Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-720276/2/Gf/Mu

Linz, 26.07.2010

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Grof über die Berufung des x gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 22. Juni 2010, GZ Sich40-24072-2006, wegen der Erlassung eines auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbotes zu Recht erkannt:

Der Berufung wird insoweit stattgegeben, als der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an den Bezirkshauptmann von Vöcklabruck zurückverwiesen wird.

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs. 2 AVG.

Entscheidungsgründe:

 

 

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 22. Juni 2010, GZ Sich40-24072-2006, wurde gegen den Rechtsmittelwerber, einen marokkanischen Staatsangehörigen, ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen; gleichzeitig wurde verfügt, dass er „das Bundesgebiet der Republik Österreich bis zum 1. August 2010 zu verlassen“ habe.

 

Begründend wurde hierzu im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer mit einer deutschen Staatsbürgerin verheiratet sei und zwei minderjährige Kinder habe, die ebenfalls über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügen. Er habe sich seit dem 19. Mai 2006 rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten und sei im Besitz einer Daueraufenthaltskarte, die bis zum 8. Mai 2016 gültig sei.

 

Allerdings sei ihm mittlerweile zum zweiten Mal seine Lenkerberechtigung wegen einer Übertretung des § 5 der Straßenverkehrsordnung – zuletzt auf 12 Monate – entzogen worden; zudem seien über ihn im Zeitraum vom 7. Februar 2007 bis zum 10. Mai 2010 insgesamt 15 rechtkräftige Verwaltungsstrafen, darunter auch zwei Geldstrafen wegen gravierender Alkoholdelikte im Straßenverkehr, verhängt worden. Weiters sei er durch das BG Frankenmarkt wegen des Vergehens der Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe verurteilt worden, während ein Verfahren betreffend den Verdacht einer Körperverletzung gemäß § 190 Z. 2 StPO eingestellt worden sei. Daraus zeige sich insgesamt, dass er nicht gewillt sei, essentielle staatliche Ordnungsvorschriften zu respektieren.

 

Hinsichtlich seiner familiären Situation sei davon auszugehen, dass seine Gattin einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt habe, sodass für sie eine entsprechende Verdienstmöglichkeit bestehe. Zudem würde sie bereits und könne sie auch weiterhin entsprechende Sozialleistungen in Anspruch nehmen, sodass seine Gattin auch alleine für den notwendigen Familienunterhalt aufkommen könne. Darüber hinaus könne der Beschwerdeführer seine Familie auch vom Ausland aus finanziell unterstützen. Da seine Gattin und seine Kinder deutsche Staatsbürger seien, unterlägen diese auch keiner Einreisebeschränkung in andere Staaten, insbesondere auch nicht in den Heimatstaat des Rechtsmittelwerbers.

 

Zudem sei der Beschwerdeführer nahezu während fast der Hälfte seines rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich arbeitslos gewesen, weshalb auch nicht von einer beruflichen Integration ausgegangen werden könne, wenngleich auf Grund seiner persönlichen und familiären Umstände wohl eine gewisse sprachliche Integration gegeben sei. Schließlich sei er auch der Aufforderung zur Stellungnahme bezüglich der familiären Situation in seinem Heimatland nicht nachgekommen, weshalb davon auszugehen gewesen sei, dass eine dementsprechende Bindung noch immer gegeben sei.

 

All dies berücksichtigende sei daher die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes v.a. deshalb dringend geboten, weil sein persönliches Verhalten – insbesondere das mehrfache Lenken eines Fahrzeuges in alkoholisiertem Zustand – unzweifelhaft eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Dieser Umstand sei daher höher als der gleichzeitige Eingriff in das Privat- und Familienleben zu bewerten.

 

1.2. Gegen diesen ihm am 25. Juni 2010 zugestellten Bescheid richtet sich die vorliegende, am 2. Juli 2010 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebene Berufung.

 

Darin bringt der Rechtsmittelwerber vor, dass die von ihm begangenen Verwaltungsübertretungen – auch im Zusammenhang mit der hier maßgeblichen strafrechtlichen Verurteilung – nicht für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ausreichen würden. Denn nach § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes könne eine einzige geringfügige strafrechtliche Verurteilung eine solch einschneidende Maßnahme nicht rechtfertigen. Vielmehr wäre von seinem gesamten persönlichen Verhalten auszugehen gewesen, dessen Beurteilung im Ermessen der belangten Behörde liege. In diesem Zusammenhang habe er bereits in seiner im erstbehördlichen Verfahren abgegebenen Stellungnahme auf seine persönlichen Probleme hingewiesen: Insbesondere die Trennung von seiner Familie wäre sowohl für sein Frau und seine beiden Kinder als auch für ihn selbst ein derart schwerer Schlag, dass er dadurch seinen gesamten Lebensinhalt verlieren würde; außerdem habe er trotz entsprechender Bemühungen bis dato keine langfristige Anstellung finden können. In seinem Heimatstaat würden zwar noch seine pflegebedürftigen Eltern und einige Verwandte leben; diese würden ihn jedoch deshalb verachten, weil er eine Europäerin geheiratet habe. Schließlich bereue er auch, dass er durch sein bisheriges rücksichtloses Verhalten weder gegenüber fremden Personen noch gegenüber seiner eigene Familie die erforderliche Verantwortung entsprechend wahrgenommen habe.

 

Aus allen diesen Gründen wird ersucht, den angefochtenen Aufenthaltsverbotsbescheid aufzuheben.

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der BH Vöcklabruck zu GZ Sich40-24259-2006; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ, die Verfahrensparteien einen entsprechenden Antrag nicht gestellt haben und fremdenpolizeiliche Angelegenheiten nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK fallen (vgl. z.B. die Nachweise bei J. Meyer-Ladewig, Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Baden-Baden 2003, RN 9 zu Art. 6), konnte im Übrigen gemäß § 67d Abs. 4 AVG von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

2.2. Nach der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden FPG), entscheiden über Berufungen gegen Entscheidungen, die auf Grund des FPG ergangen sind, die Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern; derartige Entscheidungen sind gemäß § 67a Abs. 1 AVG durch ein Einzelmitglied zu treffen.

3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1.1. Gemäß § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG gelten als „Begünstigte Drittstaatsangehörige“ solche Fremde, die zwar selbst nicht EWR-Bürger, aber – u.a. – Ehegatte eines EWR-Bürgers sind; um die Stellung eines Begünstigten Drittstaatsangehörigen erlangen zu können, muss allerdings jener EWR-Bürger, von dem diese Sonderstellung abgeleitet wird, das ihm zukommende Recht auf Freizügigkeit auch bereits tatsächlich in Anspruch genommen haben.

 

Nach § 2 Abs. 4 Z. 15 FPG ist unter diesem Recht auf Freizügigkeit das gemeinschaftliche Recht eines EWR-Bürgers, sich in Österreich für mehr als drei Monate oder auf Dauer aufzuhalten, zu verstehen, bzw. anders gewendet: Nur jene EWR-Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit tatsächlich in Anspruch genommen und sich unter den Vor­aussetzungen des § 51 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden: NAG), zulässigerweise länger als drei Monate im Bundesgebiet aufgehalten haben, sind in Österreich zur Nie­derlassung berechtigt und in diesem Sinne als freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger anzusehen.

 

Gemäß § 86 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen Begünstigte Drittstaatsangehörige – im Vergleich zur allgemeinen diesbezüglichen Bestimmung des § 60 FPG – nur unter erschwerten Voraussetzungen zulässig.    

3.1.2. Obwohl die belangte Behörde im gegenständlichen Fall selbst davon ausgegangen ist, dass die Gattin und die beiden Kinder des Rechtsmittelwerbers jeweils deutsche Staatsangehörige und damit grundsätzlich freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger sind, von denen der Beschwerdeführer seine Stellung als ein Begünstigter Drittstaatsangehöriger ableiten könnte, finden sich im erstbehördlichen Akt keinerlei Feststellungen über die offensichtlich entscheidungsrelevante Frage, ob seine Gattin oder dessen Kinder ihr Recht auf Freizügigkeit bereits tatsächlich in Anspruch genommen haben. In diese Richtung würde zumindest der Umstand deuten, dass sich aus dem Zentralen Melderegister ergibt, dass seine Gattin zum einen zwischen dem 2. Jänner und dem 28. Februar 2003 und zum anderen zwischen dem 5. Jänner und dem 14. Februar 2006 in Österreich polizeilich gemeldet war.

3.2. Weiters hat die belangte Behörde nicht berücksichtigt – und sohin auch keine dementsprechenden Ermittlungen dahin durchgeführt –, ob bzw. dass der Rechtsmittelwerber dadurch, dass er mehr als die Hälfte seines bisherigen Aufenthalts am Arbeitsmarkt tätig war, als marokkanischem Staatsbürger auf Grund des sog. "Europa-Mittelmeer-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits", ABl. v. 18. März 2000, L 70/2, einen Assoziationsstatus i.S.d. ständigen Rechtsprechung des EuGH (vgl. z.B. EuGH v. 10. Februar 2000, C-340/97) erreicht haben und ihm damit eine auf die EU-rechtliche Niederlassungsfreiheit gegründete unmittelbare Aufenthaltsberechtigung zukommen könnte.  

3.3. Aus diesen Gründen war daher der vorliegenden Berufung gemäß § 66 Abs. 2 AVG insoweit stattzugeben, als der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung durch die belangte Behörde zurückzuverweisen war.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in Höhe von 13,20 Euro entstanden; ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

Dr.  G r o f

 

Rechtssatz:

 

VwSen-720276/2/Gf/Mu vom 26. Juli 2010

 

Europa-Mittelmeer-Abkommen (ABl. 18.3.2000, L 70/2); § 2 Abs. 4 Z. 11 u. Z. 15 FPG; § 60 FPG; § 86 FPG; § 66 Abs. 2 AVG

 

Aufhebung und Zurückverweisung zur Klärung der Frage, ob der Bf. ein begünstigter Drittstaatsangehöriger ist oder ihm auf Grund des Europa-Mittelmeer-Abkommens eine unmittelbare Eu-rechtliche Niederlassungsfreiheit zukommt.

 

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