Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720034/15/WEI/La

Linz, 28.12.2009

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Berufung des X, geb. X, nunmehr vertreten durch X, Rechtsanwalt in X, X, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wels vom 14. August 2003, Zl. IV-1000620/FP/03, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots zu Recht erkannt:

 

 

         Der Berufung wird insoweit stattgegeben, als der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und allfälligen Er­lassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz zurück­ver­wiesen wird.

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs 2 Allgemeines Verwal­tungs­verfahrensgesetz 1991 – AVG

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit dem bekämpften Bescheid der Bundespolizeidirektion Wels vom 14. August 2003 wurde über den Berufungswerber (in der Folge: Bw), einen türkischen Staatsangehörigen der kurdischen Volksgruppe, wie folgt abgesprochen:

 

"Gemäß § 36 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Z 1 des Fremdengesetzes (FrG), BGBl. I Nr. 75/1997 idgF, wird gegen Sie, gemäß § 39 Abs. 1 Fremdengesetz ein

 

unbefristetes

 

AUFENTHALTSVERBOT

erlassen.

Sie haben nach Eintritt der Durchsetzbarkeit dieses Bescheides aus dem Bundesgebiet unverzüglich auszureisen.

 

Gemäß § 64 Abs. 2 AVG wird die aufschiebende Wirkung einer Berufung ausgeschlossen."

 

Begründend führte die belangte Behörde das strafgerichtliche Urteil des Landesgerichts Wels vom 13. August 2002, Zl. 15 Hv 59/02y wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 2., 3.und 4. Fall, Abs 3 1. Fall und Abs 4 Z 3 Suchtmittelgesetz (SMG) und der Vergehen nach § 28 Abs 1 und nach § 27 Abs 1 1. und 2. Fall SMG an, mit dem der Bw zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt wurde. Dabei ging es um Tathandlungen aus den Jahren 2000 bis Oktober 2001, bei denen der Bw Suchtgifte in großen Mengen (25-fache der Grenzmenge) eingeführt und in Verkehr gesetzt sowie teilweise auch zum Eigenkonsum besessen hatte.

 

Zum Privatleben wurde festgestellt, dass der Bw mit der österreichischen Staatsangehörigen X verheiratet sei, von ihr allerdings seit 1998 getrennt lebe. Es sei dem Bw nicht bekannt, ob Frau X die Scheidung beantragen wolle.

 

Aus der Aktenlage ergibt sich, dass der Bw am 12. August 1994 legal in Österreich einreiste und am 4. November 1994 einen Asylantrag einbrachte, den er am 8. November 1994 zurückzog, weil er am 3. November 1994 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet hatte. Am 28. Dezember 1994 stellte er den Erstantrag auf Erteilung eine Aufenthaltsgenehmigung, die ihm in der Folge auch bewilligt wurde. Seit seiner Einreise hatte er bei verschiedenen Unternehmen in Österreich gearbeitet.

 

1.2. Gegen diesen Aufenthaltsverbotsbescheid, der dem Bw am 26. August 2003 in der Justizanstalt Garsten zugestellt worden war, erhob dieser rechtzeitig die Berufung vom 2. September 2003, die der Sicherheitsdirektion für Ober­österreich vorgelegt wurde.

 

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für Oberösterreich vom 19. Jänner 2004, Zl. St 231/03, wurde der Berufung keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt. Die Berufungsbehörde stellte die am 13. August 2002 rechtskräftig gewordene strafgerichtliche Verurteilung nach dem Suchtmittelgesetz näher dar und verwies zusätzlich auf ihren Bescheid vom 16. Mai 1997, Zl. St 31/96, mit dem ein gegen den Bw erstbehördlich verhängtes Aufenthaltsverbot, befristet auf 10 Jahre, noch behoben wurde. Diesem Verfahren lagen Vorfälle aus dem Jahre 1995 wegen Gewalttätigkeiten und Drohungen des Bw gegenüber seiner Gattin und deren 24jähriger Tochter zugrunde. Wegen des Vorfalls vom 15. Oktober 2005, bei dem der Bw die Tochter erheblich verletzte, wurde der Bw vom Landesgericht Steyr am 21. November 1995, Zl. 15 EVr 3954/95, wegen Nötigung, gefährlicher Drohung und Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten, bedingt auf drei Jahre, verurteilt. Im Ergebnis hielt die Sicherheitsdirektion das Gesamtfehlverhalten für schwerwiegend und ging von einer so negativen Zukunftsprognose aus, dass die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes wesentlich schwerer wögen als die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Bw.

 

2.1. Gegen den Berufungsbescheid brachte der Bw durch seinen nunmehrigen Rechtsanwalt X Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof mit dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ein.

 

Mit Beschluss vom 19. Mai 2004, Zl. AW 2004/18/00127-11, gab der Verwaltungsgerichtshof dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 30 Abs 2 VwGG statt.

 

Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofs vom 30. November 2005, Zl. 2004/18/0052-18, wurde der angefochtene Bescheid der Sicherheitsdirektion wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

 

2.2. Mit Schreiben vom 9. Jänner 2006 hat die Sicherheitsdirektion für Oberösterreich dem Oö. Verwaltungssenat unter Hinweis auf das ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofes die Verwaltungsakten zur wiederum ausständigen Berufungsentscheidung vorgelegt. Auf Grund des Urteils des EuGH vom 2. Juni 2005, Rs.C-136/03, und danach ergangener Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes ergebe sich, dass die Sicherheitsdirektion in derartigen Fällen nicht mehr Berufungsbehörde sei.

 

Mit näher begründetem Beschluss vom 1. Juni 2006, Zl. 720034/4/WEI/Mu/Ps, stellte der Oö. Verwaltungssenat fest, dass er zur Entscheidung über diese Berufung sachlich nicht zuständig ist und leitete die Berufung an die Sicherheitsdirektion für Oberösterreich weiter.

 

Dagegen erhob der Bw durch seinen Rechtsvertreter die Beschwerde vom 13. Juli 2007 an den Verwaltungsgerichtshof und stellte den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung "zur Vermeidung einer neuerlichen Entscheidung durch eine sachlich nicht zuständige Behörde (SID )". Mit Beschluss vom 30. August 2006, Zl. AW 2006/18/0164-4, gab der Verwaltungsgerichthof dem Antrag gemäß § 30 Abs 2 VwGG statt.

 

2.3. Mit Erkenntnis vom 4. Juni 2009, Zl. 2006/18/0233-7, hat der Verwaltungsgerichtshof schließlich den h Ausspruch der Unzuständigkeit bzw den oben zitierten Bescheid des Oö. Verwaltungssenats wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

 

Zur Begründung wird auf das gleichgelagerte Erkenntnis vom 11. Mai 2009, Zl. 2007/18/0038-8, gemäß § 43 Abs 2 VwGG verwiesen. In diesem Erkenntnis vertritt der Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf seine Vorjudikatur (vgl VwGH 27.06.2006, Zl. 2006/18/0138; VwGH 28.2.2008, Zl. 2006/18/0277; VwGH 2.12.2008, Zl. 2007/18/0378) die Ansicht, dass es im Fall des Bw, der die Voraussetzungen des Art 6 Abs 1 dritter Gedankenstrich ARB erfülle, in Anbetracht des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts und der Judikatur des EuGH geboten sei, den Instanzenzug zu einem Tribunal einzurichten. Die Zuständigkeit der unabhängigen Verwaltungssenate könne auf Grund der Wortfolge "sofern nichts anderes bestimmt ist" im Einleitungssatz des § 9 Abs 1 FPG angenommen werden, zumal der Verfassungsgerichthof in seinem Beschluss vom 13. Oktober 2006, Zl. G 26/06 ua., dazu ausgeführt habe, dass die unabhängigen Verwaltungssenate zur Entscheidung über Rechtsmittel nach dem FPG nicht nur im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen, sondern auch im Fall von assoziationsintegrierten türkischen Staatsangehörigen zuständig seien.

 

3. Die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenats ergibt sich nunmehr in Bindung an die Ansicht des Verwaltungsgerichthofs aus § 9 Abs 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis er­hoben durch Einsichtnahme in den vorliegenden Verwaltungsakten und festgestellt, dass der angefochtene Bescheid schon nach der Aktenlage aufzuheben ist.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Be­scheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neunen Bescheids an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurück­verweisen, wenn der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Ver­handlung unvermeidlich scheint.

 

Das von der belangten Behörde auf unbestimmte Dauer erlassene Aufenthaltsverbot datiert bereits vom 14. August 2003. Der zugrunde liegende wesentliche Sachverhalt wegen der Suchtgiftdelinquenz des Bw stammt aus den Jahren 2000 und 2001. Die Freiheitsstrafe hat der Bw längst verbüßt bzw wurde er bereits am 24. Juni 2004 bedingt entlassen (vgl Mitteilung des Rechtsvertreters vom 11. Mai 2004). Im Hinblick auf den seither verstrichenen Zeitraum von rund 6 1/2 Jahren liegt es auf der Hand, dass sich der maßgebliche Sachverhalt wesentlich geändert haben muss. Die für die Erlassung maßgeblichen Umstände liegen so lange zurück, dass mittlerweile der Frage des Wohlverhaltens des Bw ein ganz entscheidendes Gewicht zukommt. Ob ein Aufenthaltsverbot überhaupt noch geboten sein kann, ist erst nach Überprüfung des Verhaltens des Bf in dem verstrichenen langen Zeitraum zu beurteilen. Der dem unab­hängigen Verwaltungssenat vorliegende Sachverhalt ist jedenfalls unvollständig und damit so mangelhaft, dass eine erschöpfende Beurteilung der Voraussetzungen für ein Aufenthaltsverbot unmöglich erscheint

 

Die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung scheint unver­meidlich, weil davon ausgegangen werden kann, dass der (aktuelle) Sach­verhalt im Rahmen einer solchen, bei der dem Bw alle von der Behörde noch zu erhebenden Sachverhaltsdetails vorgehalten werden und allenfalls unmittelbar auch Zeugen vernommen werden können, am effektivsten erhoben werden kann.

Nach dem verstrichen Zeitraum von 6 1/2 Jahren wird auch die Notwendigkeit des Eingriffs in das Privat- und Familienleben des Bw und die Frage der Aufenthaltsverfestigung neu zu beurteilen sein. Die belangte Behörde wird nunmehr auch zu beachten haben, dass nach neuerer Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs bei assoziationsintegrierten türkischen Staatsangehörigen auch die (strengeren) Voraussetzungen des § 86 Abs 1 FPG wie bei EWR-Bürgern zu prüfen sind (vgl VwGH 3.04.2009, Zl. 2008/22/0913 unter Hinweis auf VwGH 19.09.2008, Zl. 2007/21/0214).

 

Letztlich ausschlaggebend für die Zurückverweisung ist der Umstand, dass mit einer mündlichen Verhandlung und unmittelbaren Beweisaufnahme durch den Unab­hängigen Verwaltungssenat selbst keine Ersparnis an Zeit und Kosten im Sinn des komplementären Tatbestands des § 66 Abs 3 AVG verbunden wäre. Im Gegenteil gebietet es die Zweckmäßigkeit, der Raschheit, der Einfachheit und die Kosten­ersparnis (vgl § 39 Abs 2 letzter Satz AVG), die notwendigen ergänzenden Beweise durch die schon örtlich für alle Beteiligte näher gelegene belangte Behörde vor­nehmen zu lassen.

 

Zusätzlich würde bei Durchführung des notwendigen ergänzenden Ermittlungsverfahrens durch den Unabhängigen Verwaltungssenat der dem Bw nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs generell zustehende gerichtliche Rechtsschutz, ihm insofern entzogen werden, als der (gemäß Art 130 und 131 B-VG zur allfälligen Überprüfung zuständige) Verwaltungsgerichtshof – im Gegen­satz zum Unabhän­gigen Verwaltungssenat (vgl Art 129a B-VG iVm §§ 67a ff AVG) – im Wesentlichen nur als Revisionsinstanz und nicht als Tatsacheninstanz einge­richtet ist. Es ist daher davon auszugehen, dass die neuerliche Prüfung und Er­gänzung des Sachverhalts durch die Administrativbehörde zu erfolgen hat, sodass für den Bw eine allfällige nachfolgende (umfassende) Prüfungsmöglichkeit durch Un­abhängigen Ver­waltungssenat gewahrt bleibt.

 

Es war daher der angefochtene Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheids an die belangte Behörde zurückzuweisen.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

2. Im Berufungsverfahren ist eine Eingabengebühr von 13 Euro für die Berufung angefallen.

 

 

 

Dr. W e i ß