Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-164408/14/Fra/Ka

Linz, 17.12.2009

 

Mitglied, Berichter/in, Bearbeiter/in:                                                                                                                               Zimmer, Rückfragen:

Johann Fragner, Dr., Hofrat                                                                               2A18, Tel. Kl. 15593

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Johann Fragner über die Berufung des Herrn x vertreten durch Frau x, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung vom 13.8.2009, VerkR96-2241-209-BS, betreffend Übertretungen der StVO 1960, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 30.11.2009, zu Recht erkannt:

 

 

I. Hinsichtlich des Faktums 1 (§ 11 Abs.1 StVO 1960) wird die Berufung als unbegründet abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis bestätigt. Hinsichtlich des Faktums 2 (§ 11 Abs.2 StVO 1960) wird der Berufung stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

 

II. Der Berufungswerber hat zum Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat hinsichtlich des Faktums 1 einen Kostenbeitrag in Höhe von 20 % der verhängten Geldstrafe (18 Euro) zu entrichten.

Zum Verfahren hinsichtlich des Faktums 2 hat der Berufungswerber weder Verfahrenskostenbeiträge zum erstinstanzlichen Verfahren noch zum Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat zu entrichten.     

 

 

Rechtsgrundlagen:

zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24 und 45 Abs.1 Z1 VStG; §§ 16 und 19 VStG.

zu II.: § 64 Abs. 1 und 2 VStG; § 66 Abs.1 VStG

 

 

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

I.1. Die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung hat mit dem in der Präambel angeführten Straferkenntnis über den Berufungswerber (Bw)

1) wegen Übertretung des § 11 Abs.1 StVO 1960 gemäß § 99 Abs.3 lit.a leg.cit.  eine Geldstrafe von 90 Euro (EFS 42 Stunden) und

2) wegen Übertretung des § 11 Abs.2 StVO 1960 gemäß § 99 Abs.3 lit.a leg.cit. eine Geldstrafe von 50 Euro (EFS 24 Stunden) verhängt, weil er

in der Gemeinde Linz, Autobahn, Ortsgebiet, Linz, Stadtautobahn A7, Höhe Auffahrt Prinz-Eugen-Straße, stadtauswärts, am 15.3.2009 um 15.30 Uhr als Lenker des Fahrzeuges, Kz.: x

1) den Fahrstreifen gewechselt hat, ohne sich davon zu überzeugen, dass dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist,

2) den bevorstehenden Wechsel des Fahrstreifens nicht rechtzeitig angezeigt hat, wodurch sich andere Straßenbenützer auf den bevorstehenden Vorgang nicht einstellen konnten.

 

Ferner wurde gemäß § 64 VStG jeweils ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 10 % der verhängten Geldstrafen vorgeschrieben.

 

I.2. Dagegen richtet sich die rechtzeitig durch die ausgewiesene Vertreterin eingebrachte Berufung. Im Wesentlichen bringt der Bw vor, dass er ein Auto im Rückspiegel gesehen habe, dieses aber weit entfernt gewesen sei, sodass von einer Behinderung oder Gefährdung nicht die Rede sein könne. Der PKW habe dann sehr rasch aufgeholt. Da er die vorgeschriebene Geschwindigkeit von 80 km/h eingehalten habe, habe er vermutet, dass der andere PKW mindestens 100 km/h gefahren sein muss. Er habe sein Fahrzeug die ganze Fahrt hindurch über vorschriftsmäßig gelenkt. Es treffe ihn kein Verschulden am ggst. Vorfall. Aus der Zeugeneinvernahme des Zeugen x vom 30.6.2009 gehe hervor "(vgl. Meine Geschwindigkeit betrug ca. 90 km/h in der 80 km/h-Beschränkung"), dass dieser eine überhöhte Geschwindigkeit am Vorfallstag eingehalten habe. Er habe jedenfalls den Blinker gesetzt und somit den Fahrstreifenwechsel angezeigt – dies unter vorheriger Überzeugung, dass der Fahrstreifenwechsel ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer stattfinden könne. Außerdem sei die verhängte Strafe nicht tat- und schuldangemessen. Bei korrekter Abwägung der Erschwerungs- und Milderungsgründe wäre eine geringere Strafe angemessen gewesen. Im gegenständlichen Falle sei auch mit einer Ermahnung im Sinne des § 21 VStG das Auslangen zu finden. Weiters sei er sorgepflichtig für zwei minderjährige Kinder, seine Ehegattin und ein studierendes Kind und verfüge über keinerlei Vermögen. Er habe auch Kreditverbindlichkeiten für den Erhalt eines Wohnhauses. Er sei bereits im Ruhestand und verdiene 1.800 Euro monatlich.

 

Der Bw beantragt das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

 

I.3. Die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung – als nunmehr belangte Behörde – sah sich zu einer Berufungsvorentscheidung nicht veranlasst und legte das Rechtsmittel samt bezughabendem Verwaltungsstrafakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vor, der, weil jeweils 2.000  Euro nicht übersteigende Geldstrafen verhängt wurden, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden hat (§ 51c erster Satz VStG).

 

I.4. Beweis wurde aufgenommen durch Einvernahme der Zeugin x des Herrn x sowie durch Befragung des Bw im Rahmen der am 30.11.2009 durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung.

 

I.5. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich  ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Bw den ihm zur Last gelegten Tatbestand einer Verwaltungsübertretung nach § 11 Abs.1 StVO 1960 begangen hat. Er folgt insoweit den Aussagen der vernommenen Zeugen. Frau x führte bei der Berufungsverhandlung insbesondere aus, dass, als ihr Gatte an der Vorfallsörtlichkeit zur Vorfallszeit den PKW, Kz  x stadtauswärts gelenkt habe, der Lenker eines roten Fahrzeuges (der vom Bw gelenkte PKW) von der Auffahrt Prinz-Eugen-Straße kommend seinen PKW unmittelbar vom ersten Fahrstreifen auf die Überholspur gelenkt habe. Sie habe ihrem Gatten noch zugerufen "Schatzi pass auf" und dieser sei sofort auf die Bremse gestiegen. Sie habe geglaubt, "es sei aus". Zur Geschwindigkeit der beiden Fahrzeuge konnte sie keine Angaben machen und sie konnte weder bestätigen noch ausschließen, ob der Bw den Fahrstreifenwechsel angezeigt habe. Herr x sagte zeugenschaftlich bei der Berufungsverhandlung aus, er könne sich erinnern, dass seine Gattin ihm zugerufen habe "Schatzi, pass auf" und er sofort gebremst habe. In diesem Moment sei ein rotes Fahrzeug von der Auffahrt Prinz-Eugen-Straße quer über den ersten Fahrstreifen unmittelbar auf den linken Fahrstreifen gewechselt. Zur Geschwindigkeit befragt gab der  Zeuge an, dass  seine Geschwindigkeit ca. 80 bis 85 km/h betragen habe, es können aber auch 90 km/h gewesen sein. (Anmerkung: bei seiner zeugenschaftlichen Einvernahme vor der Bundespolizeidirektion Linz gab der Bw noch an, dass  seine Geschwindigkeit ca. 90 km/h betrug). Beide Zeugen gaben an, sich gefährdet gefühlt zu haben und dass auf den Beifahrersitz ein Kind befördert wurde.

 

Es ist sohin festzustellen, dass sich die Versionen des Bw sowie die Versionen der Zeugen widersprechen. Der Oö. Verwaltungssenat folgt der Version der Zeugen, zumal diese einerseits die wesentlichen Sachverhaltselemente betreffend glaubhaft wirkten und aufgrund der Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass Fahrzeuglenker andere Fahrzeuglenker wegen eines Vorfalls bzw Fehlverhaltens in der Regel nur dann anzeigen, wenn sie eine Stresssituation erlebt haben. Herr x bekundete auch, dass dies seine erste Anzeige gewesen sei und diese habe er deshalb gemacht, weil er sich gefährdet gefühlt habe. Zudem ist der formale Aspekt zu berücksichtigen, dass Zeugen unter Wahrheitspflicht stehen, bei deren Verletzung sie mit strafrechtlichen Sanktionen zu rechnen hätten. Das hier zuständige Mitglied hat die Zeugen ausdrücklich vor der Einvernahme auf die möglichen Folgen einer falschen Zeugenaussage hingewiesen. Beim Vorbringen des Bw ist jedoch Folgendes zu bedenken: Der Lenker nimmt beim Autofahren zahlreiche Sinneswahrnehmungen auf. Dies erfordert eine drastische Auswahl jener Wahrnehmungen, die den höheren Hirnzentren zugeleitet werden, da diese sonst mit unwesentliche Information überschwemmt und blockiert würden (vgl. Watzlawik/Beavien/Jackson, Menschliche Kommunikationsformen, Störungen, Paradoxien, 4. Auflage 1974, Seite 92). Dementsprechend sind im Gehirn gewissermaßen Filter für Wahrnehmungen eingebaut: Ultrakurzzeit- und Kurzzeit-Gedächtnis. Was über diese Filter nicht in das Langzeit-Gedächtnis gelangt, kann nicht erinnert werden; es wird gewissermaßen im Gehirn gelöscht, wie ein übersprochenes Tonband. Auf den gegenständlichen Fall bezogen, bei dem sich der Bw lt. eigenen Angaben gesetzeskonform verhalten hat, wobei noch zu bedenken ist, dass er auch vor und auch nach dem Vorfall seinen PKW ebenfalls gelenkt hat,  ist es nun völlig unwahrscheinlich, sich nach Wochen später an eine derartige, nur ein paar Sekunden dauernde Begebenheit erinnern zu können. Im Grunde genommen würde das bedeuten, sich an jede einzelne Situation rechtskonformen Verhaltens im Straßenverkehr erinnern zu können. Die Wahrnehmung ist ein Persönlichkeitsakt. Alle Wahrnehmungen werden in einer konkreten emotionalen Verfassung gemacht. So nimmt man ein Fehlverhalten im Straßenverkehr viel eher wahr, als ein gesetzeskonformes Verhalten. Fährt man gesetzeskonform – wie dies der Bw behauptet – auf die Autobahn, ist dies aus der Sicht der Wahrnehmungsbereitschaft zunächst eine uninteressante Einzelheit. Kommt jedoch später – hier nach der Zustellung der Aufforderung zur Rechtfertigung – Interesse daran auf, kann die ursprünglich fehlende Aufnahmebereitschaft nicht ersetzt werden. Diese Ausführungen betreffend die Wahrnehmungsfähigkeit und Wahrnehmungsbereitschaft sind jedoch bei den Zeugen unter eine andere Prämisse zu stellen, denn die haben ihre bekundeten Wahrnehmungen in einer konkreten emotionalen Situation gemacht; aus deren Sicht hat sich der Bw im Straßenverkehr fehlverhalten (vgl. Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, S. 225ff).

 

Der Oö. Verwaltungssenat folgt daher den Bekundungen der  Zeugen und stellt sie als erwiesen fest. Weitere Beweise waren nicht mehr aufzunehmen.

 

Rechtlich beurteilend ist Folgendes festzuhalten:

 

Gemäß § 11 Abs. 1 StVO 1960 darf der Lenker eines Fahrzeuges die Fahrtrichtung nur ändern oder den Fahrstreifen wechseln, nachdem er sich davon überzeugt hat, dass dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist. Das strafbare Verhalten nach dieser Gesetzesstelle besteht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in der Unterlassung des Lenkers eines Fahrzeuges, sich davon zu überzeugen, dass die Änderung der Fahrtrichtung oder der Wechsel des Fahrstreifens ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich ist, nicht aber in der Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer. Der Tatbestand des § 11 Abs.1 StVO 1960 ist daher auch dann verwirklicht, wenn diese Unterlassung nicht tatsächlich zu einer Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer geführt hat; Voraussetzung hiefür ist lediglich, dass aufgrund der konkreten Verkehrssituation unter Bedachtnahme auf alle gegebenen Möglichkeiten, mit denen zumutbarer Weise gerechnet werden konnte, eine Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer nicht auszuschließen war und deshalb aus Gründen der Verkehrssicherheit die Änderung der Fahrtrichtung oder der Wechsel des Fahrstreifens hätte unterbleiben müssen (vgl. VwGH vom 19.12.1985, 85/02/0119). Aus diesem Grunde kann es dahingestellt bleiben, ob der Zeuge seinen PKW mit 80, 85, 90 km/h oder schneller gelenkt hat und ob es aus objektiver Sicht notwendig war, dass dieser sein Fahrzeug gebremst hat.

 

Gemäß § 11 Abs.2 StVO 1960 darf der Lenker eines Fahrzeuges die bevorstehende Änderung der Fahrtrichtung oder den bevorstehenden Wechsel des Fahrstreifens so rechtzeitig anzeigen, dass sich andere Straßenbenützer auf den angezeigten Vorgang einstellen konnten. Im Grunde der Aussagen der Zeugen, wonach diese nicht mit Sicherheit feststellen konnten, dass der Bw den Fahrstreifenwechsel angezeigt hat, kann  nicht mit für ein Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass der Bw tatbildlich gehandelt hat. Diese Verwaltungsübertretung ist sohin nicht erwiesen, weshalb der diesbezügliche Spruchpunkt zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen war.

 

Strafbemessung:

 

Die Strafe ist nach den Kriterien des § 19 VStG festzusetzen. Die Strafzumessung innerhalb eines gesetzlichen Strafrahmens ist eine Ermessensentscheidung. § 19 Abs.1 leg.cit. enthält die objektiven Kriterien, die Grundlage für jede Strafbemessung sind. Darüber hinaus normiert Abs.2 für das ordentliche Verfahren eine Reihe weiterer zu berücksichtigender subjektiver Umstände. Was die zu berücksichtigenden sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Bw anlangt, geht der Oö. Verwaltungssenat von seinen Angaben insoferne aus, als er für zwei minderjährige Kinder, ein studierendes Kind sowie Ehegattin sorgepflichtig ist sowie Kreditverbindlichkeiten für den Erhalt eines Wohnhauses ist. Weiters behauptet er, dass er als Universitätsprofessor im Ruhestand lediglich ein monatliches Einkommen von 1.800 Euro bezieht. Dies erscheint unrealistisch. Der Oö. Verwaltungssenat legt daher ein übliches Einkommen eines Universitätsprofessors im Ruhestand der Strafbemessung zugrunde. Der Bw ist verwaltungsstrafrechtlich unbescholten. Dieser Umstand wird als mildernd gewertet. Erschwerende Umstände sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Mit der bemessenen Geldstrafe wurde der gesetzliche Strafrahmen lediglich zu  rund 12,4 Prozent ausgeschöpft. Der Oö. Verwaltungssenat hält daher die verhängte Strafe unter Bedachtnahme auf die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Bw für tat- und schuldangemessen. Eine Anwendung des § 21 Abs.1 VStG kommt deshalb nicht in Betracht, weil keine Umstände vorliegen, welche den Schluss nahelegen, dass das tatbildmäßige Verhalten des Bw hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt erheblich zurückbleibt. Nur dann kann von einem geringfügigen Verschulden ausgegangen werden (vgl. VwGH 29.5.1998, 98/02/0050, 0132 ua).

 

Aus den genannten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.

 

II. Die Kostenentscheidung ist gesetzlich begründet.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

 

 

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

Dr. Johann Fragner