Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-165049/13/Bi/Kr

Linz, 04.10.2010

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Karin Bissenberger über die Berufung des Herrn X, vertreten durch Herrn RA X, vom 22. April 2010 gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptfrau von Rohrbach vom 6. April 2010, VerkR96-135-2010-Hof, wegen Übertretungen der StVO 1960, aufgrund des Ergebnisses der am
16. September 2010 durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:

 

            I.      Die Berufung wird abgewiesen und das angefochtene Strafer­kenntnis in beiden Punkten hinsichtlich Schuld und Strafe bestätigt.

 

        II.      Der Rechtsmittelwerber hat zusätzlich zu den Verfahrenskosten der Erstinstanz Beträge von 1) 50 Euro und 2) 40 Euro, gesamt 90 Euro,  ds 20 % der verhängten Strafen, als Kostenbeitrag zum Rechts­mittelverfahren zu leisten.

 

Rechtsgrundlage:

zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1, 51i und 19 VStG

zu II.: § 64 VStG

 

Entscheidungsgründe:

 

Zu I.:

1. Mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis wurden über den Beschuldigten wegen Verwaltungsübertretungen gemäß 1) §§ 4 Abs.1 lit.a iVm 99 Abs.2 lit.a StVO 1960 und 2) §§ 4 Abs.5 iVm 99 Abs.3 lit.b StVO 1960 Geldstrafen von 1) 250 Euro (120 Stunden EFS) und 2) 200 Euro (96 Stunden EFS) verhängt, weil er am 12. Jänner 2010 um 16.10 Uhr in Linz, Umfahrung Ebelsberg, Höhe Strkm 1.8, Fahrtrichtung stadtauswärts, als Lenker des Sattelzugfahrzeuges, Kennzeichen X (A), mit dem Sattelanhänger X (A)

a) mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei und sein Fahrzeug nicht sofort angehalten habe,

b) mit einem Verkehrsunfall mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei und nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle verständigt habe.

Gleichzeitig wurden ihm Verfahrenskostenbeiträge von gesamt 45 Euro auferlegt.

 

2. Dagegen hat der Berufungswerber (Bw) fristgerecht Berufung eingebracht, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem Unabhängigen Ver­wal­tungs­senat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da keine 2.000 Euro über­steigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch das nach der Geschäftsver­teilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 51c VStG). Am
16. September 2010 wurde eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung in Anwesenheit des Bw, seines Rechtsvertreters RA X, der Zeugen X (H) und X (M) und des kfztechnischen Amtssachverständigen X (SV) durchgeführt. Die Ver­treterin der Erstinstanz war entschuldigt. Auf die mündliche Verkündung der Berufungsentscheidung wurde verzichtet. 

 

3. Der Bw macht im Wesentlichen geltend, er sei auf die offenbar erfolgte leichte Streifung zwischen dem von ihm gelenkten Lkw und dem Pkw in keiner Weise aufmerksam geworden. Es sei nur eine leichte Berührung gewesen, die weder durch eine Erschütterung noch akustisch wahrnehmbar gewesen sei. Der Lkw verfüge wohl über einen Rückspiegel und einen Weit­winkel­spiegel, aber nicht um einen Anfahrspiegel, da ein solcher beim ggst Baujahr noch nicht zwingend vorgeschrieben gewesen sei. Nachdem er bei der ggst Fahrbahnverengung sehr wohl in den Rückspiegel und den Weitwinkel­spiegel geblickt, aber kein Fahrzeug bemerkt habe, sei er davon ausgegangen, dass sich der fragliche Pkw in einem Bereich nahe der Fahrzeugfront befunden habe, der nur durch einen Anfahr­spiegel erkennbar gewesen wäre, ev. beim rechten vorderen Stoßstangeneck.  

Da ihm der Pkw bei seinem Spurwechsel auch im Rampenspiegel nicht aufgefallen sei, müsse sich dieser bei seinem Verlenken rechts vorne neben dem Lkw im Abstand von vorerst mehr als einem Meter befunden haben. Er habe, da er aufgrund eines Blickes in die ihm zur Verfügung stehenden Spiegeln davon ausgegangen sei, dass sich rechts neben ihm kein weiteres Fahrzeug oder sonstiges Hindernis befinde, den Spurwechsel vorgenommen und sich dann wieder auf das vor ihm befindliche Fahrzeug konzentriert, um nicht auf die Kolonne aufzufahren. Dabei dürfte es zur Streifung gekommen sein. Er gehe, da keine Touchierung mit dem Auflieger erfolgt sei, davon aus, dass der Pkw-Lenker dann nach rechts verlenkt habe – sonst hätte es wegen der engen Schleppkurve des Aufliegers zu einer weiteren Kollision mit dem Auflieger kommen müssen – sodass auch bei der weiteren Fahrt im Spiegel der Seitenabstand nicht auffällig gewesen sei. Er habe bei der Weiterfahrt nach dem problemlosen Spurwechsel nicht mehr in den Rückspiegel geblickt, sondern auf das Verkehrsgeschehen vor sich geachtet, da sich die Kolonne wieder in Bewegung gesetzt habe. Es habe ihn auch niemand auf die Streifung aufmerksam gemacht. Der Bw beantragt seine Einvernahme, die Durchführung einer Sichtprobe im ggst Lkw und die Einholung eines kfztechnischen SV-Gutachtens eines anderen SV als im erst­instanz­lichen Verfahren.

Er habe im Kolonnenverkehr gar keine Möglichkeit gehabt, quasi als schuldiger Lenker zu entwischen und habe auch kein Interesse daran gehabt, nicht sofort anzuhalten, einen Identitätsaustausch vorzunehmen oder Unfallmeldung bei der Polizei zu erstatten. Es bestehe nicht einmal ein Bonus-Malus-System, sodass er durch die Unfallmeldung auch keinen Nachteil erlitten hätte. Jedoch habe er die relativ geringe Streifung weder in direkter Sicht noch bei einem Blick in die ihm zur Verfügung stehenden Spiegel erkennen können, sodass ihn am Nichtanhalten und an der Nichtverständigung der nächsten Polizeidienststelle ohne unnötigen Aufschub kein Verschulden treffe. Beantragt wird Verfahrenseinstellung, jeden­falls eine mündliche Berufungsverhandlung.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz sowie Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung, bei der der Bw sowie sein Rechtsvertreter gehört, die Ausführungen der Erstinstanz in der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses berücksichtigt, die beiden Zeugen unter Hinweis auf die Wahrheitspflicht des § 289 StGB einvernommen und auf dieser Grundlage ein kfz-­technisches Gutachten durch den Amtssachverständigen X erstellt wurde.

 

Folgender Sachverhalt ist entscheidungswesentlich:

Der Zeuge M lenkte am Dienstag, dem 12. Jänner 2010, gegen 16.10 Uhr den Pkw X, einen dunkelblauen VW Passat Kombi auf der Umfahrung Ebelsberg auf dem rechten der beiden geradeaus führenden Fahr­streifen, auf denen zu dieser Zeit dichter Kolonnen­verkehr mit geringer Geschwindigkeit herrschte, von der Kreuzung mit der Lunzerstraße kommend in Richtung Mona Lisa Tunnel. Nach der Kreuzung etwa bei km 1.8 vereinigen sich die beiden geradeaus führenden Fahrstreifen zu einem, wobei der linke in den weiterführen­den rechten Fahr­streifen mündet. Der Zeuge M ließ den auf der linken Spur befindlichen Pkw der Zeugin H vor seinem einordnen, indem er Gas wegnahm. Als sich die Zeugin H eingeordnet hatte und der Zeuge M hinter deren Pkw weiterfahren wollte, sah er plötzlich die Frontpartie des vom Bw gelenkten Sattelzugfahrzeuges links direkt neben sich und im gleichen Moment streifte die rechte Seite des Sattelzugfahrzeuges mit der linken Seite des Pkw M, worauf der Zeuge M eine Vollbremsung fast bis zum Stillstand durchführte, während der Bw seine Fahrt fortsetzte, sich auf dem einen verbleibenden Fahrstreifen einordnete und in Richtung Mona Lisa Tunnel weiterfuhr.

Die Zeugin H beobachtete bei der Weiterfahrt nach dem Einordnen vor dem Pkw M den Vorfall hinter sich im Innenspiegel und hatte nach eigenen Angaben den Eindruck, als würde der Pkw M vom Sattelzugfahrzeug geradezu seitlich wegge­schoben. Da der Sattelzug hinter ihr einfach weiterfuhr, beschloss sie, den Lenker darauf aufmerksam zu machen, dass etwas passiert sein müsse, zumal sie den Pkw M nicht mehr sah, und hielt dazu ihre Hand beim linken geöffneten Seiten­fenster hinaus und bewegte sie auf und ab. Nach ihren Angaben reagierte der Bw darauf in keinster Weise, sondern schloss ihrem Eindruck nach so schnell auf ihren Pkw auf, dass sie Gas gab und weiterfuhr. Nach dem Tunnel bog sie nach rechts in Richtung Kaserne ein und fuhr zur PI X, wo sie über den Vorfall Meldung erstattete.

Der Zeuge M fuhr hinter dem Bw nach in der Hoffnung, der Lenker des Sattelzuges würde je nach Möglichkeit irgendwo stehenbleiben, was aber nicht geschah. Da dieser nach dem Passieren des Tunnels in Richtung Kaserne fuhr, fuhr er ihm nach und bog hinter diesem in Richtung Autobahn ein, wobei er feststellte, dass der Lenker über eine unzulässige Auffahrt auf die A1 fuhr, ohne sich um seine Lichtzeichen zu kümmern. Auf der A1 telefonierte er mit der Polizei, merkte sich die Kennzeichen des Sattelzuges und fuhr zur PI X, wo man ihn an das Verkehrs­kommando verwies. Dort wurde die Anzeige aufge­nommen, der Pkw fotografiert und man teilte ihm mit, es habe sich noch ein Zeuge zu diesem Vorfall gemeldet.

 

Der Bw bemerkte nach eigenen Angaben von alledem nichts. Er habe bei der Kreuzung mit der Lunzerstraße den linken geradeaus führenden Fahrstreifen gewählt, weil er wegen der dortigen Rechtseinbieger sonst so lange warten hätte müssen, und sei dann vom linken auf den rechten Fahrstreifen gefahren, wobei ihm der Pkw M nicht aufgefallen sei. Von einer Berührung der beiden Kraftfahr­zeuge habe er weder etwas gespürt noch gesehen noch gehört und die Hand­zeichen der Zeugin H im Pkw vor sich habe er zwar gesehen, sich aber nicht erklären können, was sie wolle, und sich nicht weiter darum gekümmert. Er sei dann nach dem Tunnel in Richtung Ebelsberg gefahren und dort – unzulässiger  Weise über eine Zufahrt der Straßenmeisterei – auf die A1, wo ihm hinter dem Sattelzug ein blauer Pkw aufgefallen sei. Lichtzeichen habe er nicht gesehen; das könne er auch nicht, wenn dieser direkt hinter ihm fahre. Er habe schon gemeint, es handle sich um die Polizei, habe aber, als ihn der Pkw überholt habe, gesehen, dass kein Polizist im Fahrzeug gesessen sei. Von einem angeblichen Verkehrs­unfall habe er erst nach 18.00 Uhr durch einen Anruf vom Unfall­kommando Linz erfahren. Als er dorthin gefahren sei, sei der Sattelzug untersucht und foto­grafiert worden. Am Sattelzug­fahrzeug sei tatsächlich ein Schaden in Form von Kratzern und ein blauer Farbabrieb festgestellt worden. Der Beschädigung nach müsse sich der Pkw im toten Winkel des rechten Spiegels befunden haben. Er habe von einer Streifung nichts wahrgenommen und weder ein Hupen gehört noch die Zeichen der Zeugin H deuten können. Er habe sich hinter der Zeugin H eingeordnet und sie hätten im Tunnel verkehrsbedingt auch stehenbleiben müssen; die Frau sei aber nicht ausgestiegen und er habe nicht gewusst, was sie meine. Die Frau sei in Ebelsberg irgendwo abgebogen. Der blaue Pkw sei ihm auf der A1 bis zum Puckinger Berg nachgefahren und er habe auch hinuntergesehen, als ihn dieser überholt habe. Der Lenker habe ihm kein Zeichen gegeben. Dann er sei auf einmal weg gewesen. 

 

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde anhand vom Bw vorgelegter Fotos geklärt, dass das Sattelzug­fahrzeug rechts einen Rampenspiegel aufweist und auch zwei Rückspiegel, aber aufgrund des Baujahres April 2006 kein Anfahrspiegel vorhanden ist. Erörtert wurden die Schadensfotos sowie die Schadensbeschreibung laut Anzeige (Beschädigung am Führerhaus und an der rechten Radzierkappe in 40 bis 80 cm Höhe und blaue Lackspur); demnach reicht der Schaden am Sattelzugfahrzeug vom Bereich hinter dem rechten Scheinwerfer über das Vorderrad bis vor den dahinter befind­lichen Aufstieg; der SV hat die Streifspurlänge mit ca 2m beschrieben.

Der Schaden am VW Passat reicht auf der rechten Seite von der Fahrertür bis zum hinteren Radlauf und wurde von SV ebenfalls mit ca 2 m Länge beschrieben.

Der SV hat weiters ausgeführt, dass die Dauer der Streifung, wenn man davon ausgeht, dass sich der Sattelzug von hinten dem Passat näherte, die Berührung beim linken hinteren Radlauf begann und an der Fahrertür endete, etwa 1 Sekunde dauerte. Geht man davon aus, dass die Fahrzeuge bei der Streifung eine Überdeckung von ca 2 m hatten und nur in diesem Bereich infolge einer Querbewegung eine Berührung erfolgte, war die Kontaktzeit wesentlich kürzer als 1 Sekunde.

 

Der SV hat zur Wahrnehmbarkeit einer Streifung zwischen einem Sattelzug­fahrzeug und einem Pkw ausgeführt, dass eine solche für den Lenker des Sattelzugfahrzeuges aufgrund des Umgebungslärms weder akustisch noch  wegen der Masseunterschiede durch einen Streifstoß zu spüren ist. Optisch wäre eine Kollision eventuell bei einem Blick in den entsprechenden Spiegel erkennbar. Dazu hat der SV zum Sichtbereich des Lenkers festgestellt, dass der Rampen­spiegel, ein dem Fahrer zugewandter Spiegel oberhalb des rechten Seiten­fensters, den Schadensbereich rund um das rechte Vorderrad des Sattelzug­fahrzeuges insofern abdeckt, als er vom rechten Vorderrad nach außen einen zumindest 1 m breiten Sichtbereich eröffnet. Daraus folgt, dass, wenn der Passat sich auch ursprünglich aus der Sicht des Bw im toten Winkel befunden hat, er bei der Annäherung an das Sattelzugfahrzeug bis zur Streifung und danach im Rampenspiegel sichtbar gewesen sein muss, sofern er sich näher als 1 m vom Sattelzugfahrzeug befunden hat.

Die beiden Zeugen haben ausgeführt, die Geschwindigkeit der Kolonne sei um diese Zeit niedrig gewesen, aber Stop&Go-Verkehr sei es nicht gewesen, es sei niemand gestanden; der Zeuge M hat vor der Polizei die Geschwindigkeit mit ca 40 km/h angegeben. Bei einer derartigen Geschwindigkeit hat der SV die Zeit für die Querbewegung, die der Sattelzug aufgrund der örtlichen Gegebenheiten beim Einordnen auf den weiterführenden rechten Fahrstreifen brauchte, mit 2 Sekunden bemessen. Der Passat hat sich hingegen bereits rechts befunden und für den Zeugen M bestand kein Anlass für einen Spurwechsel.

Der SV hat unter Bedachtnahme auf diese Konstellation die optische Wahrnehm­barkeit des Unfalls grundsätzlich bejaht, wenn der Bw zur Zeit der Annäherung des Passat auf den letzten einen Meter zum Sattelzugfahrzeug vor der Berührung und bei der Berührung in den Spiegel geblickt hat, dh das Zeitfenster auf 2 Sekunden bei der Querbewegung und einer Sekunde oder weniger beim Kontakt eingeschränkt.

 

Der Bw hat dazu ausgeführt, er habe den Fahrstreifen gewechselt und dazu den hinten im Rückspiegel sichtbaren Verkehr ebenso beobachten müssen wie den Verkehr vor sich, weil nicht auszuschließen gewesen sei, dass die Zeugin H verkehrs­bedingt den Pkw zum Stillstand bringen würde, dh er habe rundherum den Verkehr beobachten müssen und daher sei ihm nicht vorwerfbar, wenn er kurz, aber genau zur Zeit der Annäherung und Berührung des Passat, nicht in den Rampenspiegel geblickt habe. Der SV hat die Blickzuwendungszeit für die vom Bw in der gegebenen Verkehrssituation durchzuführenden Blicksprünge mit ca 0,5 Sekunden veranschlagt, allerdings zu bedenken gegeben, dass der Bw zusätzlich zur Blickführung über den Rampenspiegel blickführungstechnisch auch noch sowohl das rechte hintere Eck des Sattel­aufliegers beobach­ten muss, damit es beim Einscheren zu keinem Kontakt mit bereits überholten Fahrzeugen kommt, und auch nach vorne den vor ihm befindlichen Verkehr beobachten muss, um rechtzeitig reagieren zu können. Er hat aber zu Bedenken gegeben, dass wenn diese aufwän­dige Blickführung wegen des Abstandes zum Pkw H und der eingehaltenen Geschwindigkeit zu viel Zeit in Anspruch nimmt, der Lenker  im Extremfall eben kurz anhalten muss, wenn er die erforderliche Blick­führung nach vorne und in den entsprechenden Spiegeln anders nicht gewährleisten könnte.


 

Der UVS gelangt im Rahmen der Beweiswürdigung zur Ansicht, dass den Zeugen M und H, die bei der Verhandlung ruhig und sachlich die damaligen Ereignisse aus ihrer Sicht schilderten und jeweils einen sehr guten persönlichen Eindruck hinterließen, zweifellos Glaubwürdigkeit zukommt, wobei gerade der Zeuge M seine Überlegungen angesichts der unmittelbar in Form des plötzlich neben ihm auftauchenden Sattelzuges unter Bedachtnahme auf die örtlichen Gegebenheiten nachvollziehbar und schlüssig wiedergab. Die Zeugin H schilderte glaubhaft ihre Versuche, den Bw auf den plötzlich verschwundenen Pkw M hinzuweisen, wobei sie angesichts des auf sie aufschließenden Sattelzuges, der seine Geschwindig­keit offenbar weiterfuhr, schließlich aufgab. Dass sie bei einem eventuellen kurzen verkehrsbedingten Stillstand im Mona Lisa Tunnel ihren Pkw nicht verließ, um den Bw persönlich von seinem Verhalten zu unterrichten, ist für den UVS durchaus verständlich. Ebenso ist nicht verwunderlich, dass der Zeuge M dem Bw bis auf die Autobahn folgte, wobei der blaue Passat dem Bw offenbar auffiel, was bei ihm aber nur Zweifel auslöste, ob das nicht doch die Polizei sein könnte. Der Bw ist zwar als Berufskraftfahrer vermutlich einiges gewöhnt, aber dass er das Verhalten der vorher völlig unauffälligen Lenkerin eines Pkw, der gerade anstandslos vor ihm die Spur gewechselt hat und die plötzlich durch Auf- und Abbewegen der Hand beim offenen Seitenfenster hinaus versucht, seine Aufmerk­samkeit auf sich zu lenken, sofort als irrelevant ignoriert, ist doch verwunderlich, zumal er auf der Strecke nach dem Tunnel bis Ebelsberg sicher eine Möglichkeit gehabt hätte, kurz Kontakt aufzunehmen bzw eine Kontaktaufnahme durch die Lenkerin zu ermöglichen.               

 

In rechtlicher Hinsicht hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

Gemäß § 4 Abs.1 lit.a StVO 1960 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfalls­ort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, wenn sie ein Fahrzeug lenken, sofort anzuhalten.

Gemäß § 4 Abs.5 StVO haben, wenn bei einem Verkehrsunfall nur Sachschaden entstanden ist, diese Personen die nächste Polizeidienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Eine solche Verständigung darf jedoch unterbleiben, wenn die im Abs.1 genannten Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben.

Voraussetzung für die Anhalte- und Meldepflicht der lit.a und des Abs.5 ist als objektives Tatbestandsmerkmal der Eintritt eines Sachschadens und in objektiver Hinsicht das Wissen vom Eintritt eines derartigen Schadens, wobei der Tat­bestand schon dann gegeben ist, wenn dem Täter objektive Umstände zu Bewusst­sein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls mit Sachschaden zu erkennen vermocht hätte (vgl VwGH 23.5.2002, 2001/03/0417, uva).

 

Ausgehend von der Verkehrssituation des Bw ist zu bedenken, dass sich der Bw aus welchen Überlegungen immer auf dem linken geradeaus führenden Fahrstreifen befand und bei der Fahrstreifenverengung etwa in der Mitte der Strecke zwischen der Kreuzung Umfahrung Ebelsberg – Lunzerstraße und dem Mona Lisa Tunnel einen Spurwechsel nach rechts durchzuführen hatte, wobei aufgrund der Weiterführung des rechten Fahr­streifens die Querbewegung ohne jeden Zweifel vom Sattelzugfahrzeug ausgehen musste. Zur Vorfallszeit war Kolonnenverkehr auf beiden Fahrstreifen, die Geschwindigkeit war "langsam", eventuell etwas schneller als Schrittgeschwindigkeit, aber kein Stop&Go-Verkehr.

Der Bw hatte sich demnach auf den rechten Fahrstreifen einzuordnen, wobei in einer solchen Situation gemäß § 11 Abs.5 StVO 1960 auch noch das Reißverschlusssystem zur Anwendung gelangt, dh die Fahrzeuge von links und rechts haben sich jeweils im Wechsel auf dem durchgehenden Fahrstreifen einzuordnen. Da der Zeuge M als rechtes Fahrzeug demgemäß der vom linken Fahrstreifen kommenden Zeugin H das Einordnen ermöglichte, hätte nach dem Reißverschlusssystem der hinter dem Pkw H fahrende Bw warten und dem Zeugen M die Weiterfahrt auf seinem Fahrstreifen ermöglichen müssen.

Daraus folgt, dass der Bw beim Nachfahren den Pkw der Zeugin H vor sich hatte, dh von dessen Vorhandensein wusste, und sich hinsichtlich Geschwindigkeit und Abstand an diesem zu orientieren und einen entsprechenden Sicherheitsabstand einzuhalten hatte. Dem Bw musste auf der Strecke von der Kreuzung mit der Lunzerstraße her bewusst sein, dass auf beiden Fahrstreifen Kolonnenverkehr herrschte, zumal die Zeugin H in der Verhandlung aussagte, sie sei vor der letzten Ampelkreuzung zum Stehen gekommen und wieder angefahren. Der Bw hatte demnach, wie er auch in seinen beiden Rückspiegeln zweifellos erkennen konnte, rechts eine Kolonne zu beachten, auf die er schon aufgrund der Länge des Sattelzuges beim Einscheren achten musste. Allerdings ist in der StVO 1960 das Reißverschlusssystem nicht nur auf Pkw-Lenker bezogen sondern gilt zweifelsohne auch für die Lenker von Sattelzugfahrzeugen, sodass dem Bw bewusst sein musste, dass er beim Spurwechsel einem auf dem rechten Fahrstreifen befindlichen Lenker ein Einordnen vor dem Sattelzug ermöglichen muss. Davon, dass sich dort kein Fahrzeug befindet, durfte der Bw schon aufgrund des dichten Kolonnenverkehrs keinesfalls ausgehen, auch wenn sich dort auf Höhe des Sattelzugfahrzeuges befindliche Fahrzeuge möglicherweise für den Bw im toten Winkel befanden und daher im Rampenspiegel nicht bzw erst ab einem geringeren Seitenabstand als 1 m zu sehen gewesen wären, so wie der Pkw des Zeugen M.

 

Der Bw ist nach den Angaben der Zeugin H sofort hinter dieser nachgefahren, ihrem Eindruck nach mit gleichbleibenden Geschwindigkeit. Dem Zeugen M ist insofern Glauben zu schenken, wenn er angab, er habe die Zeugin H durch Gasweg­nehmen einordnen lassen und dann weiterfahren wollen, als ihm plötzlich direkt neben sich auf gleicher Höhe der Frontbereich des Sattelzuges des Bw auffiel und es unmittelbar darauf zur Kollision zwischen den Fahrzeugen kam. Vorher hatte er den Sattelzug deshalb nicht gesehen, weil er sich – vom Verkehrsaufkommen her völlig nachvollziehbar – auf den Pkw der Zeugin H konzentriert hatte.

Betrachtet man die örtlichen Gegebenheiten, so hat sich nicht der Pkw M dem Sattelzug genähert, sondern der Sattelzug hat seine Spur so gewählt, dass er sich dem einzigen verbleibenden Fahrstreifen annäherte. Der Seitenversatz ging daher vom Bw aus und nicht von Zeugen M. Der Bw, dem als Berufskraftfahrer bekannt sein musste, dass er nur im Rampenspiegel einen im ggst Fall angesichts der Kolonnensituation geradezu zu erwartenden neben ihm fahrenden und auch noch aufgrund des Reißverschlusssystems nach dem Einordnen des Pkw H vorrangigen Pkw erkennen würde können, hätte sich daher bei Aufwendung der in dieser Situation zweifellos gebotenen Sorgfalt und Aufmerksamkeit durch einen Blick in den Rampenspiegel gerade zum Zeitpunkt des Spurwechsels durch die Beobachtung des Verkehrs im Rampenspiegel versichern müssen, dass er sich keinem Pkw nähert und diesen damit in eine aufgrund der engen Platzverhältnisse mit fehlender Ausweichmöglichkeit gefährliche Situation bringt. Die Gefahrensituation war daher in diesem Moment nicht durchein eventuelles Fahrverhalten der Zeugin H, die sich ohnehin vom Bw wegbewegte, der auch einen entsprechenden Sicherheitsabstand zum Pkw H einzuhalten hatte, und auch nicht primär durch die hinten neben dem Sattelauflieger fahrenden Pkw gegeben, sondern in erster Linie dort, wo der Sattelzug im Begriff war, sich einzuordnen. Dabei ist zu beachten, dass der Bw nicht nur bei der unmittelbaren Berührung Kenntnis vom Verkehrsunfall erlangen konnte, sondern zunächst in den laut SV zwei Sekunden der Annäherung in den 1m-Bereich neben der Frontpartie des Sattelzugfahrzeuges, bei der unmittel­baren Berührung der Fahrzeuge und beim Entfernen danach aus dem Sichtbereich, wobei dem Zeugen M nachvoll­ziehbar nichts anderes übrigblieb, als sofort eine Vollbremsung fast bis zum Stillstand einzuleiten. Insgesamt blieben demnach mit Sicherheit rund 3 Sekunden, in denen der Bw trotz der ausschließlich von ihm selbst hervorgerufenen Gefahrensituation nicht in den Rampenspiegel geblickt haben kann, obwohl die Gefahr von rechts neben der Frontpartie des Sattelzuges, die nur im Sichtbereich des Rampenspiegels einsehbar war, primär zu erwarten war.        

 

Zusammenfassend vertritt der UVS die Ansicht, dass der Bw, hätte er nicht sozusagen "im Blindflug umgespurt", sondern mit entsprechender Aufmerk­samkeit in der von ihm selbst hervorgerufenen Gefahrensituation gehandelt und in den Rampenspiegel geblickt, in diesem den im Zuge der Querbewegung des Sattel­­zuges nach rechts (nur) dort erkennbaren dunkelblauen Pkw des Zeugen M im Herannahen an das Sattelzugfahrzeug sehen und die (wenn auch vielleicht letztlich nicht mehr verhinderbare) Kollision optisch zweifellos bemerken müssen.

Selbst wenn der Bw, wie er selbst angegeben hat, beim (zeitlich und örtlich nicht zuordenbaren) letzten Blick in den Rampenspiegel kein sich näherndes Fahrzeug gesehen hat, kann das wohl nicht bedeuten, dass er ab diesem Blick jegliche Gefahr von dorther gänzlich ausschließen konnte.

 

Nach Auffassung des UVS hat der Bw durch Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt einen Verkehrsunfall, an dem er durch sein verantwortungsloses Fahr­verhalten als Lenker eines Sattelzuges ursächlich beteiligt war, nicht bemerkt, obwohl er ihn bemerken hätte müssen, und dadurch beide ihm zur Last gelegten Tatbestände, nämlich das Nichtanhalten nach diesem Verkehrsunfall ebenso wie die Nichtmeldung dieses Verkehrs­unfalls mit (zum Glück nur) Sachschaden, ohne jeden Zweifel erfüllt und sein Verhalten jeweils als Verwaltungsübertretung zu verantworten, zumal ihm die Glaubhaftmachung mangelnden Verschuldens im Sinne des § 5 Abs.1 VStG nicht gelungen ist.

Angesichts der vom Bw hervorgerufenen Gefahrensituation kann beim vorwerf­baren Nichtbemerken des Verkehrsunfalls von gering­fügigem Verschulden gemäß § 21 VStG nicht die Rede sein. Der Zeuge M selbst musste sich selbst um die Feststellung der Identität des Bw kümmern, wobei das Tätigwerden der Zeugin H nicht zugunsten des Bw wirkt.

 

Zur Strafbemessung ist zu sagen, dass der Strafrahmen des § 99 Abs.2 lit.a (iVm § 4 Abs.1 lit.a) StVO 1960 von 36 Euro bis 2.180 Euro Geldstrafe, für den Fall der Uneinbringlichkeit von 24 Stunden bis 6 Wochen Ersatzfreiheitsstrafe reicht. Der Strafrahmen des § 99 Abs.3 lit.b (iVm § 4 Abs.5) StVO 1960 reicht bis 726 Euro Geldstrafe, für den Fall der Uneinbringlichkeit bis zwei Wochen Ersatzfrei­heitsstrafe.  

Die Erstinstanz hat laut Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses – völlig zu­treffend – Fahrlässigkeit unterstellt und weder strafmildernde noch straf­er­schwerende Umstände berücksichtigt und ist auch von den vom Bw selbst am 3. Februar 2010 vor der Erstinstanz angegebenen finanziellen Verhältnissen aus­gegangen (1.800 Euro netto monatlich, keine Sorgepflichten, kein Ver­mögen). Der Bw weist einige nicht einschlägige rechtskräftige Vor­merkungen aus den Jahren 2006 und 2009 auf.

In der Zusammenschau kann der UVS nicht finden, dass die Erstinstanz den ihr bei der Strafbemessung zukommenden Ermessensspielraum in irgendeiner Weise überschritten hätte. Die verhängten Strafen sind unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des § 19 VStG dem jeweiligen Unrechts- und Schuldgehalt der Übertretungen angemessen, liegen im unteren Bereich des jeweiligen gesetz­lichen Strafrahmen, halten generalpräventiven Überlegungen stand und sollen den Bw in Zukunft zu entsprechender Vorsicht und Aufmerksamkeit bewegen. 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

Zu II.:

Der Ausspruch über den Verfahrenskostenersatz ist gesetzlich begründet.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungs­ge­richtshof erhoben werden; diese ist - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils durch eine bevollmächtigte Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt einzubringen. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

Mag. Bissenberger

 

Beschlagwortung:

 

Lenker eines Sattelzugfahrzeuges hat beim Umspuren nach rechts erhöhte Aufmerksamkeit auf Verkehr rechts über dem Zugfahrzeug zu richten und im Rampenspiegel ev. Annäherung zu beobachten, um einen ev. Verkehrsunfall erkennen zu können (§§ 4 Abs.1 lit.a und 4 Abs.5 StVO) -> bestätigt.

 

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