Linz, 05.02.2010
E R K E N N T N I S
Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung der Herrn X, vertreten durch Herrn Dr. X, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn, 1.12.2009, Zl. VerkR96-8765-2009-Dg, nach der am 5.2.2010 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung, zu Recht:
I. Die Berufung wird mit der Maßgabe Folge gegeben, dass als Strafnorm § 99 Abs.2 lit.e StVO 1960 zu Anwendung gelangt; die Geldstrafe wird auf 200 Euro und die Ersatzfreiheitsstrafe vier Tage ermäßigt.
II. Die erstinstanzlichen Verfahrenskosten ermäßigen sich demnach auf 20 Euro. Für das Berufungsverfahren entfällt ein Kostenbeitrag.
Rechtsgrundlagen:
Zu I.: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 20/2009 – AVG iVm § 19 Abs.1 u. 2, § 24, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 20/2009 – VStG.
Zu II.: § 65 VStG.
Entscheidungsgründe:
2. Begründend führte die Behörde erster Instanz folgendes aus:
2.2. Diesem Vorbringen kommt Berechtigung zu.
3. Die Behörde erster Instanz hat den Akt zur Berufungsentscheidung vorgelegt; die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates wurde damit begründet. Dieser ist, da keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zur Entscheidung berufen. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung war angesichts der Bestreitung der zur Last gelegten Übertretungen in Wahrung der durch Art. 6 EMRK zu garantierenden Rechte erforderlich (§ 51e Abs.1 VStG).
3.1. Da der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oö. hat Beweis erhoben durch den vorgelegten Verfahrensakt und dessen Erörterung im Rahmen der am 5.2.2010 unter gleichzeitiger Durchführung der Berufungsverhandlung im Verfahren wegen des Entzuges der Lenkberechtigung (VwSen-522474). Ein Auszug aus dem Führerschein- u. Verwaltungsvormerkregister wurde im Vorfeld der Berufungsverhandlung eingeholt.
Ebenfalls wurde in Vorbereitung der Berufungsverhandlung durch den Unabhängigen Verwaltungssenat die Gefahrensichtweite im fraglichen Streckenbereich vom Parkplatz des Gasthauses X aus festgestellt und fotografisch dokumentiert, sowie vom fraglichen Streckenbereich ein Luftbild aus dem System DORIS zum Akt genommen.
Beigeschafft wurden ebenfalls die Leistungsdaten des Nachfolgetyps des vom Berufungswerber gelenkten Motorrades. Die Beschleunigungswerte und eine Plausibilitätsberechnung des Überhol- u. Beschleunigungsdiagramms wurde mittels Annalyzer Pro, Version 6 errechnet.
Im Rahmen der Berufungsverhandlung wurde der Berufungswerber als Beschuldigter und die Zeugen X und GI X einvernommen. Die Behörde erster Instanz war durch zwei Organe vertreten.
4. Sachverhalt:
Unbestritten ist hier der vom Berufungswerber ausgeführt Überholvorgang, wobei zu bemerken ist, dass mit einem Motorrad mit 171 PS eine Beschleunigung von 80 auf 165 km/h in einer Zeitspanne von unter 3,5 Sekunden ausgegangen werden kann. Der Überholweg kann ab dem Ausscheren 30 m vor bis 30 m nach dem Überholten Fahrzeug im Bereich von 220 m angenommen werden. Die Gefahrensichtweite und der Verlauf der 6,35 m breiten B 147 liegt deutlich über 500 m. Dies lässt für ein Motorrad ein gefahrloses Überholen grundsätzlich zu.
Zu beurteilen ist hier daher die Frage ob das Verhalten des Berufungswerbers, der offenkundig ausschließlich durch das Fehlverhalten eines Dritten zu Sturz kam, wegen des eigenen Sturzes als „besonders gefährlich“ zu bezeichnen ist.
Dies ist hier zu verneinen!
Wenngleich, wie erst im Zuge der Berufungsverhandlung festgestellt werden konnte das Motorrad des Berufungswerbers (vorgängiges Baumuster) nur 171 PS aufweist, weicht das Beschleunigungs- u. Überholdiagramm wohl nur unwesentlich von den vorbereiteten Berechnungsparametern des Nachfolgemodells ab, sodass sich an der an sicheren Durchführung dieses Überholvorganges nichts ändert.
Es fanden sich keinerlei Anhaltspunkte, dass der Berufungswerber dieses Überholmanöver trotz der nur wenige Sekunden währenden Fahrgeschwindigkeit von 165 km/h besonders gefährliche Verhältnisse geschaffen oder besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern geübt hätte.
Hier konnte als Schutznormverletzung ausschließlich die im Überholen bedingte und auf wenige Sekunden angelegte Geschwindigkeitsüberschreitung festgestellt werden. Die im Sturzbereich beginnende Kurve hätte fahrdynamisch bereits wieder eine deutlich geringere Fahrgeschwindigkeit erfordert.
Folgerichtig soll daher die Behörde erster Instanz gegen den Zeugen X – offenbar wurde bei diesem Zeugen von einer identen Fahrgeschwindigkeit ausgegangen, obwohl hiefür keine Messung vorlag – ein zweiwöchiger FS-Entzug ausgesprochen.
Zum Unfall führte hier letztlich offenkundig ein Fehlverhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers, der offenbar ohne auf den nachfolgenden Verkehr zu achten den Blinker nach links setzte und sofort seine Zugmaschine nach links zog. Dies erzwang letztlich die zum Kontrollverlust und Sturz führende Bremsung. Ein solches Verhalten hätte durchaus auch bei geringerer Fahrgeschwindigkeit einen Sturz herbeiführen können, sei es durch ein Abdrängen, erzwungenes Ausweichen oder eben einer zum Sturz führenden Vollbremsung. Der Berufungswerber glaube sich erinnern zu können die Fahrgeschwindigkeit noch auf unter 100 km/h reduziert zu haben ehe er rechts in den Straßengraben geriet bzw. dort stürzte.
Der Berufungswerber wurde dabei selbst schwer verletzt. Eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer konnte im Rahmen des Beweisverfahrens nicht festgestellt werden. Als verfehlt erweist sich daher, wenn die Behörde hier offenbar ausschließlich dem Unfallereignis, ohne auf dessen Ursache und Verschulden einzugehen, die besondere Gefährlichkeit der Verhältnisse und Rücksichtslosigkeit zuzuordnen scheint.
Sowohl aus der Aussage des Meldungslegers (GI Reiter) und auch des Zeugen X, der kurz vor dem Sturz vom Berufungswerber überholt wurde, konnte an diesem Überholvorgang bzw. der beim Überholvorgang auf ganz kurze Zeit begangenen krassen Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit, keine Gefährlichkeit festgestellt werden.
Der selektiven Wahrnehmung des zu diesem Zeitpunkt beim Gasthaus X mit Lasermessungen beschäftigten Polizeibeamten folgend, ist es im Zuge dieses Überholvorganges unmittelbar vor dem Sturz noch zu einer verwertbaren und im Ergebnis auch vom Berufungswerber nicht in Frage gestellten Lasermessung gekommen. Unmittelbar danach stürzte der Berufungswerber wegen des von einem unausgeforscht gebliebenen Lenker einer Zugmaschine gesetzten Fehlverhaltens iSd § 11 Abs.1 u. 2 StVO 1960.
Sowohl der Berufungswerber als auch der unmittelbar vorher von ihm überholte X gaben übereinstimmend als Ursache für den Sturz eine plötzlich nach links ziehende Zugmaschine mit Anhänger an.
Dies ist alleine schon deshalb glaubwürdig, weil sonst eine so scharfe Bremsung wohl völlig unerklärlich und sinnlos gewesen.
Das die mit der Lasermessung und Verkehrsbeobachtung beschäftigten Polizeibeamten letztlich von diesem plötzlichen Linksziehen des bereits zwischen 200 und 300 m vom Gasthaus X entfernten roten Traktors mit grünem Anhänger nichts mitbekommen haben ist durchaus logisch.
Jeder Motorradfahrer hätte wohl diese Zugmaschine in diesem Bereich ebenso überholt, wenngleich es hierfür keiner so hohen Geschwindigkeit bedurft hätte. Wenn der Berufungswerber und wohl auch sein Begleiter bereits vorher mit 110 km/h unterwegs waren und dabei einen im Beschränkungsbereich mit 80 km/h fahrenden Pkw überholten, der Berufungswerber mit dem Motorrad im höchsten Leistungsbereich in kürzester Zeit einen Geschwindigkeitsüberhang auch noch seinen Freund X überholte, ist vor diesem Hintergrund die letztlich durch Lasermessung festgestellte Fahrgeschwindigkeit von 165 km/h zusätzlich noch logisch nachvollziehbar.
Das damit gegen eine gravierende Ordnungswidrigkeit gesetzt wurde, die durch das Gesetz mit einem gesonderten Straftatbestand sanktioniert wird, ist aber noch kein Beweis, dass darin auch gleichzeitig ein besonders gefährliches und rücksichtsloses Verhalten erblickt werden müsste.
In diesem Punkt kann der Beurteilung der Behörde erster Instanz nicht gefolgt werden.
4. Rechtlich hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:
Nach § 99 Abs.2e StVO 1960 (idF BGBl. I Nr. 93/2009) begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 150 bis 2180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von 48 Stunden bis zu sechs Wochen, zu bestrafen, wer die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 40 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 50 km/h überschreitet.
Dem Straferkenntnis ermangelt es in dessen Spruch der Qualifikation des Tatverhaltens iSd § 99 Abs.2 lit.c StVO 1960. Dieser hätte die konkreten Umstände zu beinhalten, die die besondere Gefährlichkeit der Verhältnisse bzw. die besondere Rücksichtslosigkeit anderen Straßenbenützern gegenüber ausmachen (vgl. VwGH 20.2.1991, 90/02/0198). Dem Beschuldigten wird nur die in Rede stehende Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt. Das dies nach Ansicht der Behörde erster Instanz auch "unter besonders gefährlichen Umständen u. der besonderen Rücksichtslosigkeit" erfolgt sein soll, wird nur in der Begründung erwähnt, wobei dafür aber ebenfalls keine spezifischen Umstände – worin dies konkret gelegen sein soll – dargestellt wurden.
Eine als § 99 Abs.2 lit.c StVO qualifizierte Verwaltungsübertretung hat im Tatvorwurf die zum Tatbild dieser Übertretung zählenden konkreten Umstände zu enthalten, die die besondere Gefährlichkeit der Verhältnisse bzw. die besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern ausmachen. Als besonders gefährliche Verhältnisse kommen bei Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit insbesondere beeinträchtigte Sichtverhältnisse, ungünstige Fahrbahnbeschaffenheit und starkes Verkehrsaufkommen, ferner der Verlauf und die Breite der Straße sowie die körperliche und geistige Verfassung des Lenkers, in Betracht (VWGH 31.7.1998, 96/02/0566 mit Hinweis auf VwGH 20.2.1991, 90/02/0198 u. VwGH 13.6.1989, 89/11/0061).
Im übrigen ist festzustellen, dass auch im Berufungsverfahren keine derartigen Feststellungen getroffen werden konnten. Im Hinblick auf eine Verwaltungsübertretung nach § 16 Abs.2 lit.b StVO 1960 (Überholen) waren Feststellungen darüber zu treffen, wie weit die Sicht des Beschuldigten, gemessen von seiner Position zu Beginn des Überholmanövers reichte, welche Länge die Überholstrecke hatte und inwieweit das gegenständliche Straßenstück ihm bis zum Ende der Überholstrecke die erforderliche Übersichtlichkeit bot (vgl. VwGH 21.9.1983, 82/03/0272).
Diesem Überholmanöver vermag auf Grund der getroffenen Feststellungen der qualifizierte Tatbestand des § 99 Abs.2 lit.c StVO jedenfalls nicht zugerechnet werden.
Selbst das erstinstanzlichen Verfahren und das angefochtene Straferkenntnis lässt jegliche diesbezügliche Feststellungen vermissen. Ausschließlich am Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung findet sich hier kein Anhaltspunkt für dessen tatsächliche besondere Gefährlichkeit oder Rücksichtslosigkeit.
Zur Strafzumessung:
Gemäß § 19 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, sowie der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Überdies sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der § 32 bis § 35 StGB (Strafgesetzbuch) sinngemäß anzuwenden.
4.1. Grundsätzlich trifft es wohl zu und damit kann für den Regelfall durchaus den erstbehördlichen Ausführungen gefolgt werden, dass mit dem Schnellfahren eine erhöhte Gefahrenpotenzierung einhergeht. Daher muss derartigen Übertretungen durchaus mit spürbaren Strafen begegnet werden.
Im gegenständlichen Fall ist jedoch – wie oben festgestellt – davon auszugehen, dass der im Tatbestand – hier in Form eines Ungehorsamsdeliktes – vertypte [geschwindigkeitsabhängige] Unrechtsgehalt empirisch besehen hinter dem für derartige Übertretungshandlungen üblichen Ausmaß erheblich zurückblieb. Es darf nämlich nicht übersehen werden, dass ein Überholvorgang primär möglichst kurz zu halten ist, wobei naturgemäß die Leistungfähigkeit des jeweiligen Fahrzeuges auszuschöpfen ist. Wenn hier binnen 3,5 Sekunden die hier zur Last gelegte Geschwindigkeit nur im Zweck des Überholvorgangs zu erblicken ist, liegt diesem nicht primär die Geschwindigkeitsüberschreitung als Motiv zu Grunde, sondern ein möglichst rasch durchzuführender Überholvorgang. Der Tatunwert erweist sich vor diesem Hintergrund in einem geringeren Grad. Das letztlich das nicht unbedeutende Fehlverhalten eines Dritten zum Unfall führte, darf hier einerseits nicht als Kausalität der spezifischen Gefahrenlage und andererseits nicht dem Berufungswerber als qualifizierte Schuld zur Last fallen. Vielmehr mildert dies sein Verschulden wie auch die dadurch erlittenen schweren Verletzungen einen Strafmilderungsgrund darstellen.
Der Schutzzweck dem die Strafdrohung dient und das Ausmaß der mit einer Tat verbundenen Schädigung gesetzlich geschützter Interessen (§ 19 VStG) muss bei rechtsrichtiger Auslegung auf die Umstände des konkreten Falls und nicht formelhaft zur Anwendung gelangen. Widrigenfalls käme es unvermeidlich zur Ungleichbehandlung dadurch, dass mit einer schablonenhaften Beurteilung eines Tatverhaltens, Ungleiches in der Sanktionsfolge immer gleich behandelt werden müsste (vgl. unter vielen h. Erk. v. 21.2.1997, VwSen-104374).
Da der Berufungswerber wegen einer Geschwindigkeitsübertretung vom Mai 2006 wegen einer mit 29 Euro geahndeten Geschwindigkeitsüberschreitung vorgemerkt ist muss dies als straferschwerend gewertet werden. Die Mindeststrafe kommt demnach nicht mehr in Betracht.
Der Oö. Verwaltungssenat vermeint unter Bedachtnahme auf die gegenwärtige Einkommenslosigkeit des Berufungswerbers bzw. des Krankengeldes in Höhe von monatl. 460 Euro auch mit dem nunmehr festgesetzten Strafausmaß dem Strafzweck ausreichend gerecht werden zu können. Unter Bedachtnahme auf das unterdurchschnittliche Einkommen des Berufungswerbers, war die Ersatzfreiheitsstrafe im Verhältnis zur Geldstrafe in entsprechend geringerem Umfang zu ermäßigen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.
Dr. B l e i e r
Beschlagwortung:
Geschwindigkeitsexzess