Linz, 04.06.2010
E r k e n n t n i s
Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn
I. Die Berufung wird im Punkt 1.) Folge gegeben; das angefochtene straferkenntnis wird behoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt;
im Punkt 2.) wird die Berufung im Schuldspruch als unbegründet abgewiesen; die Geldstrafe wird in diesem Punkt auf 100 Euro und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 46 Stunden ermäßigt.
II. Zu Puntk 1.) entfallen Verfahrenskostenbeiträge; zu Punkt 2.) ermäßigen sich die erstinstanzlichen Verfahrenskosten auf 10 Euro; für das Berufungsverfahren entfallen Verfahrenskostenbeiträge.
III. Der Antrag auf Zuspruch der mit dem Berufungsschriftsatz verzeichneten Kosten wird als unbegründet abgewiesen.
Rechtsgrundlagen:
I.: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 135/2009 – AVG iVm § 24, § 45 Abs.1 Z1, § 51 Abs.1 und § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 135/2009 – VStG.
II. u. III: § 64 Abs.1 u. 2 VStG iVm § 74 Abs.1 AVG ad Punkt III.
Entscheidungsgründe:
1.1. Begründend führte die Behörde erster Instanz folgendes aus:
2. Der Berufungswerber wendet sich dagegen mit seiner fristgerecht durch seine ausgewiesenen Rechtsverter erhobenen Berufung unter Anschluss auch eines Kostenverzeichnisses und führt darin aus:
3. Die Bezirkshauptmannschaft Freistadt hat die Berufung samt Verfahrensakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Entscheidung vorgelegt und damit dessen Zuständigkeit ausgelöst. Dieser ist durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zur Entscheidung berufen (§ 51c VStG).
4. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung war angesichts der strittigen Faktenlage nach § 51e Abs.1Z1 VStG erforderlich.
Beweis erhoben wurde durch Beischaffung eines Luftbildes von der fraglichen Örtlichkeit. Im Zuge der Berufungsverhandlung wurde eingangs das im erstinstanzlichen Verfahrens eingeholte Gutachten erörtert. Als Zeugen einvernommen wurde Mag. X und abgesondert durch das erkennende Mitglied Herr X am 19.5.2010, nach Verständigung und im Einvernehmen mit dem Rechtsvertreter. Der Berufungswerber wurde als Beschuldigter gehört.
Die Behörde erster Instanz nahm entschuldigt an der Berufungsverhandlung nicht teil.
5. Faktenlage:
Die Rudolfstraße ist auf Höhe des zweiten (östlichen) Schutzweges ziemlich exakt zehn Meter breit. Sie weist stadteinwärts vor der Kreuzung mit der Hagenstraße zwei durch eine Leitlinie getrennte Fahrstreifen und ebenfalls eine Leitlinie in Straßenmitte auf. Nach der Kreuzung weist der Straßenzug nur mehr je einen Fahrstreifen auf. Festgestellbar war dies einerseits aus dem Fotomaterial im Akt und mittels eines beigeschafften maßstabsgetreuen Lichtbildes aus dem oö. Rauminformationssystem.
Der Berufungswerber fuhr so wie auch der Zweitbeteiligt und der Zeuge Dipl.-Ing. X in Richtung stadteinwärts. Der Zeuge Dipl.-Ing. X befand sich unmittelbar hinter dem BMW des geschädigiten Zweitbeteiligten Mag. X.
Im östlichen Kreuzungsbereich (Rudolfstraße/Hagenstraße) blockierte ein Linkssabbieger in die Schratzstraße die Weiterfahrt auf der linken stadteinwärts. Aus diesem Grund versuchte der Berufungswerber im Kreuzungsbereich noch zwischen dem Linksabbieger und dem auf seiner Höhe befindlichen BMW durchzufahren, wobei er gegen die linke Hinterseite des BMW stieß, sodass dieser zwei Meter nach rechts abgedrüngt und dabei touchiert wurde.
5.1. Rechtlich hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:
Voraussetzung für die Erfüllung der Tatbestände iSd § 4 Abs.1 lit.a und § 4 Abs.5 StVO ist der tatsächliche Eintritt eines Verkehrsunfalls mit Sachschaden sowie die Kenntnis des Täters hievon. Hinsichtlich des letzteren Umstandes genügt es, wenn ihm objektive Umstände zu Bewusstsein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls mit Sachschaden zu erkennen vermocht hätte. Es reicht also die Schuldform der Fahrlässigkeit aus - VwGH 11.9.1979, ZfVB 1980/4/1233, sowie VwGH 23.5.2002, 2001/03/0417).
Diesbezüglich ist aber auf die jeweiligte Situation abzustellen ob ein solches Ereingis tatsächlich dem Lenker evident wird (und er dennoch weiterfährt) oder nicht und er folglich aber (fahrlässig) auch noch die Meldung unterlässt.
Der VwGH führt in seiner ständigen Rechtsprechung hierzu wohl grundsätzlich aus, dass der Lenker eines Fahrzeuges den Geschehnissen um sein Fahrzeug seine volle Aufmerksamkeit zuzuwenden hat und gegebenenfalls ein Blick in den Rückspiegel in entsprechenden Verkehrssituationen geboten ist (vgl. auch u.a. das Erk. 18.10.1989, 89/02/0086, und die dort angeführte weitere Judikatur).
Da hier der Berufungswerber dem Beweisergebnis folgend offenkundig tatsächlich den Streifkontakt nicht bemerkte und ihm daher die Fahrtfortsetzung nicht im Rahmen der subjektiven Tatschuld vorzuwerfen ist, bleibt letztlich als strafwürdiges Verhalten nur die unterbliebene Meldepflicht.
Bei Anwendung der objektiv geboten Sorgfalt hätte der Berufungswerber jedoch zumindest mit einem Streifkontakt rechnen müssen. Im Unterbleiben dieser Meldung ist demnach zumindest ein auf der Stufe der Fahrlässigkeit zu qualifizierendes Verschulden zu erblicken.
Ein kumulativer Tatvorwurf auch hinsichtlich § 4 Abs.1 lit.a in Verbindung mit § 4 Abs.5 StVO scheint hier insbesondere auch vor dem Hintergrund unzulässig, weil die Erfüllung der Verpflichtung nach Abs. 5 leg.cit. letztlich ein Verlassen der Unfallstelle bedingt hätte wobei der Tatunwert – abgesehen von einem gigantischen Stau der im Falle des Stehenbleibens erzeugt worden wäre – alleine in der Ahndung der unterbliebenen Meldepflicht das in Realkonkurrenz und in eintätigem Zusammentreffen bewirkte Fehlverhalten erschöpfend sanktioniert ist (vgl. h. Erk. v. 7.6.2000, VwSen-106982/13/Br/Bk mit Hinweis auf h. Erk. v. 5.8.1999, 106532/2/Gf/Km u.a).
Zum Kumulationsprinzip im Verwaltungsstrafverfahren ist in diesem Zusammenhang festzustellen, dass im Falle eines zeitlichen, örtlichen und sachlicher Einheit darstellenden, sowie von einem Gesamtvorsatz getragenen Tathandlungen als Tateinheit zu sehen sind (Stadlmayer ZVR 1980, 65; mit Hinweis auf VwGH 26. 4. 1973, 601/72; 20.11.1974, 587/74; sowie auch ZfVB 560/1976, 988/1976).
Dies trifft insbesondere auf diese Fallgestaltung zu, zumal vom Berufungswerber das Unfallereignis tatsächlich nicht bemerkt worden sein dürfte!
Die verfassungsrechtliche Grenzen einer Doppel- oder Mehrfachbestrafung im Sinne des Art.4 Abs.1 des 7. ZPEMRK findet sich dort, "wo der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft, sodass ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mitumfasst" (VfGH 5.12.1996, G9/96 u.a. mit Hinweis auf VfGH 11.3.1998, G262/97,G328/97 und auf Kienapfel, Grundriss des österreichischen Strafrechts, 6. Aufl., 1996, 245).
Von einer kumulativen Bestrafung des § 4 Abs.1 lit.a und des § 4 Abs.5 StVO war hier daher Abstand zu nehmen, wobei nicht zuletzt insbesondere vor dem Hintergrund der Verkehrskehrslage auch die Erfüllung der Meldepflicht nach Abs.5 leg.cit. ein Verlassen der Unfallstelle bedingt hätte (vgl. h. Erk. v. 7.6.2000, VwSen-106982/Br mit Hinweis auf 5.8.1999, 106532/2/Gf/Km u.a).
Das Straferkenntnis war demnach im Puntk 1.) zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren mangels diesbezüglich nachweisbaren Verschuldens nach § 45 Abs.1 Z1 VStG zumindest im Zweifel einzustellen.
Im Hinblick auf die unterbliebene Meldepflicht ist dem Berufungswerber zumindest Fahrlässigkeit vorzuwerfen, weil er nicht jenen Sorgfalsmaßstab anlegte der von ihm angesichts der knappen Vorbeifahrt und des dabei verursachten Schadens auch nicht im Nachhinein durch Nachschau an seinem Fahrzeug und folglich mit einer Meldung „absicherte“.
5.2. Da weder das VStG noch das AVG einen Ersatz von Vertretungskosten im Verwaltungsstrafverfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat im Fall der Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens vorsieht, war der in der Berufung gestellte Antrag auf Ersatz der mit der annwaltlichen Vertretung verbundenen Kosten abzuweisen (vgl. VwGH 9.1.2001 97/21/0466).
6. Bei der Strafzumessung ist gemäß § 19 VStG Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, sowie der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Überdies sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der § 32 bis § 35 StGB (Strafgesetzbuch) sinngemäß anzuwenden.
6.1. Konkret ist hier zur Strafzumessung auszuführen, dass es sich beim Berufungswerber um eine seit Jahrzehnten offenbar unbeanstandet und korrekt 77-jährige am Straßenverkehr teilnehmende Person handelt. Dies ist ihm jedenfalls als strafmildernder Umstand zu werten. Angesichts des Pensionsbezuges in Höhe von nur 1.100 Euro bedarf es – im Gegensatz zu den erstinstanzlichen Präventionsüberlegungen – keiner nachhaltigen Bestrafung um den Berufungswerber von weiteren derartigen Handlungen abzuhalten.
Sein Fehlverhalten im Hinblick auf die ebenfalls unterbliebene Meldepflicht ist somit von bloß geringer subjektiver Tatschuld umfasst zu sehen, sodas mit der nunmehr verhängten Geldstrafe ebenfalls das Auslangen gefunden werden kann.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
Hinweis:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.
Dr. B l e i e r