Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-420611/8/SR/Sta

Linz, 04.03.2010

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Stierschneider über die Beschwerde der x, geboren am x, vertreten durch x, p.A. x, wegen Festnahme am 15. November 2009 und anschließender Anhaltung bis 17. November 2009, 09.40 Uhr, im PAZ Wels und im PAZ Wien Roßauer Lände durch dem Polizeidirektor von Wels zurechenbare Organe, zu Recht erkannt:

 

 

I.       Der Beschwerde wird Folge gegeben und die Festnahme am
15. November 2009 um 08.50 Uhr und die daran anschließende Anhaltung im PAZ Wels und PAZ Wien Roßauer Lände bis 17. November 2009, 09.40 Uhr, werden für rechtswidrig erklärt. Das weitergehende Begehren (Zuspruch einer angemessenen Entschädigung) wird als unzulässig zurückgewiesen.

 

II.     Der Bund (Verfahrenspartei Polizeidirektor von Wels) hat der Beschwerdeführerin den notwendigen Verfahrensaufwand in der Höhe von 785,60 Euro (Schriftsatzaufwand 737,60, Eingabe- und Beilagegebühren 48 Euro) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

 

 

 

Rechtsgrundlagen:

Art 129a Abs 1 Z 2 Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG iVm § 67 Abs 1 Z 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG; §§ 39, 46 und 74 und Fremdenpolizeigesetz – FPG (BGBl.Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 135/2009); §§ 67c und 79a AVG iVm UVS-Aufwandersatzverordnung 2008 (BGBl II Nr. 456/2008).

 

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Der Unabhängige Verwaltungssenat geht auf Grund der Aktenlage und der Gegenschrift in Verbindung mit der eingebrachten Beschwerde von folgendem Sachverhalt aus:

 

1.1. Die Beschwerdeführerin x, geboren am x, Staatsangehörige der Russischen Föderation (im Folgenden: Bf), reiste am 8. November 2004 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte im Zuge der niederschriftlichen Befragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz (im Folgenden: Asylantrag).   

 

1.2. Mit Bescheid des BAA Außenstelle Linz vom 31. Mai 2007, AZ 04 22.803-BAL, wurde der Asylantrag gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 iVm § 50 FPG 2005 für zulässig erklärt und die Bf gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

 

Die dagegen eingebrachte Berufung (nunmehr Beschwerde) wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 12. März 2009, GZ E5 312.904-1/2008, gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 AsylG 1997 als unbegründet abgewiesen. Das Erkenntnis ist am 17. März 2009 in Rechtskraft erwachsen.

 

1.3. Auf Grund der rechtskräftigen Ausweisungsentscheidung ersuchte die belangte Behörde den Verein "x" bei der Bf eine Rückkehrberatung durchzuführen.

 

1.4. Laut Mitteilung des Vereins vom 8. April 2009 sind die Gespräche mit der Bf am 6. und 7. April 2009 ergebnislos verlaufen. Die Bf habe abschließend geäußert, mit einem Rechtsanwalt Kontakt aufnehmen zu wollen.

 

1.5. Am 8. April 2009 verehelichte sich die Bf mit x in x (Heiratsurkunde: Magistrat der Stadt Wels, Standesamt, Nr. 55/2009).

 

1.6. Im Zuge der niederschriftlichen Befragung vor der belangten Behörde wurde der Bf am 10. August 2009 mitgeteilt, dass die Ausweisungsentscheidung in Rechtskraft erwachsen sei und im Falle der Weigerung, freiwillig auszureisen, die Schubhaftverhängung zur Koordinierung der Abschiebung beabsichtigt sei. Die freiwillige Ausreise könne über den Verein x organisiert werden. Nach Rücksprache mit dem Magistrat Wels wurde der belangten Behörde mitgeteilt, dass eine Niederlassungsbewilligung nicht erteilt werde.

 

Der Ermittlungsstand und die bekanntgegeben beabsichtigte Vorgangsweise wurden von der Bf nicht kommentiert.

 

1.7. Am 13. August 2009 ersuchte die belangte Behörde das Bundesministerium für Inneres, Abt. II/3, um Mitwirkung zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für die Bf.

 

Mit E-Mail vom 27. Oktober 2009 teilte das BMfI mit, dass die Botschaft der Russischen Föderation die Ausstellung des Heimreisezertifikates in Aussicht gestellt habe und am 9. November 2009 übermittelte das BMfI das von der Botschaft der Russischen Föderation ausgefertigte Heimreisezertifikat.

 

1.8. Mit Fax vom 12. November 2009 übermittelte die belangte Behörde der PI Neustadt den Festnahmeauftrag vom 12. November 2009, Zl. 1-1023506/FP/09, und ersuchte dabei die PI im Begleitschreiben wie folgt: "Festnahme erst am Sonntag und Einlieferung in das PAZ Wels".

 

1.9. Aufgrund des Festnahmeauftrages wurde die Bf am 15. November 2009 um 08.50 Uhr in x, x festgenommen, vorerst in das PAZ Wels eingeliefert und in der Folge in das PAZ Wien, Roßauer Lände überstellt (Ankunft am 15. November 2009 um18.45 Uhr).

 

Als "Schubtermin" wurde der 17. November 2009, 11.10 Uhr, vorgesehen. Die Abschiebung war auf dem Luftweg mit SU0262 Wien/Schwechat – Moskau geplant.

 

1.10. Am 17. November 2009 um 08.30 Uhr weigerte sich die Bf den Abschiebebus zu besteigen und gab bekannt, dass sie unter keinen Umständen mitfliegen werde und ihren Anwalt sprechen möchte.

 

Das PAZ Wien, Roßauer Lände, verständigte unverzüglich die belangte Behörde von der Weigerung der Bf. Unmittelbar danach verfügte die belangte Behörde die Entlassung (17. November 2009, 09.08 Uhr). Die Entlassung erfolgte am
17. November 2009 um 09.40 Uhr.

 

1.11. Am 19. November 2009 teilte die belangte Behörde dem BMfI mit, dass die Abschiebung der Bf fehlgeschlagen sei, da sich die Bf geweigert habe, das Flugzeug zu besteigen. Nach Ansicht der belangten Behörde könne eine Abschiebung nur "in einem überwachten Charterflug" vorgenommen werden.

 

2. Mit Schriftsatz vom 16. November 2009 (FAX-Kennung: 16-Nov-2009 19:00), beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Niederösterreich am
17. November 2009 eingelangt, erhob die Bf durch ihren Vertreter "Maßnahmenbeschwerde gemäß § 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG iVm § 88 Abs. 2 SPG" mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit der Erlassung und Vollstreckung des Festnahmeauftrages vom 12. November 2009 und beantragte u.a. den Ersatz der Verfahrenskosten.

 

2.1. Da entgegen der Ansicht des Vertreters die Festnahme der Bf nicht in Niederösterreich sondern in Oberösterreich stattgefunden hat, wurde die Maßnahmenbeschwerde an den Oö. Verwaltungssenat weitergeleitet. Der Beschwerdeschriftsatz langte am 17. November 2009 bei Oö. Verwaltungssenat ein.

 

2.2. Der in der Beschwerdeschrift ausgeführte Sachverhalt deckt sich im Wesentlichen mit den unter Punkt 1 getroffenen Feststellungen. Ergänzend dazu wies der Vertreter auf die amtsbekannte posttraumatische Belastungsstörung der Bf und das anhängige Verfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels hin.

 

Abgesehen von den umfassenden, aber nicht entscheidungsrelevanten Ausführungen sah sich die Bf im Wesentlichen durch den "Festnahmeauftrag und seinem Vollzug in ihrem Menschrecht, nicht unmenschlich behandelt zu werden (Art. 3 EMRK), ihrem Menschenrecht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5 EMRK), sowie in ihrem Menschenrecht auf Achtung ihres Privat- und Familienleben (Art. 8 EMRK) verletzt.

 

Im Anschluss an die Anträge, die Festnahme und Anhaltung im bezeichneten Umfang für rechtswidrig zu erklären, hat die Bf den Zuspruch einer angemessenen Entschädigung beantragt.

 

2.3. Nach Übermittlung des Beschwerdeschriftsatzes durch den Oö. Ver­waltungssenat am 30. November 2009 hat die belangte Behörde mit Schreiben vom 15. Dezember 2009 die Bezug habenden Akten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

 

In der Gegenschrift nahm die belangte Behörde Bezug auf die beiliegende Stellungnahme der fremdenpolizeilichen Abteilung vom 2. Dezember 2009.

Darin wird wie folgt ausgeführt:

"Zur Sicherung der Abschiebung wurde ein Festnahmeauftrag gemäß § 74 Abs. 2 Z. 3 FPG erlassen. Die Festnahme sollte am 15.11.2009 erfolgen, um den Aufenthalt im Polizeianhaltezentrum für S. so kurz als möglich zu halten."

 

Da sich die Bf geweigert habe, "mitzufliegen und den Bus nicht bestiegen" habe, sei die Abschiebung abgebrochen, die Festnahme der Bf unverzüglich widerrufen und die Bf aus dem PAZ Wien Roßauer Lände entlassen worden. Am 20. November 2009 seien über die Bf gelindere Mittel verhängt worden. Geplant sei eine bewachte Abschiebung.

 

Bei der niederschriftlichen Befragung durch die belangte Behörde habe die Bf auf die posttraumatischen Belastungsstörungen nicht hingewiesen. Da die Bf trotz der langen Zeit, in der sie eine freiwillige Ausreise in Anspruch nehmen hätte können, nicht freiwillig ausgereist ist, sei der Festnahmeauftrag zur Sicherung der Abschiebung erlassen worden. Wie im Erlass des BMfI vom 28. September 2009, GZ: FW1710/0055-III/4/2009, klargestellt, begründe eine Antragsstellung nach dem NAG keinen "faktischen Abschiebeschutz".

 

2.4. Mit Schreiben vom 5. Jänner 2010 wurde dem Beschwerdevertreter die Gegenschrift der belangten Behörde zur Kenntnis gebracht und diesem die Möglichkeit zu einer Äußerung eingeräumt.

 

2.5. Der Beschwerdevertreter hat am 21. Jänner 2010 eine ergänzende Stellungnahme abgegeben und einen Ambulanzbericht (Oö. Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg) vom 2. Dezember 2009 beigelegt.

 

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat nach Einsicht in den vorgelegten Verwaltungsakt, der Beschwerdeschrift, der Gegenschrift und der ergänzenden Stellungnahme festgestellt, dass bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit den eingebrachten Schriftsätzen der Sachverhalt hinlänglich geklärt ist. Da im Wesentlichen Rechtsfragen zu klären waren, konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

 

4.1.1. Gemäß Art 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG iVm § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten durch Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein (sog. Maßnahmenbeschwerde), ausgenommen Finanzstrafsachen des Bundes.

 

Die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt setzt nach der Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts die unmittelbare Anwendung physischen Zwanges oder die Erteilung eines Befehles mit unverzüglichem Befolgungsanspruch voraus (vgl. VwGH 14.12.1993, 93/05/0191; VfSlg 11935/1988; VfSlg 10319/1985; VfSlg 9931/1984 und 9813/1983). Die bloße Untätigkeit einer Behörde erfüllt diesen Begriff nicht (vgl. VfSlg 9813/1983; VfSlg 9931/1984; VfSlg 10319/1985, VfSlg 11935/1988). Für die Ausübung von Zwangsgewalt ist im Allgemeinen ein positives Tun begriffsnotwendig (vgl. VwGH 25.4.1991, 91/06/0052; VwSlg 9461 A/1977; VfSlg 6993/1973; VfSlg 4696/1964). Dieses kann auch in einem schlüssigen Tun iSd § 863 ABGB bestehen (vgl. Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit [1983], 74).

 

Voraussetzung für die Zulässigkeit einer sog. Maßnahmenbeschwerde ist daher, dass gegen den Beschwerdeführer physischer Zwang ausgeübt wurde oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehles droht (vgl. mwN Walter/Mayer/Kuscko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10 [2007] Rz. 610).

 

Im vorliegenden Fall geht die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt aus der Aktenlage eindeutig hervor. Die Bf wurde am
15. November 2009 um 08.50 Uhr in ihrer Wohnung in x, x festgenommen, in das PAZ Wels eingeliefert, anschließend in das PAZ Wien, Roßauer Lände, überstellt und bis zum 17. November 2009 um 09.40 Uhr angehalten.  

 

4.1.2. Nach Art. 5 Abs. 1 EMRK hat jedermann ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den Fällen des Absatz 1 lit. a) bis f) und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden.

 

Art. 1 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrSchG), BGBl Nr. 684/1988, gewährleistet dieses Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) ebenfalls. Nach Art. 1 Abs. 2 PersFrSchG darf niemand aus anderen als den in diesem BVG genannten Gründen oder auf andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise festgenommen oder angehalten werden. Der Entzug der persönlichen Freiheit darf nach Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG nur vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist. Er ist nur zulässig, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht.

 

Gemäß Art. 2 Abs. 1 Z. 4 PersFrSchG darf die persönliche Freiheit einem Menschen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden, um die Befolgung einer rechtmäßigen Gerichtsentscheidung oder die Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung zu erzwingen.

 

Nach Art. 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrSchG darf die persönliche Freiheit einem Menschen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden, wenn dies notwenig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern.

 

Die Gesetzesvorbehalte des Rechts auf persönliche Freiheit (Art. 5 EMRK, Art. 2 PersFrSchG) bieten für sich genommen noch keine ausreichende Grundlage für Eingriffe in die persönliche Freiheit. Diese bedürfen der näheren Konkretisierung durch das Gesetz. Fehlt eine gesetzliche Grundlage, ist der Freiheitsentzug verfassungswidrig. Einschränkungen des Grundrechtes der persönlichen Freiheit anzuordnen ist ausschließlich Sache des Gesetzgebers und nicht der Behörden.

 

Der Freiheitsentzug muss gesetzlich vorgesehen (Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG) bzw. rechtmäßig (Art. 5 Abs. 1 EMRK) sein, und er darf nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise erfolgen (Art. 1 Abs. 2; Art. 2 Abs. 1 PersFrSchG; Art 5 Abs. 1 EMRK). Darin liegt nicht nur ein Gebot an die Vollziehung, sich gesetzeskonform zu verhalten, sondern auch eine Verpflichtung des Gesetzgebers, entsprechende Gesetze zu erlassen und diese inhaltlich ausreichend bestimmt zu formulieren (siehe. Kopetzki. R 51 zu Art. 1 PersFrSchG in: K.Korinek - M. Holoubek, Hrsg, Bundesverfassungsrecht 1999).

 

Nach Art. 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrSchG darf ein Freiheitsentzug vorgesehen werden, wenn dieser notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung zu sichern. Die Formulierung weicht von jener des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK ab. Danach ist die Festnahme oder Haft eines Menschen zulässig, um ihn daran zu hindern, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist. Art. 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrSchG und Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK bilden die Grundlage für freiheitsentziehende Maßnahmen im Rahmen der Fremdenpolizei. Der Begriff der Ausweisung in Art. 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrSchG ist weit zu verstehen und umfasst nach VfSlg 13.039/1992 und 13.300/1992 alle fremdenpolizeilichen Maßnahmen, die darauf abzielen, dass der Fremde das Land verlasse. Zu den freiheitsentziehenden Maßnahmen im Sinne dieser Bestimmung gehört daher "insbesondere" die Schubhaft zur Sicherung einer Abschiebung (siehe Kopetzki.  R 75 und 77 zu Art. 2 PersFrSchG in: K.Korinek - M. Holoubek, Hrsg, Bundesverfassungsrecht 1999).

Für die Zulässigkeit des Freiheitsentzuges genügt nach dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrSchG bereits die Ausweisungsabsicht. Auch wenn das PersFrSchg weniger streng formuliert zu sein scheint als Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK ist ein – letztlich auf die Außerlandesschaffung abzielender – behördlicher Akt (z.B. Festnahmeersuchen) jedenfalls erfasst. Wesentlich ist, dass mit einem auf Art. 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrSchG (Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK) gestützten Freiheitsentzug kein anderes Ziel als die Sicherung der Ausweisung verfolgt werden darf (vgl. VfSlg 13.300/1992).

 

Die Freiheitsentziehung im Sinne des PersFrSchG und der EMRK umfasst sowohl die Verhaftung (Festnahme) als auch die Anhaltung. Die Verhaftung (Festnahme) ist ein einmaliges Ereignis, sozusagen der Eintritt einer Freiheitsbeschränkung, der vom Willensakt eines Organs (Menschen) getragen wird. Dagegen stellt die Anhaltung die Fortdauer, die Aufrechterhaltung des einmal eingetretenen Zustands der Festgenommenheit dar (vgl Ermacora, Grundriss der Menschenrechte in Österreich [1988] Rz. 364 ff). Auch dieses Verhalten eines Organs muss von dessen Willen getragen sein. Damit müssen jeweils zwei Elemente vorliegen, nämlich ein tatsächliches Verhalten und der Wille zur Freiheitsbeschränkung. Dieser Wille, durch den das bloße Verhalten erst zum normativen Akt - hier: zum Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt - wird, kann etwa dadurch ausdrücklich erklärt werden, dass jemand durch ein Organ "für verhaftet erklärt" wird. Andererseits kann ein Organverhalten auch dann eine Freiheitsentziehung bedeuten, wenn das Organ den Willen nicht ausdrücklich erklärt hat, dieser aber aus seinem Verhalten erschlossen werden muss.

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kann von einem Eingriff in die persönliche Freiheit nur gesprochen werden, wenn der behördliche Wille primär auf eine Freiheitsbeschränkung gerichtet war, diese sich also nicht bloß als sekundäre Folge anderer Maßnahmen, mit denen Bewegungsbehinderungen verbunden sind, darstellt (vgl etwa VfSlg 5280/1966, 5570/1967, 8327/1978, 7298/1974, 12.017/1989, 12.792/1991). Im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Dezember 1998, B 1341/97, wurde in diesem Zusammenhang aber auch zum Ausdruck gebracht, dass eine nach Art und Umfang überschießende Amtshandlung eine einer Festnahme gleichkommende Beschränkung der persönlichen Freiheit darstellen kann.

 

4.3. Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 1 FPG sind Organe des öffentlichen Sicherheits­dienstes ermächtigt, einen Fremden festzunehmen, gegen den ein Festnahmeauftrag (§ 74 Abs. 1 oder 2) besteht, um ihn der Behörde vorzuführen.

 

Nach § 39 Abs. 5 FPG (in der Fassung BGBl I Nr. 29/2009). ist die zuständige Fremdenbehörde ohne unnötigen Aufschub über die erfolgte Festnahme zu verständigen. Die Anhaltung eines Fremden ist in den Fällen des Abs. 1 bis zu 24 Stunden und in den Fällen des Abs. 2 und 3 bis zu 48 Stunden zulässig; darüber hinaus ist Freiheitsentziehung nur in Schubhaft möglich. Dem festgenommenen Fremden ist die Vornahme der Festnahme über sein Verlangen schriftlich zu bestätigen.

 

Unter den gesetzlich determinierten Voraussetzungen kann die Behörde gemäß  § 74 Abs. 1 FPG die Festnahme eines Fremden auch ohne Erlassung eines Schubhaftbescheides anordnen (Festnahmeauftrag).

 

Gemäß § 74 Abs. 2 Z. 3 FPG kann ein Festnahmeauftrag gegen einen Fremden auch dann erlassen werden, wenn gegen den Fremden ein Auftrag zur Abschiebung (§ 46 FPG) erlassen werden soll.

 

Nach § 46 Abs. 1 FPG können u.a. Fremde, gegen die eine Ausweisung (§§ 53, 54 FPG und § 10 AsylG) durchsetzbar ist, von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag der Behörde zur Ausreise im Wege der Abschiebung verhalten werden, wenn

1.      die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit notwendig erscheint oder

2.      sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise (§ 67 FPG, § 10 AsylG) nicht zeitgerecht nachgekommen sind oder

3.      auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen oder

4.      sie dem Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

 

4.2.1. Wie aus dem unter den Punkten 1.8 und 1.9. dargestellten Sachverhalt hervorgeht, hat die belangte Behörde, ohne eine eindeutige zeitliche Beschränkung vorzunehmen, die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes angewiesen, die Bf "erst am Sonntag" (15. November 2009) festzunehmen. Da im behördlichen Auftrag lediglich auf den Sonntag Bezug genommen und kein Zeitpunkt angegeben war, nach dem die Festnahme vorzunehmen wäre, konnten die einschreitenden Beamten den Festnahmezeitpunkt frei wählen. Dementsprechend wurde die Bf am Sonntag, 15. November 2009, um 08.50 Uhr festgenommen und vorerst in das PAZ Wels eingeliefert. Die Überstellung und Einlieferung in das PAZ Wien, Roßauer Lände, erfolgte noch am 15. November 2009. Ab den Abendstunden des 15. Novembers 2009 bis zur versuchten Abschiebung in den Morgenstunden des 17. Novembers 2009 wurde die Bf im PAZ Wien, Roßauer Lände, angehalten.

 

Die belangte Behörde hat sich bei der Erteilung des Festnahmeauftrages erschließbar auf § 74 Abs. 2 FPG gestützt.

 

4.2.2. Im Hinblick auf den unstrittigen Sachverhalt hat sich die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Festnahme und Anhaltung der Bf an den Bestimmungen der §§ 39 Abs. 2, 46 Abs. 1 und 74 Abs. 2 FPG zu orientieren.

 

Wie aus § 74 Abs. 1 FPG zu ersehen ist, kann die Festnahme der Bf auch ohne Erlassung eines Schubhaftbescheides angeordnet werden. Diese Anordnung hat der Gesetzgeber mit der Bezeichnung "Festnahmeauftrag" umschrieben.

 

Der erteilte Festnahmeauftrag der belangten Behörde würde grundsätzlich im     § 74 Abs. 2 Z. 2 und 3 FPG eine rechtliche Deckung finden. Dieser wurde deshalb erlassen, weil die Bf ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht nachgekommen ist. Wie auch von der Bf nicht bestritten, zielte die fremdenpolizeiliche Maßnahme ausschließlich darauf ab, die Bf auszuweisen und in die Russische Föderation abzuschieben.

 

Verbunden mit dem Festnahmeauftrag hat die belangte Behörde die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes angewiesen, die Bf zum Zwecke der Vornahme der Abschiebung vorerst in das PAZ Wels zu überstellen.

 

Aus Gründen des Verhältnismäßigkeitsgebotes (Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG) und der Formulierung des Art. 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrSchG kann auch die Ausweisungsabsicht zur Rechtfertigung eines Freiheitsentzuges nur dann hinreichen, wenn die Verhängung der Haft (§§ 39 Abs. 1 und 2, § 74 Abs. 2 Z. 3 FPG) tatsächlich notwendig ist, um die Abschiebung zu sichern. Würden andere Mittel zur Verfügung stehen, so wäre jene Maßnahme zu wählen, die am wenigsten in die Rechtsphäre der Bf eingreift. Daraus wird unter anderem ein verfassungsrechtlicher Vorrang der "Direktabschiebung" des Fremden abgeleitet. Erst wenn zu befürchten ist, dass ohne vorherige Haft die Abschiebung gefährdet würde, darf zur Sicherung des angestrebten Zwecks mit Freiheitsentzug vorgegangen werden (siehe Kopetzki. R 82 zu Art. 2 PersFrSchG in: K.Korinek - M. Holoubek, Hrsg, Bundesverfassungsrecht 1999).

Wie bei Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK ist die durch Art. 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrSchG gebotene Zielorientierung nicht nur auf die Festnahme als solche, sondern auch auf die Dauer der weiteren Anhaltung zu beziehen. So hat der Verfassungsgerichtshof vergleichsweise zur Schubhaft die Auffassung vertreten, dass ein Fremder im Hinblick auf Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG nur dann in Haft genommen und angehalten werden darf, wenn es zu einer alsbaldigen Abschiebung kommen kann (siehe VfSlg 13.958/1994).

 

Unstrittig lag gegen die Bf eine durchsetzbare Ausweisungsentscheidung vor (siehe Punkt 1.2.: Rechtskraft des Erkenntnisses des Asylgerichtshofes seit dem 17. März 2009). Auf Grund dieser Entscheidungen wäre die Bf gehalten gewesen, ihrer Ausreiseverpflichtung zeitgerecht nachzukommen.

 

Das Verhalten der Bf zeigt auf, dass sie keinesfalls bereit war, aus freien Stücken der rechtskräftigen Ausweisung Folge zu leisten und in die Russische Föderation auszureisen.

 

Um die Abschiebung zu sichern, musste die belangte Behörde die Ausreise der Bf in Begleitung von Organen der öffentlichen Sicherheit vorsehen.

 

Als Instrumentarien standen der belangten Behörde grundsätzlich die Anordnung der Schubhaft, des gelinderen Mittels und des Festnahmeauftrages zur Verfügung. Aus Gründen des Verhältnismäßigkeitsgebotes war die belangte Behörde verpflichtet, jene Maßnahme zu wählen, die am wenigsten stark in die Rechtsphäre der Bf eingreift.

 

Um dem Verhältnismäßigkeitsgebot zu entsprechen und die Haft kurz zu halten, hat die belangte Behörde eine Direktabschiebung vorzunehmen oder, falls eine solche faktisch unmöglich ist, einen Abschiebemodus zu wählen, der einer "Direktabschiebung" nahekommt.

 

Nach der Aktenlage ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde der Ansicht war, dass die Bf zwar nicht freiwillig ausreisen, sich aber einer Abschiebung nach gesicherter Vorführung zum Flughafen nicht widersetzen werde. Aus diesem Grund erließ sie dem Verhältnismäßigkeitgebot entsprechend einen Festnahmeauftrag und nahm von der Verhängung der Schubhaft Abstand.

 

4.2.3. Die an und für sich zulässige Ausübung der verwaltungsbehördlichen Befehlsgewalt war aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falles als rechtswidrig zu beurteilen.

 

Gemäß § 39 Abs. 5 FPG wäre im vorliegenden Fall die Anhaltung der Bf bis zu
48 Stunden zulässig. Die Zeitspanne, während der die Bf zum Zwecke der Abschiebung angehalten wurde, hat mehr als 48 Stunden betragen.

 

Abgesehen davon, dass bereits das Ausschöpfen der 48 Stunden verhältnismäßig sein muss (siehe oben: "verfassungsrechtlicher Vorrang der Direktabschiebung"), wurde im vorliegenden Fall die höchstzulässige Anhaltedauer von 48 Stunden überschritten. Eine über diese Frist hinaus andauernde Freiheitsentziehung wäre nur in Schubhaft möglich gewesen. Eine solche wurde unbestritten nicht verhängt.

 

Die Ausübung der verwaltungsbehördlichen Befehlsgewalt (Festnahme und Anhaltung) war insgesamt als rechtswidrig zu beurteilen, da die belangte Behörde durch die Festlegung des Festnahmezeitpunktes die Freiheitsentziehung der Bf ohne einen erkennbar unabdingbar notwendigen Grund für einen übermäßig langen Zeitraum vorgesehen und durch die allgemein gehaltene Formulierung - "erst am Sonntag festnehmen" - in Kauf genommen hat, dass die Bf über die zulässige Dauer von 48 Stunden angehalten wird.

 

Im Hinblick auf die Rechtswidrigerklärung der Maßnahme war auf die weitergehenden Ausführungen der Bf nicht mehr einzugehen.

 

4.2.4. Anzumerken ist, dass die Freiheitsentziehung im vorliegenden Fall auch dann als rechtswidrig zu beurteilen gewesen wäre, wenn die Anhaltedauer die 48 Stunden Grenze geringfügig unterschritten hätte. Bei der vorgesehen und tatsächlichen Anhaltung im PAZ Wien, Roßauer Lände (15. November 2009, 18.45 Uhr bis 17. November 2009, 09.40 Uhr [geplanter Abflug 11.10 Uhr]) kann nicht von einer Abschiebung gesprochen werden, die auch nur ansatzweise einer Direktabschiebung nahekommt. Die belangte Behörde hat das den Freiheitsentzug rechtfertigende Ziel (Sicherung der Abschiebung) nicht mit der nötigen Raschheit verfolgt.

 

4.3. Der Antrag auf Zuspruch einer angemessenen Entschädigung war mangels Rechtsgrundlage als unzulässig zurückzuweisen.

 

5. Gemäß § 79a Abs. 1 AVG 1991 idF BGBl Nr. 471/1995 hat die im Verfahren nach § 67c obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wird die Beschwerde zurückgewiesen, abgewiesen oder zurückgezogen, dann ist die belangte Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei (§ 79a Abs. 3 AVG). Nach § 79a Abs. 6 AVG 1991 ist Aufwandersatz nur auf Antrag der Partei zu leisten.  

 Nach § 79a Abs. 4 AVG gelten als Aufwendungen gemäß Abs. 1 neben Stempel- und Kommissionsgebühren sowie Barauslagen vor allem die durch Verordnung des Bundeskanzlers festgesetzten Pauschbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand.

 

Bei diesem Verfahrensergebnis waren der Beschwerdeführerin als obsiegender Partei antragsgemäß nach § 79a Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4 Z 1 und 3 AVG iVm.  § 1 Z. 1 der UVS-Aufwandersatzverordnung 2008 (BGBl II Nr. 456/2008) der Verfahrensaufwand in der Höhe von 785,60 Euro (Schriftsatzaufwand 737,60, Eingabe- und Beilagegebühren 48 Euro zuzusprechen.

 

Analog dem § 59 Abs. 4 VwGG 1985 war eine Leistungsfrist von 2 Wochen festzusetzen, zumal das Schweigen des § 79a AVG 1991 nur als planwidrige Lücke aufgefasst werden kann, sollte doch die Neuregelung idF BGBl Nr. 471/1995 im Wesentlichen eine Angleichung der Kostentragungsbestimmungen an das VwGG bringen (vgl. Erl. zur RV, 130 BlgNR 19. GP, 14 f).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigen Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Eingabe- und Beilagegebühren in Höhe von 48 Euro (2 x 13,20 Euro und 6 x 3,60 Euro) angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

 

Mag. Stierschneider

 

 

 

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum