Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-164683/9/Br/Th

Linz, 05.02.2010

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung der Herrn X, vertreten durch Herrn Dr. X, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn, 1.12.2009, Zl. VerkR96-8765-2009-Dg, nach der am 5.2.2010 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung, zu Recht:

 

 

I.     Die Berufung wird mit der Maßgabe Folge gegeben, dass als Strafnorm § 99 Abs.2 lit.e StVO 1960 zu Anwendung gelangt; die Geldstrafe wird auf 200 Euro und die Ersatzfreiheitsstrafe vier Tage ermäßigt.

 

II.    Die erstinstanzlichen Verfahrenskosten ermäßigen sich demnach auf 20 Euro. Für das Berufungsverfahren entfällt ein Kostenbeitrag.

 

 

Rechtsgrundlagen:

Zu I.: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 20/2009 – AVG iVm § 19 Abs.1 u. 2, § 24, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 20/2009 – VStG.

Zu II.: § 65 VStG.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Die Behörde erster Instanz hat über den Berufungswerber eine Geldstrafe in der Höhe von 400 Euro und für den Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von sechs Tagen ausgesprochen, weil er am 26.09.2009, 17:10 Uhr, im Gemeindegebiet von Helpfau-Uttendorf, Landesstraße Freiland, Braunauer-Landesstrasse 147, Nr. 147 bei km 26.400, 5261 Helpfau-Uttendorf, Ortschaftsbereich Kronleiten, nächst dem Strkm 26,4, als Lenker des Motorrades, Yamaha R1 1000, schwarz, mit dem Kennzeichen, X, die durch Straßenverkehrszeichen in diesem Bereich kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 81 km/h überschritten habe. Dadurch habe er gegen § 52 lit.a Z10a iVm § 99 Abs.2 lit.c StVO StVO 1960 verstoßen.

 

2. Begründend führte die Behörde erster Instanz folgendes aus:

Die Ihnen zur Last gelegte Verwaltungsübertretung ist durch die Anzeige der Polizeiinspektion Mauerkirchen vom 29.09.2009, AI/17687/01/2009, durch das Ergebnis der aus dem Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse als erwiesen anzusehen.

In der Aufforderung zur Rechtfertigung vom 05.10.2009, VerkR96-8765-2009-Dg, wurde Ihnen Ihr strafbares Verhalten zur Kenntnis gebracht und Ihnen gleichzeitig der Termin zur Vorstellung bzw. die Möglichkeit der schriftlichen Stellungnahme zum Tatvorwurf eingeräumt.

In Ihrer Rechtfertigung haben Sie angegeben, dass die Ihnen zur Last gelegte Verwaltungsübertretung vorliegen würde. Sie gaben an, dass Sie derzeit arbeitslos seien und über ein Einkommen von 800 Euro monatlich verfügen würden. Sie räumten Ihr Fehlverhalten ein und ersuchten um Verhängung einer milden Geldstrafe.

 

Zur Strafbemessung ist folgendes festzustellen:

Grundlage hiefür ist nach § 19 Abs. 1 VStG stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.

Nach Abs. 2 sind überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwernis und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander aufzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

Aus den zitierten Bestimmungen ergibt sich, dass die Strafbemessung innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens zu erfolgen hat und unter Einbeziehung der im § 19 VStG festgesetzten Kriterien eine Ermessensentscheidung der Behörde darstellt.

Die Behörde hat festgestellt und im Bescheid der Entziehung der Lenkberechtigung ausführlich dargelegt, dass bei Begehung der Verwaltungsübertretung unter besonders gefährlichen Verhältnissen mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern gegen aufgrund dieses Bundesgesetzes erlassener Verordnung verstoßen wurde. Straferschwerend wirkt eine einschlägige Vormerkung aus dem Jahr 2006. Die Festsetzung der Strafe wurde mit 400 Euro geringfügig unter den für Verwaltungsstrafen nach Abs. 2e der Strafbestimmung vorgeschlagenen Sätzen angesetzt. Die derzeitige Einkommenssituation fand dahingehend Berücksichtigung, da bei höherem Einkommen das Strafmaß aufgrund der im Entziehungsbescheid geschilderten Umstände über den Normalsätzen festzulegen gewesen wäre. Aus Gründen der Prävention war eine niedrigere Bestrafung nicht möglich, wenngleich wie Sie angeführt haben, der Unfall eine Lehre gewesen sein sollte.

Die Vorschreibung des Verfahrenskostenbeitrages gründet sich in der bezogenen Gesetzesstelle.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden

 

2.1. Der Berufungswerber wendet sich dagegen mit seiner durch seinen ausgewiesenen Rechtsvertreter fristgerecht erhobenen Berufung:

Im Straferkenntnis vom 01.12. verhängt die Bezirkshauptmannschaft Braunau über mich eine Geldstrafe in der Höhe von € 400,-- wegen einer Verwaltungsübertretung nach § 52 lit.a Z. 10a iVm § 99 Abs.2 lit.c StVO mit der Begründung, dass ich damals am angeführten Ort als Lenker des bezeichneten Motorrades die am Tatort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 81 km/h überschritten habe und die Tat unter besonders gefährlichen Verhältnissen begangen und mit besonderer Rücksichtslosig­keit gegenüber den Straßenbenützern gegen aufgrund dieses Bundesgesetzes erlassener Verordnung verstoßen wurde.

 

Gegen diesen Strafbescheid erhebe ich

 

BERUFUNG

 

an den UVS des Landes Oberösterreich.

Das gegenständliche Rechtsmittel richtet sich gegen die Anwendung des § 99 Abs. 2 lit.c als Strafnorm und begehrt stattdessen die Anwendung des § 99 Abs. 2c Z. 9 StVO (gemeint: § 99 Abs.2e StVO 1960).

Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von € 36,- bis € 2.180,-, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von 24 Stunden bis 6 Wochen zu bestrafen, wer als Lenker eines Fahrzeuges z.B. beim Überholen, als Wartepflichti­ger oder im Hinblick auf eine allgemeine oder durch Straßenverkehrszeichen kundge­machte Geschwindigkeitsbeschränkung unter besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern gegen die Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder der aufgrund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstößt (§ 99 Abs. 2 lit.c StVO).

Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von € 72.-- bis € 2.180, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von 24 Stunden bist 6 Wochen zu bestrafen, wer als Lenker eines Fahrzeuges die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 40 km/h oder außerhalb des Ortsgebietes um mehr als 50 km/h überschreitet (§ 99 Abs. 2c Z. 9 StVO).

Nach AB 64 ist diese Bestimmung unverändert geblieben.

Es wurde die Frage geprüft ob diese Bestimmung nicht zu ändern ist, um den Begriff besonders gefährliche Verhältnisse“ näher zu umschreiben. Von der Verwirklichung dieser Absicht wurde aber Abstand genommen, weil die Rechtsprechung den Behörden bereits hinreichend Anhaltspunkte für die Auslegung geliefert hat. Demnach sind z.B. besonders gefährliche Verhältnisse dann gegeben, wenn ein Kraftfahrer, ohne seine überhöhte Geschwindigkeit herabzusetzen, den Vorrang eines mit hoher Geschwindigkeit fahrenden Einsatzfahrzeuges verletzt; eine vollkommen unübersichtliche Fahrbahnkuppe auf der linken Fahrbahnseite mit hoher Geschwindigkeit befährt, bei durchwegs vereister Fahrbahn und bei durch Nebel behinderter Sicht mit hoher Geschwindigkeit bei Gegenverkehr überholt.

Weiters liegen besonders gefährliche Verhältnisse auch vor, wenn in einer engen Baumallee mit hoher Geschwindigkeit vorschriftswidrig überholt wird; wenn eine unübersichtliche Kreuzung bei Schneeglät­te mit überhöhter Geschwindigkeit befahren wird oder wenn ein voranfahrendes Fahr­zeug zunächst mit hoher Geschwindigkeit überholt wird, worauf sich der überholende Lenker unmittelbar vor das überholte Fahrzeug setzt, plötzlich und unvermittelt absetzt und so das überholte Fahrzeug zum Anhalten zwingt.

 

Das Vorliegen eines Verkehrsunfalls allein rechtfertigt nicht die Annahme, dass sie im Zeitpunkt des Unfalls besonders gefährliche Verhältnisse vorgelegen hätten. Auch wenn durch eine Tat mehrere Vorschriften übertreten wurden müssen deswegen noch nicht besonders gefährliche Verhältnisse vorliegen. Es werden in diesem Fall nach dem Kumulationsprinzip die Strafen nebeneinander zu verhängen sein (Anm. 10 zu § 99 StVO in Pürstl, StVO12).

Nach lit.c müssen zu dem an sich strafbaren Verhalten des Täters noch zusätzliche Sachverhaltselemente hinzukommen, die die Annahme rechtfertigen, dass die Tat un­ter besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit be­gangen wurde (VwGH vom 09.03.2001, 2000/02/0128).

Von besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßebenützern durch einen Fahrzeuglenker, der die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträchtlich (110 km/h im Ortsgebiet) überschreitet, kann nur dann die Rede sein, wenn sich andere Straßenbenützer in einer solchen räumlichen Nähe zum Fahrzeug befunden haben, dass sie auf­grund der Fahrweise des Lenkers (z.B., Fahrstreifenwechsel, Einhaltung eines zu geringen Abstandes) in Verbindung mit den übrigen maßgeblichen Verhältnissen (z.B. beeinträchtigte Sichtverhältnisse, schlechte Fahrbahnbeschaffenheit, größeres Verkehrsaufkommen, Verlauf und Breite der Straßen, körperliche und geistige Verfassung des Lenkers, Beschaffenheit des Fahrzeuges) am Tatort zumindest in ihrer Sicherheit beeinträchtigt werden konnten (VwGH vom 20.02.1991,90/02/0198).

Die Einhaltung einer Geschwindigkeit von 155 km/h anstatt von 70 km/h auf einer mehrspurigen Fahrbahn rechtfertigt selbst bei zusätzlich angenommener Dunkelheit nicht die Schlussfolgerung, der Beschwerdeführer habe ein besonders Obermaß an mangelnder Rücksichtnahme gegenüber anderen Straßenbenützern an den Tag gelegt, so lange nicht geklärt ist, ob sich solche Straßenbenützer in einer räumlichen Nähe zum Fahrzeug des Beschwerdeführers befunden haben, sodass sie aufgrund seiner Fahrweise in Verbindung mit den übrigen maßgeblichen Verhältnissen am Tatort zu­mindest beeinträchtigt werden konnten (90/02/0001 vom 20.06.1990).

Eine besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern lag gegenständlich nicht vor, zumal ich zwar mit wesentlich überhöhter Geschwindigkeit überholt habe, dabei ist abgesehen von mir selbst niemand gefährdet oder behindert worden.

Aber auch besonders gefährliche Verhältnisse iSd § 99 Abs. 2 lit.c StVO lagen nicht vor, weil im Sinne der in Judikatur und Lehre anerkannten Mosaiktheorie zur Ge­schwindigkeit noch andere gefahrenträchtige Momente hinzutreten müssen.

Eine „abstrakte Gefährdung" darf mit dem Vorliegen besonders gefährlicher Verhältnisse im Sinne der lit.c nicht gleichgesetzt werden.

Als besonders gefährliche Verhältnisse kommen bei Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit insbesondere beeinträchtigte Sichtverhältnisse, ungünstige Fahrbahnbeschaffenheit und starkes Verkehrsaufkommen, ferner der Verlauf und die Breite der Straße sowie die körperliche und geistige Verfassung des Lenkers in Betracht. Die Behörde hat im Verfahren zu prüfen, ob und welche Umstände im Einzelfall vorliegen und diesbezüglich Tatsachenfeststellungen zu treffen (90/18/0014 vom 07.06.1990).

Im gegenständlichen Fall ist festzuhalten dass die äußeren Bedingungen zum Vorfallszeitpunkt gut waren, die Sicht war uneingeschränkt, die Fahrbahn trocken und bestand kein Gegenverkehr, weswegen ich überholt habe. Dass ich dabei eine Geschwindigkeit von 161 km/h eingehalten habe, habe ich bereits eingestanden, diesbezüglich besteht der behördliche Tatvorwurf zu Recht, dieses Rechtsmittel wendet sich somit lediglich gegen die Annahme des Qualifikationstatbestandes des § 99 Abs. 2 Ht.c StVO in Form der Annahme besonders gefährlicher Verhältnisse/besonderer Rücksichtslosigkeit.

Aus der Anzeige ergibt sich, dass mein Freund X zum Messzeitpunkt dieselbe Geschwindigkeit eingehalten hat wie ich, diesem wurde im Mandatsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Braunau VerkR21-545-2009 die Lenkberechtigung für die Dauer von zwei Wochen entzogen und wurde nach meinen Informationen im Strafbe­scheid von der Strafnorm des § 99 Abs. 2c 9 StVO Gebrauch genommen.

Gegen den Vorstellungsbescheid der BH BR vom 01.12.2009, VerkR21-540-2009 habe ich gestern Berufung erhoben, weswegen ich höflich anrege, der UVS möge beide Verfahren verbinden und gemeinsam entscheiden.

Viele Judikate im Zusammenhang mit dem Vorliegen von besonders gefährlichen Verhältnissen betreffen Fälle, in welchen der Fahrzeuglenker alkohol- oder drogenbeeinträchtigt war bzw. Mängel am gelenkten Fahrzeug vorlagen bzw. widrige Sicht- und Straßenverhältnisse bei Begehen einer StVO-Übertretung (z.B. erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung) vorlagen.

 

Derartige Umstände kommen gegenständlich zur von mir zu verantwortenden Geschwindigkeitsüberschreitung nicht hinzu, weswegen der

 

ANTRAG

 

gestellt wird, der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich möge meiner Berufung dahingehend Folge geben, dass eine Bestrafung nach § 52 lit.a Z10a iVm § 99 Abs. 2c Z. 9 StVO verhängt wird.

 

Mattighofen, am 17.12.2009                                                                               X

 

 

2.2. Diesem Vorbringen kommt Berechtigung zu.

 

3. Die Behörde erster Instanz hat den Akt zur  Berufungsentscheidung vorgelegt; die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates wurde damit begründet. Dieser ist, da keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zur Entscheidung berufen. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung war angesichts der Bestreitung der zur Last gelegten Übertretungen in Wahrung der durch Art. 6 EMRK zu garantierenden Rechte erforderlich (§ 51e Abs.1 VStG).

 

3.1. Da der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oö. hat Beweis erhoben durch den vorgelegten Verfahrensakt und dessen Erörterung im Rahmen der am 5.2.2010 unter gleichzeitiger Durchführung der Berufungsverhandlung im Verfahren wegen des Entzuges der Lenkberechtigung (VwSen-522474). Ein Auszug aus dem Führerschein- u. Verwaltungsvormerkregister wurde im Vorfeld der Berufungsverhandlung eingeholt.

Ebenfalls wurde in Vorbereitung der Berufungsverhandlung durch den Unabhängigen Verwaltungssenat die Gefahrensichtweite im fraglichen Streckenbereich vom Parkplatz des Gasthauses X aus festgestellt und fotografisch dokumentiert, sowie vom fraglichen Streckenbereich ein Luftbild aus dem System DORIS zum Akt genommen.

Beigeschafft wurden ebenfalls die Leistungsdaten des Nachfolgetyps des vom Berufungswerber gelenkten Motorrades. Die Beschleunigungswerte und eine Plausibilitätsberechnung des Überhol- u. Beschleunigungsdiagramms wurde mittels Annalyzer Pro, Version 6 errechnet.

Im Rahmen der Berufungsverhandlung wurde der Berufungswerber als Beschuldigter und die Zeugen X und GI X einvernommen. Die Behörde erster Instanz war durch zwei Organe vertreten.

 

4. Sachverhalt:

Unbestritten ist hier der vom Berufungswerber ausgeführt Überholvorgang, wobei zu bemerken ist, dass mit einem Motorrad mit 171 PS eine Beschleunigung von 80 auf 165 km/h in einer Zeitspanne von unter 3,5 Sekunden ausgegangen werden kann. Der Überholweg kann ab dem Ausscheren 30 m vor bis 30 m nach dem Überholten Fahrzeug im Bereich von 220 m angenommen werden. Die Gefahrensichtweite und der Verlauf der 6,35 m breiten B 147 liegt deutlich über 500 m. Dies lässt für ein Motorrad ein gefahrloses Überholen grundsätzlich zu.

Zu beurteilen ist hier daher die Frage ob das Verhalten des Berufungswerbers, der offenkundig ausschließlich durch das Fehlverhalten eines Dritten zu Sturz kam, wegen des eigenen Sturzes  als „besonders gefährlich“ zu bezeichnen ist.

Dies ist hier zu verneinen!

 

Wenngleich, wie erst im Zuge der Berufungsverhandlung festgestellt werden konnte das Motorrad des Berufungswerbers (vorgängiges Baumuster) nur 171 PS aufweist, weicht das Beschleunigungs- u. Überholdiagramm wohl nur unwesentlich von den vorbereiteten Berechnungsparametern des Nachfolgemodells ab, sodass sich an der an sicheren Durchführung dieses Überholvorganges nichts ändert.

 

Es fanden sich keinerlei Anhaltspunkte, dass der Berufungswerber dieses Überholmanöver trotz der nur wenige Sekunden währenden Fahrgeschwindigkeit von 165 km/h besonders gefährliche Verhältnisse geschaffen oder besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern geübt hätte.

Hier konnte als Schutznormverletzung ausschließlich die im Überholen bedingte und auf wenige Sekunden angelegte Geschwindigkeitsüberschreitung festgestellt werden. Die im Sturzbereich beginnende Kurve hätte fahrdynamisch bereits wieder eine deutlich geringere Fahrgeschwindigkeit erfordert.

Folgerichtig soll daher die Behörde erster Instanz gegen den Zeugen X – offenbar wurde bei diesem Zeugen von einer identen Fahrgeschwindigkeit ausgegangen, obwohl hiefür keine Messung  vorlag – ein zweiwöchiger FS-Entzug ausgesprochen.

 

Zum Unfall führte hier letztlich offenkundig ein Fehlverhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers, der offenbar ohne auf den nachfolgenden Verkehr zu achten den Blinker nach links setzte und sofort seine Zugmaschine nach links zog. Dies erzwang letztlich die zum Kontrollverlust und Sturz führende Bremsung. Ein solches Verhalten hätte durchaus auch bei geringerer Fahrgeschwindigkeit einen Sturz herbeiführen können, sei es durch ein Abdrängen, erzwungenes Ausweichen oder eben einer zum Sturz führenden Vollbremsung. Der Berufungswerber glaube sich erinnern zu können die Fahrgeschwindigkeit noch auf unter 100 km/h reduziert zu haben ehe er rechts in den Straßengraben geriet bzw. dort stürzte.

 

Der Berufungswerber wurde dabei selbst schwer verletzt. Eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer konnte im Rahmen des Beweisverfahrens nicht festgestellt werden. Als verfehlt erweist sich daher, wenn die Behörde hier offenbar ausschließlich dem Unfallereignis, ohne auf dessen Ursache und Verschulden einzugehen, die besondere Gefährlichkeit der Verhältnisse und Rücksichtslosigkeit zuzuordnen scheint.

 

Sowohl aus der Aussage des Meldungslegers (GI Reiter) und auch des Zeugen X, der kurz vor dem Sturz vom Berufungswerber überholt wurde, konnte an diesem Überholvorgang bzw. der beim Überholvorgang auf ganz kurze Zeit begangenen  krassen Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit, keine Gefährlichkeit festgestellt werden.

Der selektiven Wahrnehmung des zu diesem Zeitpunkt beim Gasthaus X mit Lasermessungen beschäftigten Polizeibeamten folgend, ist es im Zuge dieses Überholvorganges unmittelbar vor dem Sturz noch zu einer verwertbaren und im Ergebnis auch vom Berufungswerber  nicht in Frage gestellten Lasermessung  gekommen. Unmittelbar danach stürzte der Berufungswerber wegen des von einem unausgeforscht gebliebenen Lenker einer Zugmaschine gesetzten Fehlverhaltens iSd § 11 Abs.1 u. 2 StVO 1960.

Sowohl der Berufungswerber als auch der unmittelbar vorher von ihm überholte X gaben übereinstimmend als Ursache für den Sturz eine plötzlich nach links ziehende Zugmaschine mit Anhänger an.

Dies ist alleine schon deshalb glaubwürdig, weil sonst eine so scharfe Bremsung  wohl völlig unerklärlich und sinnlos gewesen.

Das die mit der Lasermessung und Verkehrsbeobachtung beschäftigten Polizeibeamten letztlich von diesem plötzlichen Linksziehen des bereits zwischen 200 und 300 m vom Gasthaus X entfernten roten Traktors mit grünem Anhänger nichts mitbekommen haben ist durchaus logisch.

 

Jeder Motorradfahrer hätte wohl diese Zugmaschine in diesem Bereich ebenso überholt, wenngleich es hierfür keiner so hohen Geschwindigkeit bedurft hätte. Wenn der Berufungswerber und wohl auch sein Begleiter bereits vorher mit 110 km/h unterwegs waren und dabei einen im Beschränkungsbereich mit 80 km/h fahrenden Pkw überholten, der Berufungswerber mit dem Motorrad  im höchsten Leistungsbereich in kürzester Zeit einen Geschwindigkeitsüberhang auch noch seinen Freund X überholte, ist vor diesem Hintergrund die letztlich durch Lasermessung festgestellte Fahrgeschwindigkeit von 165 km/h  zusätzlich noch logisch nachvollziehbar.

 

Das damit gegen eine gravierende Ordnungswidrigkeit gesetzt wurde, die durch das Gesetz mit einem gesonderten Straftatbestand sanktioniert wird, ist aber noch kein Beweis, dass darin auch gleichzeitig ein besonders gefährliches und rücksichtsloses Verhalten erblickt werden müsste.

In diesem Punkt kann der Beurteilung der Behörde erster Instanz nicht gefolgt werden.

 

4. Rechtlich hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

Nach § 99 Abs.2e StVO 1960 (idF BGBl. I Nr. 93/2009) begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 150 bis 2180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von 48 Stunden bis zu sechs Wochen, zu bestrafen, wer die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 40 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 50 km/h überschreitet.

Dem Straferkenntnis ermangelt es in dessen Spruch der Qualifikation des Tatverhaltens iSd § 99 Abs.2 lit.c StVO 1960. Dieser hätte die konkreten Umstände zu beinhalten, die die besondere Gefährlichkeit der Verhältnisse bzw. die besondere Rücksichtslosigkeit anderen Straßenbenützern gegenüber ausmachen (vgl. VwGH 20.2.1991, 90/02/0198). Dem Beschuldigten wird nur die in Rede stehende Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt. Das dies nach Ansicht der Behörde erster Instanz auch "unter besonders gefährlichen Umständen u. der besonderen Rücksichtslosigkeit" erfolgt sein soll, wird  nur in der Begründung erwähnt, wobei dafür aber ebenfalls keine spezifischen Umstände – worin dies konkret gelegen sein soll – dargestellt wurden.

Eine als § 99 Abs.2 lit.c StVO qualifizierte Verwaltungsübertretung hat im Tatvorwurf  die zum Tatbild dieser Übertretung zählenden konkreten Umstände zu enthalten, die die besondere Gefährlichkeit der Verhältnisse bzw. die besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern ausmachen. Als besonders gefährliche Verhältnisse kommen bei Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit insbesondere beeinträchtigte Sichtverhältnisse, ungünstige Fahrbahnbeschaffenheit und starkes Verkehrsaufkommen, ferner der Verlauf und die Breite der Straße sowie die körperliche und geistige Verfassung des Lenkers, in Betracht  (VWGH 31.7.1998, 96/02/0566 mit Hinweis auf VwGH 20.2.1991, 90/02/0198 u. VwGH 13.6.1989, 89/11/0061).

 

Im übrigen ist festzustellen, dass auch im Berufungsverfahren keine derartigen Feststellungen getroffen werden konnten. Im Hinblick auf eine Verwaltungsübertretung nach § 16 Abs.2 lit.b StVO 1960 (Überholen) waren Feststellungen darüber zu treffen, wie weit die Sicht des Beschuldigten, gemessen von seiner Position zu Beginn des Überholmanövers reichte, welche Länge die Überholstrecke hatte und inwieweit das gegenständliche Straßenstück ihm bis zum Ende der Überholstrecke die erforderliche Übersichtlichkeit bot (vgl. VwGH 21.9.1983, 82/03/0272).

Diesem Überholmanöver vermag auf Grund der getroffenen Feststellungen der qualifizierte Tatbestand des § 99 Abs.2 lit.c StVO jedenfalls  nicht zugerechnet werden.

Selbst das erstinstanzlichen Verfahren und das angefochtene Straferkenntnis lässt jegliche diesbezügliche Feststellungen vermissen. Ausschließlich am Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung findet sich hier kein Anhaltspunkt für dessen tatsächliche besondere Gefährlichkeit oder Rücksichtslosigkeit.

 

Zur Strafzumessung:

Gemäß § 19 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, sowie der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Überdies sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der § 32 bis § 35 StGB (Strafgesetzbuch) sinngemäß anzuwenden.

 

4.1. Grundsätzlich trifft es wohl zu und damit kann für den Regelfall durchaus den erstbehördlichen Ausführungen gefolgt werden, dass mit dem Schnellfahren eine erhöhte Gefahrenpotenzierung einhergeht. Daher muss derartigen Übertretungen durchaus mit spürbaren Strafen begegnet werden.

 

Im gegenständlichen Fall ist jedoch – wie oben festgestellt – davon auszugehen, dass der im Tatbestand – hier in Form eines Ungehorsamsdeliktes – vertypte [geschwindigkeitsabhängige] Unrechtsgehalt empirisch besehen hinter dem für derartige Übertretungshandlungen üblichen Ausmaß erheblich zurückblieb. Es darf nämlich nicht übersehen werden, dass ein Überholvorgang primär möglichst kurz zu halten ist, wobei naturgemäß die Leistungfähigkeit des jeweiligen Fahrzeuges auszuschöpfen ist. Wenn hier binnen 3,5 Sekunden die hier zur Last gelegte Geschwindigkeit nur im Zweck des Überholvorgangs zu erblicken ist, liegt diesem nicht primär die Geschwindigkeitsüberschreitung als Motiv zu Grunde, sondern ein möglichst rasch durchzuführender  Überholvorgang. Der Tatunwert erweist sich vor diesem Hintergrund in einem geringeren Grad. Das letztlich das nicht unbedeutende  Fehlverhalten eines Dritten zum Unfall führte, darf hier einerseits nicht als Kausalität der spezifischen Gefahrenlage und andererseits nicht dem Berufungswerber als qualifizierte Schuld zur Last fallen. Vielmehr mildert dies sein Verschulden wie auch die dadurch erlittenen schweren Verletzungen einen Strafmilderungsgrund darstellen.

 

Der Schutzzweck dem die Strafdrohung dient und das Ausmaß der mit einer Tat verbundenen Schädigung gesetzlich geschützter Interessen (§ 19 VStG) muss bei rechtsrichtiger Auslegung auf die Umstände des konkreten Falls und nicht formelhaft zur Anwendung gelangen. Widrigenfalls käme es unvermeidlich zur Ungleichbehandlung dadurch, dass mit einer schablonenhaften Beurteilung eines Tatverhaltens, Ungleiches in der Sanktionsfolge immer gleich behandelt werden müsste (vgl. unter vielen h. Erk. v. 21.2.1997, VwSen-104374).

Da der Berufungswerber wegen einer Geschwindigkeitsübertretung vom Mai 2006 wegen einer mit 29 Euro geahndeten Geschwindigkeitsüberschreitung vorgemerkt ist muss  dies als straferschwerend gewertet werden. Die Mindeststrafe kommt demnach nicht mehr in Betracht.

 

Der Oö. Verwaltungssenat vermeint unter Bedachtnahme auf die gegenwärtige Einkommenslosigkeit des Berufungswerbers bzw. des Krankengeldes in Höhe von monatl. 460 Euro auch mit dem nunmehr festgesetzten Strafausmaß dem Strafzweck ausreichend gerecht werden zu können. Unter Bedachtnahme auf das unterdurchschnittliche Einkommen des Berufungswerbers, war die Ersatzfreiheitsstrafe im Verhältnis zur Geldstrafe in entsprechend geringerem Umfang zu ermäßigen.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

Dr.  B l e i e r

 

Beschlagwortung:

Geschwindigkeitsexzess

 

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