Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-164144/7/Fra/Bb/Sta

Linz, 03.12.2009

 

 

 

 

E r k e n n t n i s

(Bescheid)

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Johann Fragner über die Berufung des Herrn x geb. 1978, vertreten durch Herrn Rechtsanwalt x vom 20. Februar 2009, gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 12. Februar 2009, GZ VerkR96-22534-2008-Spi, wegen einer Übertretung nach der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960), zu Recht erkannt:

 

 

I.                  Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verfahren eingestellt.

 

II.              Es entfällt die Verpflichtung zur Leistung jeglicher Verfahrenskostenbeiträge.

 

 

  

Rechtsgrundlagen:

zu I.: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwal­tungsverfahrens­gesetz 1991 – AVG iVm §§ 24, 45 Abs.1 Z1 und 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG.

zu II.: § 66 Abs.1 VStG.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Zu I.:

 

1.1. Der Bezirkshauptmann von Vöcklabruck hat Herrn x (den Berufungswerber) mit Straferkenntnis vom 12. Februar 2009, GZ VerkR96-22534-2008-Spi, vorgeworfen, am 13. September 2008 um 08.17 Uhr als Lenker des Lkw, Kennzeichen x welcher ein höchst zulässiges Gesamtgewicht von 26.000 kg aufweist, in der Gemeinde Pöndorf, auf der B1 bei km 266,203 das Verbotszeichen "Fahrverbot für Lastkraftfahrzeuge mit einem höchst zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen ausgenommen Ziel- oder Quellverkehr für die Gemeindegebiete Frankenburg a.H., Frankenmarkt, Fornach, Neukirchen a.d.V., Pfaffing, Pöndorf, Redleiten, Vöcklamarkt und Weißkirchen i.A." nicht beachtet zu haben.

 

Der Berufungswerber habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach
§ 52 lit.a Z7a StVO iVm der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 31. Juli 2007, VerkR01-1156-1-2006, begangen, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs.3 lit.a StVO eine Geldstrafe in Höhe von 100 Euro, im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 60 Stunden, verhängt wurde.
Überdies wurde er zur Zahlung eines Verfahrenskostenbeitrages in Höhe von 10 Euro verpflichtet.

 

1.2. Gegen dieses Straferkenntnis, zugestellt am 19. Februar 2009, richtet sich die durch den ausgewiesenen Rechtsvertreter bei der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck erhobene Berufung vom 20. Februar 2009. Der Berufungswerber beantragt darin im Wesentlichen die Aufhebung des Straferkenntnisses  und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens.

 

In seiner Berufungsergänzung vom 11. November 2009 verweist der Berufungswerber auf ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 17. September 2009, Beschwerde Scoppola gegen Italien, Nr. 10.249/03, worin der EGMR eine Verletzung des Artikels 7 der EMRK festgestellt habe, weil die italienischen Gerichte dem dortigen Angeklagten zu Unrecht die Anwendung des nach Tatbegehung erlassenen milderen Strafgesetztes verweigert hätten. Der Berufungswerber vertritt deshalb die Auffassung, dass, da nach der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 28. April 2009 die Vorgängerbestimmungen abgeändert wurden und nunmehr Neumarkt/W. nicht mehr unter das Lkw-Fahrverbot falle, jene Normen weggefallen seien, welche sein Verhalten unter Strafe gestellt haben. Die aktuelle Verordnung sei somit für ihn bedeutend günstiger als jene zum Tatzeitpunkt, weshalb er unter Hinweis auf das angesprochene Urteil des EGMR wiederholt beantragt, seiner Berufung Folge zu geben und das Verwaltungsstrafverfahren zur Einstellung zu bringen.

 

2.1. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck hat die Berufung samt dem bezughabenden Verwaltungsstrafakt mit Schreiben vom 28. April 2009, GZ VerkR96-22534-2008-Spi, dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Entscheidung vorgelegt. Eine Berufungsvorentscheidung wurde nicht erlassen.

2.2. Die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich ist gemäß § 51 Abs.1 VStG gegeben, wobei dieser, da weder eine primäre Freiheitsstrafe noch eine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurden, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zur Entscheidung berufen ist (§ 51c VStG).

 

2.3. Die Berufung wurde innerhalb der zweiwöchigen Rechtsmittelfrist und zwar am 20. Februar 2009 per Telefax bei der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck eingebracht und sie ist daher rechtzeitig.

 

2.4. Der Unabhängige Verwaltungssenate des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsstrafakt der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck, GZ VerkR96-22534-2008 und in deren Verordnungen vom 31. Juli 2007, GZ VerkR01-1156-1-2006, vom 23. September 2008, GZ VerkR01-1156-2-2006 und in die Verordnung vom 28. April 2009, GZ VerkR01-1156-3-2006. Weiters wurde Einsicht genommen in das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vom 17. September 2009, Beschwerdenummer 10.249/03, Scoppola gegen Italien (Nr.2).

 

Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass das mit der Berufung angefochtene Straferkenntnis aufzuheben ist (§ 51e Abs.2 Z1 VStG).

 

2.5. Aus dem vorliegenden Akt ergibt sich für den Unabhängigen Verwaltungssenat folgender Sachverhalt, der der Entscheidung zugrunde liegt:

 

Der Berufungswerber lenkte am 13. September 2008 um 08.17 Uhr den Lkw mit dem Kennzeichen x, mit einem höchstzulässigen Gesamtgewicht von 26.000 kg, in der Gemeinde Pöndorf, auf der B1, bei km 266,203, von Timelkam kommend durch Frankenmarkt mit dem Fahrtziel Neumarkt/W. trotz des geltenden "Fahrverbotes für Lastkraftfahrzeuge mit einem höchst zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen - ausgenommen Ziel- oder Quellverkehr für die Gemeindegebiete Frankenburg a.H., Frankenmarkt, Fornach, Neukirchen a.d.V., Pfaffing, Pöndorf, Redleiten, Vöcklamarkt und Weißenkirchen i.A."

 

Gemäß der Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 31. Juli 2007, GZ VerkR01-1156-1-2006, ist nach § 43 Abs.1 lit.b Z1 und Abs.2 lit.a StVO 1960 auf der B1 Wienerstraße ab der Abzweigung der L540 Attergaustraße (km 258,543) bis zur Abzweigung der 1281 Vöcklatalstraße (km 266,216) in beiden Fahrtrichtungen das Fahren mit Lastkraftfahrzeugen mit einem höchstzulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen verboten. Von diesem Verbot sind Fahrten - wie bereits oben aufgezählt - im Ziel- oder Quellverkehr für die Gemeindegebiete Frankenburg a.H., Frankenmarkt, Fornach, Neukirchen a.d.V., Pfaffing, Pöndorf, Redleiten, Vöcklamarkt und Weißenkirchen i.A. ausgenommen.

 

Mit Verordnung vom 23. September 2008, GZ VerkR01-1156-2-2006 der  Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck wurde die Verordnung vom 31. Juli 2007  aufgehoben und in der neuen Verordnung nunmehr sämtliche Fahrten im Ziel- oder Quellverkehr für den gesamten Bezirk Vöcklabruck vom Fahrverbot ausgenommen. Mit 28. April 2009 wurde auch die Verordnung vom 23. September 2008 beseitigt und durch die Verordnung vom 28. April 2009, GZ VerkR01-1156-3-2006, ersetzt. Das Fahrverbot wurde nunmehr dahingehend ausgeweitet als neben Fahrten im Ziel- oder Quellverkehr für den Bezirk Vöcklabruck auch die Gemeinden Straßwalchen, Neumarkt/W., Lochen und Lengau von der Ausnahme des Verbotes erfasst wurden. 

 

2.6. Diese Sachverhaltsfeststellungen gründen sich im Wesentlichen auf den erstinstanzlichen Verfahrensakt sowie auf die Verordnungen der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 31. Juli 2007, GZ VerkR01-1156-1-2006, vom 23. September 2008, GZ VerkR01-1156-2-2006, und vom 28. April 2009, GZ VerkR01-1156-3-2006.

 

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1. § 52 lit.a Z7a StVO lautet:

"FAHRVERBOT FÜR LASTKRAFTFAHRZEUGE"

 

Diese Zeichen zeigen an, dass das Fahren mit Lastkraftfahrzeugen verboten ist. Eine Gewichtsangabe bedeutet, dass das Verbot nur für ein Lastkraftfahrzeug gilt, wenn das höchste zulässige Gesamtgewicht des Lastkraftfahrzeuges oder das höchste zulässige Gesamtgewicht eines mitgeführten Anhängers das im Zeichen angegebene Gewicht überschreitet.

 

Eine Längenangabe bedeutet, dass das Verbot nur gilt, wenn die Länge des Lastkraftfahrzeuges oder die Länge eines mitgeführten Anhängers oder die Länge des Lastkraftfahrzeuges samt Anhänger die im Zeichen angegebene Länge überschreitet.

 

Gemäß Artikel 7 Abs.1 EMRK kann niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine höhere Strafe als die im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden.

 

3.2. Als der Berufungswerber zur vorgeworfenen Tatzeit am 13. September 2008 den Lkw, Kennzeichen x mit einem höchst zulässigen Gesamtgewicht von 26.000 kg, auf der B1 bei km 266,203 in der Gemeinde Pöndorf, von Timelkam durch Frankenmarkt mit dem Fahrtziel Neumarkt/W. lenkte, fiel er nicht unter die genannten Ausnahmen vom Fahrverbot der zur Tatzeit in Kraft stehenden Verordnung vom 31. Juli 2007, GZ VerkR01-1156-1-2006. Weder der Ausgangspunkt noch das Ziel seiner Fahrt befanden sich innerhalb des örtlichen Bereiches des vom Fahrverbot ausgenommenen Verkehrs. Das Verhalten des Berufungswerber war daher zum damaligen Zeitpunkt - gemäß § 99 Abs.3 lit.a StVO – mit Strafe bis zu 726 Euro bedroht.

 

Nach der aktuell geltenden Verordnung vom 28. April 2009, GZ Verk01-1156-3-2006 fällt jedoch nunmehr die Gemeinde Neumarkt/W. unter die Ausnahmen des Fahrverbotes. Mit Inkrafttreten der Verordnung vom 28. April 2009 sind Fahrten im Ziel- oder Quellverkehr zu oder aus der Gemeinde Neumarkt/W. erlaubt, weshalb das vom Berufungswerber gesetzte Verhalten nach der derzeit gültigen Verordnung keinen Verstoß gegen das Fahrverbot mehr darstellt und nicht dieser mehr strafbar ist.

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat sich im Urteil vom 17. September 2009 im Fall Scoppola gegen Italien (Nr.2), Beschwerde Nr. 10.249/03 eingehend mit Artikel 7 Abs.1 der EMRK auseinander gesetzt. Der EGMR ist in dieser Entscheidung von seiner bisherigen Rechtsprechung zu Artikel 7 Abs.1 EMRK abgegangen und hat nunmehr bekräftigt, dass Artikel 7 Abs.1 EMRK nicht nur das Verbot der rückwirkenden Anwendung strengerer Strafgesetze enthält, sondern auch implizit das Prinzip der Rückwirkung milderer Strafgesetze. Bestehen Unterschiede zwischen dem zur Zeit der Tatbegehung geltenden Recht und späteren Strafgesetzen, die vor einem rechtskräftigen Urteil erlassen werden, so der EGMR weiter, müssen die Gerichte jenes Gesetz anwenden, dessen Bestimmungen am günstigsten für den Angeklagten sind.

 

Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Rechtsprechung des EGMR ist im Gegenstandsfall in verfassungskonformer Interpretation des § 1 Abs.2 VStG damit jene Verordnung heranzuziehen, deren Bestimmungen sich jedenfalls für den Berufungswerber am günstigsten darstellen. Dies ist zweifellos die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 28. April 2009, GZ VerkR01-1156-3-2006. Entsprechend dieser Verordnung ist das damalige Fahrtziel des Berufungswerbers (Neumarkt) nunmehr im Ziel- oder Quellverkehr vom Fahrverbot ausgenommen, weshalb unter Anwendung dieser Verordnung vom 28. April 2009 das Verhalten des Berufungswerber vom 13. September 2008 keine Verwaltungsübertretung nach § 52 lit.a Z7a StVO (mehr) bildet.

 

Es war daher seiner Berufung stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z1 VStG einzustellen.

 

Zu II.:

 

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf die im Spruch angeführten gesetzlichen Bestimmungen.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

 

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

Dr.  Johann Fragner