Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-522473/12/Sch/Th

Linz, 11.05.2010

 

 

 

E r k e n n t n i s

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Schön über die Berufung des Herrn X, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Freistadt vom 16. Dezember 2009, Zl. 09/459911, wegen Erteilung der Lenkberechtigung unter Auflagen und nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 24. März 2010, zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird insofern Folge gegeben, als die Auflage zur Vorlage von psychiatrischen Befundberichten seitens des Berufungswerbers an die Führerscheinbehörde zu entfallen hat.

 

Im Übrigen wird die Berufung abgewiesen.

 

 

Rechtsgrundlagen:

§§ 66 Abs.4 und 67a AVG.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

1. Mit dem oa Bescheid wurde Herrn X gemäß § 24 Abs.1 Führerscheingesetz (FSG) die mit Führerschein der Bezirkshauptmannschaft Freistadt, Zl. 09/459911, für die Klassen A und B erteilte Lenkberechtigung – unter Eintragung der Codes 01.01 und 104 – insofern eingeschränkt, dass er alle 2 Jahre (erstmals bis 16.12.2011) einen neurologischen Befundbericht bezüglich MS vorzulegen habe.

Weiters habe er alle 5 Jahre (erstmals bis 16.12.2014) eine neurologische und augenfachärztliche Stellungnahme sowie einen psychiatrischen Befundbericht vorzulegen.

 

2. Gegen diesen Bescheid hat der Berufungswerber rechtzeitig Berufung erhoben. Die Erstbehörde hat die Berufung samt Verfahrensakt vorgelegt. Damit ist die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates gegeben.

 

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Folgendes erwogen:

 

Die Erstbehörde stützt ihren Bescheid auf das amtsärztliche Gutachten vom 16. Dezember 2009, erstellt von der Amtsärztin der Bezirkshauptmannschaft Freistadt Dr. X, über die gesundheitliche Eignung des Berufungswerbers zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klassen A und B. Dort werden die im Spruch des Bescheides angeführten fachärztlichen Stellungnahmen und Befundberichte für erforderlich erachtet, um eine Verlaufskontrolle der Erkrankungen des Berufungswerbers zu gewährleisten.

 

Im Rahmen des Berufungsverfahrens wurde die Amtsärztin um eine ergänzende fachliche Stellungnahme ersucht. In dieser mit 9. April 2010 datierten Stellungnahme heißt es:

 

"Fragestellung:

Es wird das Schreiben des UVS mit dem Ersuchen um Abgabe einer neuerlichen Stellungnahme im Berufsverfahren X übermittelt.

 

Beurteilung:

Im Schreiben des UVS vom 30.03.2010 wird ersucht, die im amtsärztlichen Gutachten für notwendig erachtete 5jährige Vorlage von neurologischen und augenfachärztlichen Stellungnahmen, sowie eines psychiatrischen Befundberichtes und die 2jährige Vorlage eines neurologischen Befundberichtes noch näher zu begründen, falls diese aus amtsärztlicher Sicht weiterhin geboten erscheinen.

 

Dazu wird angeführt, dass der bloße Hinweis auf einen grundsätzlich progredienten Verlauf einer Krankheit nicht ausreiche, um die gesundheitliche Eignung des Betreffenden zum Lenken von Kraftfahrzeugen zu beurteilen. Die vom Berufungswerber vorgelegten Unterlagen scheinen derzeit einen stabilen Zustand im Bezug auf seine Erkrankungen zu belegen.

 

Hr. X leidet einerseits an einer chronisch progredienten Erkrankung und zwar Encephalitis disseminata (multiple Sklerose) mit schubhaftem Verlauf und andererseits an einer schizoiden Persönlichkeitsstörung. Außerdem kam es bei Hr. X zu einem symptomatischen Carotisverschluss - möglicherweise Dissektion mit Grenzzoneninfarkt links im Media- und Posteriorstromgebiet 4/2009 (wieder rekanalisiert). Die Symptomatik des Infarktes habe sich durch Hemianopsie (Gesichtsfeldausfälle) und Sensibilitätsstörung des rechten Armes gezeigt. Diese Symptomatik habe sich dann It. der vorliegenden Arztbefunde völlig zurückgebildet. Bis zum Infarkt sei der Patient in der FTY-Studie gewesen (Behandlung bei Encephalitis disseminata). Diese immunmodulatorische Therapie sei eben wegen der traumatischen Dissektion der Carotis interna links abgebrochen worden.

Für die amtsärztliche Gutachtenserstellung war sowohl eine psychiatrische - bei psychiatrischer Grunderkrankung - eine augenfachärztliche - bei Multipler Sklerose und auch Z. n. Hemianopsie, als auch eine neurologische - in Folge der Multiplen Sklerose erforderlich.

 

Hr. X ist bereits seit 1996 in amtsärztlicher Verlaufskontrolle - ursprünglich wegen 3maligem FS-Entzug wegen Alkoholisierung und in weiterer Folge wegen Depression.

 

Es geht aus der Aktenlage nicht klar hervor, wann die Multiple Sklerose diagnostiziert wurde, erstmals erwähnt wird diese im Rahmen eines neurologischen Befundberichtes im Jahre 2000.

 

In den ersten Jahren standen - im Hinblick auf die psychiatrische Erkrankung - im Vordergrund eher die depressive Verstimmung und Antriebslosigkeit. Im Hinblick auf die Fahreignung wurden jedoch in all den Jahren keine relevanten Auffälligkeiten festgestellt und immer eine befürwortende fachärztliche Stellungnahme abgegeben.

 

Im aktuellen psychiatrischen Befundbericht von Hr. Dr. X, datiert mit 10.12.2009, den vorhergehenden datiert mit 04.12.2008 wird im Status psychicus angeführt, dass keine psychotische oder affektive Störung vorliege und die Symptomatik voll remittiert sei.

 

Aus amtsärztlicher Sicht bedeutet dies, dass im Hinblick auf die psychische Erkrankung in den ersten Jahren zwar eine auffälligere Symptomatik vorlag, jedoch nie eine derartig schwere Symptomatik, dass die Fahreignung in Frage gestellt war.

 

Es scheint sich nun aus den vorliegenden Befundberichten das psychische Zustandsbild eher verbessert zu haben, sodass eben im Hinblick auf die psychische Erkrankung auf keinen Fall eine Befristung gerechtfertigt ist. Auch die Vorlage von Kontrollbefunden könnte bei Betrachtung des bisherigen langjährigen günstigen Verlaufs weggelassen werden. Im amtsärztlichen Gutachten wurde die Vorlage von Kontrollbefunden insofern vorgeschrieben, als Hr. Dr. X den Patienten derzeit als fahrtauglich beurteilt und keine konkrete Prognose abgibt. Es wäre in diesem Falle um eine korrekte Aussage zu erhalten noch der begutachtende Facharzt ergänzend zu befragen.

 

Im Hinblick auf die Erkrankung einer Encephalitis disseminata (Multiple Sklerose) im Falle von Hr. X mit schubhaftem Verlauf ist Folgendes zu sagen:

Bei dem Erscheinungsbild einer Multiplen Sklerose (auch als Encephalitis disseminate bezeichnet) handelt es sich um eine chronisch-entzündliche Entmarkungserkrankung des zentralen Nervensystems. Dabei treten in der weißen Substanz bei Gehirn und Rückenmark verstreut vielfache (multiple) entzündliche Entmarkungsherde auf, die vermutlich durch den Angriff körpereigener Abwehrzellen auf die Myelinscheiben der Nervenzellenfortsätze verursacht werden. Da die Entmarkungsherde im gesamten zentralen Nervensystem auftreten können, kann die Multiple Sklerose fast jedes neurologische Symptom verursachen. Dabei sind Sehstörungen mit Minderung der Sehschärfe und Störungen der Augenbewegung (mit Doppelsehen) relativ typisch und häufig, aber nicht spezifisch für die Multiple Sklerose. Die Erkrankung ist nicht heilbar, kann aber durch verschiedene therapeutische Maßnahmen günstig beeinflusst werden. Es muss die Multiple Sklerose nicht zwangsläufig zu schweren Behinderungen führen.

 

Die Multiple Sklerose hat unterschiedliche Verlaufsformen, kann schubförmig oder primär bzw. sekundär progredient verlaufen. Ein Schub ist definiert als das Auftreten neuer, oder das Wiederaufflammen bereits bekannter klinischer Symptome, die länger als 24 Stunden anhalten und bei denen eine entzündlich-entmarkende Schädigung des ZNS zu Grunde liegt. Typischerweise treten also neue Symptome bei der MS subakut auf, also innerhalb von Stunden bis Tagen. Um einen neuen Schub von einem vorangegangenen abzugrenzen zu können, müssen definitionsgemäß mind. 30 Tage zwischen beiden klinischen Ereignissen liegen. Die Dauer eines Schubes kann meist einige Tage bis wenige Wochen betragen. Je nach dem, ob sich die neu aufgetretenen Symptome vollständig oder nur unvollständig zurückbilden, spricht man von einer kompletten oder inkompletten Remission. Von echten Schüben sind sogenannte Pseudoschübe abzugrenzen, die im Rahmen einer Temperaturerhöhung oder infektassoziiert auftreten und zu einer vorübergehenden Verschlechterung klinischer Symptome führen können.

 

Im Falle von Hr. X besteht It. vorliegenden Befunden eine schubförmig verlaufende MS. In den vorliegenden Kontrollbefunden (seit 2000) wird lediglich kurz angeführt, dass von Zeit zu Zeit ein Schub auftrete, wobei aber keine wesentlichen körperlichen Beeinträchtigungen - in der Vergangenheit - angegeben werden.

 

Aktuell legte Hr. X einen Ambulanzbericht der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg vom 29.10.2009 bei der amtsärztlichen Untersuchung vor, wobei Hr. OA Dr. X in diesem Ambulanzbericht anführte, dass von neurologischer Seite keine Kontraindikation für das Lenken eines Kraftfahrzeuges der Gruppe A und B bestehe. Der Verschluss der Carotis interna sei wieder rekanalisiert und von Seiten der MS sei der Patient stabil, er habe sehr geringe klinische Zeichen, ohne eindeutige lokale Ausfälle. Hr. OA Dr. X gab jedoch keine Prognose ab und insofern entsprach diese Stellungnahme nicht den Anforderungen an eine fachärztliche Stellungnahme im Sinne der Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung (FSG-GV).

 

Nachdem jedoch Hr. X seit Jahren amtsbekannt war, einen relativ stabilen Verlauf aufwies und eine befürwortende Stellungnahme eines FA für Neurologie vorlegte, wurde es aus amtsärztlicher Sicht für vertretbar erachtet, auch ohne ergänzende ausführliche Stellungnahme im Sinne der Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung (FSG-GV) das amtsärztliche Gutachten abzuschließen und die Befristung aufzuheben.

 

Die Aufhebung der Befristung bei einer grundsätzlichen chronisch-progredient verlaufenden Erkrankung wurde unter anderem auch deshalb für vertretbar gehalten, weil mit der Vorlage von neurologischen Befundberichten eine etwaige Verschlechterungstendenz, wie sie ja bei MS in vielerlei Hinsicht auftreten kann (z.B. Auftreten von Doppelbildern, Sensibilitäts- und/oder motorische Störungen) erfasst werden kann.

 

Aus amtsärztlicher Sicht kann, nachdem keine Prognose vorliegt und bei gegebener Erkrankung durchaus jederzeit Symptome auftreten können, die eine Fahreignung einschränken bzw. auch ausschließen könnten, keinesfalls auf die Vorlage von neurologischen und augenfachärztlichen Kontrollbefunden verzichtet werden.

 

Sollte jedoch dortiger Behörde diese Argumentation nicht schlüssig erscheinen, müsste unbedingt eine entsprechende umfassende neurologische Stellungnahme eingeholt werden: Diese Stellungnahme hat das Krankheitsbild vollständig zu beschreiben und dessen Auswirkungen auf das Lenken von Kraftfahrzeugen zu beurteilen und insbesondere auch eine Prognose abzugeben. Es werden in den vorliegenden Befunden auch keine MRT-Befunde angeführt, aus denen ein Verlauf der Entmarkungsherde beurteilt werden könnte. Dieses wäre sinnvoll, um eine konkrete Prognose abgeben zu können."

 

Die Berufungsbehörde vermag keine Unschlüssigkeit in dieser amtsärztlichen Stellungnahme zu erblicken, welche die Notwendigkeit der Verlaufskontrolle hinreichend erläutert und präzisiert.

 

In Bezug auf den Befundbericht aus dem Gebiet der Psychiatrie wird die Notwendigkeit einer Vorlage amtsärztlicherseits nicht mehr für unbedingt erforderlich erachtet, sodass im Sinne des Berufungsbegehrens hier dem Rechtsmittel Folge gegeben werden konnte.

 

Dem darüber hinausgehenden Berufungsbegehren auf Entfall der Vorlage auch von augenfachärztlichen und neurologischen Stellungnahmen bzw. Befundberichten stand jedoch der Umstand entgegen, dass amtsärztlicherseits schlüssig begründet hierauf nicht verzichtet werden kann.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

S c h ö n

 

 

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