Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231035/2/WEI/La

Linz, 12.02.2010

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Berufung des X, geb. X, X, vertreten durch X, Rechtsanwalt in X, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land vom 19. Februar 2009, Zl. Sich 96-107-2008/WIM, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem § 82 Abs 1 Sicherheitspolizeigesetz - SPG (BGBl Nr. 566/1991 zuletzt geändert mit BGBl I Nr. 131/2009) zu Recht erkannt:

 

 

I. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt

 

II. Die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens entfällt.

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG iVm § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG; § 66 Abs 1 VStG.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis hat die belangte Behörde den Berufungswerber (im Folgenden kurz Bw) wie folgt schuldig erkannt und bestraft:

 

"Sie haben sich am 04.04.2008 von 02:15 Uhr bis 02:55 Uhr in der Wohnung in X sowie während des Transportes zur Polizeiinspektion Wels-Neustadt in alkoholisiertem Zustand trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber den Organen der öffentlichen Aufsicht, während diese ihre gesetzlichen Aufgaben wahrnahmen, aggressiv verhalten und dadurch eine Amtshandlung, nämlich die Beendigung der Aussperrung Ihrer Freundin und Wohnungsinhaberin behindert, indem Sie nach dem Öffnen der Wohnungstüre mit den Händen wild um sich schlugen und mit den Füßen mehrmals in die Richtung der Beamten traten, indem Sie die Polizeiorgane dabei ständig mit 'Scheiß Bullen' und 'Wixer' sowie mit 'Schleichts euch weg, ich kann mich bei meiner Freundin aufhalten so oft und lang ich will, das geht euch einen Scheißdreck an!' (Anm.: Prädikat fehlt) und sich trotz mehrmaliger Abmahnung und Aufforderung, Ihr gesetzwidriges Verhalten einzustellen nicht beruhigten, so dass Sie festgenommen werden mussten."

 

Dadurch erachtete die belangte Behörde den Tatbestand einer Verwaltungsübertretung nach § 82 Abs 1 SPG als erfüllt und verhängte nach dem dort vorgesehenen Strafrahmen eine Geldstrafe in Höhe von 150 Euro und gemäß § 16 Abs 2 VStG für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 72 Stunden. Die Vorhaft von 35 Minuten wurde mit 1,22 Euro angerechnet. Als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens wurden 15 Euro vorgeschrieben.

 

1.2. Gegen dieses Straferkenntnis, das dem Bw zu Händen seines Rechtsvertreters durch Hinterlegung am 24. Februar 2009 zugestellt worden ist, richtet sich die am 4. März 2009 per Telefax rechtzeitig übersendete Berufung gleichen Datums, mit der die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Einstellung des Strafverfahrens beantragt wird.

 

2. Der Aktenlage zu entnehmen ist der folgende Gang des Verfahrens und wesentliche S a c h v e r h a l t :

 

2.1. Aus der Anzeige der Polizeiinspektion Neustadt des Stadtpolizeikommandos Wels vom 4. April 2008, Zl. A2/5272/2008, gegen den Bw wegen des Verdachts einer Verwaltungsübertretung nach § 82 Abs 1 SPG ergibt sich, dass der Bw am 4. April 2008 in der Zeit vom 02:15 bis 02.55 Uhr in X und am Transport zur und in der Polizeidienststelle ein aggressives Verhalten gesetzt habe, indem er mit den Händen wild um sich schlug, mit den Füßen mehrmals in Richtung der Polizeibeamten trat und diese mit Worten wie "Scheiß Bullen" und "Wixer" sowie "Schleichts euch weg, ich kann mich bei meiner Freundin aufhalten so lang ich will, das geht euch einen Scheißdreck an" beschimpfte.

 

Die Beamten GI X und der Meldungsleger RI X seien auf Grund eines Anrufes von der Stadtleitstelle zum Haus X beordert worden. Vor Ort hatte sich der Bw neuerlich Zutritt zur Wohnung seiner Freundin verschafft, obwohl er bei einer Amtshandlung kurz zuvor nach einer Auseinandersetzung mit seiner Freundin über deren Aufforderung und in Anwesenheit der Beamten noch die Örtlichkeit verließ. Nunmehr hatte sich der Bw in der Wohnung ein- und seine Freundin ausgesperrt. Auf das Klopfen der Beamten an der Tür habe er geöffnet und sogleich das aggressive Verhalten gesetzt. Da er sich trotz mehrmaliger Aufforderung nicht beruhigte, sei er festgenommen und zur weiteren Amtshandlung in die Polizeiinspektion gebracht worden. Die ärztliche Untersuchung in der Polizeidienststelle durch den Amtsarzt X um 03:15 Uhr habe Haft- und Deliktsfähigkeit ergeben.

 

Die Festnahme sei um 02:20 Uhr unter Anlegung von Handfesseln durchgeführt worden. Die Aufhebung der Festnahme sei um 02:55 Uhr erfolgt, weil der Bw das strafbare Verhalten eingestellt habe.

 

2.2. Nach Übertragung des Strafverfahrens durch die Bundespolizeidirektion (BPD) Wels gemäß § 29a VStG hat die belangte Behörde gegen den Bw die Strafverfügung vom 18. April 2008 mit dem Tatvorwurf wie im angefochtenen Straferkenntnis erlassen. Mit dem durch seinen Rechtsfreund rechtzeitig eingebrachten Einspruch vom 2. Mai 2008 hat sich der Bw für nicht schuldig bekannt und vorgebracht, dass er die ihm vorgeworfene Verwaltungsübertretung unter dem Einfluss seiner psychischen Erkrankung begangen habe.

 

Im Einspruch wird unter Hinweis auf vorgelegte Urkunden (psychiatrische Gutachten und Sachwalterbestellung) weiter vorgebracht, dass sich der geistige Gesundheitszustand in den letzten Monaten wieder erheblich verschlechtert habe. Der Bw konsumiere vermehrt Alkohol, um seine Angstzustände zu mildern. Zum Beweis für seine Zurechnungsunfähigkeit im Tatzeitpunkt, wird die Einholung eines neuen psychiatrischen Gutachtens beantragt.

 

2.3. Aus den mit dem Einspruch vorgelegten Urkunden ergibt sich Folgendes:

 

1. Aus dem psychiatrischen Gutachten vom 22. November 2002 des Facharztes und gerichtlich beeideten Sachverständigen X in einer Unterbringungssache, geht hervor, dass der Bw schon ein Jahr zuvor wegen paranoider Schizophrenie stationär behandelt wurde. Der Gutachter stellte selbst nur mehr mäßige psychopathische Auffälligkeiten fest, bezeichnete den Zustand aber noch als instabil.

 

2. Dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 16. April 2007 des gleichen Facharztes zur Frage der Bestellung eines Sachwalters nach § 273 ABGB ist abermals die Diagnose paranoide Schizophrenie nach bisher drei stationären Aufenthalten zu entnehmen. Mit dieser Krankheit seien in den letzten Jahren nicht nur Denkstörungen und depressive Zustände, sondern auch vermehrter Alkohol- und Drogenmissbrauch verbunden gewesen. Seit Oktober 2006 werde regelmäßig eine medikamentöse Therapie durchgeführt. Mittlerweile sei eine deutliche Besserung der Krankheit eingetreten, vor allem seien die Denkstörungen abgeklungen und die Affektstörungen in letzter Zeit nicht mehr aufgetreten. Das Krankheitsbild habe sich zwar gebessert, von einem stabilen Zustand könne aber noch nicht gesprochen werden. Es lasse sich auch nicht beurteilen, wie lange das Zustandsbild noch anhalte. Momentan sei eine Sachwalterschaft zumindest für finanzielle Angelegenheiten und zur Vermögensverwaltung zu empfehlen. Der Untersuchte sei testierfähig und auch in der Lage, dritten Personen Vollmachten zu erteilen.

 

3. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Wels vom 12. Juni 2007, Zl. 2 P 48/07p-24, wurde der Vater des Bw zu dessen Sachwalter für die Angelegenheiten "Einkommens- und Vermögensverwaltung" bestellt. Begründen wird ausgeführt, dass sich der Gesundheitszustand beim Bw seit der Begutachtung im April 2007 noch einmal verbessert habe, er nehme die Medikamente regelmäßig, gehe einer regelmäßigen Arbeit nach und seine soziale Situation habe sich normalisiert. Allerdings unterliege das Krankheitsbild Schwankungen und könne es auch unter Behandlung wieder zu einer Verschlechterung kommen.

 

2.4. Im ordentlichen Ermittlungsverfahren ersuchte die belangte Behörde um weitere Ermittlungen im Rechtshilfeweg durch die BPD Wels.

 

Der Amtsarzt X erstattete eine schriftliche Stellungnahme vom 4. Dezember 2008 mit folgendem Inhalt:

 

"Wie aus dem Akt ersichtlich, wurde ich am 4.4.2008 um 3.15 Uhr von der PI Neustadt zur amtsärztlichen Untersuchung betreffend oben Genannten gerufen.

 

Bei Herrn X lag eine leichte bis mittelgradige Alkoholisierung vor. Zum Zeitpunkt der Untersuchung war die Haft- und Deliktsfähigkeit gegeben.

 

Die seinerzeit von mir festgestellten und schriftlich festgehaltenen Untersuchungsergebnisse halte ich vollinhaltlich aufrecht."

 

Die Polizeibeamten wurden von der BPD Wels am 1. Dezember 2008 niederschriftlich als Zeugen einvernommen. GI X und RI X schilderten den Sachverhalt im Wesentlichen wie in der Anzeige. Beide gaben an, dass sie während der Amtshandlungen keine Anzeichen einer psychischen Krankheit beim Bw bemerkt hätten.

 

Mit Schreiben vom 11. Dezember 2008 bot die belangte Behörde Gelegenheit vom Ergebnis der Beweisaufnahme durch Akteneinsicht oder mündliche Bekanntgabe im Amtsgebäude der Behörde Kenntnis zu nehmen und trug weiters die Bekanntgabe der Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse auf, widrigenfalls von einem geschätzten monatlichen Nettoeinkommen von 800 Euro bei fehlendem Vermögen und fehlenden Sorgepflichten ausgegangen werde.

 

2.5. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2008 brachte der Bw durch seinen Rechtsvertreter dazu vor, dass die Staatsanwaltschaft Wels wegen eines Vorfalles, der sich nur 6 Tage vor der gegenständlichen Tat ereignete, gegen den Bw Strafantrag stellte, weil dieser am 29. März 2008 in Wels

 

1.     dem Polizeibeamten RI X, der ihn festnehmen wollte, einen Faustschlag ins Gesicht sowie mehrerer heftige Schläge und Tritte versetzte, und dadurch versucht habe, einen Beamten an einer Amtshandlung zu hindern;

2.     den Beamten RI X während bzw wegen der Vollziehung seiner Aufgaben durch die zu 1. geschilderte Tathandlung in Form einer Rötung im Gesicht, einer Rötung und Schwellung am linken Mittelfinger und einer Abschürfung am linken Knie, vorsätzlich am Körper verletzt habe

 

Im Strafverfahren zu 12 Hv 68/08h des Landesgerichts Wels sei über Antrag des Rechtsvertreters ein psychiatrisches Gutachten eingeholt worden, welches im Hinblick auf die darin attestierte fehlende Diskretions- und Dispositionsfähigkeit zur Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 227 StPO geführt habe. Dies geht tatsächlich aus der ebenfalls vorgelegten Benachrichtigung des Landesgerichts Wels von der Beendigung des Strafverfahrens vom 9. September 2008, Zl. 12 Hv 68/08h, hervor.

 

Da die seit Jahren bekannt paranoide Schizophrenie insbesondere in Kombination mit dem konsumierten Alkohol verstärkt zum Tragen komme (Zusammenfassung des Gutachtens), sei davon auszugehen, dass dem Bw auch am 4. April 2008 die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit gefehlt habe. Der Antrag auf Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens werde daher wiederholt.

 

2.6. Aus dem im gerichtlichen Strafverfahren zu 12 Hv 68/08h eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachten des Linzer Facharztes X vom 25. August 2008, das nach Befundaufnahme am 22. Juli 2008 erstattet wurde, geht zunächst zum Sachverhalt hervor, dass Anlass des Strafverfahrens der Verdacht gegen den Bw wegen schwerer Körperverletzung und Widerstands gegen die Staatsgewalt zur Vorfallszeit am 29. März 2008 war. Der Bw fuhr ohne Beleuchtung mit dem Fahrrad und wurde von einem Polizeibeamten beanstandet. Zu diesem meinte er, dass er kein Licht brauche, weil er selbst ausreichend leuchte. Er sei davongefahren und in weiterer Folge wieder angehalten worden. Zur Ausweisleistung aufgefordert habe er wörtlich bemerkt: "Was willst du von mir, ich bin Soldat und ganz Österreich ist mir untertan. Auf die Knie mit dir, sonst setzt`s was." In weiterer Folge habe er mit der Faust ins Gesicht des RI X geschlagen und sich der Festnahme widersetzt. Die zur Last gelegten Taten habe er bestritten und den Sachverhalt umgekehrt dargestellt, dass er von Polizisten geschlagen worden wäre. Er hätte auch fast nichts getrunken und gab dabei 2 Bier an. Tatsächlich ergab ein Alkomattest einen Messwert von 0,7 mg/l Atemluftalkohol und damit 1,4 Promille Blutalkohol.

 

In seinem fachärztlichen Gutachten vom 25. August 2008 kommt der Gerichtssachverständige X schließlich zu folgendem Ergebnis:

 

"Zusammenfassung:

 

Bekannte paranoide Schizophrenie, in den letzten Jahren vorwiegend in Form eines Residual-(Defekt-)Zustandes, zeitweilig mit depressiver Prägung, sekundärer Alk- und Cannabisabusus, zur Vorfallszeit zumindest mittelgradige Alkoholisierung. Das Zusammenwirken dieser Faktoren hat zum Tatzeitpunkt einen Zustand bewirkt, in dem die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit aufgehoben war (im Sinn des § 11)."

 

2.7. Die belangte Behörde erließ in der Folge das angefochtene Straferkenntnis vom 19. Februar 2009 und bezog sich begründend auf die eine Haft- und Deliktsfähigkeit bejahende amtsärztliche Untersuchung des Bw sowie die Aussagen der Polizeibeamten, wonach bei der Amtshandlung kein Verhalten festgestellt werden konnte, das auf eine psychische Erkrankung hätte schließen lassen. In seiner schriftlichen Stellungnahme vom 4. Dezember 2008 hielt der Amtsarzt X der BPD Wels seine klinische Untersuchung laut Haftbericht vollinhaltlich aufrecht. Dieser habe als "offizieller Amtsarzt" unmittelbar nach der Tat die Haft- und Deliktsfähigkeit festgestellt. Dem stehe die mehr als drei Monate später erfolgte Beurteilung des Sachverständigen X gegenüber, die sich ausdrücklich nicht auf die angelastete Verwaltungsübertretung vom 4. April 2008 beziehe.

 

Die belangte Behörde folge daher im Rahmen der Beweiswürdigung der Aussage des Amtsarztes, wonach der Beschuldigte zum Vorfallszeitpunkt (trotz der psychischen Erkrankung) haft- und deliktsfähig gewesen sei. Das beigebrachte Gutachten des X vom 16. April 2007 beschränke sich rein auf das Einkommens- und Vermögensverhalten des Bw und besitze daher für das gegenständliche Verwaltungsverfahren keine Beweiskraft. Die Tat sei in keiner Weise bestritten worden, weshalb deren Begehung sowohl objektiv als auch subjektiv erwiesen sei.

 

2.8. Die Berufung rügt unrichtige Beweiswürdigung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Die Erstbehörde habe die Zusammenfassung auf Seite 10 des Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und Neurologie unberücksichtigt gelassen. Angesichts der auch am 4. April 2008 vorliegenden mittleren Alkoholisierung und der Schizophrenie des Bw, welche Faktoren im Zusammenwirken nach dem Gutachten generell zur Aufhebung der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit führen, ergebe sich zwingend, dass die Beurteilung des Amtsarztes, der kein Facharzt für Psychiatrie ist, aus fachmedizinischer Sicht unrichtig gewesen sei. Dass die Meinung der Polizeibeamten noch weniger geeignet sei, das Urteil eines Fachmediziners in Zweifel zu ziehen, bedürfe keiner näheren Begründung.

 

Zusammenfassend ergebe sich bei richtiger Beweiswürdigung, dass das Ergebnis des gerichtlichen Sachverständigen auch für den Tatzeitpunkt 4. April 2008 heranzuziehen sei. Aus prozessualer Vorsicht werde auch das Übergehen des gestellten Antrags auf Einholung eines weiteren psychiatrischen Gutachtens als Mangelhaftigkeit des Verfahrens gerügt, zumal eine solches Gutachten zur Verfahrenseinstellung geführt hätte.

 

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsstrafakt und dabei festgestellt, dass das angefochtene Straferkenntnis schon nach der Aktenlage aufzuheben ist.

 

4. In der Sache hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 82 Abs 1 SPG begeht eine Verwaltungsübertretung und kann mit Geldstrafe bis 218 Euro, bei Vorliegen erschwerender Umstände mit Freiheitsstrafe bis zu einer Woche und im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen bestraft werden,

 

wer sich trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber einer Militärwache, während diese ihre gesetzlichen Aufgaben wahrnehmen, aggressiv verhält und dadurch eine Amtshandlung behindert.

 

Diese Verwaltungsübertretung trat an die Stelle des in Art IX Abs 1 Z 2 EGVG aF (Beseitigung mit Wirkung vom 1.05.1993 durch EGVG-Novelle BGBl Nr. 143/1992) geregelten Verwaltungsstraftatbestandes des ungestümen Benehmens.

 

In der Regierungsvorlage 1991 zum Sicherheitspolizeigesetz (vgl RV SPG 148 BlgNR, 18. GP, 52) wird dazu ausgeführt:

 

"Der Tatbestand des Art. IX Abs. 1 Z 2 ist ebenfalls einer Einschränkung unterworfen worden. Zunächst wurden – ohne inhaltliche Änderung – die Worte 'ungestüm benimmt' durch die Worte 'aggressiv verhält' ersetzt, und dann wurde als zusätzliches Tatbestandsmerkmal, das kumulativ vorliegen muß, die Behinderung der Amtshandlung eingefügt. Damit ergibt sich, daß ein strafbares Verhalten nur dann vorliegt, wenn zum aggressiven Verhalten die Behinderung der Amtshandlung hinzutritt."

 

In der Rechtsprechung der Gerichtshofe öffentlichen Rechts (vgl die Rechtsprechungsübersicht bei Hauer/Keplinger, Kommentar zum SPG3 [2005], 821 ff, insb C.1. und C.2.) wird unter ungestümem Benehmen ein mit ungewöhnlicher Heftigkeit verbundenes Verhalten verstanden, das zufolge des Tonfalls und der zur Schau gestellten Gestik als aggressives Verhalten gedeutet werden muss. Abfällige ungehörige und/oder beleidigende Äußerungen für sich allein sind noch kein ungestümes Benehmen.

 

4.2. Im vorliegenden Fall ist das Vorliegen des objektiven Tatbestands des § 82 Abs 1 SPG nicht strittig. Die Berufung bekämpft vielmehr nur die Annahme der Schuldfähigkeit (Zurechnungsfähigkeit) beim Bw durch die belangte Behörde, obwohl ein auch für den gegenständlichen Tatzeitpunkt (4. April 2008) relevantes Fachgutachten vorliege, in dem die fehlende Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Bw für den 29. März 2008 attestiert wird.

 

Der erkennende Verwaltungssenat teilt grundsätzlich die Ansicht der Berufung, dass der im psychiatrischen Gutachten des X für den 29. März 2008 beschriebene psychische Status des Bf auch für den kurz darauf folgenden 4. April 2008 maßgeblich sein muss. Denn ein beim Bw schon jahrelang bekannter Zustand der Instabilität durch paranoide Schizophrenie kann nicht innerhalb weniger Tage wegfallen. Dies ergibt schon die allgemeine Lebenserfahrung. Das Ergebnis des Gerichtsgutachters, wonach eine mittelgradige Alkoholisierung im Zusammenwirken mit der jahrelang bekannten paranoiden Schizophrenie des Bw zur Aufhebung seiner Diskretions- und Dispositionsfähigkeit iSd § 11 StGB (Zurechnungsfähigkeit) am 29. März 2008 geführt habe, ist daher analogiefähig, weil der Bw bei einem bloß sechs Tage späteren Vorfall ähnlich alkoholisiert war (laut aktenkundigem Alkomattest 0,55 mg/l AAK bzw 1,1 Promille Blutalkohol).

 

Die belangte Behörde stützt nun ihre Gegenansicht in ihrer Beweiswürdigung zu der Frage der Schuldfähigkeit auf die amtsärztliche Untersuchung des Bw und die Eindrücke der amtshandelnden Polizeibeamten. Dass nach Meinung der Polizisten der Bw nicht geistig abwesend gewesen wäre und auch kein psychisch krankes Verhalten gezeigt hätte, kann als persönlicher Eindruck von bloßen Laien für die Lösung der Frage der Schuldfähigkeit des Bw nicht maßgeblich sein. Die Berufung hat zutreffend darauf hingewiesen, dass damit das Urteil eines Fachmediziners nicht in Zweifel gezogen werden kann.

 

Damit stellt sich nur noch die Frage, ob die rudimentäre Stellungnahme des Amtsarztes der BPD Wels vom 4. Dezember 2008, in der er nur auf seinen klinische Untersuchung am 4. April 2008 verweist und diese aufrecht erhält, die Beweiswürdigung der belangten Behörde rechtfertigen kann. Diese Frage ist mit der Berufung eindeutig zu verneinen. Der Amtsarzt der BPD Wels ist kein Facharzt für Psychiatrie und auch kein gerichtlich beeideter Gutachter. Er kannte das Krankheitsbild des Bw überhaupt nicht. Seine kurze klinische Untersuchung am 4. April 2008 kann mit der sorgfältigen Befundaufnahme des Gerichtsgutachters und Facharztes X, der die gesamte Vorgeschichte des Bw berücksichtigt hat, in keiner Weise verglichen werden. Es handelt sich daher bei der klinischen Untersuchung durch den Amtsarzt um keine Erkenntnisquelle auf gleicher fachlicher Ebene.

 

Die belangte Behörde verkennt offenbar diese grundlegenden Fragen der Beweiskraft, wenn sie die "Ex-Post-Beurteilung" des fachlich spezialisierten Gerichtssachverständigen X gering schätzt und der klinische Untersuchung des Amtsarztes zum Tatzeitpunkt eine besonderer Aussagekraft beimisst. Dazu kommt noch, dass der Amtsarzt X zum Zeitpunkt der Einholung seiner Stellungnahme vom 4. Dezember 2008 nicht ausreichend informiert sein konnte, weil das Fachgutachten des X vom 25. August 2008 noch nicht einmal aktenkundig war. Erst mit elektronischer Eingabe vom 23. Dezember 2008 hat der Rechtsvertreter im PDF-Anhang dieses Gutachten vorgelegt. Schon aus diesem Grund trifft auch die Verfahrensrüge der Berufung zu, dass die belangte Behörde jedenfalls ein weiteres psychiatrisches Fachgutachten hätte einholen müssen, wenn sie das vorgelegte Fachgutachten über die Schuldunfähigkeit des Bw als nicht aussagekräftig für den gegenständlichen Tatzeitpunkt ansah.

 

5. Im Ergebnis geht der erkennende Verwaltungssenat beim gegebenen Sachverhalt davon aus, dass der Bw auch zum Tatzeitpunkt am 4. April 2008 unter dem Einfluss seiner psychopathologischen Erkrankung handelte und im Zusammenhang mit seiner auch eher mittelgradigen Alkoholisierung nicht zurechnungsfähig iSd § 3 Abs 1 VStG war. Es war daher das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG einzustellen, weil Umstände vorliegen, die seine Strafbarkeit ausschließen.

 

 

Bei diesem Ergebnis entfällt auch gemäß § 66 Abs 1 VStG die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

Dr. W e i ß

 

 

 

 

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