitumstände in keiner Weise der Eindruck entstanden, sie sei gerade Zeuge eines "Unfalles" geworden, da es bei den im Zeitpunkt des Vorfalles herrschenden Witterungs- und Straßenverhältnissen keineswegs außergewöhnlich schien, daß ein entgegenkommendes Fahrzeug so weit nach rechts geriet bzw. gegen eine Schneestange rutschte. Das Vorliegen eines Verkehrsunfalles sei ihr daher nicht zu Bewußtsein gekommen, weshalb es auch keine Veranlassung gegeben habe, sich wie ein Unfallszeuge zu verhalten und an der Feststellung eines "Sachverhaltes" mitzuwirken.

Aufgrund dieser Ausführungen wurde vom unabhängigen Verwaltungssenat ein Ortsaugenschein unter Beiziehung eines Sachverständigen für Verkehrstechnik durchgeführt, wobei insbesondere die Frage zu klären war, ob das Verhalten des Beschuldigten mit dem gegenständlichen Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang stand, was zur Voraussetzung hatte, den Unfallshergang zu rekonstruieren.

I.3.2. Beim Ortsaugenschein wurde festgestellt, daß die Fahrbahn auf der gegenständlichen Brücke eine Breite von 3 m aufweist. Der Abstand zwischen den Brückengeländern beträgt 4,2 m. Nach Angaben des Zeugen fand die Begegnung 6 m vor der Brücke in seiner Fahrtrichtung statt. Er legte nach seinen Angaben eine Annäherungsstrecke von 27 m zurück, wobei die Beschuldigte ihren Angaben zufolge ca. 35 m von der Begegnungsstelle entfernt war. Nach Angaben des Zeugen fuhren beide Fahrzeuge in einem Geschwindigkeitsbereich zwischen 20 und 40 km/h. Die Überdeckung mit dem Brückengeländer erfolgte etwa mit 5 cm des rechten Kotflügels des Brückengeländers und einer Schneestange, die unmittelbar vor der Brücke aufgestellt war. Der Zeuge fuhr mit einem PKW Ford, dessen größte Breite über den Außenspiegeln gemessen und eine solche von 1,75 m festgestellt wurde. Die Beschuldigte hat angegeben, daß die Begegnung etwa 1 m im Brückenbereich in Fahrtrichtung des Zeugen stattgefunden hat. Sie habe sich etwa 20 m vor der späteren Begegnungsstelle befunden, als sie das Fahrzeug des Zeugen gesehen habe und dieser hätte sich ebenfalls 20 m vor der späteren Begegnungsstelle befunden. Die Fahrbahn sei mit Schnee bedeckt gewesen und es waren Schneehügel etwa in der Höhe von 20 cm festzustellen.

Diese Angaben würden sich etwa mit den Geschwindigkeiten der beiden Lenkerangaben decken, sodaß beide Fahrzeuge innerhalb der gleichen Zeit gleiche Wegstrecken bei gleicher Geschwindigkeit zurückgelegt haben.

Ausgehend von diesen Angaben hat der Amtssachverständige gutachtlich u.a. folgendes festgehalten: Der PKW der Beschuldigten weist eine Breite von 1,9 m auf. Summiert man die Breite beider Fahrzeuge, so ergibt sich eine Breite von 2,65 m. Da der Abstand der Brückengeländer 4,2 m beträgt, ist eine Restfreibreite von 55 cm vorhanden. Da die Beschuldigte angegeben hatte, sie hätte einen Abstand zum Brückengeländer von etwa 20 cm eingehalten, blieb zwischen den Fahrzeugen ein Abstand von 40 cm, wobei die Überdeckung mit 5 cm mit dem Brückengeländer berücksichtigt ist und der linke Fahrbahnrand der Beschuldigten habe sich 2,1 m vom Brückengeländer entfernt befunden. Dem Zeugen wären daher eine Durchgangsbreite von 2,1 m zur Verfügung gestanden. Aus beiden Angaben steht fest, daß die Beschuldigte vor dem entgegenkommenden Fahrzeug die Brücke befahren hat und im Brückenbereich aufgrund der beengten Verhältnisse insbesondere der beidseiten Schneeaufwölbungen ein gefahrloses Aneinandervorbeifahren nicht möglich gewesen war. Es hätte deshalb der entgegenkommende Lenker auf alle Fälle vor der Brücke warten müssen, um nach Freisein der Brücke diese zu befahren.

I.3.3. Entgegen der Annahme der Beschuldigten, geht aufgrund der oben dargelegten Ausführungen der unabhängige Verwaltungssenat davon aus, daß sie am gegenständlichen Verkehrsunfall ursächlich beteiligt war, denn es kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, daß der Zeuge J B nicht an das Brückengeländer angefahren wäre, wenn ihm kein PKW auf der Brücke entgegengekommen wäre. Diese Feststellung sagt selbstverständlich nichts darüber aus, wer den gegenständlichen Verkehrsunfall mit Sachschaden verschuldet hat. Da die Schuld Voraussetzung für die Strafe ist, ist daher in weiterer Folge zu prüfen, ob der Beschuldigten objektive Umstände bewußt wurden oder ihr diese Umstände bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewußtsein hätten kommen müssen, aus denen sie die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermocht hätte. Ist diese Frage zu bejahen, so hat sie die ihr zur Last gelegten Tatbestände auch zu verantworten.

I.3.4. Der Amtssachverständige hat hiezu ausgeführt, daß die Wahrnehmung der gegenständlichen Kollision auf zwei Arten möglich sein konnte, entweder optisch oder akustisch. Folgt man nun den Angaben des Zeugen, sodaß die Begegnung 6 m vor dem Brückengeländer in seiner Fahrtrichtung stattgefunden hat, beide Fahrzeuge die gleiche Geschwindigkeit fuhren, dann wäre die Beschuldigte mit ihrem Fahrzeug 12 m von der Anstoßstelle entfernt gewesen, sodaß ihr eine akustische Wahrnehmung dieses Anstoßes insbesondere darum, weil sich zwischen den Teilen eine Holzstange befand, nicht mehr möglich gewesen ist. Folgt man den Angaben der Beschuldigten, sodaß die Begegnung 1 m in der Brücke in Fahrtrichtung des Zeugen gesehen stattgefunden hat, ist zu bedenken, daß bei Konzentration auf die rechte Fahrbahnseite bzw. den Abstand zum Brückengeländer eine Wahrnehmung dieser Kollision ausgeschlossen werden kann. Dabei sei zu unterscheiden, ob die Beschuldigte während der Begegnung bzw. zum Zeitpunkt, als der Zeuge gegen das Brückengeländer gestoßen ist, in konzentrierter oder distributiver Aufmerksamkeit gefahren ist. Der wesentliche Unterschied sei, daß bei konzentrierter Aufmerksamkeit Geschehnisse im Konzentrationspunkt genau wahrgenommen werden können, Geschehnisse außerhalb dieses Punktes jedoch nicht. Bei distributiver Aufmerksamkeit können flächendeckend alle Bewegungen wahrgenommen werden, jedoch ist keine genaue Wahrnehmung bezogen auf einen Punkt gegeben. Die konzentrierte bzw. distributive Aufmerksamkeit treten nie miteinander, sondern nur hintereinander auf. Beim Befahren einer Engstelle wie im gegenständlichen Fall mußte sich die Beschuldigte nach dem rechten Brückengeländer richten, insbesondere nach dem Endpfeiler, sodaß sie in konzentrierter Aufmerksamkeit zu diesem Blickpunkt gefahren ist. Sie habe daher Geschehnisse außerhalb des Randgesichtsfeldes nicht wahrnehmen können.

I.3.5. Der Lokalaugenschein hat weiters ergeben, daß die Schneestange, welche die Beschuldigte nach eigener Angabe gesehen hat, als sie auf der Straße gelegen ist, unmittelbar vor dem Brückengeländer angebracht war. Der Sachverständige hat hiezu ausgeführt, daß diese Schneestange nicht schadenskausal war. Die Beschuldigte hat ausgeführt, sie hätte die Kollision des Zeugen PKW's mit dem Brückengeländer nicht bemerkt, sondern eben lediglich im Rückspiegel gesehen, als der Zeuge eine Schneestange vom Boden aufgehoben hat. Es bleibt somit noch die Frage zu klären, ob die Beschuldigte rechtlich verpflichtet gewesen wäre, nachdem sie gesehen hat, daß der Zeuge eine Schneestange von der Fahrbahn räumt, anzuhalten, zum PKW des Zeugen zurückzugehen, um sich zu vergewissern, ob allenfalls ein Schaden entstanden ist. Der unabhängige Verwaltungssenat geht davon aus, daß man die Sorgfaltspflicht überspannen würde, wenn man aufgrund der oben dargelegten Umstände eine Rechtspflicht der Beschuldigten ableiten würde, daß sie im gegenständlichen Fall anzuhalten, zurückzugehen und sich zu vergewissern gehabt hätte, ob allenfalls ein Schaden entstanden ist, zumal ja der Beschuldigten ein Verstoß gegen die Fahrregeln nicht vorgeworfen wurde. Der Zeuge J B ist weder mit seinem Fahrzeug ins Schleudern gekommen, noch hat dieser vor der Brücke laut seinen eigenen Angaben gebremst. Für die Beschuldigte spricht weiters, daß sie so langsam weitergefahren ist, sodaß es dem Unfallsgegner möglich war, das Kennzeichen zu notieren. Es wird daher im Zweifel davon ausgegangen, daß sie die Berührung des Zeugenfahrzeuges mit dem Brückengeländer nicht wahrnehmen konnte. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

zu II. Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf die im Spruch angeführte gesetzliche Bestimmung.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist eine weitere Berufung unzulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden. Sie muß von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. F r a g n e r 6

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