Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401046/5/Gf/Mu

Linz, 05.02.2009

 

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Dr. Grof über die Beschwerde des x, vertreten durch x, wegen Anhaltung in Schubhaft durch den Bezirkshauptmann von Ried seit dem 8. Jänner 2010 zu Recht erkannt:

 

 

Die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft wird als rechtswidrig festgestellt.

 

 

Rechtsgrundlage:

 

§ 83 FPG; § 67c Abs. 3 AVG; § 83 Abs. 4 FPG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Ried vom 8. Jänner 2010, GZ Sich41-115-2009, wurde über den Rechtsmittelwerber, einen Staatsangehörigen von Nigeria, gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden: FPG), zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt und durch Überstellung in das Polizeianhaltezentrum (PAZ) Wels sofort vollzogen.

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Juni 2003 ohne gültige Dokumente ins Bundesgebiet eingereist sei und einen Asylantrag gestellt habe. Dieser sei in der Folge mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25. April 2005, GZ 03-19633-BAW, abgewiesen worden, wobei gleichzeitig die Zulässigkeit der Abschiebung in seinen Heimatstaat festgestellt sowie seine Ausweisung verfügt worden sei. Mit dem  am 22. Juni 2009 in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Asylgerichtshofes sei seine Aufenthaltsberechtigung erloschen und sein Aufenthalt sohin nicht mehr rechtmäßig.

Zwischen dem 17. April 2004 und dem 29. Jänner 2009 sei er in vier Fällen wegen eines Vergehens gegen das Suchtmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe in einer Höhe von insgesamt 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt worden, wobei der Vollzug der letzten (einjährigen) Freiheitsstrafe am 8. Jänner 2010 endete.

Der Beschwerdeführer sei zwar bis zu seiner letzten Inhaftierung unter einer näher bezeichneten Adresse in Wien polizeilich gemeldet  und wohnhaft gewesen; allerdings sei er nie einer geregelten Beschäftigung nachgegangen und bestünden auch sonst keine familiären oder sozialen Beziehungen zu Österreich. Derzeit verfüge er zwar über Barmittel in Höhe von 404,72 Euro, jedoch weder über einen Reisepass noch einen sonstigen Identitätsnachweis.

Am 29. Dezember 2009 habe der Rechtsmittelwerber, nachdem ihm eine Woche zuvor bekannt gegeben worden sei, dass die Fremdenpolizeibehörde beabsichtigt, ihn nach dem Ende der Strafhaft in Schubhaft zu nehmen und ihn in seinen Heimatstaat abzuschieben, neuerlich einen Asylantrag gestellt. Daraufhin sei ihm am 4. Jänner 2010 mitgeteilt worden, dass beabsichtigt sei, seinen Asylantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Da bei einer Gesamtbetrachtung die ernsthafte Gefahr bestehe, dass sich der Beschwerdeführer im Falle einer Freilassung dem behördlichen Zugriff entziehen und damit die Abschiebung vereiteln oder wesentlich erschweren würde, sei sohin die Schubhaft zu verhängen gewesen. Denn seinem Anspruch auf Aufnahme in die Grundversorgung und damit auf Rückkehr an seine frühere Wohnadresse stehe gegenüber, dass er sich standhaft weigere, freiwillig in seinen Heimatstaat zurückzukehren, dass er in kurzer Zeit mit seiner faktischen Abschiebung rechnen müsse und er zudem über keinerlei berufliche, soziale und familiäre Verankerung verfüge.

Ein gelinderes Mittel sei deshalb nicht anzuordnen gewesen, da keine Gewähr dafür bestünde, dass er im Falle einer Rückkehr an seine frühere Wohnstelle in Wien auch tatsächlich jederzeit greifbar sei; vielmehr liege ein Abtauchen in sein früheres Suchtgiftmilieu nahe. Unter dem Aspekt, dass im Hinblick auf seine frühere Delinquenz ein erhebliches Interesse an seiner Außerlandesschaffung bestehe, erweise sich die Schubhaft insgesamt sohin auch als eine verhältnismäßige Maßnahme zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung.

1.2. Gegen seine Anhaltung in Schubhaft richtet sich die vorliegende, am
4. Februar 2010 per Telefax beim Oö. Verwaltungssenat eingegangene Beschwerde.

Darin wird vorgebracht, dass er – von Unterbrechungen durch Haft abgesehen – stets polizeilich gemeldet und unter dieser Adresse auch tatsächlich aufhältig gewesen sei sowie im Falle einer Haftentlassung auch wieder dorthin zurückkehren könne. Außerdem habe er sich bislang nie einer fremdenpolizeilichen Maßnahme entzogen; die diesbezüglichen gegenteiligen Vermutungen der belangten Behörde würden daher insbesondere auch unter dem Aspekt, dass er weiterhin einen Anspruch auf Grundversorgung habe, jeder Grundlage entbehren. Vielmehr wäre unter den gegebenen Umständen das gelindere Mittel der periodischen Meldung bei einer Sicherheitsdienststelle adäquat gewesen.

Daher wird die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Schubhaftverhängung beantragt.

1.3. Mit Schriftsatz vom 4. Februar 2010, GZ Sich41-115-2009, hat die
belangte Behörde den Bezug habenden Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.

Darin wird ergänzend darauf hingewiesen, dass sich gegen Ende der Strafhaft – wie insbesondere die Stellung eines evident unzulässigen und mit Urteil des Asylgerichtshofes vom 4. Februar 2010 zurückgewiesenen Folgeasylantrages
zeige – die Fluchtgefahr derart verdichtet habe, dass die damit verbundene Gefahr des Untertauchens die Schubhaft anstelle der Anwendung gelinderer Mittel rechtfertigen würde.

Daher wird die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der BH Vöcklabruck zu GZ Sich41-115-2009; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ, konnte im Übrigen gemäß § 83 Abs. 2 Z. 1 FPG von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Nach § 82 Abs. 1 FPG hat ein Fremder, gegen den die Schubhaft ange­ordnet wurde, das Recht, den Unabhängigen Verwaltungssenat u.a. mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit seiner Anhaltung in Schubhaft anzurufen.

Gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 Satz FPG kann über einen Asylwerber zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung die Schubhaft verhängt werden, wenn gegen ihn bereits ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde.

Nach § 77 Abs. 1 FPG hat die Behörde jedoch von der Anordnung der Schubhaft Abstand zu nehmen, wenn sie Grund zu der Annahme hat, dass deren Zweck durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Als in
diesem Sinne gelinderes Mittel kommt gemäß § 77 Abs. 3 FPG insbesondere die Anordnung in Betracht, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen oder sich in perio­dischen Abständen bei einem bestimmten dem Fremden zuvor bekannt gegebenen Polizei­kommando zu melden.

4021 Linz, Fabrikstraße 32

 

 

3.2. Im gegenständlichen Fall ist allein die Frage strittig, ob die Inschubhaftnahme dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit entsprach. In diesem Zusammenhang ist zunächst vorweg darauf hinzuweisen, dass die von der belangten Behörde unter Berücksichtigung aller Begleitumstände der Sache nach gezogene Schlussfolgerung, dass es sich beim Rechtsmittelwerber nicht um einen politisch Verfolgten, sondern in erster Linie um einen sog. "Wirtschaftsflüchtling" handelt (der sich seinen Unterhalt u.a. auch durch gelegentliche Suchtgiftkriminalität finanziert), zumindest nicht völlig abwegig ist.

3.2.1. Da jedoch eine gesetzliche Regelung, die konkret jene Konstellation regelt, wie die Behörden mit bloßen Wirtschaftsflüchtlingen umzugehen haben, (zumindest bislang nach wie vor) fehlt, muss insoweit zur Lösung der damit verbundenen Rechtsprobleme auf die allgemeinen fremdenrechtlichen Grundsätze zurückgegriffen werden. Weil nun diesbezüglich nicht unterschieden wird, kann daher über Fremde, die formell – nämlich durch Stellung eines Asylantrages – (noch) als Asylwerber anzusehen sind, grundsätzlich auch dann die Schubhaft verhängt werden, wenn diese materiell betrachtet in erster Linie als Wirtschaftsflüchtlinge zu gelten haben.

Andererseits unterliegt aber eine derartige Anhaltung – wiederum mangels bestehender Sondervorschriften – denselben Regelungen, wie sie generell für fremden­polizeiliche aufenthaltsbeendende Maßnahmen gelten. Dies bedeutet zum einen, dass zunächst sämtliche formelle Voraussetzungen für die konkret in Aussicht genommene aufenthaltsbeendende Maßnahme (hier: der Schubhaftgrund des Vorliegens einer durchsetzbaren Ausweisung sowie des hinsichtlich des Folgeantrages bereits eingeleiteten Ausweisungsverfahrens) vorliegen müssen (vgl. zur "finalen Determinierung" der Schubhaft z.B. VwGH vom 20. Dezember 2007, Zl. 2006/21/0359, und vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0067). Darüber hinaus darf sich die Anhaltung – was in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen ist – nicht als eine unverhältnismäßige Maßnahme erweisen und nur im Sinne einer ultima-ratio-Maßnahme zum Einsatz gebracht werden (vgl. VfGH v. 15. Juni 2007, B 1330/06), d.h. dass die alternative Heranziehung gelinderer Mittel nur dann nicht zum Tragen kommt, wenn das Sicherungsbedürfnis anders nicht erreichbar ist (vgl. VwGH vom 24. Oktober 2007, Zl. 2007/21/0370). Diesbezüglich hat der Verwaltungs­gerichtshof z.B. in seinem Erkenntnis vom 28. Juni 2007, Zl. 2004/21/0003, einer Schubhaftbeschwerde unter Hinweis auf seine mit der dg. Entscheidung vom 22. Juni 2006, Zl. 2006/21/0081, geänderte Recht­sprechung, wonach allein das Vorliegen einer vollstreckbaren aufenthaltsbeenden­den Maßnahme sowie von strafgerichtlichen Verur­teilungen (weil die Inschubhaftnahme nicht der Aufdeckung, Verhinderung oder Sanktionierung von Straftaten dienen darf; vgl. VfSlg 13715/1994 und VwGH v. 22. November 2007, 2006/21/0189) und einer fehlenden Ausreise­willigkeit (insbesondere, solange noch nicht feststeht, ob die Abschiebung zulässig und die Ausreise zu überwachen ist sowie ein konkreter Sicherungsbedarf besteht) für die Tragfähigkeit der Prognose, dass sich der Asylwerber dem weiteren fremden­polizeilichen Verfahren entziehen werde, nicht mehr hinreichen, stattge­geben.

3.2.2. Insgesamt besehen bewirkt so das Fehlen gesonderter, auf Wirtschafts­flüchtlinge bezogener gesetzlicher Bestimmungen, dass diese faktisch i.d.R. nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand wieder außer Landes geschafft werden können, weil die Behörden dazu verpflichtet und gleichzeitig darauf angewiesen sind, Rechtsvorschriften anwenden zu müssen, die nicht sachadäquat sind. Denn das auf der Genfer Flüchtlingskonvention fußende Asylrecht hat nur die Regelung der Rechtsstellung von aus politischen, rassischen, religiösen o.ä. Gründen verfolgten Personen zum Gegenstand, nicht aber von solchen, die ihren Heimatstaat in der Absicht verlassen, in einem anderen Staat bessere ökonomische Bedingungen vorzufinden und zu diesem Zweck auch eine Umgehung von formellen Einreisebestimmungen, einen Missbrauch des Asylrechts u.a. vornehmen.

Mangels (bislang) anders lautender Rechtsvorschriften ist jedoch allein der Umstand, dass sich ein Fremder in diesem Sinne rechtsmissbräuchlich verhält, diesem nur dann und selbst in jenem Fall nur insoweit rechtlich „anlastbar“, als dies entsprechend gesetzlich vorgesehen ist. So kann z.B. wegen illegaler Einreise ins Bundesgebiet eine Verwaltungsstrafe verhängt, ein Ausweisungsverfahren eingeleitet, ein Asylantrag mangels Zuständigkeit eines anderen Staates zurückgewiesen, etc. werden – es vermögen also Einzelmaßnahmen gesetzt werden, die jedoch seitens der Fremdenbehörde stets nur situationsangepasst zum Einsatz gebracht werden können und damit auch keine Gewähr dafür bieten, dass sie (isoliert oder in ihrem Zusammenwirken) das beabsichtigte Ziel auch tatsächlich erreichen; insbesondere darf davon ausgehend die Schubhaftverhängung nicht als eine "Standardmaßnahme" gegen Asylwerber (vgl. VwGH vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0239) oder als eine präventive Vorbereitungshandlung zur erfolgreichen Durchführung der Abschiebung (vgl. VwGH vom 26. September 2007, Zl. 2004/21/0150) eingesetzt werden.

3.2.3. Diese dargestellte – zudem unter der Kautel des Art. 18 Abs. 1 B-VG, wonach die Handlungen der Behörde bei sonst drohendem Grundrechtseingriff stets einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, stehende – Rechtslage bedingt zunächst, dass, wie sich aus den zuvor angesprochenen Entscheidungen der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ergibt, eine generalisierende Betrachtungsweise von vornherein unzulässig ist. So darf z.B. aus dem Nichtvorhandensein von Bargeld nicht ausschließlich „unter Zugrundelegung allgemeiner Erfahrungssätze“ (vgl. nochmals VwGH vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0067) a priori darauf geschlossen werden, dass sich der Fremde, würde er in Freiheit belassen, die erforderlichen finanziellen Mittel durch illegale Arbeit beschaffen wird; und aus dem Nichtvorhandensein eines ordnungsgemäßen Wohnsitzes nicht darauf, dass er sich (allein deshalb) dem behördlichen Zugriff entziehen wird; und aus einer Einreise ohne die hiefür erforderlichen Dokumente darauf, dass er eine gegenüber der Rechtsordnung des Aufnahmestaates generell ablehnende oder zumindest gleichgültige Haltung einnimmt; etc.

Vielmehr muss die Fremdenpolizeibehörde, wenn sie – wie gegenständlich – als eine von mehreren Maßnahmen zur Außerlandesschaffung eines Fremden die Schubhaft anordnet, in jedem Einzelfall das Vorliegen der Voraussetzungen für diese gewählte aufenthaltsbeendende Maßnahme, sodann den aktuellen Sicherungsbedarf und schließlich noch konkret begründen, weshalb keine gelindere, in gleicher Weise zur Zielerreichung geeignete Maßnahme zum Tragen kommen konnte. Dabei sind beispielsweise die Fragen nach einer allfälligen beruflichen Tätigkeit und/oder einer – allenfalls auch wechselnden – Wohnmöglichkeit im Inland (bei Verwandten oder Bekannten) als Aspekte der sozialen Integration des Fremden jeweils von Amts wegen zu ermitteln (vgl. VwGH vom 26. September 2007, Zl. 2004/21/0150).

3.2.4. Davon ausgehend ist zunächst der zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung der Ausweisung sowie zur Sicherung der Abschiebung konkret erforderliche Sicherungsbedarf zu prüfen; daran ändert auch der mit der Novelle BGBl.Nr. I 122/2009 eingefügte § 76 Abs. 2a FPG – der hier auch deshalb nicht maßgeblich ist, weil die Anordnung der Schubhaft im gegenständlichen Fall nicht auf diese Bestimmung gestützt wurde – nichts (vgl. VwSen-401041 v. 28. Jänner 2010).

Ein solcher ist offenkundig generell umso größer, je weiter fortgeschritten dieses Verfahren bereits ist und dabei einem negativen Ausgang zustrebt: Ein Sicherungsbedarf wird daher regelmäßig – d.h. aber, wenn keine konkreten Umstände vorliegen, die eine gegenteilige Annahme rechtfertigen (wie z.B. eine amtsbekannt langdauernde Übermittlung von Heimreisezertifikaten durch bestimmte Staaten) – dann zu bejahen sein, wenn dem Fremden ein Ausweisungsbescheid zugestellt wird, mit dem gleichzeitig die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung ausgeschlossen wurde, weil ihm dann jedenfalls klar sein muss, dass er regelmäßig in kurzer Zeit zwangsweise außer Landes geschafft werden wird, wenn er das Bundesgebiet nicht freiwillig verlässt (bzw. verlassen kann). Aus dieser Zwangslage könnte er sich dann i.d.R. eben nur dadurch befreien, dass er sich dem behördlichen Zugriff faktisch zu entziehen versucht, was gerade durch die Verhängung der Schubhaft verhindert werden soll.

Umgekehrt ist aber – gleichsam das gegenüberliegende Extrem – ein derartiges Sicherungsbedürfnis beispielsweise regelmäßig dann nicht gegeben, wenn ein Aufenthalts- oder Ausweisungsverfahren noch nicht über das Stadium der persönlichen Einvernahme eines Fremden, der sich etwa bisher legal in Österreich aufgehalten und hier über einen Wohnsitz und ein regelmäßiges Einkommen verfügt hat, hinausgekommen ist. Bei einer im Lichte des Art. 5 EMRK und des PersFrSchG gebotenen verfassungskonformen Interpretation kann daher ein Bedürfnis zur „Sicherung des Verfahrens“ in § 76 Abs. 2 FPG nicht allein schon deshalb, weil ein solches Verfahren zumindest bereits formell eingeleitet worden ist, angenommen werden, sondern es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Notwendigkeit der Sicherung eines derartigen Verfahrens durch eine freiheitsentziehende Maßnahme umso größer ist, je näher sich dieses einem negativen Abschluss nähert bzw. umgekehrt aus grundrechtlicher Sicht stets umso weniger gerechtfertigt erscheint, je weiter es von einem derartigen Ergebnis noch entfernt bzw. dessen Ausgang überhaupt offen ist.

3.2.5. Im gegenständlichen Fall wurden gegen den Rechtsmittelwerber schon geraume Zeit vor der Schubhaftverhängung aufenthaltsbeendende Maßnahmen gesetzt, nämlich eine  Ausweisung (am 25. April 2005) erlassen; diese Maßnahmen stehen jedoch derzeit keineswegs bereits unmittelbar vor ihrer tatsächlichen Umsetzung, denn aus dem von der belangten Behörde vorgelegten Akt ergeben sich keine Hinweise dafür, dass der Beschwerdeführer in naher Zeit tatsächlich in seinen Heimatstaat abgeschoben werden sollte und könnte, im Gegenteil: der Rechtsmittelwerber wurde bereits am 7. Juli 2009 mit dem bekannten Haftende am 8. Jänner 2010 von der JA Wien-Josefstadt in die JA Ried überstellt; dennoch wurde erst am 28. Dezember 2009 erstmals ein Ersuchen auf Ausstellung eines Heimreisezertifikats im Wege des BMI an die nigerianische Botschaft in Wien gestellt.

Damit stellt sich für den Rechtsmittelwerber aber die Situation auch nicht so dar, dass er gegenwärtig praktisch umgehend mit seiner faktischen zwangsweisen Außerlandesschaffung zu rechnen hat.

3.2.6. In objektiver Hinsicht wurden von der Fremdenpolizeibehörde der Sache nach weiters die Illegalität der Einreise und des Aufenthalts, die Mittellosigkeit und die fehlende Unterkunftsmöglichkeit als einen Sicherungsbedarf begründende Argumente ins Treffen geführt.

In diesem Zusammenhang trifft zwar unbestritten zu, dass der Rechtsmittelwerber illegal – nämlich ohne Reisepass und ohne gültigen Sichtvermerk – nach Österreich eingereist ist und nicht über Barmittel in einer Höhe verfügt, die zur Finanzierung eines längerfristigen Aufenthalts im Bundesgebiet hinreichen.

Aus ordnungsrechtlicher Sicht handelt es sich dabei allerdings bloß um Bagatellvergehen. Außerdem wurde er bei seiner Festnahme in seiner bundesbetreuten Unterkunft angetroffen. Ohne konkrete gegenteilige Anhaltspunkte konnte aber die Haftbehörde nicht in vertretbarer Weise vom Fehlen jeglicher Unterkunftsmöglichkeit ausgehen.

3.2.7. Dass er in irgend einer Weise in Österreich familiär oder sozial integriert wäre, wird auch vom Beschwerdeführer selbst gar nicht vorgebracht.

Davon ausgehend kann es grundsätzlich auch nicht als rechtswidrig angesehen werden, wenn die belangte Behörde im Zuge der gemäß Art. 8 EMRK gebotenen Abwägung im konkret vorliegenden Fall die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber den dadurch beeinträchtigten privaten Interessen des Beschwerdeführers als höher stehend bewertet hat.

3.2.8. Allerdings hat der Beschwerdeführer bislang kein Verhalten gesetzt, aus dem konkret und zugleich mit hoher Wahrscheinlichkeit zu schließen gewesen wäre, dass er sich umgehend dem behörd­lichen Zugriff zu entziehen versuchen würde, wenn er aus der Schubhaft entlassen werden würde. Insbesondere weist er in diesem Zusammenhang darauf hin, dass er wieder in seine bundesbetreute Unterkunft zurückkehren könnte, in der er zuvor im Zuge seiner Festnahme auch tatsächlich angetroffen wurde. Dass das Hindernis des § 77 Abs. 2 FPG (Nichtzustimmung zur erkennungsdienstlichen Behandlung) vorliegen würde, ist aus dem Akt nicht ersichtlich, im Gegenteil: Eine solche wurde offensichtlich bereits im Zuge des Asylverfahrens durchgeführt (vgl. ONr. 4 des erstbehördlichen Aktes).

Daher bleibt auch noch zu prüfen, ob anstelle der Schubhaftverhängung nicht auch gelindere Mittel dazu hingereicht hätten, den mit der Schubhaft verfolgten Zweck in gleicher Weise sicherzustellen. Als ein in diesem Sinne gelinderes Mittel sieht § 77 Abs. 3 FPG insbesondere vor, dem Fremden aufzutragen, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen und/oder sich in periodischen Abständen bei einem ihm bekannt gegebenen Polizeikommando zu melden.

Mangels konkreter gegenteiliger Anhaltspunkte spricht insbesondere unter dem Aspekt, dass eine Freiheitsentziehung nach Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG stets nur eine ultima-ratio-Maßnahme darstellen darf – sodass die Bestimmung des § 77 Abs. 1 FPG auch nicht als eine Ermächtigung zu einer Ermessensentscheidung, sondern vielmehr als eine Rechtsentscheidung aufzufassen ist –, der Umstand, dass der Rechtsmittelwerber in der Bundesbetreuung die erforderliche Aufnahme und finanzielle Unterstützung finden könnte, dafür, dass beim gegenwärtigen Stand des Abschiebungsverfahrens jedenfalls im Sinne einer Erstmaßnahme, also zumindest vorerst, gelindere Mittel – wie insbesondere die Verpflichtung zur täglichen Meldung bei einer Sicherheitsdienststelle – in gleicher Weise dazu hinreichen, um den mit der Schubhaftverhängung beabsichtigten Zweck zu realisieren.

Dies gilt insbesondere dann, wenn man in diesem Zusammenhang auch die höchstgerichtliche Judikatur, wonach die Schubhaftverhängung beispielsweise gerade nicht als eine präventive Vorbereitungshandlung zur erfolgreichen Durchführung der Abschiebung zum Einsatz gebracht werden darf (vgl. oben, 3.2.2.; s.a. 3.2.1. und 3.2.3.), in die Überlegungen mit einbezieht.

Erst wenn dann auf Grund konkreter Anhaltspunkte offenbar wird, dass gelindere Mittel (wie z.B. der Auftrag, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen und/oder sich in periodischen Abständen bei einem ihm bekannt gegebenen Polizeikommando zu melden) tatsächlich nicht dazu hingereicht hätten, um die Durchführung des fremdenpolizeilichen Verfahrens ordnungsgemäß zu gewährleisten, hätte in einem zweiten Schritt die Schubhaft als eingriffsintensivere Maßnahme angewendet werden dürfen.

Im gegenständlichen Verfahren hat die belangte Behörde jedoch von Anfang an nicht einmal den Versuch unternommen, gelindere Mittel anstelle der Schubhaftverhängung zum Einsatz zu bringen.

3.4. Daher hatte der Oö. Verwaltungssenat gemäß § 83 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG die Rechtswidrigkeit der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft festzustellen (vgl. in diesem Sinne auch statt vieler VwSen-401026 vom 17. August 2009).

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in einer Höhe von 13,20 Euro entstanden; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

Dr.  G r o f

 

 

Rechtssatz:

 

VwSen-401046/5/Gf/Mu vom 5. Februar 2010

 

Art. 1 PersFrSchG; § 77 Abs. 3 FPG; § 83 Abs. 4 FPG

 

Wie VwSen-401026 vom 17. August 2009

Beachte:

vorstehende Entscheidung wurde aufgehoben;

VwGH vom 2. Oktober 2012, Zl.: 2010/21/0094-7

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