Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720261/3/Fi/MZ/Ga

Linz, 09.12.2009

 

 

E r k e n n t n i s

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Vizepräsident Mag. Dr. Johannes Fischer über die Berufung des X, vertreten durch Rechtsanwalt X, gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 22. Jänner 2009, GZ 1056906/FRB, wegen der Ausweisung nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005, mit diesem Bescheid zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an den Polizeidirektor von Linz zurückverwiesen.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG iVm §§ 2 Abs 4 Z 1 und 11, 6 Abs 1, 9 Abs 1 Z1, 31 Abs 1, 53 Abs 1 und 86 Abs 2 und 3 Fremdenpolizeigesetz 2005-FPG (BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2009/29).

 


Entscheidungsgründe:

1.1.         Mit dem angefochtenen Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 22. Jänner 2009, GZ. 1056906/FRB, wurde der Berufungswerber (im Folgenden kurz: Bw) ausgewiesen.

Begründend führt die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Bw am
4. Februar 2003 illegal mit einem LKW nach Österreich eingereist ist. Am selben Tag stellte er beim Bundesasylamt einen Asylantrag. Das Asylverfahren wurde am
21. Oktober 2008 negativ entschieden, die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde vom Verfassungsgerichtshof abgelehnt.

Da nach der ständigen Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofs die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung darstelle, könne auch der nunmehrige nahezu sechs Jahre dauernde Aufenthalt in Österreich die Notwendigkeit der Ausweisung nicht relativieren. Wenn Fremde nach Abschluss des Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verlassen, werde die öffentliche Ordnung schwerwiegend beeinträchtigt. Es könne nicht hingenommen werden, dass Fremde ihren nicht rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet beharrlich fortsetzen und die Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen versuchen.

1.2.         Gegen den Bescheid, im Wege der rechtsfreundlichen Vertretung zugestellt am 26. Jänner 2009, erhob der Bw mit Schreiben vom 6. Februar 2009, bei der Bundespolizeidirektion Linz eingelangt am 9. Februar 2009 – und damit rechtzeitig – das Rechtsmittel der Berufung.

Begründend wird darin im Wesentlichen ausgeführt, dass die belangte Behörde die Interessensabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse der Republik Österreich an einer geordneten Fremdenpolizei und dem Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers nur unzureichend wahrgenommen habe. Der Bw sei seit sechs Jahren in Österreich aufhältig, habe mehrere Deutschkurse absolviert und sich einen großen Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich aufgebaut. Er arbeite für mehrere Verlage als Zeitungsausträger und könne auf Grund dieser beruflichen Tätigkeiten für seinen Lebensunterhalt selbstständig aufkommen. Darüber hinaus habe der Bw eine tschechische Freundin, die sich in Österreich niederzulassen und einer Erwerbstätigkeit nachzugehen gedenke und die er in Bälde ehelichen wolle.

Der Bw stellt daher die Anträge:

a)      den Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 22. Jänner 2009, AZ: 1056906/FRB, zugestellt am 26. Jänner 2009, dahingehend abzuändern, dass die gegen ihn ausgesprochene Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet ersatzlos aufgehoben wird, in eventu

b)      den gegenständlichen Bescheid zur Gänze aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidung an die Erstinstanz zurückzuverweisen.

1.3. Der Polizeidirektor von Linz hat die Berufung samt dem von ihm geführten Verwaltungsakt erster Instanz mit Schreiben vom 16. Februar 2009 dem Sicherheitsdirektor für das Bundesland Oberösterreich zur Berufungsentscheidung vorgelegt. Von der Möglichkeit, eine Berufungsvorentscheidung zu erlassen, wurde nicht Gebrauch gemacht.

1.4.         Am 5. August 2009 ehelichte der Berufungswerber Frau X, aus X, mit der er nunmehr an der oben genannten Adresse zusammen lebt.

1.5.         Mit Schreiben vom 13. November 2009, beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich eingelangt am 17. November 2009, wurde die Berufung vom Sicherheitsdirektor des Bundeslandes Oberösterreich gemäß § 6 Abs 1 AVG unter Hinweis auf das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, weitergeleitet.

2.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat ist zur Sachentscheidung gemäß § 9 Abs 1 Z 1 FPG durch eines seiner Mitglieder (vgl. §67a Abs 1 Z1 AVG) zuständig.

2.2. Das Rechtsmittel ist – wie bereits in Punkt 1.2. dargestellt – rechtzeitig.

2.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorliegenden Verwaltungsakt erster Instanz, in den angefochtenen Bescheid, in die Berufung sowie in die vorgelegte Heiratsurkunde vom 5. August 2009.

2.4. Aus den dargelegten Beweismitteln ergibt sich für den Unabhängigen Verwaltungssenat folgender Sachverhalt, der seiner Entscheidung zu Grunde liegt:

Der Berufungswerber ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er ist am 24. Februar 2003 illegal mit einem LKW nach Österreich eingereist. Sein Asylverfahren wurde negativ entschieden, die dagegen erhobene Beschwerde vom Verfassungsgerichtshof abgelehnt. Am 22. Jänner 2009 erging der hier angefochtene Bescheid des Polizeidirektors von Linz, mit welchem der Bw ausgewiesen wird. Am 5. August 2009 heiratete der Bw die X Staatsbürgerin X. Seit 18. August 2009 leben die Ehegatten gemeinsam in Linz.

3. In der Sache selbst hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Folgende Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2009/29, sind im Verfahren maßgeblich:

"§ 9. (1) (Verfassungsbestimmung) Über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz entscheiden, sofern nichts anderes bestimmt ist,

1.     im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und

2.     in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz. [...]

§ 2. (4) Z 11 begünstigter Drittstaatsanghöriger: der Ehegatte, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den Freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine gemeinschaftsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht;

§ 53. (1) Fremde können mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.

§ 31. (1) Fremde halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1.     wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;

2.     wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;

3.     wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind;

4.     solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt;

5.     soweit sie nicht auf Grund eines Rücknahmeabkommens (§ 19 Abs. 4) oder internationaler Gepflogenheiten rückgenommen werden mussten oder nicht auf Grund einer Durchbeförderungserklärung, sonstiger zwischenstaatlicher Abkommen oder auf Ersuchen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union um Durchbeförderung (§ 48 Abs. 1) oder auf Grund einer Durchlieferungsbewilligung gemäß § 67 ARHG eingereist sind;

6.     wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3 Abs. 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs. 3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, inne haben oder

7.     soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.

§ 66. (1) Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Ausweisung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Sonderbestimmungen für freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger und Schweizer Bürger sowie für begünstigte Drittstaatsangehörige und Familienangehörige von nicht freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern, Schweizern und Österreichern

§ 86. (2) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige sind dann auszuweisen, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 1 NAG das Niederlassungsrecht fehlt."

3.2.1. Der Bw ist zwar unzweifelhaft als nigerianischer Staatsbürger Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG, seit der Ehelichung der tschechischen Staatsbürgerin X am 5. August 2009 jedoch auch begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne von § 2 Abs. 4 Z 11 FPG. Um den Bw auszuweisen, reicht die Erfüllung des Tatbestandes der §§ 51 Abs 1 iVm 31 Abs 1 FPG daher nicht aus.

3.2.2. Es ist nun vielmehr – im Gegensatz zum Entscheidungszeitpunkt der erstinstanzlichen Behörde – das 10. Hauptstück des FPG, welches Sonderbestimmungen für freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger und Schweizer Bürger sowie für begünstigte Drittstaatsangehörige enthält, anzuwenden.

§ 86 Abs 2 FPG zu Folge dürfen EWR-Bürger bzw begünstigte Drittstaatsangehörige nur dann ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs 1 NAG das Niederlassungsrecht fehlt.

3.2.3. § 66 Abs 2 AVG berechtigt die Berufungsbehörde, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich scheint, den angefochtenen Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückzuverweisen.

Seit Erlassung des angefochtenen Bescheides sind erheblich Umstände eingetreten, welche von der Behörde I. Instanz im Rahmen ihrer Entscheidungsfindung noch keine Berücksichtigung fanden. Es ist auf Grund der wesentlichen Sachverhaltsänderung, welche die nunmehrige Ehe mit Frau X (und damit mit einer dem EWR angehörigen Staatsbürgerin) darstellt, vielmehr notwendig, den Sachverhalt durch die Behörde I. Instanz neuerlich zu ermitteln und beurteilen zu lassen.

Letztlich ausschlaggebend für die Zurückverweisung ist der Umstand, dass mit einer mündlichen Verhandlung und unmittelbaren Beweisaufnahme durch den Unab­hängigen Verwaltungssenat selbst keine Ersparnis an Zeit und Kosten im Sinn des komplementären Tatbestands des § 66 Abs 3 AVG verbunden wäre.

Zusätzlich würde bei einer Durchführung des zweifellos notwendigen ergänzenden Ermittlungsverfahrens durch den Unabhängigen Verwaltungssenat der dem Bw nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichts­hofs generell zustehende gericht­liche Rechtsschutz insofern entzogen werden, als der (gemäß Art 130 und 131 B-VG zur allfälligen Überprüfung zuständige) Verwaltungsgerichtshof – im Gegen­satz zum Unabhän­gigen Verwaltungssenat (vgl Art 129a B-VG iVm §§ 67a ff AVG) – im Wesentlichen nur als Revisionsinstanz und nicht als Tatsacheninstanz einge­richtet ist. Es ist daher davon auszugehen, dass die neuerliche Prüfung und Er­gänzung des Sachverhalts durch die Administrativbehörde zu erfolgen hat, sodass für den Bw eine allfällige nachfolgende (umfassende) Prüfungsmöglichkeit durch den Un­abhängigen Ver­waltungssenat gewahrt bleibt.

Der Bescheid war daher zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an den Polizeidirektor von Linz zurückzuverweisen.

Im Rahmen einer mündlichen Verhandlung wird insbesondere die Frage zu klären sein, welchen Aufenthaltstitel im Sinne des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes die X Ehegattin des Bw für sich in Anspruch nimmt, da sich das allfällige Aufenthaltsrecht des Bw von diesem ableitet. Besonders werden die §§ 51 ff NAG zu prüfen sein.

Sollte die Behörde I. Instanz zum Ergebnis gelangen, dass der Bw den Tatbestand des § 86 Abs 2 FPG erfüllt, wird darüber hinaus die Frage der allfälligen Aberkennung des durch Abs 3 leg cit verbürgten Durchsetzungsaufschubs zu beurteilen sein.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

Johannes Fischer