Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720264/2/BMa/Gr

Linz, 18.05.2010

 

E r k e n n t n i s

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Gerda Bergmayr-Mann über die Berufung des X, derzeit wohnhaft X, vertreten durch die Rechtsanwältin X, X, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmanns von Steyr-Land, vom 3. November 2009, Sich-41-15-2008, wegen Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes zu Recht erkannt:

 

 

 

Der Berufung wird teilweise Folge gegeben und das Aufenthaltsverbot auf die Dauer von 10 Jahren befristet. Das Mehrbegehren wird als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid insofern bestätigt.

 

 

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG iVm § 9 Abs.1, 60 ff und 68 Abs.1 Fremdenpolizeigesetz 1995 – FPG (BGBL. Nr. 100/2005 zuletzt geändert mit BGBL. I Nr. 135/2009)


Entscheidungsgründe:

 

1.1. Der am X geborene X Beschwerdeführer (im Folgenden Bw) ist – wie sich aus dem von der belangten Behörde vorgelegten Akt entnehmen lässt – am 24. Februar 1977, also im Alter von ca. 2,5 Jahren nach Österreich eingereist. Am 6. Juli 1999 wurde ihm ein unbefristeter Aufenthaltstitel verliehen. Die Eltern des Beschwerdeführers und fünf Geschwister leben in Oberösterreich. Seit 2001 ist er mit X, einer X Staatsbürgerin, verheiratet. Seit 2005 leben die Ehegatten jedoch getrennt. Im Jahr 2005 hat der Berufungswerber seine jetzige Lebensgefährtin Frau X kennengelernt und beabsichtigt sie nach der Scheidung von seiner jetzigen Ehefrau zu ehelichen. Frau X hat ihre Tochter X mit in die Beziehung gebracht und der Beschwerdeführer ist mittlerweile eine sehr wichtige Bezugsperson für die Tochter der Lebensgefährtin geworden.

 

Er hat seine gesamte Schul- und Jugendzeit in Österreich verbracht, eine Berufsausbildung zum Kfz-Mechaniker begonnen und die Berufsschule in Österreich absolviert. Er hat in Österreich u.a. als Kraft- und Fernfahrer gearbeitet und war zuletzt bis Frühjahr 2006 als Arbeitnehmer bei der Firma X beschäftigt. Am 28. November 2006 wurde er festgenommen. Er wird sich auf Grund der letzten gerichtlichen Verurteilung voraussichtlich bis 14. November 2010 in Strafhaft befinden.

 

1.2. Bereits aus der Begründung des angefochtenen Bescheids geht ausführlich hervor, dass der Rechtsmittelwerber wegen mehrerer Übertretungen rechtskräftig strafrechtlich verurteilt wurde, und zwar insbesondere

 

- mit Urteil des Landesgerichts Wels vom 21. Oktober 2004, Zl. 25 Hv 95/04v, wegen § 83 Abs.1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten und 2 Wochen

 

- mit Urteil des LG Wels vom 22. März 2005, Zl. 12 Hv 199/04/t, wegen § 28 Abs. 2 und Abs. 3 sowie 27 Abs.1 Suchtmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 19 Monaten und 2 Wochen, davon wurde eine Freiheitsstrafe von 13 Monaten und 2 Wochen für eine Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen

 

- mit Urteil des LG Wels vom 16. Mai 2007, Zl. 15 Hv 53/07y, wegen § 28 Abs.2, 3 und 4 Suchtmittelgesetz iVm § 12 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 4 Jahren.

 

Zwischen 1994 und 1998 wurde der Berufungwerber achtmal wegen verschiedenster Delikte zumeist gemäß § 83 Abs.1 StGB zu weiteren Strafen verurteilt.

 

Bereits am 25. April 2005 wurde der Berufungswerber von der Bundespolizeidirektion Wels in Schubhaft genommen. Ein Verfahren zur Verhängung eines Aufenthaltsverbotes wurde eingeleitet. Die BPD Wels hat dieses Verfahren eingestellt, gleichzeitig aber angedroht, dass bei einer weiteren Begehung von Straftaten ein Aufenthaltsverbot verhängt werde.

 

Am 3. August 2009 erging vom Bezirkshauptmann von Steyr-Land – der Berufungswerber befindet sich zum Vollzug seiner Strafhaft derzeit in der Justizanstalt X – ein Schreiben, in dem der Bw von der beabsichtigten Verhängung eines Aufenthaltsverbots in Kenntnis gesetzt wurde.

 

In seinem Schreiben vom 5. August 2009 gab der Beschwerdeführer über den festgestellten Sachverhalt hinaus an, dass er sich nach der Entlassung wohlverhalten werde, seine Lebensansichten hätten sich geändert, er müsse ja auch Verantwortung für seine Familie übernehmen. Er sei reifer geworden und habe während der Haft eine Therapiegruppe "Nein zu Drogen" absolviert. Seine Zukunft sehe er in Familie und Arbeit und er habe bereits eine Zusage für einen Arbeitsplatz.

Darüber hinaus gab der Berufungswerber an, er sei bereits seit dem Jahr 2001 mit einer EU-Staatsbürgerin verheiratet. Er würde seit 2005 getrennt von dieser leben, sei aber nicht geschieden. Seine Gattin sei nicht auffindbar, aus diesem Grund könnte er sich auch nicht scheiden lassen. Dennoch plane er nach seiner Entlassung X, seine Lebensgefährtin, zu heiraten. Weil seine Frau EU-Staatsbürgerin sei, habe er das Recht, sich weiterhin in Österreich aufzuhalten.

 

Im Schreiben seiner Rechtsvertreterin vom 25. September 2009 wurde darüber hinausgehend noch dargelegt, der Bw habe überhaupt keine familiären Beziehungen in der X, seine gesamte Familie, Eltern und 5 Geschwister würden in Oberösterreich leben. Zwei seiner Brüder seien selbstständig erwerbstätig. Fast alle seine Geschwister seien bereits österreichische Staatsbürger. Er habe auch zahlreiche Nichten und Neffen in Österreich.

 

1.3. Im bekämpften Bescheid, mit dem gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen wurde, wurde nach Darstellung des Verfahrensganges und rechtlichen Erwägungen im Wesentlichen begründend ausgeführt, aus dem erhobenen Sachverhalt ergebe sich, dass die öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbots und die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung unverhältnismäßig schwerer wiegen würden als die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Bw.

 

1.4. Gegen diesen seiner Rechtsvertretung am 10. November 2009 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid richtet sich die vorliegende, am 23. November und damit rechtzeitig – per Fax - übermittelte Berufung vom 20. November 2009.

 

Darin führt der Berufungswerber im Wesentlichen aus, der Großteil seiner Verurteilungen sei zwischen 1993 und 1999 erfolgt, also in einem Zeitraum, der nunmehr 10 Jahre zurückliege. Erst die letzten drei Verurteilungen ab 2004 hätten für die Begründung des Aufenthaltsverbots herangezogen werden können.

Die letzte Strafe, die über ihn verhängt worden sei, sei die schwerste. Dies habe einen gravierenden Einschnitt in seinem Leben verursacht. Die absolvierte Drogentherapie und das Wohlverhalten während des Strafvollzugs seien starke Indizien, in Zukunft ein straffreies Leben führen zu wollen. Die belangte Behörde habe sich mit der nach § 86 Abs.1 Satz 4 FPG maßgeblichen Frage, ob über § 60 FPG hinaus die öffentliche Ordnung und Sicherheit nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde, nicht auseinander gesetzt, diesbezügliche Feststellungen würden fehlen. Die Interessenabwägung im Sinn des § 66 FPG sei zu Unrecht zulasten des Berufungswerbers vorgenommen worden. Die Erlassung des Aufenthaltsverbots stelle für den Bw einen massiven Eingriff in sein Privat- und Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK dar. Der geschilderte gravierende Eingriff in das Privat- und Familienleben würde wesentlicher schwerer wiegen, sodass die Erlassung des Aufenthaltsverbots schon gemäß § 66 FPG unzulässig sei.

 

Unabhängig von der nationalen Rechtslage scheidet die Erlassung des Aufenthaltsverbots schon auf Grund gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften, die Anwendungsvorrang hätten, aus. Der Berufungswerber genieße als türkischer Staatsangehöriger ein assoziationsrechtliches Aufenthalts- und Beschäftigungsrecht nach Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG Türkei (ARB 1/80). Zuletzt sei der Berufungswerber bis Frühjahr 2006 als Arbeitnehmer bei der Firma X beschäftigt gewesen und sei aus dem Arbeitsverhältnis unverschuldet entlassen worden. Er sei dem Arbeitsmarkt bis zu seiner Verhaftung Ende November 2006 zur Verfügung gestanden, sodass seine Rechte aus dem Assoziationsabkommen trotz Arbeitslosigkeit nicht erloschen seien. Auch die nunmehr zwei Jahre dauernde Strafhaft sei nicht anspruchsvernichtend. Der Bw verfüge über eine Einstellungszusage seiner Brüder. Nach der Haft werde eine sofortige Arbeitsaufnahme erfolgen, sodass durch die verbüßte Haft seine Rechte nach Art. 6 ARB 1/80 nicht verloren gehen würden. Die unmittelbare Wirkung des Art. 13 ARB 1/80 sei in der Rechtsprechung des OGH festgestellt worden. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG Türkei mit 1. Jänner 1995 habe das Fremdengesetz 1992 i.d.F. BGBL I Nr. 838/1992 gegolten. Der damalige § 18 Abs.1, Abs.2 Z.2 FRG sei identisch mit dem Wortlaut des heutigen § 60 Abs.1, Abs.2 Z.1 FPG. Die damalige Regelung habe auf ein Verbot der Erlassung eines Aufenthaltsverbots abgestellt, wenn der Fremde nicht wegen einer mit mehr als 5 Jahre bedrohten strafbaren Handlung verurteilt worden sei. Diese Regelung sei günstiger als die heutige gültige Rechtslage, sodass § 61 Z.3 FPG im Fall des Bw nicht zur Anwendung kommen könne.

Unter der Wendung "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" sei der Zeitpunkt vor Eintritt der ersten von der Behörde zulässigerweise zur Begründung des Aufenthaltsverbots herangezogenen Umstände zu verstehen. Die Heranziehung der Verurteilungen von 1993 bis 1999, die unter Berücksichtigung des seither verstrichenen Zeitraums nicht mehr geeignet sind, eine relevante Vergrößerung der vom Berufungswerber ausgehenden Gefährdung der maßgeblichen öffentlichen Interessen herbeizuführen, sei zur Begründung eines Aufenthaltsverbotes nicht zulässig.

Zum Zeitpunkt des maßgeblichen Sachverhalts, also ab dem Jahr 2004, sei der Berufungswerber seit 30 Jahren in Österreich rechtmäßig niedergelassen gewesen und er hätte alle Voraussetzungen für die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs.1 StbG 1985 i.d.F. BGBl. Nr. 311 erfüllt. Insbesondere habe der Berufungswerber über ein geregeltes Einkommen verfügt und er sei auch nicht wegen einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Weil der Berufungswerber zuletzt auch zu keiner mehr als 5-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, sei gemäß dem hier aktuellen § 20 Abs. FRG, die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unzulässig. Gemäß § 63 Abs.2 FPG sei bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes auf die für die Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Auf welche Umstände die Behörde die unbefristete Dauer des Aufenthaltsverbotes stütze, sei aus der Begründung nicht ersichtlich.

 

Es wurde der Antrag gestellt, der Unabhängige Verwaltungssenat möge den Bescheid ersatzlos beheben.

 

2.1. Nach der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs.1 Z.1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 135/2009 (im folgenden FPG), entscheiden über Berufungen gegen Entscheidungen, die auf Grund des FPG ergangen sind, die Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern; derartige Entscheidungen sind gemäß § 67a Abs.1 AVG durch ein Einzelmitglied zu treffen.

 

2.2. Der Oberösterreichische Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land zu Sich-41-15-2008; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ, die Verfahrensparteien einen entsprechenden Antrag nicht gestellt haben und fremdenpolizeiliche Angelegenheiten nach der ständigen Rechtssprechung des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Art.6 Abs.1 EMK fallen, konnte gemäß § 67d Abs.4 AVG von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

 

3. In der Sache selbst hat der Oberösterreichische Verwaltungssenat erwogen:

 

3.1. Der von der belangten Behörde festgestellte, unbestritten gebliebene Sachverhalt, der sich im Wesentlichen mit der Darstellung unter  Punkt 1.1. und 1.2. dieses Erkenntnisses deckt, wird auch diesem Erkenntnis zu Grunde gelegt.

 

3.2. In rechtlicher Hinsicht wird ausgeführt:

 

3.2.1. Gemäß § 86 Abs.1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige dann zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltes die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts ihren Hauptwohnsitz ununterbrochen seit 10 Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

 

§ 86 FPG enthält Sonderbestimmungen für den Entzug der Aufenthaltsberechtigung betreffend freizügigkeitsberechtige EWG-Bürger. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtslage vor dem 1. Jänner 2006 durfte gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot nur erlassen werden, wenn die Voraussetzung des § 36 Abs.1 Z1 FrG erfüllt waren. Dabei war § 36 Abs.2 FrG als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehen (vgl. Verwaltungsgerichtshof vom 13. Oktober 2000, 2000/18/0013).

 

Demgemäß ist auch § 60 FPG als bloßer Orientierungsmaßstab für § 86 FPG anzusehen. Die belangte Behörde hat sich bei der Verhängung des Aufenthaltsverbotes an § 60 Abs.1 und Abs.2 FPG orientiert.

 

Gemäß § 60 Abs.1 Z1 des FPG kann gegen einen Fremden dann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet.

 

Als in diesem Sinne "bestimmte Tatsache" gilt nach § 60 Abs.2 Z1 FPG u.a., wenn der Fremde von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als 3 Monaten oder zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe bzw. zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

 

Ein Aufenthaltsverbot kann im Fall des § 60 Abs.2 Z1 FPG unbefristet, sonst für die Dauer von höchstens 10 Jahren erlassen werden (§ 63 Abs.1 FPG).

 

Gemäß § 60 Abs.6 FPG iVm § 66 Abs.1 leg.cit. ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, durch das in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird,  nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs.2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist, wobei in diesem Zusammenhang die in § 66 Abs.2 FPG normierten Kriterien gegeneinander abzuwägen sind.

 

Nach § 60 Abs.6 FPG iVm § 66 Abs.2 leg.cit. darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung.

 

Gemäß § 66 Abs.2 leg.cit. sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

 

1.     die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

2.     das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.     die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.     der Grad der Integration;

5.     die Bindung zum Heimatstaat des Fremden;

6.     die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.     Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei - und Einwanderungsrechts;

8.     die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

 

Nach § 56 Abs.1 FPG dürfen Fremde, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts auf Dauer rechtmäßig niedergelassen waren und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt – EG" oder "Daueraufenthalt – Familienangehöriger" verfügen, nur mehr ausgewiesen werden, wenn ihr weiterer Aufenthalt eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

 

Gemäß § 56 Abs.2 leg.cit. hat als schwere Gefahr im Sinne des Abs.1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht

1.     wegen eines Verbrechens oder wegen Schlepperei, Beihilfe zu unbefugtem Aufenthalt, Eingehen oder Vermittlung von Aufenthaltsehen oder gemäß der §§ 27 Abs.2, 28 Abs.1 und 32 Abs.1 SMG oder nach einem Tatbestand des 16. oder 20. Abschnitts des besonderen Teils des StGB oder

2.     wegen einer Vorsatztat, die auf derselben schädlichen Neidung (§ 71 StGB) beruht, wie eine andere von ihm begangene strafbarer Handlung, deren Verurteilung noch nicht getilgt ist, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten

rechtskräftig verurteilt worden ist.

 

In diesem Zusammenhang ist auf § 55 Abs. 4 und 5 Bedacht zu nehmen (§ 55 Abs.3 FPG).

§ 55 Abs.4 FPG verweist auf § 61 Z4 FPG.

 

Gemäß § 61 Z4 FPG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu einer mehr als zweijährigen unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden und er hätte einen der in § 60 Abs.2 Z12 bis 14 FPG bezeichneten Tatbestände verwirklicht.

 

Fremde sind jedenfalls langjährig im Bundesgebiet niedergelassen, wenn sie die Hälfte ihres Lebens im Bundesgebiet verbracht haben und vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts seit mindestens drei Jahren hier niedergelassen sind.

Würde nach § 60 Abs.6 iVm § 66 Abs.1 FPG durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- und Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist ein solcher Entzug der Aufenthaltsberechtigung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs.2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und  Grundfreiheiten genannten Ziele dringend geboten ist.

 

 

3.2.2. Aus den jüngsten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes (11. Mai 2009, 2007/18/0038 und 4. Juni 2009, 2006/18/0233) ist abzuleiten, dass für türkische Staatsangehörige, die Rechte nach Art. 7 ARB 1/80 geltend machen können, die Sonderbestimmungen für den Entzug der Aufenthaltsberechtigung

(§ 86 FPG) maßgeblich sind.

 

Zunächst ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 86 Abs.1 (1. bis 4. Satz) vorliegen. Danach ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nur dann zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Bw die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

 

Zur Beurteilung der Frage, ob ein bestimmter Sachverhalt die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen rechtfertigt, ist auf die demonstrative Aufzählung des

§ 60 Abs.2 FPG nur als "Orientierungshilfe" zurückzugreifen. Entgegenstehende europarechtliche Vorgaben sind dabei jedenfalls zu beachten.

 

Hinsichtlich der nach FPG anzustellenden Prognosebeurteilungen hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen, dass es letztlich immer auf das in Betracht zu ziehende Verhalten des Fremden ankommt. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Wie nachfolgend dargelegt, legt das FPG, bezogen auf unterschiedliche Personenkreise oder nach bestimmter Aufenthaltsdauer ein unterschiedliches Maß für die zu prognostizierende Gefährlichkeit des Fremden fest. So setzt § 60 Abs.1 FPG ("Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" oder "Zuwiderlaufen anderen im Art. 8 Abs.2 EMRK genannten öffentlichen Interessen") in Relation zu § 56 Abs.1 FPG (schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit) ein geringes Maß der Gefährlichkeitsprognose voraus. Hingegen verlangt § 86 Abs.1 FPG (tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt) im Verhältnis zu § 56 Abs.1 FPG ein höheres Maß der Gefährdungsprognose, die sich zudem nach dem 5. Satz des § 86 Abs.1 FPG ("nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit") noch weiter steigert.

 

Der EuGH hat im Urteil vom 27. Oktober 1977, Rs 30/77, ausgeführt, dass jede Gesetzesverletzung eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellt. Darüberhinaus muss nach Ansicht des Gerichtshofes jedenfalls eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Frühere strafrechtliche Verurteilungen dürfen nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Wenn auch in der Regel die Feststellung einer derartigen Gefährdung eine Neigung des Betroffenen nahe legt, dieses Verhalten in Zukunft beizubehalten, so ist es doch auch möglich, dass schon allein das vergangene Verhalten den Tatbestand einer solchen Gefährdung der öffentlichen Ordnung erfüllt. Es obliegt den nationalen Behörden und gegebenenfalls den nationalen Gerichten, diese Frage in jedem Einzelfall zu beurteilen, wobei sie die besondere Rechtsstellung der dem Gemeinschaftsrecht unterliegenden Personen und die entscheidende Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit zu berücksichtigen haben.

 

Wie oben dargelegt, wurde über den Berufungswerber eine unbedingte Freiheitsstrafe von 4 Jahren verhängt.

 

Schon im Hinblick auf die rechtskräftige Verurteilung wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung zu einer 4-jährigen Freiheitsstrafe liegt kein Fall des § 61 Z.3 oder Z.4 FPG vor. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Voraussetzungen des § 61 Z.1 und Z.2 FPG, die vom Bw auch gar nicht ins Treffen geführt wurden, ebenfalls nicht gegeben sind. Damit aber liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs.2 Z.1 FPG vor.

 

Soweit die Berufung ausführt, es sei auf die Rechtslage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses Nr.1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei, Fremdenrechtsgesetz 1992 idF BGBL Nr. I 838/1992, abzustellen gewesen, wonach auf eine Verurteilung zu einer mit mehr als 5 Jahren bedrohten strafbaren Handlung abzustellen sei, wird dem entgegengehalten, dass der zur Begründung herangezogene Art. 13 ARB 1/80 darauf abstellt, dass keine neuen Beschränkungen für türkische Arbeitnehmer für den Zugang zum (österreichischen) Arbeitsmarkt eingeführt werden sollten. Diese Bestimmung wollte keine Aussage über aufenthaltsbeendende Maßnahmen nach dem Fremdenrecht treffen. Überdies ist das aus dem ARB 1/80 abgeleitete Aufenthaltsrecht eines X Arbeitnehmers kein unbeschränktes. Art.14 ermöglicht es, in die unmittelbar aus dem ARB 1/80 erwachsenden Rechte einzugreifen, da diese unter dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit stehen.

Ziel des Assoziationsabkommen EWG/X ist es, die X Arbeitnehmer jenen des europäischen Arbeitmarktes gleichzustellen. Aus diesem Abkommen kann jedoch keine Besserstellung von X Arbeitnehmern abgeleitet werden, sodass die Auffassung, es sei jene Rechtslage zugrundezulegen, die bei Abschluss des Abkommens in Geltung gestanden hat, verfehlt ist. Vielmehr ist jene Rechtslage anzuwenden, die auch auf gemeinschaftsrechtliche aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer-Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige anzuwenden ist.

 

Nach § 63 Abs.1 FPG wäre die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes zulässig.

 

Für den Oberösterreichischen Verwaltungssenat steht zunächst zweifelsfrei fest, dass das Verhalten des Bw ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

 

Wie bereits dargelegt, ist eine Gefährdungsprognose zu erstellen und die Überprüfung an Hand der je nach Lage des Falls einschlägigen Bestimmungen vorzunehmen.

 

3.2.3. Im konkreten Fall handelt es sich auch nicht um ein bloß sonstiges öffentliches Interesse, sondern tatsächlich um ein Grundinteresse der Gesellschaft, das darin gelegen ist, strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, Aggressions- und Suchtmitteldelikte zu verhindern. (Die diese Interessen berührenden Straftaten des Bw wurden oben wiedergegebenen.)

 

Im Sinne der wiedergegeben Judikatur ist nicht primär maßgeblich, dass eine strafgerichtliche Verurteilung ausgesprochen wurde. Vielmehr ist im Sinne einer Prognoseentscheidung das gegenwärtige und zukünftige Verhalten einer Person im Lichte einer strafgerichtlichen Verurteilung rechtlich zu würdigen ist. Konkret ist zu analysieren, ob davon ausgegangen werden kann, dass sich der Bw hinkünftig rechtskonform verhalten wird.

 

Der Bw ist seit dem Jahr 2004 immer wieder straffällig geworden. Zwischen 1994 und 1998 wurde er achtmal wegen verschiedenster Delikte, zumeist gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu weiteren Strafen verurteilt.

Dem Berufungsvorbringen, jene Verurteilungen, die mehr als 10 Jahre zurückliegen, dürften für die Begründung des Aufenthaltsverbots nicht mehr herangezogen werden, ist entgegenzuhalten, dass auch die schon längere Zeit zurückliegenden Verurteilungen Aufschluss über den Charakter eines Menschen geben können und daher durchaus auch berücksichtigt werden müssen. Freilich ist diesen Verurteilungen bei der Abwägung kein so großes Gewicht beizumessen wie den zuletzt begangenen Straftaten.    

 

Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Bw lassen insbesondere die Strafzumessungsgründe, die in den gerichtlichen Verurteilungen ersichtlich sind, zu:

 

Der Verurteilung des Bw durch das Landesgerichts Wels vom 16. Mai 2007 liegt zugrunde, dass der Bw  Verbrechen nach mehreren Tatbeständen des Suchtmittelgesetzes, teilweise als Beteiligter, und auch Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz begangen hat. Zu Gute zu halten war ihm sein Geständnis und sein Beitrag zur Wahrheitsfindung. Erschwerend wurde aber das Zusammentreffen von Verbrechen bzw. von Verbrechen mit Vergehen, acht einschlägige Vorverurteilungen und die Tatwiederholung hinsichtlich des In-Verkehr-Setzen von Suchtmittel gewertet.

Auch aus dem Urteil des Landesgerichts Wels vom 22. März 2005 geht hervor, dass das Geständnis mildernd gewertet wurde; bereits in diesem Erkenntnis wurden einschlägige Vorstrafen sowie das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen der selben Art erschwerend gewertet.

Aber auch im Erkenntnis des Landesgerichts Wels vom 21. Oktober 2004 wurden bereits sieben einschlägige Vorverurteilungen dem Bw angelastet.

 

Die vom Bw begangenen Straftaten, insbesondere der Umstand, dass der Berufungswerber, obwohl ihm einschlägige Vorstrafen straferschwerend vorgeworfen wurden, sein Verhalten nicht geändert hat, zeigen die kriminelle Energie des Bw auf. Außerdem ist eine deutliche Steigerung zu erkennen. Zwar hat sich der Bw, nachdem er zwischen 1994 und 1998 achtmal wegen verschiedenster Delikte straffällig geworden war bis zu seiner Verurteilung im Oktober 2004 rechtskonform verhalten. Bereits ein halbes Jahr später, im März 2005, wurde er aber zu einer mehr als 19-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt und obwohl ein Teil der Freiheitsstrafe für eine Probezeit von 3 Jahren ausgesetzt wurde, wurde er schon mit Urteil vom 16. Mai 2007 neuerlich schuldig gesprochen. Die Dauer der verhängten Freiheitsstrafe musste immer weiter gesteigert werden, geringe Freiheitsstrafen waren nicht ausreichend, um den Bw zu läutern. Er änderte seine Grundhaltung nicht, sondern beging in der Folge die dargestellten Vergehen und Verbrechen. Die ständig zunehmende kriminelle Energie, die im Tatverhalten des Bw zum Ausdruck kommt, veranlasste auch die Strafgerichte im Hinblick auf die Uneinsichtigkeit, die rasche Rückfälligkeit und die beharrliche Fortsetzung der strafbaren Handlungen immer strengere Strafen zu verhängen.

 

Das Gesamtverhalten des Bw und insbesondere die in einschlägiger Weise begangenen Vergehen und Verbrechen rechtfertigen die Annahme, dass ein weiterer Aufenthalt des Bw im Bundesgebiet eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen würde. Die im Grunde des § 60 Abs.2 Z.1 FPG getroffene Beurteilung der belangten Behörde ist daher nicht zu beanstanden.

 

Auch wenn der Bw über einen Daueraufenthaltstitel verfügt, ist die Ausreise nach dieser Bestimmung zulässig, weil die angeführten Verurteilungen des Bw unbestritten eine schwere Gefahr im Sinne des § 56 Abs.1 FPG darstellen.

 

Es ist daher zu prüfen, ob diese schwere Gefahr auch eine "tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, der im Grundinteresse der Gesellschaft berührt" darstellt.

 

Aus dem Verhalten des Bw seit dem Jahr 2004 ist ersichtlich, dass die kriminelle Motivation nicht bloß punktuell und kurzfristig bestanden hat, sondern dass die Delikte in zahlreichen Fällen geplant waren. So wurden die Delikte im Zusammenwirken mit anderen Straftätern verübt. Mit seinem Vorbringen, der Vollzug der Freiheitsstrafe sei ein gravierender Einschnitt im Leben des Berufungswerbers gewesen, er habe eine Drogentherapie absolviert und er habe sich während des Strafvollzuges wohl verhalten, ist es dem Bw aber nicht gelungen, darzulegen, dass gegenwärtig und auch zukünftig das beschriebene Gefährdungspotenzial von ihm nicht mehr ausgehen werde.

 

Weil der Bw auch Rechte nach Art. 7, 2. Unterabsatz des Assoziationsbeschlusses (ARB) 1/1980 geltend machen kann, war zu prüfen, ob von ihm darüber hinaus auch eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausgeht.

Aufbauend darauf, dass nach Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten gewerbsmäßige Vornahme, rasche Abfolge der einzelnen Straftaten, gewinnorientierte Vorgangsweise, Steigerung der kriminellen Energie trotz vorangegangner Verurteilungen, eine tatsächliche und gegenwärtige erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, gegeben ist, lässt sich in Zusammenschau der kriminellen Energie des Bw, die unmittelbar vor dem Strafantritt ihren Höhepunkt erreichte, eine Gefährdungsprognose ableiten, wonach das Verhalten des Bw eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellt.

 

Die Tathandlungen und die nachfolgende Verantwortung lassen eindeutige Rückschlüsse auf seinen besonders verwerflichen Charakter zu und zeigen auf, dass er nicht geneigt ist, die Rechtsordnung seines Gastlands zu respektieren.

 

Derzeit lässt das Persönlichkeitsbild des Bw auf keinen Fall den Schluss zu, dass er nunmehr als geläutert anzusehen ist.

 

Auf Grund der dargelegten Umstände, der Art und Schwere der vorliegenden Straftaten und dem sich daraus ergebenden Persönlichkeitsbild des Bw würden die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Republik Österreich durch den weiteren Verbleib des Bw im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet.

 

Nach Art.8 Abs.2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, soweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist, ferner er eine Maßnahme darstellt, die einen oder mehreren der in Art. 8 Abs.2 EMRK formulierten Ziele (die nationale Sicherheit, die öffentliche Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, der Schutz der Gesundheit und der Moral und der Schutz der Rechte und Freiheit anderer) dient und hiefür in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist.

 

Der Eingriff verletzt den Schutzanspruch des Art. 8 Abs.1. EMRK jedenfalls dann, wenn er zur Verfolgung der genannten Ziele in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig ist, d.h. wenn er nicht durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertig und insbesondere nicht verhältnismäßig zum verfolgten legitimen Ziel ist.

 

Ein wesentliches Element für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des zu erlassenden Aufenthaltsverbotes ist die Schwere vom Bw begangener Vergehen und Verbrechen.

 

Unstrittig ist, dass die Verhängung des Aufenthaltsverbotes Wirkungen auf das Privatleben des Bw hat, weil er sich, seit er ca. zweieinhalb Jahre alt war, durchgehend in Österreich aufhält und einen Daueraufenthaltstitel besitzt.

 

Abgesehen davon, dass sich seine Verwandtschaft in Österreich aufhält, lebt der Bw von seiner Ehefrau schon seit Jahren getrennt. Aufgrund seines Alters und seiner damit verbundenen Selbständigkeit kann bei einer Trennung von seinen Verwandten kein wesentlicher Einschnitt in sein Familienleben erblickt werden. Die Verhängung des Aufenthaltsverbotes hätte aber unzweifelhaft insoweit einen Eingriff in das Privatleben des Bw zur Folge, als er seine Lebensgemeinschaft mit Frau X in Österreich nicht fortsetzen könnte.

Diese Lebensgemeinschaft ist aber bereits durch die lange Haftstrafe seit dem Jahr 2007 schon über mehrere Jahre unterbrochen.

Der Bw, der in Österreich die Berufschule positiv abgeschlossen hat, ist immer wieder in Österreich Arbeiten nachgegangen und ihm ist auch von seinen Brüdern, die selbständig erwerbstätig sind, nach seiner Haftentlassung eine Arbeit in Aussicht gestellt worden.

Es kann aber in einer erst anzutretenden Beschäftigung kein wesentlicher Integrationsgrad am österreichischen Arbeitsmarkt erblickt werden.

 

Dem Bw ist trotz seines langen Aufenthalts damit die soziale Integration in Österreich nicht gelungen. Das dargestellte Gesamt(fehl)verhalten des Bw ist so gravierend, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf seine Lebenssituation im Sinne des § 66 Abs.2 FPG keineswegs schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme für das öffentliche Interesse an der Bekämpfung der Gewalt- und Suchtgiftkriminalität und an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Das Aufenthaltsverbot erscheint auf Grund der Umstände des Falls zur Erreichung der angeführten Ziele im Sinne des Art.8 Abs.2 EMRK dringend geboten.

 

Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit ist auch die Dauer der Befristung der verhängten Maßnahme rechtlich zu würdigen. Wie bereits dargelegt, könnte im vorliegenden Fall das Aufenthaltsverbot unbefristet verhängt werden. Aus immanent zu berücksichtigenden gemeinschaftsrechtlichen Überlegungen ist eine Beschränkung der Grundfreiheiten von Unionsbürgern oder Begünstigten aus Assoziationsabkommen möglichst maß- und zurückhaltend vorzunehmen. Das erkennende Mitglied des . Verwaltungssenates erachtet das von der belangten Behörde ausgesprochene unbefristete Aufenthaltsverbot als zu hoch bemessen. Mit einer Befristung auf 10 Jahre kann das Auslangen gefunden werden. Diese Frist müsste aller Voraussicht nach ausreichen, um den Bw zu läutern und die von ihm ausgehende Gefahr für die öffentlichen Interessen zu beseitigen. Soweit sich der Bw während dieser Zeit in seinem Heimatland bewährt und ein rechtschaffenes Leben führt, soll er auch die Aussicht haben, dass er nach Ablauf dieser Frist wieder nach Österreich zurückkehren kann.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

Es wird darauf hingewiesen, dass nach § 65 Abs.1 FPG ein Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amtswegen aufzuheben ist, sobald die Gründe für seine Erlassung weggefallen sind.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

 

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungs­gerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Eingabegebühren in Höhe von 13,20 Euro angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

Mag. Bergmayr-Mann

 

Rechtssatz zu VwSen 720264/2/BMa/Gr vom 18. Mai 2010:

 

Art. 13 und 14 ARB 1/80: Art. 13 ARB 1/80 stellt darauf ab, dass keine neuen Beschränkungen für türkische Arbeitnehmer für den Zugang zum (österreichischen) Arbeitsmarkt eingeführt werden sollten. Diese Bestimmung wollte keine Aussage über aufenthaltsbeendende Maßnahmen nach dem Fremdenrecht treffen. Überdies ist das aus dem ARB 1/80 abgeleitete Aufenthaltsrecht eines türkischen Arbeitnehmers kein unbeschränktes. Art.14 ermöglicht es, in die unmittelbar aus dem ARB 1/80 erwachsenden Rechte einzugreifen, da diese unter dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit stehen.

Ziel des Assoziationsabkommen EWG/Türkei ist es, die türkischen Arbeitnehmer jenen des europäischen Arbeitmarktes gleichzustellen. Aus diesem Abkommen kann jedoch keine Besserstellung von türkischen Arbeitnehmern abgeleitet werden, sodass die Auffassung, es sei jene, weil für den Bw günstigere, Rechtslage zugrundezulegen, die bei Abschluss des Abkommens in Geltung gestanden hat, verfehlt ist. Vielmehr ist jene Rechtslage anzuwenden, die auch auf gemeinschaftsrechtliche aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer-Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige anzuwenden ist.

Beachte:

Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgelehnt.

VfGH vom 27.09.2010, Zl.: B 946/10-3

Beachte:

Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgelehnt;

VwGH vom 30.08.2011, Zl. 2010/21-0413

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