Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401065/7/BMa/Gr

Linz, 10.06.2010

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Gerda Bergmayr-Mann aus Anlass der Beschwerde des X, Staatsangehöriger von X, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. X und Dr. X in X, wegen Anhaltung in Schubhaft durch die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck zu Recht erkannt:

 

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

Gleichzeitig wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich die Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Schubhaft vorliegen.

 

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Verfahrenspartei: Bezirkshauptmann des Bezirks Vöcklabruck) Kosten in Höhe von 426,20 Euro (57,40 Euro Vorlageaufwand und 368,80 Euro Schriftsatzaufwand) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsgrundlagen:

§§ 82 und 83 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG (BGBl. I. Nr. 100/2005 zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 135/2009) iVm § 67c – 67g und 79a Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG, BGBl. Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 135/2009 und

UVS-Aufwandsersatzverordnung (BGBL. II Nr. 456/2008)

 

 


Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmanns von Vöcklabruck vom 20. Mai 2010, Sich40-1654-2010, wurde über X, Staatsangehöriger von X, gemäß §§ 6 Abs.6 und 76 Abs.2a Z.1 des FPG zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt und durch Überstellung in das PAZ X vollzogen.

Begründend wurde dazu ausgeführt, der Beschwerdeführer sei am 31.03.2010 ohne in Besitz eines gültigen Einreise- oder Aufenthaltstitels für Österreich oder einen anderen Schengen – Staat zu sein, somit unrechtmäßig, über unbekannt nach Österreich eingereist. Im Zuge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle am selben Tag sei er nach den Bestimmungen des FPG festgenommen und es sei die Schubhaft über ihn verhängt worden. Am 1. April 2010 habe er einen Asylantrag gestellt. Anlässlich der erkennungsdienstlichen Behandlung nach dem Asylgesetz sei festgestellt worden, dass er bereits zwei Asylanträge in Schweden, einen Asylantrag in Frankreich, einen Asylantrag in Finnland und einen Asylantrag in Norwegen gestellt habe. Darüber hinaus sei festgestellt worden, dass er bereits am 4. Oktober 2004 in Österreich Asyl begehrt habe. Dieser Antrag sei als gegenstandslos am 9. März 2005 abgelegt worden, weil er am 27. Dezember 2005 freiwillig nach Armenien ausgereist sei.

 

Am 19. April 2010 sei er in Folge seines 3-tägigen Hungerstreiks wegen Haftunfähigkeit aus der Schubhaft entlassen worden.

 

In der Niederschrift vom 28. April 2010 vor dem Bundesasylamt habe er angeführt, nicht nach Norwegen zu wollen, weil beabsichtigt sei, ihn nach Armenien zurückzuschicken bzw. abzuschieben. In Norwegen habe er niemanden, der auf ihn aufpassen würde. Zudem sei die medizinische Versorgung in Norwegen nicht so gut wie in Österreich. Sein Bruder sowie seine Mutter würden sich in Österreich befinden und er habe zu diesen schon persönlichen Kontakt gehabt. Er sei ein kranker Mensch, würde an Hepatitis C und Depressionen leiden und sei zudem drogenabhängig.

 

Eine Überprüfung der Ausgangszeiten in der EAST-West habe ergeben, dass er im Zeitraum vom 20. April 2010 bis zum 14. Mai 2010 insgesamt 13-mal die Nacht nicht in seiner Unterkunft verbracht habe.

Mit Gutachten einer Ärztin für Allgemein Medizin und für psychotherapeutische Medizin vom 18. Mai 2010 sei gemäß § 10 Asylgesetz hinsichtlich der Reisefähigkeit festgestellt worden, dass auf Grund nicht nachweisbarem Opiatmissbrauchs bzw. –abhängigkeit Fachärzte die Aufnahme in einem Drogensubstitutionsprogamm ablehnen würden. Hinsichtlich des positiven Benzodiazepin-Harntests und der mittelschweren depressiven Episode sei eine entsprechende Versorgung mit Psychopharmaka sichergestellt. Die Hepatitis C bedürfe derzeit keiner Behandlung. Mit dem am 20. Mai 2010 erlassenen Bescheid des Bundesasylamts sei sein Asylbegehren gemäß § 5 Asylgesetz zurückgewiesen und er nach Norwegen gemäß § 10 Asylgesetz ausgewiesen worden.

Der Rechtsmittelwerber ist verheiratet und Vater zweier Kinder, die nicht in Österreich aufhältig sind. Die Mutter des Beschwerdeführers befindet sich ebenso wie ein Bruder in Österreich.

 

1.2. Mit Eingabe vom 26. Mai 2010 (eingelangt beim Unabhängigen Verwaltungssenat am 4. Juni 2010), brachte der Beschwerdeführer, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. X und Dr. X, eine Schubhaftbeschwerde ein und er beantragte die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und die Feststellung der Rechtswidrigkeit der verhängten Schubhaft. Es wurde auch Kostenersatz begehrt.

 

Die Beschwerde bringt im Wesentlichen vor, der bekämpfte Bescheid habe nahezu keinerlei Feststellungen zum persönlichen Sachverhalt des Beschwerdeführers sowie den in seiner Person gelegenen und der Schubhaft entgegenstehenden "besonderen Umständen" getroffen. So leide der Beschwerdeführer seit ca. 6 Jahren an Hepatitis C, Depression und psychischer Belastung und sei deshalb auch schon während seines Aufenthalts in Norwegen in Behandlung gewesen. Am 31. März 2010 sei er alleine illegal in das Österreichische Bundesgebiet eingereist, weil in Norwegen seine Krankheit nicht adäquat behandelt worden sei. Am 20. April 2010 sei er wegen Hungerstreik und Kollaps zur Behandlung im LKH Salzburg gewesen und er befinde sich derzeit zur Behandlung einer schweren Depression im LKH Linz. Der Beschwerdeführer sei auf den Kontakt zu seiner Mutter und zu seinem Bruder, die beide legal in Österreich aufhältig seien, aus psychischen Gründen angewiesen. Die Behörde hätte ein psychiatrisches Gutachten einholen müssen. Weil sie dies unterlassen habe, sei der Bescheid mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet.

 

Es komme nämlich darauf an, ob es dem Beschwerdeführer in seiner schweren Depression zumutbar sei, ihn von seiner Familie zu trennen.

 

Es würden auch humanitäre Gründe bzw. besondere Umstände in der Person des Beschwerdeführers vorliegen, die die Gewährung internationalen Schutzes für ihn rechtfertigen und der Anordnung der Schubhaft entgegen stehen würden.

X leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung, die vermutlich durch eine Folge von Traumata in seinem Heimatland ausgelöst worden sei. Bei einer Ausweisung nach Norwegen sei mit einer massiven Verschlechterung seines Zustands zu rechnen, er würde bei einer Ausweisung bzw. in der Schubhaft einen oder mehrere Selbstmordversuche unternehmen.

Es sei demnach unzulässig, den Beschwerdeführer in Schubhaft zu nehmen.

 

Der Beschwerdeführer habe einer erkennungsdienstlichen Behandlung zugestimmt und sei bereit, sich in regelmäßigen Abständen bei einem ihm zu nennenden Polizeikommando zu melden.

Die von der belangten Behörde angeführte Fluchtgefahr in die Anonymität sei insofern nicht gegeben, als der Beschwerdeführer ja gerade bei seiner Familie in Österreich bleiben und hier adäquat behandelt werden möchte.

Die Notwendigkeit der Schubhaft bestehe keineswegs, ihr Zweck könne durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden.

Die Anordnung der Schubhaft sei jedenfalls rechtswidrig.

 

2. Mit Schreiben vom 4. Juni 2010 (eingelangt beim OÖ. Verwaltungssenat am 7. Juni 2010) wurde der bezughabende Akt in Form mehrerer pdf-Dateien übermittelt und der Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde gestellt.

 

3. Der erkennende Verwaltungssenat hat unter Berücksichtigung der Beschwerde auf Grundlage der vorgelegten Verwaltungsakten festgestellt, dass bereits aus der Aktenlage iVm mit der eingebrachten Beschwerde der entscheidungswesentliche Sachverhalt hinreichend geklärt erscheint, weshalb von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden konnte.

 

Obwohl der Antrag auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung gestellt wurde, konnte diese unterbleiben, weil die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung in einem Schubhaftbeschwerdeverfahren nicht gegen Artikel 6 MRK verstößt (Hauer/Leukauf 6 AVG § 67d RZ 6).

 

4. Die oben wiedergegebenen unbestritten gebliebenen Feststellungen des Bescheids der belangten Behörde werden auch diesem Verfahren zugrunde gelegt.

 

Darüber hinaus wird ergänzend festgestellt:

 

Der Rechtsmittelwerber wurde am 18. Mai 2010 von einer Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin begutachtet. Zusammenfassend wurde festgehalten:

"Der ASt leidet an einer psychischen Störung bei Substanzabhängigkeit/-missbrauch, die fachärztlich evaluiert und therapiert wurde. Die Hepatitis C bedarf derzeit keiner Behandlung.

Somit besteht aus ärztlicher Sicht kein Hindernis für eine Überstellung iS einer Reisefähigkeit (§ 10)."

Anlässlich seiner Einlieferung ins PAZ wurde die Hafttauglichkeit des Rechtsmittelwerbers amtsärztlich überprüft. Seinen dreitägigen Hungerstreik vom 23. – 26. Mai 2010 hat er freiwillig beendet. Während dieser Zeit hat keine Haftunterbrechung stattgefunden, sodass er sich ab dem 20. Mai 2010 durchgehend in Schubhaft befunden hat (Aktenvermerk vom 9. Juni 2010).

 

Mit Schreiben vom 22. April 2010 der Norwegian Directorate of Immigration (DI) hat Norwegen die Rücknahme des Bw unter Bezugnahme auf Artikel 13 der "Dublin Regulation, cf Art. 16 (1) c" akzeptiert. Daraufhin wurde zunächst für Montag, den 7. Juni 2010 die Abschiebung auf dem Luftweg nach Oslo angestrebt, diese wurde dann für 11. Juni 2010 umgebucht.

Die Mutter hat einen Asylantrag in Österreich am 8. September 2009 eingebracht. Gegen die mit Bescheid vom 16. April 2010 ausgesprochene Ausweisung hat sie Berufung erhoben.

 

5. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

5.1. Gemäß § 9 Abs 2 FPG ist gegen die Anordnung der Schubhaft weder eine Vorstellung noch eine Berufung zulässig.

Gemäß § 82 Abs 1 FPG hat der Fremde das Recht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung den unabhängigen Verwaltungssenat anzurufen,

1.       wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist;

2.       wenn er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz oder das Asylgesetz          2005 angehalten wird oder wurde oder

3.       wenn gegen ihn die Schubhaft angeordnet wurde.

Gemäß § 83 Abs 1 FPG idF BGBl I Nr. 122/2009 ist zur Entscheidung über eine Beschwerde gemäß § 82 Abs 1 Z 2 oder 3 der unabhängige Verwaltungssenat zuständig, in dessen Sprengel die Behörde ihren Sitz hat, welche die Anhaltung oder die Schubhaft angeordnet hat. In den Fällen des § 82 Abs 1 Z 1 richtet sich die Zuständigkeit nach dem Ort der Festnahme.

Nach § 83 Abs 2 FPG gelten die §§ 67c bis 67g sowie 79a AVG mit der Maßgabe, dass

1.       eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, und

2.       die Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates über die Fortsetzung der Schubhaft binnen einer Woche zu ergehen hat, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet.

Gemäß § 83 Abs 4 FPG hat der unabhängige Verwaltungssenat, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden.

Im vorliegenden Fall hat die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck den Schubhaftbescheid erlassen und die Anhaltung in Schubhaft angeordnet. Der Oö. Verwaltungssenat ist daher örtlich zur Entscheidung zuständig.

 

Der Beschwerdeführer wurde, nachdem ihm von einer Ärztin am 18. Mai 2010 Reisefähigkeit iS einer Überstellung attestiert wurde, am 20. Mai 2010 in Schubhaft genommen und befindet sich seit diesem Zeitpunkt bis dato im PAZ Steyr.

Die am 4. Juni 2010 eingelangte Schubhaftbeschwerde ist grundsätzlich zulässig.

 

 

5.2. Gemäß § 76 Abs 1 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft nur verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

 

Nach § 76 Abs 2 FPG kann die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn

 

1.     gegen ihn eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) erlassen wurde;

2.     gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;

3.     gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60) verhängt worden ist oder

4.     auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.

 

Gemäß § 76 Abs 2a FPG idF BGBl I Nr. 122/2009 hat die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber Schubhaft anzuordnen, wenn

 

1. gegen den Asylwerber eine mit einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 verbundene durchsetzbare Ausweisung erlassen wurde oder ihm gemäß § 12a Abs 1 AsylG 2005 ein faktischer Abschiebeschutz zukommt;

2. eine Mitteilung gemäß § 29 Abs 3 Z 4 bis 6 AsylG 2005 erfolgt ist und der Asylwerber die Gebietsbeschränkung gemäß § 12 Abs 3 AsylG 2005 verletzt hat;

3. der Asylwerber die Meldeverpflichtung gemäß § 15a AsylG 2005 mehr als einmal verletzt hat;

4. der Asylwerber, gegen den nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde, der Mitwirkungsverpflichtung gemäß § 15 Abs 1 Z 4 vorletzter Satz AsylG 2005 nicht nachgekommen ist, oder

5. der Asylwerber einen Folgeantrag (§ 2 Abs 1 Z 23 AsylG 2005) gestellt hat und der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 aufgehoben wurde,

 

und die Schubhaft für die Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung notwendig ist, es sei denn, dass besondere Umstände in der Person des Asylwerbers der Schubhaft entgegenstehen.

 

Nach § 76 Abs 3 FPG ist die Schubhaft mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft.

 

Die Behörde kann gem. § 77 Abs.1 FPG von der Anordnung der Schubhaft Abstand nehmen, wenn sie Grund zur Annahme hat, dass deren Zweck durch Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann.

 

Nach Abs. 3 leg.cit. kommt als gelinderes Mittel insbesondere die Anordnung in Betracht, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen oder sich in periodischen Abständen bei dem dem Fremden bekannt gegebenen Polizeikommando zu melden.

 

Gemäß § 80 Abs 1 FPG ist die Behörde verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Sie darf gemäß § 80 Abs 2 FPG nur so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann. Mit Ausnahme der Fälle des § 80 Abs 3 und 4 FPG darf die Schubhaft nicht länger als 2 Monate dauern.

 

5.3. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 76 Abs.2a Z.1 FPG, die die belangte Behörde als Grundlage für die Schubhaftverhängung herangezogen hat, dass gegen den Rechtsmittelwerber eine mit einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 verbundene durchsetzbare Ausweisung erlassen wurde, wird von der Beschwerde nicht bestritten.

 

Auch die Familienverhältnisse des Beschwerdeführers, die im bekämpften Bescheid dargelegt wurden, werden nicht in Zweifel gezogen.

 

5.4. Obwohl § 76 Abs.2a FPG der Behörde bei den vorliegenden Voraussetzungen keinen Ermessensspielraum zur Verhängung der Schubhaft – im Gegensatz zu

§ 76 Abs.1 FPG - einräumt, ist bei verfassungskonformer Interpretation dennoch Art.2 Abs.1 PersFrG und Art.5 Abs.1 MRK zu beachten.

 

Nach Art.2 Abs.1 Z.7 PersFrG kann ein Freiheitsentzug verfügt werden, wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtige Ausweisung oder Auslieferung zu sichern.

Diese Regelung bietet die verfassungsrechtliche Grundlage für fremdenpolizeiliche Maßnahmen, die mit Freiheitsentziehung verbunden sind, wie z.B. Abschiebung, Schubhaft sowie für die im Zuge einer Auslieferung gesetzten freiheitsentziehenden Maßnahmen, wie z.B. Auslieferungshaft. Der Verweis, auf die "Notwendigkeit" einer solchen Maßnahme bedeutet aber, dass sie ein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel zur Verfolgung des genannten Zweckes sein und damit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen muss (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer Bundesverfassungsrecht10 RZ 1415).

 

In der konkreten Einzelfallprüfung ist daher unter Beachtung des vorhin Gesagten neben den persönlichen Voraussetzungen, konkret der gesundheitlichen Eignung des Beschwerdeführers und seiner familiären Beziehungen, das Vorliegen der Erforderlichkeit und der Angemessenheit eines Sicherungsbedürfnisses zu prüfen, was die gerechtfertigte Annahme begründet, der Fremde werde sich dem Verfahren oder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen oder diese Maßnahme wesentlich erschweren.

Die Erforderlichkeit und Angemessenheit ist im Falle des § 76 Abs. 2a FPG nach einem strengeren Maßstab als im Fall des § 76 Abs. 1 FPG zu prüfen, wurden doch durch diese (neue) Bestimmung jene fremdenrechtlichen Fälle geregelt, die einen erhöhten Sicherungsbedarf indizieren. 

 

Die Reisefähigkeit des Beschwerdeführers wurde von der belangten Behörde zwei Tage vor Schubhaftverhängung durch ein ärztliches Attest belegt und seine Haftfähigkeit anlässlich seines Haftantritts im PAZ amtsärztlich überprüft.

 

Die in der Beschwerde angeführte Forderung, es müsse ein psychiatrisches Gutachten eingeholt werden, ist in diesen Zusammenhang irrelevant, zielt doch auch schon die Begründung zur Einholung eines psychiatrischen Gutachtens auf eine Abschiebung, also die Verbringung des Beschwerdeführers außer Landes, ab. Konkret ist aber nur die Anhaltung in Schubhaft als vorgelagerte Maßnahme zu beurteilen.

Auch das Vorbringen bei einer Ausweisung nach Norwegen seien Selbstmordversuche zu befürchten, ist nicht geeignet, die Voraussetzungen zur Anhaltung in Schubhaft in Zweifel zu ziehen, wird der Rechtsmittelwerber doch auch während seiner Anhaltung bei Bedarf ärztlich betreut.

 

Zum Sicherungsbedarf ist folgendes auszuführen:

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (zu § 76 Abs. 1 FPG, dessen Prüfmaßstab auch hier angewandt werden kann) verlangt die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit einer Schubhaft eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Außerlandesschaffung und dem privaten Interesse an der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen. Dabei ist der Frage nach dem Sicherungsbedürfnis nachzugehen, was die gerechtfertigte Annahme voraussetzt, der Fremde werde sich der Abschiebung durch Untertauchen entziehen oder diese Maßnahmen zumindest wesentlich erschweren.

In der neueren Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs vermag die fehlende Ausreisewilligkeit eines Fremden für sich allein die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung nicht zu rechtfertigen. Deshalb kann auch die Nichtbefolgung eines Ausreisebefehls die Schubhaft noch nicht rechtfertigen. Es ist nämlich in einem zweiten Schritt die Frage des Bestehens eines Sicherungsbedarfes zu prüfen, der insbesondere im Fall mangelnder sozialer Verankerung im Inland in Betracht kommt. Dabei hat der Verwaltungsgerichtshof auch schon mehrfach betont, dass in Bezug auf die Annahme eines Sicherungsbedarfes aus Überlegungen zu einem strafgerichtlichen Verurteilungen zugrundeliegenden Fehlverhalten alleine nichts zu gewinnen sei (ständige Rspr; vgl ua. VwGH 8.9.2005, Zl. 2005/21/0301; VwGH 22.6.2006, Zl. 2006/21/0081; VwGH 27.3.2007, Zl. 2005/21/0381; VwGH 28.6.2007, Zl. 2005/21/0288 und Zl. 2004/21/0003; VwGH 30.8.2007, Zl. 2006/21/0107; VwGH 28.5.2008, Zl. 2007/21/0246).

Überdies ist nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs beim Sicherungserfordernis die konkrete Situation des Beschwerdeführers (Einzelfallprüfung) zu prüfen. Deswegen verbietet sich auch ein Abstellen auf allgemeine Erfahrungen im Umgang mit Asylwerbern oder aus anderen Fällen (vgl VwGH 28.6.2007, Zl. 2006/21/0051; VwGH 28.6.2007, Zl. 2006/21/0091).

 

5.4. Zu Recht hat die belangte Behörde auf das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers hingewiesen, wonach dieser mehrfach Asylanträge innerhalb der Europäischen Union (Frankreich, Norwegen, Finnland und Schweden) gestellt hat, die erkennen lassen, dass er immer wieder versucht hat, in einem Land der europäischen Union Fuß zu fassen. In seiner niederschriftlichen Einvernahme am 8. Oktober 2004 im Erstaufnahmezentrum Ost, Traiskirchen, anlässlich seines ersten in Österreich geführten Asylverfahrens, hat der Beschwerdeführer dazu angeführt "Ich war in Armenien zuletzt im Jahr 2001. Ich hatte in Armenien Probleme, deshalb sind wir mit unseren Kindern nach Frankreich geflüchtet, dort hatten wir ein Asylverfahren und waren insgesamt 2 Jahre aufhältig. In Frankreich hatten wir Originaldokumente eingereicht. Diese sind immer noch dort, weil wir uns der geplanten Abschiebung nach Armenien entzogen haben."

Auch in seiner niederschriftlichen Einvernahme am 28. April 2010 in Sankt Georgen im Rahmen des zweiten in Österreich durchgeführten Asylverfahrens gab der Beschwerdeführer an, dass er, als Norwegen beabsichtigte, ihn nach Armenien zurückzuschieben bzw. abzuschieben, von Norwegen nach Minsk und anschließend nach Österreich gefahren sei, weil er sich wegen seiner Probleme nicht nach Armenien begeben haben können und in Österreich seine Mutter und sein Bruder leben würden.

Damit hat der Rechtsmittelwerber wiederholt durch sein Verhalten demonstriert, dass er, sobald ihm eine Abschiebung nach Armenien droht, in ein anderes Land flüchtet.

Auch im konkreten Fall befürchtet der Beschwerdeführer, dass er nach seiner Verbringung nach Norwegen nach Armenien abgeschoben werde, sodass die Annahme gerechtfertig ist, er werde sich durch Untertauchen den behördlichen Maßnahmen entziehen. Entgegen dem Vorbringen der Beschwerde kann daher auch, obwohl der Beschwerdeführer einer erkennungsdienstlichen Behandlung zugestimmt hat, kein gelinderes Mittel als die regelmäßige Meldung bei einem Polizeiposten zur Anwendung kommen.

 

Das Vorbringen des Beschwerdeführers, er benötige die Betreuung durch seine Mutter und seinen Bruder, wird als Schutzbehauptung gewertet, war es dem Beschwerdeführer doch trotz seiner bereits seit mehreren Jahren bestehenden Krankheit, diese wurde bereits in Norwegen behandelt, möglich, sich entfernt der beiden Verwandten aufzuhalten. Im Übrigen ist derzeit ein Ausweisungsverfahren gegenüber der Mutter des Beschwerdeführers im Verfahrensstadium der Berufung anhängig.

 

Die Schubhaft ist auch verhältnismäßig, denn dem Recht des Beschwerdeführers auf persönliche Freiheit steht das Interesse des Staats an einem geordneten Fremdenwesen und damit am Schutz und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gegenüber. Um diese zu gewährleisten, war der Eingriff in das Recht des Bf auf persönliche Freiheit notwendig.

 

Die Schubhaft wurde am 20. Mai 2010 gemäß § 76 Abs.2a FPG verhängt. Für den 11. Juni 2010 wurde der Flug nach Oslo für den Beschwerdeführer gebucht. Die Anhaltung des Beschwerdeführers erfolgt innerhalb des zeitlichen Rahmens des § 80 FPG. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das Ziel der Schubhaft nicht mehr realisierbar ist, daher ist deren weitere Aufrechterhaltung zum gegenwärtigen Zeitpunkt zulässig.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

6. Gemäß § 79a AVG iVm § 83 Abs.2 FPG hat die im Verfahren nach § 67c obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wird die Beschwerde zurückgewiesen, abgewiesen oder zurückgezogen, dann ist die belangte Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei (§ 79a Abs.3 AVG).

 

Beim vorliegenden Verfahrensergebnis war dem Bund als dem zuständigen Rechtsträger auf Antrag der belangten Behörde der Vorlage– und Schriftsatzaufwand nach den Pauschalbeträgen der geltenden UVS- Aufwandsersatzverordnung (BGBL. II Nr. 456/2008) und damit ein Verfahrensaufwand in der Höhe von insgesamt 426,20 Euro zu zusprechen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

1.Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungs­gerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

2. Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren sind Bundesstempelgebühren für die Beschwerde (Gem. § 14 TP 6 Abs.1 GebG) von 13,20 Euro angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

 

Mag. Bergmayr-Mann


Rechtssatz zu VwSen-401065/BMa/Gr vom 10. Juni 2010:

 

§ 76 Abs. 2a FPG:

 

Obwohl § 76 Abs.2a FPG der Behörde bei den vorliegenden Voraussetzungen keinen Ermessensspielraum zur Verhängung der Schubhaft – im Gegensatz zu § 76 Abs.1 FPG - einräumt, ist bei verfassungskonformer Interpretation dennoch Art.2 Abs.1 PersFrG und Art.5 Abs.1 MRK zu beachten.

 

Nach Art.2 Abs.1 Z.7 PersFrG kann ein Freiheitsentzug verfügt werden, wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtige Ausweisung oder Auslieferung zu sichern.

Diese Regelung bietet die verfassungsrechtliche Grundlage für fremdenpolizeiliche Maßnahmen, die mit Freiheitsentziehung verbunden sind, wie z.B. Abschiebung, Schubhaft sowie für die im Zug einer Auslieferung gesetzten freiheitsentziehenden Maßnahmen, wie z.B. Auslieferungshaft. Der Verweis, auf die "Notwendigkeit" einer solchen Maßnahme bedeutet aber, dass sie ein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel zur Verfolgung des genannten Zweckes sein und damit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen muss (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer Bundesverfassungsrecht10 RZ 1415)

 

In der konkreten Einzelfallprüfung ist daher unter Beachtung des vorhin Gesagten neben den persönlichen Voraussetzungen, konkret der gesundheitlichen Eignung des Beschwerdeführers und seiner familiären Beziehungen das Vorliegen der Erforderlichkeit und der Angemessenheit eines Sicherungsbedürfnisses zu prüfen, was die gerechtfertigte Annahme begründet, der Fremde werde sich dem Verfahren oder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen oder diese Maßnahme wesentlich erschweren.

Die Erforderlichkeit und Angemessenheit ist im Falle des § 76 Abs. 2a FPG nach einem strengeren Maßstab als im Fall des § 76 Abs. 1 FPG zu prüfen, wurden doch durch diese (neue) Bestimmung jene fremdenrechtlichen Fälle geregelt, die einen erhöhten Sicherungsbedarf indizieren. 

 

 

 

 

 

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