Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-252390/4/Gf/Mu

Linz, 23.03.2010

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch seine 11. Kammer unter dem Vorsitz von Dr. Weiß, den Berichter Dr. Grof und den Beisitzer Dr. Pree über die Berufung des x gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Linz vom 4. Dezember 2009, GZ 32592/2009, wegen einer Übertretung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes zu Recht erkannt:

 

 

I.     Der Berufung wird insoweit stattgegeben, als die Geldstrafe auf 800 Euro und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 123 Stunden herabgesetzt werden.

 

II.   Der Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde ermäßigt sich auf 80 Euro; für das Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat war kein Kostenbeitrag vorzuschreiben.

Rechtsgrundlage:

§ 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG;  § 64 Abs. 1 und 2 VStG; § 65 VStG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Linz vom 4. Dezember 2009, GZ 32592/2009, wurde über den Rechtsmittelwerber eine Geldstrafe in Höhe von 2.180 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 14 Tage) verhängt, weil er als handelsrechtlicher Geschäftsführer einer GmbH am 2. und 3. März 2009 neun Personen als Dienstnehmer beschäftigt habe, ohne diese zuvor wenigstens mit den Mindestangaben zur Pflichtversicherung aus der Krankenversicherung beim zuständigen Sozialversicherungsträger angemeldet zu haben. Dadurch habe er eine Übertretung des § 33 Abs. 1 und Abs. 1a  i.V.m. § 111 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl.Nr. 189/1955, in der vor der Novelle BGBl.Nr. I 150/2009 maßgeblichen Fassung (im Folgenden: ASVG) begangen, weshalb er nach der letztgenannten Bestimmung zu bestrafen gewesen sei.

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass die dem Rechtsmittelwerber angelastete Tat auf Grund entsprechender Feststellungen eines Kontrollorganes des
Finanzamtes Linz als erwiesen anzusehen und dem Beschwerdeführer zumindest fahrlässiges Verhalten anzulasten sei.

Im Zuge der Strafbemessung sei seine bisherige Unbescholtenheit und sein Schuldeingeständnis als mildernd, die verspätete Anmeldung von neun Dienstnehmern hingegen als erschwerend zu werten gewesen. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Rechtsmittelwerbers seien infolge unterlassener Mitwirkung von Amts wegen zu schätzen gewesen.

1.2. Gegen dieses ihm am 29. Jänner 2010 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, (vermutlich) noch am selben Tag – und damit jedenfalls rechtzeitig – zur Post gegebene Berufung, mit der i.V.m. der ergänzenden Erklärung vom 2. März 2010 nur ein Einspruch gegen die Strafhöhe erhoben wird.

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt des Magistrates der Stadt Linz zu GZ 32592/2009; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ und die Parteien einen entsprechenden Antrag nicht gestellt haben, konnte – im Übrigen auch gemäß § 51e Abs. 3 Z. 2 VStG – von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

2.2. Nach § 51c VStG hatte der Oö. Verwaltungssenat im gegenständlichen Fall, weil eine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch eine Kammer zu entscheiden.

3. Über die vorliegende Berufung hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Gemäß § 111 Abs. 1 Z. 1 i.V.m. § 33 Abs. 1 ASVG begeht u.a. derjenige eine Verwaltungsübertretung und ist nach § 111 Abs. 2 ASVG mit einer Geldstrafe von 730 Euro bis zu 2.180 Euro zu bestrafen, der als Dienstgeber eine pflichtversicherte Person nicht vor deren Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anmeldet.

Nach § 111 Abs. 5 ASVG gilt die Verwaltungsübertretung als in dem Sprengel jener Bezirksverwaltungsbehörde begangen, in dem der Sitz des Betriebes des Dienstgebers liegt.

3.1.1. Allgemeines zur Zuständigkeit:

3.1.1.1. In Bezug auf § 111 Abs. 5 ASVG ist zunächst vorauszuschicken, dass die Befugnis zur gesetzlichen Regelung der Behördenzuständigkeit aus verfassungsmäßig‑kompetenzrechtlicher Sicht beim jeweiligen Materiengesetzgeber liegt und somit insbesondere nicht einen Teilbereich des Kompetenztatbestandes "Verwaltungsverfahren" verkörpert. Wenn sich dessen ungeachtet in den sog. "Verwaltungsverfahrensgesetzen" (EGVG, AVG, VStG, VVG) dennoch verschiedentlich Bestimmungen über die Behördenzuständigkeit finden, so kommt diesen einerseits – wie aus der Textierung gelegentlich ohnehin mehr (vgl. die §§ 1 bis 3 AVG) oder weniger (vgl. die §§ 26 ff VStG und § 1 VVG) deutlich hervorgeht – bloß subsidiärer Charakter zu und andererseits brauchen sich in den Materiengesetzen enthaltene, von den §§ 1 ff AVG, den §§ 26 ff VStG oder § 1 VVG divergierende Zuständigkeitsvorschriften somit auch nicht an den von Art. 11 Abs. 2 B‑VG für jene aufgestellten Kriterien für die Inanspruchnahme der Bedarfskompetenz messen lassen (vgl. z.B. J. Hengstschläger – D. Leeb, Kommentar zum Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz, Bd. I, Wien 2004, RN 7 ff zu § 1 AVG, m.w.N.).

3.1.1.2. Vor diesem Hintergrund weist die vom Bundesgesetzgeber in § 111 Abs. 5 ASVG vorgenommene Kompetenzfestlegung gleichsam primären Charakter auf, während dem gegenüber die in den §§ 26 ff VStG normierten Zuständigkeitsvorschriften somit schon von vornherein nur insoweit zum Tragen kommen, als diesbezüglich seitens des Materiengesetzgebers keine Regelung erfolgt ist – also (bewusst oder unbewusst) Fragen offen gelassen wurden, die sohin im Wege einer systemkonformen Auslegung zu klären sind (wobei in diesem Zusammenhang zufolge der ausdrücklichen Anordnung des § 24 VStG die insoweit für das Administrativverfahren maßgeblichen Bestimmungen der §§ 2 bis 4 AVG zur Lösung von Zuständigkeitsproblemen im Verwaltungsstrafverfahren explizit nicht ergänzend heranzuziehen sind; hinsichtlich § 6 AVG siehe dagegen unten, 3.1.2.2.2.). Doch selbst eine derartige (bloß) subsidiäre Maßgeblichkeit der §§ 26 ff VStG hat jedenfalls zur Vorbedingung, dass der Materiengesetzgeber im Zuge der konkreten Ausgestaltung des § 111 Abs. 5 ASVG das Zuständigkeitssystem des VStG jeweils vorausgesetzt hat und – ausdrücklich oder stillschweigend – an dieses anknüpft.

3.1.1.3. Hinsichtlich der zuletzt angesprochenen Frage ist für den vorliegenden Zusammenhang zunächst davon auszugehen, dass § 111 Abs. 5 ASVG in den mit "Strafbestimmungen" überschriebenen "Abschnitt VIII" des "Ersten Teiles: Allgemeine Bestimmungen" dieses Gesetzes eingefügt wurde; § 111 ASVG sanktioniert "Verstöße gegen melderechtliche Vorschriften". Davon abgesehen normiert das ASVG nur noch einen weiteren Straftatbestand, nämlich in § 112a ("Verstöße gegen besondere Auskunfts- und Einsichtsgewährungspflichten"). Und soweit es die in diesen beiden Bestimmungen enthaltenen Zuständigkeitsfestlegungen betrifft, ordnet § 112a ASVG lediglich an, dass der Täter "von der Bezirksverwaltungsbehörde .... zu bestrafen" ist; § 111 ASVG geht dagegen darüber insoweit hinaus, als einerseits eine Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde nur in dem Umfang gegeben ist, als "die Tat  weder den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet noch nach anderen Verwaltungsstrafbestimmungen mit strengerer Strafe bedroht ist" (Abs. 2), andererseits die Versicherungsträger und Abgabenbehörden des Bundes dazu verpflichtet sind, Ordnungswidrigkeiten bei der Bezirksverwaltungsbehörde anzuzeigen (Abs. 4) und schließlich die Verwaltungsübertretung im Wege einer expliziten gesetzlichen Fiktion als im Sprengel jener Bezirksverwaltungsbehörde begangen gilt, in dem der Sitz des Betriebes des Dienstgebers liegt (Abs. 5).

Insgesamt betrachtet erhellt daraus aber, dass der Materiengesetzgeber hier offenkundig das in den §§ 26 ff VStG für das Verwaltungsstrafverfahren subsidiär konzipierte Zuständigkeitssystem voraussetzt, und zwar derart, dass er für Teilbereiche (nämlich: die in den Abs. 2, 4 und 5 des § 111 ASVG bzw. die in § 112a ASVG getroffenen Anordnungen) eigenständige und insoweit abweichende Regelungen geschaffen hat, im Übrigen aber die Auffangregelung unmittelbar zum Tragen kommen lassen will. Für die solcherart resultierende Implementierung eines in diesem Sinne "kombinierten" Systems spricht nicht nur der Aspekt, dass anders – gemeint: Auslegung der §§ 111 und 112a ASVG dahin, dass mit diesen eine völlig eigenständige, von den Bestimmungen des VStG gänzlich losgelöste Zuständigkeitsstruktur institutionalisiert wurde – in der Vollzugspraxis häufig relevante Zuständigkeitsprobleme mangels gesetzlicher Regelung kaum sauber gelöst werden könnten; vor allem ergeben sich neben dem Gesetzestext auch aus den Materialien (vgl. 77 BlgNR, 23. GP, S. 4 f bezüglich § 111 Abs. 2 und 4 ASVG; 490 BlgNR, 24. GP, S. 4 f bezüglich § 111 Abs. 5 ASVG; sowie BlgNR 523, 23. GP, S. 6 in Bezug auf § 112a ASVG) keinerlei Hinweise darauf, dass sich der Gesetzgeber insgesamt oder auch nur in einem dieser angesprochenen Fälle für die Schaffung einer völlig autonomen Zuständigkeitssystematik für die auf dem ASVG beruhenden Verwaltungsstrafverfahren entschieden hätte.   

Zusammengefasst resultiert daher, dass im Zusammenhang mit § 111 Abs. 5 ASVG auftauchende Zuständigkeitsfragen zunächst anhand des Gesetzestextes des ASVG, in einem zweiten Schritt in Verbindung mit den diesem beigegebenen Materialien und zuletzt unter Rückgriff auf die §§ 26 ff VStG – jedoch ohne subsidiäre Heranziehung der §§ 2 bis 4 AVG (zu § 6 AVG siehe dagegen unten, 3.1.2.2.2.) – zu lösen sind.

3.1.2. Grundsätzliches zur Zuständigkeit im Verwaltungsstrafverfahren:

3.1.2.1. Soweit es davon ausgehend im Weiteren zunächst die Problematik des Inkrafttretens des § 111 Abs. 5 ASVG betrifft, ist vorweg darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung als Teil einer mit BGBl.Nr. I 150/2009 erlassenen Sammelnovelle, die am 30. Dezember 2009 im Bundesgesetzblatt kundgemacht wurde, in das ASVG eingefügt wurde. Während darin hinsichtlich der Novellierungen der übrigen Gesetzeskomplexe (nämlich: des Arbeitsinspektionsgesetzes, des Arbeitsvertragsrechts‑Anpassungsgesetzes und des Bundesgesetzes über die Verkehrs‑Arbeitsinspektion) jeweils im Wege einer expliziten Inkrafttretensbestimmung der 1. Jänner 2010 als Zeitpunkt des Wirksamkeitsbeginnes angeordnet wird (vgl. Art. 1 Z. 7, Art. 2 Z. 2 und Art. 4 Z. 2 BGBl.Nr. I 150/2009), findet sich dem gegenüber für das ASVG nichts Vergleichbares. Daraus folgt wiederum, dass § 111 Abs. 5 ASVG nach der allgemeinen Anordnung des Art. 49 Abs. 1 B‑VG bereits einen Tag früher, nämlich am 31. Dezember 2009, in Kraft getreten ist.

3.1.2.2. Weiters fehlt es sämtlichen Novellierungen an entsprechenden Übergangsvorschriften, sodass diese Neuregelungen grundsätzlich – soweit (explizit oder stillschweigend) abweichende gesetzliche Anordnungen nicht konstatierbar sind – auch für alle zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens bereits anhängigen, d.h. entweder von der I. Instanz oder von einer Rechtsmittelbehörde noch nicht entschiedenen Verfahren maßgeblich sind, weil jede Behörde ganz allgemein jene Rechtslage anzuwenden hat, die im Zeitpunkt ihrer Entscheidung in Geltung steht. (Dies gilt auch dann, wenn der Neuregelung materiell betrachtet kein gestaltender, sondern bloß feststellender Charakter zukommt – siehe dazu näher unten, 3.1.2.2.2. u. 3.2.1.).

3.1.2.2.1. Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts gilt allerdings in diesem Zusammenhang hinsichtlich Zuständigkeitsvorschriften jedenfalls im Administrativverfahren Besonderes: Für die unter dem Aspekt des (verfassungs-)gesetzlich gewährleisteten Rechts auf den gesetzlichen Richter maßgebliche und in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Frage der gesetzlichen Zuständigkeit einer Behörde zur Erlassung eines Bescheides ist zwar auch – wenn nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist – jene Rechtslage maßgebend, die zu diesem Zeitpunkt in Geltung steht (bzw. stand; vgl. die Nachweise bei W. Hauer – O. Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 6. Auflage, Wien 2004, S. 94, Nr. 13a).

Wenn jedoch eine ursprünglich in gesetzmäßiger Weise bestanden habende Zuständigkeit der Erstbehörde nachträglich, nämlich nach der Erlassung ihres Bescheides, aber noch vor der Entscheidung der Berufungsbehörde infolge einer nicht mit entsprechenden Übergangsvorschriften versehenen Änderung der Rechtslage wegfällt (z.B. infolge Überantwortung einer Angelegenheit vom übertragenen in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde; gesetzliche Auflassung einer Bundesstraße und deren Übergang auf die Länder), so steht der Verwaltungsgerichtshof in Fällen einer derartigen (unechten) Rückwirkung auf dem Standpunkt, dass die Berufungsbehörde in einem derartigen Fall zwecks Wahrnehmung der nunmehr ex post eingetretenen Unzuständigkeit – und abweichend vom sonst maßgeblichen Grundsatz, dass diese nach § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst entscheiden muss – ausnahmsweise den Bescheid lediglich ersatzlos aufzuheben (bloße Kassation) und die Sache gemäß §  6 Abs. 1 AVG an die zuständige Behörde weiterzuleiten hat (vgl. z.B. VwGH vom 22. April 1999, Zl. 98/06/0166, und vom 26. September 2002, Zl. 2002/06/0066, sowie die in diesen Entscheidungen angeführten weiteren Nachweise [denen allerdings nur Fälle einer funktionellen, nicht aber auch einer örtlichen Zuständigkeitsänderung zu Grunde liegen, was jedoch nach ho. Ansicht keinen systematischen Unterschied bedeutet]; s.a. J. Hengstschläger – D. Leeb, a.a.O., RN 9 zu § 6 AVG).

3.1.2.2.2. Soweit ersichtlich, fehlen allerdings bislang vergleichbare Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes für den Bereich des Verwaltungsstrafverfahrens.

Da aber gemäß § 24 VStG die Anordnung des § 6 Abs. 1 AVG (im Gegensatz zu den §§ 2 bis 4 VStG) auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwenden ist, drängt sich somit die Frage auf, ob davon ausgehend jene zuvor dargestellte, zum Administrativverfahren entwickelte Judikatur auch analog auf das Verwaltungsstrafverfahren übertragen werden kann (bzw. zu übertragen ist).

Den Hintergrund und Ausgangspunkt für die zuvor aufgezeigte Rechtsprechung bildet die Überlegung, dass im Falle einer Berufung der angefochtene Bescheid im Zeitraum zwischen der Einbringung des Rechtsmittels und der Entscheidung darüber durch die übergeordnete Instanz grundsätzlich weiterhin dem Rechtsbestand angehört, wenngleich er (von den Fällen des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung abgesehen) zumindest vorübergehend nicht vollstreckt oder vollzogen werden kann. Weil nun nach § 6 Abs. 1 AVG jede Behörde – und somit auch die Berufungsbehörde – "ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit" (die im Falle einer Berufungsbehörde schon a priori auch davon abhängt, ob die den angefochtenen Bescheid erlassen habende Behörde ihrerseits hierfür zuständig war) in jeder Lage des Verfahrens "von Amts wegen wahrzunehmen" hat, woraus abgeleitet wird, dass das Verwaltungsverfahren (im Gegensatz zum Zivilprozess) keine perpetuatio fori kennt, folgt daraus, dass das erstinstanzliche und das Berufungsverfahren hinsichtlich der Frage der Behördenzuständigkeit gleichsam als eine Einheit zu sehen ist: Stellt sich daher davon ausgehend (u.U. auch erst) nach der Einbringung der Berufung heraus, dass die ursprünglich, d.h. im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides zuständig gewesene Erstbehörde nunmehr diese Zuständigkeit ex post, nämlich infolge einer Gesetzesänderung verloren hat, so ist dieser Umstand von der Berufungsbehörde – d.i. im Verwaltungsstrafverfahren gemäß Art. 129a Abs. 1 Z. 1 B-VG i.d.R. der UVS – wahrzunehmen, und zwar unabhängig davon, ob diese Zuständigkeitsänderung bloß deklarativ oder konstitutiv erfolgte: Entscheidend ist ausschließlich, dass die ursprüngliche vorhandene Zuständigkeit der Erstbehörde nun nicht mehr besteht.

Dabei hat die Relevierung des nunmehrigen Kompetenzmangels gemäß § 24 VStG i.V.m. § 6 Abs. 1 AVG in der Form zu erfolgen, dass das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und die Angelegenheit an die nunmehr zuständige Erstbehörde weiterzuleiten ist. Diese hat in der Folge das Verwaltungsstrafverfahren fortzuführen und abzuschließen (wobei sie sich hierbei der Ermittlungsergebnisse der ursprünglich zuständigen Behörde bedienen – z.B. haben deren bisherige Verfolgungshandlungen gemäß § 33 Abs. 2 VStG jedenfalls den Eintritt der Verfolgungsverjährung gehindert – und damit u.U. auch wieder zu einem inhaltlich identischen Bescheid kommen kann). Nur auf diese Weise kann der nachträglich eingetretene Zuständigkeitsmangel in rechtlich korrekter Weise saniert und damit gleichsam pro futuro in die richtige Bahn gelenkt werden, was insbesondere für den (in der Praxis sowohl im Administrativ- als auch im Verwaltungsstrafverfahren durchaus häufigen) Fall relevant ist, dass der UVS die Berufung bloß abzuweisen hat: Hierfür bedarf es denknotwendig eines in diesem Zeitpunkt rechtlich existenten und sowohl inhaltlich als auch formal rechtmäßigen ("richtigen") Bescheides, der dann ab dem Entscheidungszeitpunkt der Berufungsbehörde durch eine per se inhaltslose, weil lediglich auf Abweisung lautende Rechtsmittelentscheidung ersetzt wird. Eine derartige gedankliche Konstruktion wäre hingegen nicht möglich, wenn es nicht schon zuvor zu einer interimistischen Sanierung der nachmaligen Unzuständigkeit der ursprünglichen durch die in der Folge zuständige Erstbehörde gekommen ist.

Systemkonform betrachtet ist daher in Fallkonstellationen, wie sie hier vorliegen, auch im Verwaltungsstrafverfahren eine analoge Vorgangsweise wie im Administrativverfahren geboten.    

3.1.2.2.3. Dem steht auch nicht entgegen, dass es insoweit im Ergebnis allenfalls auch zu einer für den Beschuldigten ungünstigen "Rückwirkung" kommen kann – insbesondere dann nämlich, wenn die Berufung nicht er selbst, sondern eine Amtspartei erhoben hat, sodass ihn diese i.d.R. intentional benachteiligt.

Denn zum einen existiert kein explizites verfassungsrechtliches Verbot, die Zuständigkeiten im Verwaltungsstrafverfahren rückwirkend zu ändern. Der einfache Gesetzgeber kann vielmehr Zuständigkeitsvorschriften auch mit rückwirkender Kraft ausstatten, solange dadurch im Ergebnis allgemeine Verfassungsprinzipien (im Besonderen: Sachlichkeitsgebot, Verhältnismäßigkeitsgebot, Rückwirkungsverbot von [materiellen] Strafgesetzen) nicht tangiert werden.

Weiters ist der Rechtsordnung kein subjektiver, aber auch kein objektiv-rechtlich geschützter "Anspruch" der ursprünglich zuständigen Behörde dahin, dass ihre (implizit oder explizit) getroffene Zuständigkeitsentscheidung richtig war und deshalb in eine Art "rechtskraftähnliche Bestandsgarantie" zu münden hätte, zu entnehmen (dies wäre vielmehr nur dann der Fall, wenn die Kompetenz der Berufungsbehörde auf eine Kontrolle der materiellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung beschränkt wäre), im Gegenteil: Soweit nicht ausnahmsweise gesetzlich Abweichendes angeordnet ist, haben Behörden keine (subjektiven oder objektiven) Rechte (Rechtsansprüche), sondern lediglich Zuständigkeiten, deren Festlegung und Änderung i.S.d. Art. 18 Abs. 1 B-VG (mit den zuvor genannten Einschränkungen) zur jederzeitigen Disposition des Gesetzgebers steht.

Schließlich ist auch noch darauf hinzuweisen, dass eine nachträgliche Schlechterstellung des Berufungswerbers prinzipiell schon im Wesen eines Mehrparteienverfahrens begründet ist.

3.2. Zu § 111 Abs. 5 ASVG im Besonderen:

3.2.1. Im gegenständlichen Fall sind der Formulierung des § 111 Abs. 5 ASVG selbst keine Anzeichen dahin zu entnehmen, dass der Gesetzgeber einen von der zuvor dargestellten allgemeinen Lösung dieses Problems abweichenden, sohin materienspezifischen Weg intendiert hätte. Gleiches gilt auch in Bezug auf die Materialien, denn in diesen findet sich nur der Hinweis, dass diese Bestimmung einerseits lediglich eine "eindeutige Klarstellung" beabsichtigt (vgl. 490 BlgNR, 24. GP, S. 4) und dass diese somit rein deklarative Neuregelung auf der anderen Seite "auch einschlägige Sachverhalte, die bereits vor dem In-Kraft-Treten der Neuregelung verwirklicht wurden, vom Anwendungsbereich des § 111 Abs. 5 ASVG erfasst. Die neue Bestimmung gilt somit auch für alle zum Zeitpunkt ihres In-Kraft-Tretens schon anhängigen (offenen) Verfahren" (vgl. a.a.O., S. 5). Vom Effekt her besehen kommt ihr damit in einem gewissen Umfang ein auch (allerdings nur "mittelbar", "unecht" bzw. bloß "reflexhaft") rückwirkender Feststellungscharakter zu. Insgesamt wird auf diese Weise gleichsam in Kurzform der Grundgedanke zum Ausdruck gebracht, dass der Materiengesetzgeber die zuvor dargestellte allgemein maßgebliche Lösungsvariante auch im hier vorliegenden Fall angewendet wissen will: Denn (1.) aus den Äußerungen des Materiengesetzgebers im Normtext selbst und i.V.m. den Materialien sowie (2.) aus dem Umstand, dass diese Novelle keine gesonderten Übergangsvorschriften enthält, und (3.) aus den vorstehenden allgemeinen Überlegungen folgt sohin konkret, dass für Berufungsverfahren, die am 31. Dezember 2009 bereits in der Form anhängig waren, dass an diesem Tag (oder danach) eine Berufung gegen ein auf Grund von § 111 ASVG ergangenes Straferkenntnis schon eingebracht war, vom UVS in vollem Umfang nach der neuen Rechtslage zu beurteilen sind.   

3.2.2. Für den gegenständlichen Fall würde dies daher bedeuten, dass seit dem 31. Dezember 2009 zur Verfolgung jener dem Rechtsmittelwerber angelasteten Übertretung eben nicht mehr der Bürgermeister von Linz, sondern vielmehr der Bezirkshauptmann von Urfahr-Umgebung örtlich zuständig war.

Da der Bürgermeister von Linz das angefochtene Straferkenntnis jedoch bereits zuvor, nämlich schon am 4. Dezember 2009, erlassen hat, stammte es nach der damals maßgeblichen Rechtslage zwar noch von der zuständigen Behörde; weil aber deren örtlicher Wirkungsbereich auf Grund der ASVG-Novelle BGBl.Nr. I 150/2009 nachträglich weggefallen bzw. auf den Bezirkshauptmann von Urfahr-Umgebung übergegangen ist, hätte es dem Oö. Verwaltungssenat sohin oblegen, diesen Umstand gemäß § 24 VStG i.V.m. § 6 Abs. 1 erster Satzteil AVG von Amts wegen aufzugreifen, d.h.: das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und die Angelegenheit an den Bezirkshauptmann von Urfahr-Umgebung weiterzuleiten; Letzterer hätte das Verfahren – allenfalls unter Verwertung der bereits vorliegenden Ermittlungsergebnisse – weiterzuführen und abzuschließen gehabt.  

3.2.3. Allerdings richtet sich die gegenständliche Berufung lediglich gegen die Strafhöhe. Dies bedeutet wiederum, dass der Schuldspruch damit bereits in Rechtskraft erwachsen und unangreifbar ist, sodass auf Grund dieser spezifischen Konstellation hier ausnahmsweise eine formelle Wahrnehmung der nachmaligen Unzuständigkeit der Erstbehörde durch den Oö. Verwaltungssenat nicht mehr in Betracht kommt.

3.3.3. Zur Strafhöhe:

Davon ausgehend, dass somit im gegenständlichen Rechtsmittelverfahren nur mehr die Angemessenheit der verhängten Strafe zu prüfen ist, ist zunächst der Erstbehörde darin beizupflichten, dass der Umstand der Vielzahl der verspätet angemeldeten Arbeiter als erschwerend zu werten war.

Allerdings erfolgte die Anmeldung zum einen aus eigenem Antrieb des Beschwerdeführers und nicht etwa deshalb, weil er im Zuge einer Kontrolle dezidiert darauf hingewiesen worden wäre; zum anderen hat er diese Meldung bereits einen Tag bzw. zwei Tage nach der Aufnahme der Arbeiten vorgenommen. Daraus ist ersichtlich, dass – von der langen Dauer des erstbehördlichen Verfahrens abgesehen – sowohl die Folgen der Übertretung als auch das Verschulden des Rechtsmittelwerbers als derart geringfügig zu qualifizieren sind, dass sie den Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 VStG nahe kommen.

Wenngleich aus general- und spezialpräventiven Gründen im Ergebnis dennoch nicht gänzlich von der Verhängung einer Strafe abgesehen werden kann, so erscheint nach Auffassung des Oö. Verwaltungssenates deren Herabsetzung auf 800 Euro im Ergebnis in gleicher Weise als tat- und schuldangemessen; gemäß der durch § 16 Abs. 2 VStG vorgegebenen Relation war demnach auch die Ersatzfreiheitsstrafe auf 123 Stunden herabzusetzen.

3.4. Entscheidung und Kosten:

3.4.1. Der gegenständlichen Berufung war daher gemäß § 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG in diesem Umfang stattzugeben.

3.4.2. Bei diesem Verfahrensergebnis ermäßigt sich der Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde gemäß § 64 Abs. 1 und 2 VStG auf 80 Euro; für das Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat war dem hingegen nach § 65 VStG kein Kostenbeitrag vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

Dr.  W e i ß

 

 


Rechtssatz:

 

VwSen-252390/4/Gf/Mu vom 23. März 2010:

 

§ 111 Abs. 5 ASVG; § 6 Abs. 1 AVG; § 51 Abs. 6 VStG

 

Erweist sich im Nachhinein, dass die ursprünglich zuständige Erstbehörde im Zuge einer nach Erlassung des Straferkenntnisses erfolgten Gesetzesänderung nunmehr als unzuständig erscheint, so ist das Straferkenntnis ohne gleichzeitige Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens aufzuheben und die Angelegenheit an die nunmehr örtlich zuständige Behörde weiterzuleiten; diese hat sodann das Strafverfahren weiterzuführen und abzuschließen.

 

Unmaßgeblichkeit der Pflicht zur amtswegigen Wahrnehmung der Unzuständigkeit allerdings dann, wenn sich die Berufung im konkreten Fall nur gegen die Strafhöhe richtet.

 

 

 

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum