Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-164016/5/Zo/Jo

Linz, 26.01.2010

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Zöbl über die Berufung des Herrn X vom 09.02.2009 gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Braunau vom 19.01.2009, Zl. VerkR96-9491-2007 wegen zwei Übertretungen der StVO zu Recht erkannt:

 

 

I.             Der Berufung wird stattgegeben und das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben.

 

II.           Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

 

 

Rechtsgrundlagen:

zu I.:  § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1 und 45 Abs.1 Z2 VStG;

zu II.: §§ 64 ff VStG.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Zu I.:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Braunau hat dem Berufungswerber im angefochtenen Straferkenntnis vorgeworfen, dass er am 20.11.2007 um 17.20 Uhr in St. Pantaleon auf der L501 auf Höhe des Hauses Riedersbach Nr. 88 als Lenker des Sattelzugfahrzeuges mit dem Kennzeichen X

  1. mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei und sein Fahrzeug nicht sofort angehalten habe;
  2. mit einem Verkehrsunfall mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei und nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle verständigt habe.

Der Berufungswerber habe dadurch zu 1. eine Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs.1 lit.a StVO 1960 und zu 2. eine solche nach § 4 Abs.5 StVO begangen, weshalb über ihn Geldstrafen in Höhe von 250 Euro bzw. 200 Euro sowie Ersatzfreiheitsstrafen in Höhe von 120 Stunden bzw. 96 Stunden verhängt wurden. Weiters wurde er zur Zahlung eines Verfahrenskostenbeitrages in Höhe von 45 Euro verpflichtet.

 

2. In der dagegen rechtzeitig eingebrachten Berufung führte der Berufungswerber aus, dass er an diesem Abend von Mühldorf nach Salzburg über Riedersbach gefahren sei. Er kenne das gegenständliche Straßenstück, eine lange Gerade, sehr gut. Der Auflieger des Sattelkraftfahrzeuges würde nicht plötzlich aus der Fahrspur "springen" und ein parkendes Kraftfahrzeug beschädigen. Wenn er den Schaden bemerkt hätte, wäre er natürlich sofort stehen geblieben. Er könne jedoch nichts dafür, dass beim Vorbeifahren mit 50 km/h an einem geparkten KFZ eine offensichtlich nicht ordnungsgemäß geschlossene Tür durch die Sogwirkung aufspringe und den Sattelauflieger beschädige.

 

Im Führerhaus des LKW sei es nicht ruhig, es sei das Motorengeräusch ständig zu hören, er habe auch das Radio laufen und aufgrund des Fahrtwindes seien auch die Geräusche der Plane beim LKW zu hören. Er habe den Vorfall nicht bemerkt. Als ihn ca. 7 km später ein hinter ihm fahrendes Fahrzeug mit der Lichthupe angeblinkt habe, habe er ohnedies angehalten. Er habe dann der Dame, welche ihm den Unfall vorgehalten habe, sämtliche Daten gegeben und daher keinesfalls Fahrerflucht begangen.

 

3. Der Bezirkshauptmann von Braunau am Inn hat den Verwaltungsakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Entscheidung vorgelegt. Eine Berufungsvorentscheidung wurde nicht erlassen. Es ergibt sich daher die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates, wobei dieser durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden hat (§ 51c VStG).

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt sowie Einholung eins Sachverständigengutachtens zur Frage des Unfallherganges sowie der Wahrnehmbarkeit des gegenständlichen Verkehrsunfalles für den Berufungswerber. Daraus ergibt sich, dass das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben war, weshalb eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung nicht erforderlich war.

 

 

4.1. Folgender Sachverhalt steht fest:

 

Der Berufungswerber lenkte zur Vorfallszeit sein Sattelkraftfahrzeug in Riedersbach auf der L 501 in Fahrtrichtung Salzburg. In Höhe der dort befindlichen Trafik hatte Frau X ihren PKW auf dem Parkplatz direkt neben der Fahrbahn in Fahrtrichtung abgestellt. Während der Vorbeifahrt des Sattelkraftfahrzeuges öffnete sich die linke Tür dieses PKW und wurde von einem unbekannten Teil des Sattelkraftfahrzeuges erfasst und schwer beschädigt. Der Lenker setzte seine Fahrt in Richtung Salzburg fort, ein Unfallzeuge nahm die Nachfahrt auf und konnte den Berufungswerber schließlich einholen und durch die Abgabe von Lichtzeichen zum Anhalten bewegen. Nach dem Anhalten wurde der Berufungswerber mit dem Unfallhergang konfrontiert, wies der Geschädigten seine Identität nach und gab die für die Versicherungsmeldung erforderlichen Daten bekannt.

 

Zur Frage des Unfallherganges und der Wahrnehmbarkeit des gegenständlichen Unfalles erstattete der Sachverständige im Berufungsverfahren zusammengefasst folgendes Gutachten:

Beim Sattelanhänger ist rechts hinten der hintere Unterfahrschutz deformiert und das Begrenzungslicht und die Leuchteinheit ausgerissen. Dieser Unterfahrschutz ist schmäler als die Aufbaubreite des Sattelanhängers, er liegt ca. 80 cm über der Fahrbahn, der Kastenaufbau beginnt ca. 1,20 m über der Fahrbahn.

 

Die Oberkante der Fahrertür befindet sich ca. 130 cm über der Fahrbahn. Beim Ausschwenken der Fahrertür ergibt sich aufgrund ihres Profils, dass die Oberkante weiter ausschwenkt als der Bereich unterhalb der Fensterlinie. Der Türrahmen wurde im oberen Fensterbereich geknickt und das äußere Türblatt stark deformiert, woraus sich ergibt, dass die Verhackung der Tür mit dem Sattelkraftfahrzeug im Bereich des oberen Türrahmens in etwa im mittleren Bereich des Türblattes stattgefunden hat.

 

Diese Beschädigung kann nur schwer dem Unterfahrschutz des Sattelanhängers zugeordnet werden, weil das äußere Eck innerhalb der Breite des Sattelanhängers liegt. Aufgrund der Kontur der Tür hätte diese zuerst mit dem oberen Teil den Aufbau des Sattelanhängers streifen müssen. Es ist aus technischer Sicht nicht nachvollziehbar, ob der Schaden tatsächlich durch den Unterfahrschutz hervorgerufen wurde oder eine andere Anstoßstelle auf der Seite des Sattelanhängers in Betracht kommt. Als weitere mögliche Kontaktteile kämen insbesondere der seitliche Unterfahrschutz oder der Werkzeugkasten in Betracht. Theoretisch sei auch eine Streifung mit dem Zugfahrzeug möglich.

 

Zur Abklärung der Frage, ob es möglich ist, durch ein vorbeifahrendes Sattelkraftfahrzeug eine nur angelehnte Fahrertür aufzureißen, wurden vom Sachverständigen 16 Fahrversuche durchgeführt, welche mit einer Highspeed-Kamera dokumentiert wurden. Bei diesen Versuchen wurde festgestellt, dass eine angelehnte Fahrertür durch den Sog des Sattel-KFZ nicht aufgerissen wird, wenn alle anderen Türen sowie alle Fenster geschlossen sind. In diesem Fall kommt es lediglich zu einer Türbewegung im Millimeterbereich. Bei den Versuchen konnte ein "Aufreißen" der Fahrertür nur dadurch erreicht werden, dass auch die Tür auf der Beifahrerseite zur Gänze offenstand.

 

Zur Frage der Wahrnehmbarkeit des gegenständlichen Unfalles führte der Sachverständige aus, dass die Anstoßstelle am Sattelkraftfahrzeug nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, da außer dem hinteren Unterfahrschutz auch andere Seitenteile dafür in Frage kommen. Im Bereich des Zugfahrzeuges ergibt sich seitlich ein über den Außenspiegel nicht einsehbarer Bereich, der von der vorderen Stoßstange etwa bis zum Ende des Führerhauses reicht. In diesem Bereich ist die Streifung optisch nicht erkennbar. Wenn die Streifung weiter hinten erfolgte, war diese optisch durch den rechten Seitenspiegel erkennbar.

 

Eine Wahrnehmung als Streifstoß oder Anstoßgeräusch ist nicht nachweisbar. Im Bezug auf das Geräusch ist festzuhalten, dass dieses möglicherweise – abhängig von der tatsächlichen Anstoßstelle – relativ weit hinter dem Fahrer eingeleitet wurde, der Abstand kann bis zu 15 m betragen haben. In der schallgedämmten Fahrerkabine werden Geräusche reduziert, sodass die Überlagerung mit üblichen Betriebsgeräuschen, eventuell Ladungsgeräuschen, die eindeutige Wahrnehmung so erschwert, dass eine sichere akustische Wahrnehmung nicht nachweisbar ist.

 

Aufgrund der örtlichen Verhältnisse ist davon auszugehen, dass der Berufungswerber beim Vorbeifahren einen Seitenabstand von ca. 0,5 m eingehalten hat. Aus technischer Sicht ist bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h und einem solchen Seitenabstand insbesondere dann, wenn sich keine Personen in unmittelbarer Nähe befinden, eine besondere Beachtung der rechten Seite des Sattelkraftfahrzeuges durch den Lenker nicht erforderlich.

 

5. Darüber hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich in rechtlicher Hinsicht Folgendes erwogen:

 

5.1. Gemäß § 45 Abs.1 Z2 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen.

 

5.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Übertretungen des § 4 StVO nicht nur vorsätzlich sondern auch fahrlässig begangen werden. Fahrlässigkeit liegt dann vor, wenn dem Beschuldigten Umstände bewusst werden oder bei gehöriger Aufmerksamkeit hätten bewusst werden müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles zu erkennen vermochte (siehe dazu zB VwGH vom 17l.04.1991, 90/02/0209 sowie vom 23.05.2002, 2001/03/0417).

 

Im gegenständlichen Fall konnte der Berufungswerber die Beschädigung der Fahrertür jedenfalls nicht als Stoßreaktion wahrnehmen. Es ist auch nicht sicher, ob er diese hören konnte, wobei dies von der tatsächlichen Kontaktstelle abhängig ist. Je weiter hinten am Sattelkraftfahrzeug sich diese befunden hat, desto schwerer war der Unfall für den Beschuldigten hörbar. Im Hinblick auf den völlig untypischen Unfallshergang bestand für den Beschuldigten auch kein Grund, mit einer eventuellen Beschädigung zu rechnen, sodass es durchaus nachvollziehbar ist, wenn er ein allenfalls hörbares Geräusch mit einem auch sonst üblichen Betriebsgeräusch beim Lenken des Sattelkraftfahrzeuges verwechselt hätte.

 

Der Berufungswerber hat aufgrund der örtlichen Verhältnisse einen seitlichen Abstand von ca. 50 cm vom parkenden Fahrzeug eingehalten, sodass für ihn auch aus diesem Grund kein Anlass bestand, mit einem Schaden oder einer gefährlichen Situation im Bereich der rechten Fahrerseite zu rechnen. Er hatte daher keinen Anlass, zum Zeitpunkt des Vorbeifahrens am abgestellten PKW den rechten Außenspiegel besonders zu beachten, weshalb er die aufgerissene und beschädigte Fahrertür des PKW auch im Rückspiegel nicht bemerken musste. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass der Berufungswerber in einer für ihn völlig normalen Fahrsituation (lange gerade Fahrstrecke im Ortsgebiet, ausreichender Seitenabstand, keine Gefahrensituation erkennbar) sein Hauptaugenmerk nach vorne gerichtet hat und daher die Beschädigung der Fahrertür nicht erkannt hat. Im Hinblick darauf, dass er keinerlei gefährliches Fahrverhalten gesetzt hat, war er auch nicht zu einer besonderen Beachtung des rechten Außenspiegels verpflichtet, weshalb ihm der gegenständliche Verkehrsunfall auch nicht bewusst werden konnte.

 

Der Berufungswerber hat zwar objektiv sein Fahrzeug an der Unfallstelle nicht angehalten und den Verkehrsunfall nicht ohne unnötigen Aufschub gemeldet, daran trifft ihn aber kein Verschulden, weshalb seiner Berufung stattzugeben war.

 

 

Zu II.:

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf die im Spruch angeführten gesetzlichen Bestimmungen.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

Mag. Gottfried  Z ö b l

 

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