Linz, 23.12.2009
E r k e n n t n i s
Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn X, vertreten durch Frau Mag. Dr. X, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck, vom
17. November 2009, Zl. VerkR21-161-2009, zu Recht:
Der Berufung wird mit der Maßgabe Folge gegeben, dass die Entzugsdauer auf 18 Monate (bis 6.09.2010) ermäßigt wird.
Rechtsgrundlagen:
§ 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 20/2009 – AVG iVm § 7 Abs.3 Z9 u. § 7 Abs.4 Führerscheingesetz 1997 – FSG, zuletzt geändert durch BGBl I Nr. 93/2009.
Entscheidungsgründe:
Im Punkt III wurde ferner auf Kosten des Berufungswerbers die Beibringung eines vom Amtsarzt der Behörde erster Instanz zu erstellendes Gutachten über dessen gesundheitliche Eignung, sowie die Vorlage einer verkehrspsychologischen Stellungnahme aufgetragen (§ 24 Abs.3 FSG);
Im Punkt IV wurde für die ausgesprochene Entzugsdauer auch ein Verbot zum Lenken eines vierrädrigen Leichtkraftfahrzeuges ausgesprochen ( § 24 Abs. 1 FSG letzter Satz iVm § 57 Abs. 1 AVG
1.1. Die Behörde erster Instanz führte begründend Folgendes aus:
2. Dagegen wendete sich der Berufungswerber mit seiner fristgerecht ausschließlich gegen den Punkt I - die ausgesprochene Entzugsdauer- durch seine ausgewiesene Rechtsvertreterin erhobenen Berufung mit folgneden Ausführungen:
2.1. Mit diesem Vorbringen ist der Berufungswerber teilweise im Recht!
3. Die Behörde erster Instanz hat den Verfahrensakt zur Berufungsentscheidung vorgelegt. Dieser ist durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zur Entscheidung berufen (§ 67a Abs.1 2. Satz AVG).
Die Durchführung einer öffentliche mündliche Berufungsverhandlung war mangels Antrag und unstrittiger Tatsachen mit Blick auf das Berufungsvorbringen nicht erforderlich (§ 67d Abs.1 AVG).
3.1. Der unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verfahrensakt. Dieser beinhaltet die Anzeige der Polizeiinspektion Vöcklabruck sowohl wegen des Kriminaldeliktes, sowie der Fahrerflucht und Alkofahrt (GZ: B5/5714/2005-May, C26168/2009 u. A1/6165/01/2009). Aus dem Gerichtsakt findet sich das ärztliche Sachverständigengutachten v. 26.3.2009, Dr. Lamprecht (AS 29), sowie ein Schlussbericht über eine stationäre Aufnahme im allgemeinen öffentlichen Krankenhaus Salzburg v. 18.3.2009, sowie Arztbriefe des Therapiezentrums Traun v. Primar Dr. Fischer vom 13.6.2008, 3.1.2006 u. 9.2.1998 (AS 44 bis AS 59) und das Urteil des LG Wels v. 26.8.2009, Zl. 13 Hv 139/09).
Beigeschafft bzw. eingeholt wurden Vormerkungsanfragen im Wege der Bundespolizeidirektion Wien, der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck, sowie ein Auszug aus dem Führerscheinregister (ON 2 u. 3).
3.2. Der Berufungswerber wurde gemäß dem obzitierten Urteil wegen des Verbrechens der schweren Nötigung (§ 105 u. § 106 StGB), und der Vergehen des Hausfriedensbruches, der gefährlichen Drohung, sowie der absichtlich schweren Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt, wobei die gesamte Strafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden. Seine bisherige Unbescholtenheit und die eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit wurden bei der Strafbemessung mildernd bewertet. Das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen als erschwerend.
3.2.1. Der 37-jährige Berufungswerber wird bereits im Arztbrief 1998 unter Hinweis auf eine Entzugsbehandlung 1997 eine Alkohoabhängigkeit vom sogenannten Typ II nach Lesch attestiert. Es wurde ihm eine strikte Alkoholabstinenz emfohlen.
Ebenso geht aus den Arztbriefen vom 3.1.2006, vom 13.6.2008 und der Amamnese des KH Vöcklabruck, wo der Berufungswerber offenbar nach diesem Vorfall in Behandlung war, dies aus der Entlastungsdiagnose abermals hervor. Ebenso finden sich als diangnostische Feststellungen beim Berufungswerber Anpassungsstörungen mit längeren depressiven Reaktionen, sowie die Neigung zu aggressiven Verhalten mit geringer sozialer Orientierung, selbstbezogener und unsolidarischer Selbsteinschätzung mit einer sehr hohen Bereitschaft zur Durchsetzung seiner sozialen Interessen. Er leidet jedoch an dieser dadurch bedingten sozialen Isolierung (Arztbrief 2006).
Aus dem im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Vorfall eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten der Gerichtsmedizin Salzburg vom 26.3.2009, GZ: 10 St 50/09w, ergibt sich, dass die beim Berufungswerber bestehende Alkoholabhängigkeit meist in der Störung der frühkindlichen Entwicklung beruht. Alkohol diene als Bewältigungsstrategie und Angsttherapie. Der Berufungswerber wird als Delta-Trinker, auch gewohnheits- und Spiegeltrinker eingestuft, wobei ihm narzistische Störungen, eine emotionale Instabilität und ein egozentrisches und keine Empathie aufweisende Persönlichkeitsstruktur attestiert werden. Er könne Konflikte kaum adäquat lösen, wobei er seine Interessen mit verbaler oder körperlicher Aggression durchzusetzen geneigt sei.
Dem Berufungswerber wird zum Tatzeitpunkt ein Alkoholisierungsgrad von 3,6 Promillen rückgerechnet. Er war zum Tat- und hier relevant Lenkzeitpunkt nicht unwesentlich in seiner Diskretions- u. Dispositionsfähigkeit eingeschränkt.
Demnach ist beim Berufungswerber offenbar von einer nachhaltigen Alkoholabhängigkeit und wohl auch einer Alkoholkrankheit auszugehen.
Daher ist hier die Entzugsdauer mehr in Richtung gesundheitliche Eignung als auf § 7 Abs.4 FSG, nämlich die Wertung und die daraus zu ziehende Prognose über das Wiedererlangen der Verkehrszuverlässigkeit zu orientieren.
5. Rechtlich hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:
Gemäß den allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung darf eine solche im Sinne des § 3 Abs.1 FSG nur Personen erteilt (und daher auch nur belassen) werden, die:
...
2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),
...
§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs.3) und ihrer Wertung (Abs.4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit gefährden wird, insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr, Trunkenheit oder einen durch Suchtgift oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand
...
(3) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs.2 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand
...
Z9 eine strafbare Handlung gegen Leib und Leben gemäß den §§ 75, 76, 84 bis 87 StGB oder wiederholt gemäß dem § 83 StGB begangen hat;
...
(4) Für die Wertung der in Abs.3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.
...
Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung
Allgemeines
...
Dauer der Entziehung
§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen.
...
(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen.
5.1. Vorweg ist festzustellen, dass die Behörde erster Instanz offenbar auch hier die ausgesprochene Entzugsdauer als zusätzliches Präventsionsinstrument gegen die Begehung weitere derartiger Straftaten gesehen werden will. Damit entfernt sie sich vom Rechtsbereich des Führerscheinrechts welches, anlässlich einer Straftat vorzunehmenden Wertung dieser im Führerscheingesetz normierten „bestimmten Tatsache“ ausschließlich auf die Prognose der Verkehrsunzuverlässigkeit abzustellen hat.
Die strafrechtliche Prävention ist mit der gerichtlichen Verurteilung erledigt. Grundsätzlich gilt es aber immer ein Ergebnis zu vermeiden, dass ein Entzug zur zusätzlichen Strafe umfunktionieren würde bzw. dieser letztlich nur mehr als solcher zur Wirkung gelangt und so mit dem Schutzbereich der EMRK in Konflikt geriete (s. VwGH 25.5.2004, Zl. 2003/11/0291).
So wurde etwa im Falle einer Unfallfahrt mit einer festgestellten Fahrgeschwindigkeit von 112 km/h anstatt der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h bei Dunkelheit und nasser Fahrbahn in Verbindung mit einer Alkoholbeeinträchtigung von 2,11 Promillen – was zu einer Verurteilung wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Z2 StGB und des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1, Abs. 4, zweiter Deliktsfall (§ 81 Z2) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten führte – eine mit 30 Monate währende Verkehrsunzuverlässigkeitsprognose als rechtswidrig erachtet (VwGH 28.06.2001 99/11/0237).
Dieser folgt nämlich, dass es bei der Wertung dem Zeitfaktor und dem Verhalten des Berufungswerbers während dieses Zeitlaufes für eine positive Prognosebeurteilung entscheidende Bedeutung zukommt (vgl. VwGH 14.5.2009, 2009/11/0048).
Vor diesem Hintergrund ist angesichts des seit dem Vorfall am 6.3.2009 verstrichenen Zeit, sowie der Tatsache, dass der Berufungswerber weder vorher noch zwischenzeitig je negativ im Straßenverkehr in Erscheinung trat.
Daher ist ist sein Verhalten mit einer Verkehrsunzuverlässigkeitsprognose von insgesamt nur 18 Monaten zu bewerten.
Unter Hinweis auf die reichhaltige und kaum überblickbare Judikatur werden bei Aggressionsdelikten für die Prognosebeurteilung einer Verkehrs(un)zuverlässigkeit, Zeithorizonte für ein Wohlverhalten des Betroffenen durchwegs im Bereich von bis zu zwei Jahren angelegt (Grundner / Pürstl, Kurzkommentar zum FSG, 2. Auflage, Seite 85, E28 u.29 mit Hinweis auf VwGH 24.8.1999, 99/11/0168).
Laut jüngerer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führt etwa die bedingte Strafnachsicht zwar für sich allein noch nicht zwingend dazu, dass der Betreffende wieder sofort als verkehrszuverlässig anzusehen ist, weil sich die bei der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit zu berücksichtigenden Gesichtspunkte nicht zur Gänze mit jenen decken, die für das Gericht betreffend die bedingte Strafnachsicht nach den Bestimmungen des StGB von Bedeutung sind. Es ist die Art der Tat, die Person des Rechtsbrechers, der Grad seiner Schuld, sein Vorleben und sein Verhalten nach der Tat zu berücksichtigen, wobei es sich im Einzelfall durchwegs um Umstände handeln könne, die für die im § 7 Abs. 4 FSG genannten Wertungskriterien von Bedeutung sind (VwGH 22.2.2007, 2005/11/0190 mit Hinweis auf VwGH vom 18.12.2006, Zl. 2006/11/0076 mwN).
Hier kommt die exzessive Alkohoholisierung ebenso zu tragen wie auch sein aggressives Verhalten, wenngleich diese Aggression nicht im Zuge des Fahrzeuglenkens zum Adurck gelangte. Wie bereits mehrfach in h. Entscheidungen festgestellt wurde, ist es nicht Aufgabe des Führerscheinentzugsregims strafrechtliche Prävention zu üben (vgl. h. Erk. v. 16.12.2009, VwSen-522403/7/Br/Th).
Der verursachte Sachschaden an einem abgestellten Pkw vermag vor dem Hintergrund der exzessiven Alkoholisierung einer zusätzlichen Wertung nicht mehr unterzogen werden.
5.2. Für die Festsetzung der Entziehungsdauer ist die unter Berücksichtigung der Wertungskriterien gemäß einer iSd § 7 FSG 1997 zu erstellende Prognose maßgebend, wann der Betreffende die Verkehrszuverlässigkeit wiedererlangen werde; also wann er die Sinnesart gemäß § 7 Abs.1 Z9 u. Abs.3 Z1 und deren Wertung im Sinne des Abs.4 FSG 1997, derentwegen die Verkehrsunzuverlässigkeit anzunehmen ist, überwunden haben wird (VwGH 6.7.2004, 2002/11/0130 mit Hinweis auf VwGH 20.9.2001, 2001/11/0119) m.a.W).
Der Berufungswerber ist seit 2002 im Besitz einer Lenkberechtigung und ist offenbar verwaltungsstrafrechtlich völlig unbescholten. Die hier ausgesprochene Unzuverlässigkeitsprognose ist daher vor dem Hintergrund der hier offenkundig bestehenden nachhaltigen Alkoholabhängigkeit/Alkoholkrankheit bezogen. Nicht zuletzt wird der Berufungswerber sein im hohen Grad der Alkoholisierung evidentes Alkoholproblem auf der gesundheitlichen Ebene zu bewältigen bzw. seine Eignung auf der Gesundheitsebene ohnedies noch nachzuweisen haben. Diese wird wiederum nur durch einen entsprechenden Abstinenznachweis zu erlangen sein.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Im gegenständlichen Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 13,20 Euro angefallen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.
Dr. B l e i e r