Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-164999/21/Ki/Fu/Kr

Linz, 11.08.2010

 

 

E r k e n n t n i s

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Mag. Alfred Kisch über die Berufung des X, vertreten durch Rechtsanwalt X, gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmanns des Bezirks Freistadt vom 19. Februar 2010, GZ VerkR96-456-2009, wegen zwei Verwaltungsübertretungen nach der StVO 1960, mit diesem Bescheid zu Recht erkannt:

Der Berufung wird teilweise stattgegeben und Spruchpunkt 1) zur Gänze aufgehoben sowie die zu Spruchpunkt 2) verhängte Geldstrafe auf 150 Euro und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 45 Stunden herabgesetzt. Hinsichtlich Spruchpunkt 1) wird das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt. Im Übrigen wird der Berufung keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis bestätigt.

II.     Der Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde reduziert sich auf 15 Euro. Der Berufungswerber hat keinen Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat zu leisten.

Rechtsgrundlagen:

zu I: §§ 24, 45 Abs 1 Z 2 und 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG iVm § 66 Abs 4 Allgemeines Verwal­tungsverfahrens­gesetz 1991 – AVG;

zu II: § 64 Abs 1 und 2, 65 und 66 Abs 1 VStG.


Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit Straferkenntnis des Bezirkshauptmanns des Bezirks Freistadt vom
19. Februar 2010, GZ VerkR96-456-2009, wurde der Berufungswerber (in der Folge: Bw) wie folgt für schuldig befunden:

 

"Sie haben folgende Verwaltungsübertretungen begangen:

1) Sie sind als Lenker des angeführten Fahrzeuges mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden und haben Ihr Fahrzeug nicht sofort angehalten.

Tatort: Gemeinde Freistadt, Landesstraße Ortsgebiet, Ortschaftsbereich Graben, stadteinwärts, Böhmerwald Straße B 38 bei km 102.700.

Tatzeit: 30.09.2008, 17:16 bis 17:21 Uhr.

 

2) Sie sind mit einem Verkehrsunfall mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden und haben nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle verständigt.

Tatort: Gemeinde Freistadt, Landesstraße Ortsgebiet, Ortschaftsbereich Graben, stadteinwärts, Böhmerwald Straße B 38 bei km 102.700.

Tatzeit: 30.09.2008, 17:16 Uhr.

 

Fahrzeuge:

Kennzeichen X, Sattelzugfahrzeug, Volvo FM/FH-4x2T, weiß

Kennzeichen X, Sattelanhänger, SCHMITZ scs24l. "

 

Der Bw habe dadurch § 4 Abs 1 lit a und § 4 Abs 5 StVO 1960 verletzt. Gemäß § 99 Abs 2 lit a und § 99 Abs 3 lit b StVO 1960 wurden über ihn zwei Geld­strafen in der Höhe von 250 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 84 Stunden) und 200 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 67 Stunden) verhängt.

 

Begründend führt die Behörde I. Instanz - nach Schilderung des Ablaufs des bisherigen Verfahrens und der gesetzlichen Bestimmungen - im Wesentlichen aus, dass die angelasteten Tatbestände aufgrund der Anzeige der Polizeiinspektion Freistadt und der Niederschrift des Zeugen X erwiesen seien. Die Behörde schließt ihre Begründung mit Erwägungen zum Verschulden und zur Strafbemessung, wobei die bei der Bezirkshauptmannschaft Freistadt aufscheinende verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit mildernd zu berücksichtigen gewesen sei.

 

1.2 Gegen das Straferkenntnis, das am 30. März 2010 durch Hinterlegung zugestellt wurde, erhob der Bw das Rechtsmittel der Berufung, das am 5. April 2010 – somit rechtzeitig – mittels E-Mail bei der belangten Behörde eingebracht wurde.

Gleichzeitig stellte der Bw einen Antrag auf Beigabe eines Verfahrenshilfeverteidigers. Über diesen Antrag hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich am 14. April 2010, VwSen-164999/2/Ki/Jo, negativ entschieden.

Mit Schreiben vom 14. April 2010 erhob der Bw erneut das Rechtsmittel der Berufung.

In der Berufung bestreitet der Bw im Wesentlichen den von der belangten Behörde ihrer Entscheidung zu Grunde gelegten Sachverhalt. Er bringt vor, dass er mit dem LKW die Landstraße im Ortsgebiet der Gemeinde Freistadt stadteinwärts befuhr. An der dort befindlichen Linkskurve sei er vorschriftsgemäß und äußerst rechts gefahren und habe sich an sämtliche geltenden Verkehrs- und Geschwindigkeitsvorschriften gehalten. Als er bemerkte, dass ihm auf der Gegenfahrbahn ebenfalls ein LKW entgegenkam, habe er seine Geschwindigkeit verlangsamt. Er habe festgestellt, dass der Lenker aufgrund des erweiterten Radius seines Fahrzeugs Probleme mit dem Ausfahren der für ihn geltenden Linkskurve gehabt hätte, und daher seinen LKW angehalten.

Er bringt vor, dass er sofort angehalten habe. Dies sei aus dem GPS-System erkennbar. Er habe Herrn X seine Hilfe anbieten wollen. Als er Herrn X einweisen wollte, sei dieser plötzlich angefahren, mit der rechts befindlichen Leitplanke kollidiert und habe sich dabei die Seitenplanke aufgeschlitzt. Richtig sei, dass er seine grüne Karte nicht vorweisen wollte, dies jedoch weil er mit der Fahrweise der Herrn X nicht einverstanden gewesen sei. Er habe Herrn X angeboten, die Polizei abzuwarten, doch dieser hätte nur seine grüne Karte gewollt. Eine Verständigung der Polizei habe Herr X strikt abgelehnt. Deswegen habe er ihm angeboten, den Namen seiner Firma und das Kennzeichen zu notieren. Es habe kein Bedarf bestanden, die Polizei zu informieren, da er damit gerechnet habe, dass Herr X sich bei der Firma des Bw melden würde und seine Bedürfnisse mit dem Chef erledigen werde. Überdies sei er mit dem Unfall in keinem ursächlichen Zusammenhang gestanden. Er fühle sich in keinem Punkt schuldig.

Schließlich stellt der Bw den Antrag auf Einstellung das gegen ihn geführten Verwaltungsverfahren sowie die Aufhebung der gegen ihn verhängten Strafe.

 

Mit Schreiben vom 23. April 2010 gab der Bw bekannt, dass er den Rechtsanwalt X mit seiner Vertretung im gegenständlichen Verfahren bevollmächtig hat und stellte die Anträge, der Unabhängige Verwaltungssenat wolle das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren ersatzlos beheben, in eventu gemäß § 45 Abs 1 VStG einstellen, in eventu die angebotenen bzw. notwendigen Beweise aufnehmen und nach erfolgter Beweisaufnahme dem Bw bzw. dessen Vertreter Akteneinsicht und die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens einräumen. Der Bw beantragt überdies die Einholung eines kfz-technischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass die Angaben des Zeugen X, wonach er, um einen Zusammenstoß zu verhindern, seinen LKW ganz nach rechts gelenkt habe und deshalb mit der Leitschiene touchiert sei, nicht stimmen können.

In der mündlichen Verhandlung am 5. Juli 2010 beantragt der Bw in eventu die Herabsetzung der Strafe.

2.1. Die Bezirkshauptmannschaft Freistadt hat die Berufung – ohne vom Instrumentarium der Berufungsvorentscheidung Gebrauch zu machen – dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich mit Schreiben vom 9. April 2010 zur Entscheidung vorgelegt.

2.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt und die Berufung, sowie durch Anberaumung und Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung am 5. Juli 2010.

An der Berufungsverhandlung haben der Bw und der Zeuge X teilgenommen. Der Vertreter der am Verfahren beteiligten Bezirkshauptmannschaft Freistadt hat sich mit Schreiben vom 1. Juli 2010 entschuldigt.

Dem Beweisantrag des Bw auf Einholung eines kfz-technischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass die Angaben des Zeugen X, wonach er, um einen Zusammenstoß zu verhindern, seinen LKW ganz nach rechts gelenkt habe und deshalb mit der Leitschiene touchiert sei, nicht stimmen können, wird nicht stattgeben. Es kommt nämlich nicht darauf an, ob es tatsächlich zu einem Zusammenstoß gekommen wäre, wenn der Zeuge nicht ausgewichen wäre.

2.3.  Aus den genannten Beweismitteln ergibt sich für den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich folgender Sachverhalt, der seiner Entscheidung zugrunde liegt:

Der Bw fuhr am 30. September 2008 um ca. 17:16 Uhr von Freistadt, im Ortschaftsbereich Graben, stadteinwärts, auf der Böhmerwald Straße B 38. Er lenkte im Auftrag der X eine Fahrzeugkombination bestehend aus dem Sattelzugfahrzeug mit dem Kennzeichen X und dem Sattelanhänger mit dem Kennzeichen X.

Bei Straßenkilometer 102,700 kam ihm Herr X ebenfalls mit einem Lastkraftwagen entgegen.

Der Straßenverlauf der B 38 macht bei km 102,700 eine enge Kurve, wobei sich auf der einen Straßenseite eine Steinmauer und auf der anderen eine Leitschiene befindet. Die höchstzulässige Geschwindigkeit beträgt 50 km/h.

Als die beiden LKW aufeinander zufuhren haben beide - aufgrund der Engstelle -  abgebremst. Sie sind aneinander vorbeigefahren, ohne einander zu berühren. Aufgrund des engen Kurvenradius und der Bremsung wich Herr X mit seinem LKW dennoch aus und kollidierte mit der Leitschiene, wobei sein LKW leicht beschädigt wurde. Aufgrund des Touchierens mit der Leitplanke ist die Plane des LKWs aufgerissen (Schadenshöhe ca. 150 Euro).

Nachdem sie aneinander vorbeigefahren sind, haben sowohl Herr X als auch – nach einem kurzen Bremsvorgang – der Bw angehalten. Die beiden sind daraufhin ausgestiegen und haben sich unterhalten, wobei Herr X den Bw aufforderte, ihm seine Versicherungsdaten mitzuteilen. Der Bw wollte ihm seine Versicherungskarte nicht geben, jedoch die Daten seines Fahrzeuges und seiner Firma. Herr X drohte dem Bw die Polizei zu holen. Der Bw meinte daraufhin er könne das ruhig machen und ist zu seinem LKW zurückgegangen und davon gefahren. Der Bw hat die Polizei nicht gerufen. Zum Austausch von Namen und Anschriften ist es nicht gekommen.

Auf der Fahrbahn hat sich zwischenzeitlich ein Stau gebildet. Darin stand auch die Polizei. Nachdem sich der Bw entfernt hatte, ging Herr X zum Polizeiwagen. Die Polizisten haben daraufhin die Daten aufgenommen und ein Polizist hat auch versucht, den Bw zu verfolgen, ihn jedoch nicht mehr einholen können.

2.4. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergibt sich aus den angeführten Beweismitteln. Widersprüche ergaben sich hinsichtlich des Zeitpunkts des Eintritts des Schadens am LKW des Herrn X.

Während der Bw in seiner Berufung behauptete, Herr X sei, nachdem beide schon angehalten hatten, plötzlich wieder angefahren, mit der rechts befindlichen Leitplanke kollidiert und habe sich dabei die Seitenplanke aufgeschlitzt, sagte Herr X in der mündlichen Verhandlung aus, dass er die Leitschiene schon beim Ausweichmanöver touchiert habe und nicht erst nachdem er schon einmal angehalten hatte.

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich schenkt im Rahmen der freien Beweiswürdigung der Aussage des Herrn X Glauben, da sich der Bw bei seinem Vorbringen selbst widerspricht. Während er in der schriftlichen Berufung ausführte, Herr X habe die Plane dadurch beschädigt, dass er – nachdem er schon stehen geblieben war – wieder anfuhr und somit die Plane beim Vorwärtsfahren beschädigt habe, sagte er in der mündlichen Verhandlung aus, er könne sich nicht mehr erinnern, wann und wie die Plane beschädigt wurde. Er habe nur im Rückspiegel gesehen, wie Herr X den Rückwärtsgang einlegte und rückwärts fuhr und sodann habe er ein Quietschen vernommen.

Überdies erscheint es nach allgemeiner Lebenserfahrung überzeugend, dass Herr X aufgrund des nachkommenden Verkehrs gar nicht mehr rückwärts fahren konnte, es bedurfte dazu der Hilfe der Polizei. Dies spricht gegen die Richtigkeit der Aussagen des Bw in der mündlichen Verhandlung.

3. In der Sache selbst hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

3.1. Da im angefochtenen Straferkenntnis keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, ist der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Entscheidung durch eines seiner Mitglieder berufen (§ 51c VStG).

3.2. Die Berufung wurde – wie bereits unter Punkt 1.2. dargelegt – rechtzeitig eingebracht.

3.3. Die maßgeblichen Bestimmungen StVO 1960 lauten in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung – spätere iSd § 1 Abs 2 VStG günstigere Bestimmungen wurden nicht erlassen – auszugsweise wie folgt:

 

"§ 4 Verkehrsunfälle

(1) Alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhange steht, haben

            a) wenn sie ein Fahrzeug lenken, sofort anzuhalten,

            b) - c)   ....

(2) - (4) ...

(5) Wenn bei einem Verkehrsunfall nur Sachschaden entstanden ist, haben die im Abs. 1 genannten Personen die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Eine solche Verständigung darf jedoch unterbleiben, wenn die im Abs. 1 genannten Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben.

(5a) - (6) ..."

 

 

"§ 99 Strafbestimmungen

(1) - (1b) ...

(2) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 36 Euro bis 2 180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von 24 Stunden bis sechs Wochen, zu bestrafen,

            a) der Lenker eines Fahrzeuges, dessen Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall           in ursächlichem Zusammenhang steht, sofern er den Bestimmungen des § 4 Abs. 1 und 2    zuwiderhandelt, insbesondere nicht anhält, nicht Hilfe leistet oder herbeiholt oder nicht die             nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle verständigt,

            b) -  f) ...

(2a) -  (2e) ...

(3) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe bis zu 726 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest bis zu zwei Wochen, zu bestrafen,

            a) ...

            b) wer in anderer als der in Abs. 2 lit. a bezeichneten Weise gegen die Bestimmungen des           § 4 verstößt, insbesondere die Herbeiholung einer Hilfe nicht ermöglicht, den bei einem Verkehrsunfall entstandenen Sachschaden nicht meldet oder als Zeuge eines Verkehrsun-         falles nicht Hilfe leistet,

            c) - j) ...

(4) - (7) ..."

3.4. Zu Spruchpunkt 1) des Straferkenntnisses des Bezirkshauptmanns von Freistadt vom 19. Februar 2010:

Dem Bw wurde vorgeworfen als Lenker des angeführten Fahrzeuges mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden zu haben und sein Fahrzeug nicht sofort angehalten zu haben.

Mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht auf jeden Fall das Verhalten des davon unmittelbar betroffenen Fahrzeuglenkers oder Fußgängers (Pürstl, StVO12 § 4 [Anm 3]). Da die beiden LKW jedoch nicht kollidiert sind, war der Bw vom Verkehrsunfall nicht unmittelbar betroffen.

Aber auch Personen, die vom Unfall nicht unmittelbar betroffen sind, können mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang stehen, nämlich dann, wenn sie den unmittelbar Betroffenen zu einem Verhalten veranlasst haben, das schließlich zu einem Verkehrsunfall führte. So steht etwa das Verhalten des Beifahrers, der den Lenker an der ordnungsgemäßen Bedienung des Fahrzeuges hindert, mit einem Verkehrsunfall ebenso in ursächlichem Zusammenhang wie das Verhalten eines Fußgängers, der auf einem Gehsteig nicht ausweicht und einen anderen Fußgänger dadurch zwingt, auf die Fahrbahn und unmittelbar vor ein herannahendes Fahrzeug zu treten (Pürstl, StVO12 § 4 [Anm 3]). Die Tatsache, dass die beiden LKW gleichzeitig in eine enge Kurve eingefahren sind, veranlasste Herrn X auszuweichen, wodurch er mit der Leitschiene touchierte und seinen LKW beschädigte.

Bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhanges ist die sich der Eliminationsmethode bedienende Äquivalenztheorie (condicio sine qua non) maßgebend. Die Frage der Rechtswidrigkeit oder des Verschuldens ist dabei nicht zu prüfen (Pürstl, StVO12 § 4 [Anm 4]). Unter Anwendung der Äquivalenztheorie gelangt man zu dem Ergebnis, dass wenn die beiden LKW nicht gleichzeitig in die enge Kurve gefahren wären, Herr X sich nicht veranlasst gesehen hätte, auszuweichen. Darauf, ob der Bw rechtswidrig oder schuldhaft gehandelt hat, kommt es dabei nicht an.

Damit stand der Bw mit dem Verkehrsunfall in einem ursächlichen Zusammenhang. Ihn traf damit die Verpflichtung des § 4 Abs 1 lit a StVO, nämlich die Verpflichtung, sofort anzuhalten.

Nachdem die beiden LKW aneinander vorbeigefahren sind, hielt der Bw seinen LKW sofort an und kam nach einem Bremsweg von ca. 50 m zum Stehen. Er hat also seinen LKW entsprechend der Vorschrift des § 4 Abs 1 lit a angehalten.

Die belangte Behörde hat sich in ihrer Begründung jedoch auf eine Entscheidung des VwGH (VwGH 16.04.1997, 96/03/0334) gestützt, wonach die Anordnung des § 4 Abs 1 lit a StVO, das Fahrzeug sofort anzuhalten, den Zweck hat, dass der Lenker, nachdem er sich vom Ausmaß des Verkehrsunfalles überzeugt hat, die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen, so insbesondere die nach § 4 Abs 1 lit b und c, Abs 2 und 5 StVO vorgesehenen, trifft. Daraus folgt, dass der mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang stehende Lenker eines Kraftfahrzeuges der Anhaltepflicht nicht schon dadurch nachkommt, dass er das Fahrzeug kurzfristig an der Unfallstelle zum Stillstand bringt, im übrigen aber - ohne sich um die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen zu kümmern - mit dem Fahrzeug die Unfallstelle wieder verlässt.

Dazu ist festzuhalten, dass der Bw nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenats nicht nur kurzfristig angehalten hat, sondern ausgestiegen ist und sich mit Herrn X unterhalten hat. Auch wenn der Bw in der Folge weder seine Daten bekannt gegeben noch die Polizei verständigt hat, kann ihm nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenats nicht deswegen vorgeworfen werden, nicht angehalten zu haben. Dies entspricht auch der Judikatur des VwGH. So hat der VwGH in seiner Entscheidung vom 21.12.1988, GZ 88/18/0336 judiziert: "Hat ein Fahrzeuglenker, dessen Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden ist, nach dem Verkehrsunfall angehalten, sein Fahrzeug verlassen und die für die Einleitung der nach § 4 Abs 1 lit b und lit c StVO, § 1 Abs 2 StVO und § 4 Abs 5 StVO vorgesehenen Maßnahmen erforderlichen Schritte, nämlich die Prüfung der Folgen des Verkehrsunfalles gesetzt, dann ist er damit dem im § 4 Abs 1 lit a StVO normierten Gebot nachgekommen. Dass er möglicherweise sodann den im § 4 Abs 1 lit b und lit c, § 4 Abs 2 StVO und § 4 Abs 5 StVO gestellten Anforderungen nicht entsprochen hat, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern."

Schon aus diesem Grund war daher der vorliegenden Berufung gemäß § 24 VStG iVm § 66 Abs 4 AVG hinsichtlich Spruchpunkt 1) stattzugeben und Spruchpunkt 1) des angefochtenen Straferkenntnisses aufzuheben.

Darüber hinaus ist das Strafverfahren hinsichtlich der Übertretung des § 4 Abs 1 lit a StVO gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG einzustellen, da der Bw die ihm angelastete Verwaltungsübertretung nicht begangen hat.

3.5. Zu Spruchpunkt 2) des Straferkenntnisses des Bezirkshauptmanns von Freistadt vom 19. Februar 2010:

Dem Bw wurde von der belangten Behörde vorgeworfen, mit einem Verkehrsunfall mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden zu sein und  nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle verständigt zu haben.

Dass der Bw mit dem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang stand, wurde bereits oben festgestellt. Darüber hinaus besteht die Meldepflicht nach § 4 Abs 5 StVO 1960 nur dann, wenn eine Sachbeschädigung tatsächlich eingetreten ist. Der Tatbestand nach Abs 5 ist aber auch dann gegeben, wenn dem Täter objektive Umstände zum Bewusstsein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zum Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermocht hätte (VwGH 22. 3. 2000, 99/03/0469). Durch das Ausweichmanöver ist beim LKW des Herrn X ein Schaden eingetreten. Der Eintritt eines Schadens war auch dem Bw bewusst, auch wenn er behauptete, der Schaden sei erst entstanden, als Herr X den LKW erneut in Bewegung setzte.

Nach der Judikatur der Höchstgerichte verpflichtet auch eine nur geringfügige Beschädigung, wie das Verbiegen einer Stoßstange oder leichte Lackschäden, zur Verständigung der nächsten Sicherheitsdienststelle (VwGH 4. 10. 1973, 1229/72, ZVR 1974/148; 25. 4. 2001, 2001/03/0100).

Der Bw hat jedoch die Polizei nicht verständigt, sondern hat den Unfallort ohne weitere Vorkehrungen verlassen. Da auch keine Daten iSd § 4 Abs 5 2. Satz ausgetauscht wurden, hat er damit den objektiven Tatbestand des § 4 Abs 5 StVO 1960 erfüllt.

Wenn der Bw in der mündlichen Verhandlung aussagt, er habe nicht gewusst, dass er verpflichtet ist, nach einem Unfall die Polizei zu verständigen und er hätte nach seinem Verständnis alles getan, was nötig war, so mag dies sein Verschulden nicht ausschließen.

Bei § 99 Abs 3 lit b iVm § 4 Abs 5 StVO 1960 handelt es sich um ein sogenanntes Ungehorsamsdelikt. Da der Tatbestand nicht ausdrücklich das Vorliegen von Vorsatz verlangt, ist nach § 5 Abs 1 2. Satz VStG fahrlässiges Handeln anzunehmen. Diese Vermutung ist jedoch widerlegbar. Wenn der Bw die Unkenntnis der Rechtsvorschrift geltend macht und so versucht, darzulegen, dass er nicht schuldhaft gehandelt habe, so ist dazu festzuhalten, dass ein solcher Rechtsirrtum nur dann exkulpiert, wenn er erwiesenermaßen unverschuldet ist. Als Inhaber einer Berechtigung zum Lenken von Fahrzeugen liegt es in der Sphäre des Bw sich über seine Pflichten als Fahrzeuglenker zu informieren. Dazu zählen auch jene Pflichten, welche im Zusammenhang mit Verkehrsunfällen einzuhalten sind. Es ist damit fahrlässiges Handeln anzunehmen, da dem Bw der Entlastungsbeweis nicht gelungen ist.  

Gemäß § 19 Abs 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.

Gemäß § 19 Abs 2 VStG sind im ordentlichen Verfahren überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechts sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

Gemäß § 99 Abs 3 lit b StVO 1960 beträgt der Strafrahmen für das Verkehrsdelikt bis zu 726 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit Arrest bis zu zwei Wochen.

Im Verfahren sind keine Erschwerungsgründe hervorgekommen. Als mildernd ist die bei der Bezirkshauptmannschaft Freistadt aufscheinende verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit zu berücksichtigen.

Der Bw war die letzten 18 Monate arbeitslos und geht erst seit kurzem wieder einer regelmäßigen Arbeit nach. Über sein Einkommen machte er jedoch keine weiteren Angaben. Der Bw ist sorgepflichtig für 2 Kinder und besitzt kein Vermögen.

Angesichts des Milderungsgrundes und der lang andauernden Arbeitslosigkeit des Bw kommt der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich dem Antrag des Bw auf Herabsetzung der Strafe nach und setzt diese mit 150 Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit mit Arrest von 45 Stunden, fest. Die Geldstrafe steht damit in einem angemessenen Verhältnis zur Einkommens- und Vermögenssituation des Bw.

Der Berufung wird daher hinsichtlich Spruchpunkt 2) insofern Folge gegeben, als die verhängte Geldstrafe auf 150 Euro und die Ersatzfreiheitsstrafe auf
45 Stunden herabgesetzt werden. Im Übrigen wird der Berufung keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis bestätigt.

4. Aufgrund des Umstandes, dass Spruchpunkt 1) zur Gänze aufgehoben wurde und hinsichtlich Spruchpunkt 2) die verhängte Geldstrafe herabgesetzt wurde, war auch der Beitrag zu den Verfahrenskosten der ersten Instanz, welcher gemäß § 64 VStG 10 % der verhängten Geldstrafe beträgt, entsprechend herabzusetzen. Da die Berufung teilweise Erfolg hatte, waren die Kosten des Berufungsverfahrens gemäß § 65 VStG dem Bw nicht aufzuerlegen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

Mag. Alfred Kisch

 

 

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum