Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-401095/4/Gf/Mu

Linz, 17.12.2010

 

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mit­glied Dr. Grof über die Beschwerde des x, vertreten durch RA x, wegen Anhaltung in Schubhaft durch den Bezirkshauptmann von Vöcklabruck seit dem 26. November 2010 zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird insoweit stattgegeben, als die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft seit dem 16. Dezember 2010, 12.32 Uhr, als rechtswidrig sowie gleichzeitig festgestellt wird, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeb­lichen Voraussetzungen nicht vorliegen; im Übrigen wird die Beschwerde hingegen als unbegründet abgewiesen.

II. Der Bund (Verfahrenspartei: Bezirkshauptmann von Vöcklabruck) hat dem Beschwerdeführer Kosten in Höhe von insgesamt 750,80 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Verfahrenspartei: Bezirkshauptmann von Vöcklabruck) Kosten in Höhe von insgesamt 426,20 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Rechtsgrundlage:

 

§ 83 FPG; § 67c Abs. 3 AVG; § 79a AVG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 26. November 2010, Zl. Sich40-2843-2010, wurde über den Rechtsmittelwerber, einen syrischen Staatsangehörigen, gemäß § 76 Abs. 2a Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden: FPG), zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt und durch Überstellung in das Polizeianhaltezentrum (PAZ) Wien sofort vollzogen.

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der Beschwerdeführer über die Türkei und Rumänien kommend schließlich von Ungarn aus am 3. September 2010 widerrechtlich in das Bundesgebiet eingereist sei und hier in der Folge am 4. September 2010 einen Asylantrag gestellt habe. Am 5. September 2010 sei er mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Zell am See in Schubhaft genommen und im PAZ Salzburg angehalten, aus dieser jedoch infolge eines Hungerstreiks am 27. September 2010 wieder entlassen worden. Mit Wirkung vom 12. Oktober 2010 sei die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Asylantrag auf die Republik Italien übergegangen, doch habe sich der Rechtsmittelwerber kategorisch geweigert, in diesen Staat zurückzukehren. Nachdem sein Asylantrag mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25. November 2010, Zl. 1008220, zurückgewiesen und unter einem auch seine Ausweisung verfügt worden sei, habe er sohin am 26. November 2010 zur Sicherung der Vollstreckung der Ausweisung im Wege der Abschiebung neuerlich in Schubhaft genommen werden müssen.  

Dies deshalb, weil er sich unberechtigt im Bundesgebiet aufhalte und in diesem Zusammenhang bewusst eine mehrfache Umgehung der einschlägigen Ordnungsvorschriften einzelner Staaten in Kauf genommen habe; weil er keine Dokumente zum Nachweis seiner Identität vorgelegt habe, sodass diese gegenwärtig weiterhin als ungesichert anzusehen sei; weil er seinen Asylantrag erst nach seiner polizeilichen Aufgreifung gestellt habe; weil er sich durch einen Hungerstreik aus seiner erstmaligen Anhaltung in Schubhaft freigepresst habe; weil er völlig mittellos sei; und weil er zudem versucht habe, seinen bereits mit einer erkennungsdienstlichen Behandlung verbundenen Aufenthalt in Italien durch die Angabe einer völlig aus der Luft gegriffenen Reiseroute zu verschleiern. Außerdem sei ein Sicherungsbedarf auch deshalb anzunehmen, weil er zweifelsfrei habe erkennen lassen, dass er nicht gewillt sei, nach Italien zurückzukehren, obwohl offenkundig mit seiner baldigen Übernahme durch diesen Staat gerechnet werden könne.

Dem gegenüber lägen die in § 76 Abs. 2a FPG angesprochenen besonderen Umstände, die zu einem Absehen von der Schubhaftverhängung führen könnten, hier v.a. auch deshalb nicht vor, weil sein Hungerstreik – wie im Zuge einer nachfolgenden ärztlichen Begutachtung festgestellt worden sei – nicht zu einer gegenwärtigen Haftunfähigkeit geführt habe.

1.2. Gegen seine Anhaltung in Schubhaft richtet sich die vorliegende, am
15. Dezember 2010 nach dem Ende der h. Amtsstunden per Telefax an den Oö. Verwaltungssenat übermittelte und somit gemäß § 13 Abs. 5 AVG als am 16. Dezember 2010 eingelangt zu wertende Beschwerde.

Darin wird der zuvor dargestellte entscheidungsrelevante Sachverhalt nur insoweit bestritten bzw. ergänzt, als vorgebracht wird, dass der Rechtsmittelwerber seine Einreise über Italien nur deshalb verschwiegen habe, weil in diesem Staat die Unterbringungsmöglichkeiten für Asylwerber äußerst schlecht seien. Außerdem wolle er deshalb in Österreich bleiben, weil ihn hier sein Bruder finanziell sowie im Wege anderer Sachleistungen (insbesondere durch Zurverfügungstellung einer Unterkunft) unterstützen würde. Zudem habe er sich bis zur Zustellung des negativen Asylbescheides ohnehin im Erstaufnahmezentrum West aufgehalten. Dazu kommt, dass der Asylgerichtshof seiner Beschwerde mit Beschluss vom 7. Dezember 2010 die aufschiebende Wirkung zuerkannt und eine Anfrage an die Staatendokumentation des Bundesasylamtes gerichtet habe, sodass mit einer i.S.d. § 37 Abs. 3 des Asylgesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 135/2009 (im Folgenden: AsylG), zeitgerechten Sachentscheidung dieses Gerichtes offensichtlich nicht gerechnet werden könne. Schließlich hätte im Hinblick auf die Unterstützung seines Bruders auch mit der Anordnung gelinderer Mittel anstelle der Schubhaftverhängung das Auslangen gefunden werden können, zumal der Beschwerdeführer immer wieder psychiatrische und medizinische Hilfe in Anspruch nehmen müsse.

Aus allen diesen Gründen wird daher die kostenpflichtige Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anhaltung in Schubhaft beantragt.

1.3. Die belangte Behörde hat den Bezug habenden Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.

Darin wird ergänzend darauf hingewiesen, dass sich der Rechtsmittelwerber im Zuge seiner Einvernahme durch die italienischen Behörden noch völlig anderslautender Personalien (z.B. in Bezug auf seinen Namen und sein Geburtsdatum) bedient habe. Außerdem habe er den seinerzeitigen Aufenthalt bei seinem Bruder, dessen Asylbegehren mittlerweile in gleicher Weise negativ beendet worden sei, nicht polizeilich gemeldet gehabt, sondern die einschreitenden Organe seien dort rein zufällig auch auf ihn gestoßen. Darüber hinaus sei die Anhaltung des Beschwerdeführers gemäß § 80 Abs. 5 AsylG ohnehin bis zur inhaltlichen Entscheidung des Asylgerichtshofes zulässig, ganz abgesehen davon, dass die vorrangige Einhaltung der Bestimmungen der Dublin-II-Verordnung durch die österreichischen Behörden auch völkerrechtlich geboten sei.

Daher wird die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der BH Vöcklabruck zu Zl. Sich40-2843-2010; da sich bereits aus diesem in Verbindung mit dem Parteienvorbringen der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ und dieser zwischen den Verfahrensparteien – von der bereits zuvor unter 1.2. angesprochenen Ergänzung abgesehen – auch nicht strittig ist, konnten die von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen auch dem gegenständlichen Verfahren zu Grunde gelegt und somit im Übrigen gemäß § 83 Abs. 2 Z. 1 FPG von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

2.2. Aus dem vorgelegten Akt, insbesondere aus dem Schubhaftbescheid der belangten Behörde und deren Gegenschrift, ergibt sich in Verbindung mit dem Beschwerdevorbringen folgender aktuell entscheidungswesentlicher Sachverhalt:

Der Rechtsmittelwerber ist am 3. September 2010 ohne über die für eine legale Einreise erforderlichen Dokumente – und sohin widerrechtlich – in das Bundesgebiet eingereist. Am nächsten Tag wurde er bei einer polizeilichen Kontrolle in der Wohnung seines Bruders festgenommen. In der Folge hat er einen Asylantrag gestellt.

Im Zuge seiner asylbehördlichen Einvernahme konnte anhand eines Fingerabdruck-Abgleiches (sog. "Eurodac-Treffer") festgestellt werden, dass der Rechtsmittelwerber bereits vor seiner Einreise nach Österreich, nämlich am 21. August 2010, in Italien erkennungsdienstlich behandelt worden war.

Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Zell am See vom 5. September 2010, Zl. 6/353-546/1/1-2010, wurde der Beschwerdeführer in Schubhaft genommen und im PAZ Salzburg angehalten. Am 27. September 2010 wurde er jedoch wegen Haftunfähigkeit (Depressionen, Angstzustände, Hungerstreik) wieder aus dieser entlassen. Mit Erkenntnis des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg vom 15. November 2010, Zl. UVS-8-10194/5-2010, wurde nachträglich festgestellt, dass seine Anhaltung in Schubhaft während dieses Zeitraumes nicht rechtswidrig war.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25. November 2010, Zl. 1008220-EAST West, wurde sein Asylantrag gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und der Rechtsmittelwerber unter einem nach Italien ausgewiesen; dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass zur Prüfung dieses Antrages mit Wirkung vom 12. Oktober 2010 gemäß Art. 10 Abs. 1 der Verordnung EG 343/2003 i.d.F. 1103/2008 (im Folgenden kurz: Dublin-II-VO), die Republik Italien zuständig sei, weil sich der Beschwerdeführer bereits vor der Stellung seines Asylantrages in Österreich dort aufgehalten habe, in diesem Land erkennungsdienstlich behandelt worden sei und Italien die Frist des Art. 18 Abs. 7 der Dublin-II-VO ungenützt habe verstreichen lassen.

Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 26. November 2010, Zl. Sich40-2843-2010, wurde über den Beschwerdeführer zur Sicherung der Abschiebung neuerlich die Schubhaft verhängt; diese wird seither im PAZ Wien vollzogen.

Mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 7. Dezember 2010, Zl. S18-416617/-1/2010/4Z, wurde der gegen den vorangeführten Bescheid des Bundesasylamtes vom 25. November 2010 erhobenen Beschwerde wegen der Notwendigkeit von weitergehenden Ermittlungen im Zusammenhang mit der Frage, ob Italien als ein sicherer Drittstaat anzusehen ist, gemäß § 37 Abs. 3 AsylG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Im Zuge seiner neuerlichen Einvernahme durch das Bundesasylamt am 13. Dezember 2010 haben der Beschwerdeführer und dessen Rechtsberaterin zwar vorgebracht, dass er nicht (mehr) psychisch krank sei und auch keine Medikamente (mehr) zu nehmen brauche, aber auch, dass er nicht nach Italien zurückkehren wolle, weil dies zufolge neuester Berichte von vertrauenswürdigen Organisationen kein sicherer Drittstaat mehr sei und er fürchte, dann weiter nach Libyen abgeschoben zu werden.

Mit Schreiben vom 13. Dezember 2010, Zl. AT-121204, hat der italienische Innenminister ("Minstro dell' Interno") mitgeteilt, dass die Republik Italien zur Übernahme des Beschwerdeführers nicht zuständig sei, weil es sich bei ihm einerseits um einen Minderjährigen i.S.d. Art. 6 Abs. 1 der Dublin-II-VO handle und er andererseits im Zuge seiner erkennungsdienstlichen Behandlung in Italien keinen Asylantrag gestellt habe. Dieses Schreiben wurde der belangten Behörde am 16. Dezember 2010 um 12.32 Uhr per Telefax übermittelt. Noch am selben Tag wurde das italienische Innenministerium seitens der belangten Behörde davon in Kenntnis gesetzt, dass der Rechtsmittelwerber "volljährig ist und deshalb die verspätete Ablehnung [seiner Übernahme] nicht akzeptiert werde". 

Dass der Beschwerdeführer nicht über die für eine legale Einreise erforderlichen Dokumente verfügt und er im Zuge der Erstbefragung seine Reiseroute verschwiegen sowie vor den österreichischen bzw. italienischen Behörden jeweils unterschiedliche Personalien benutzt hat, wurde von ihm selbst während des gesamten Verfahrens nicht in Abrede gestellt; Gleiches gilt hinsichtlich des Umstandes, dass er weder über die zur Bestreitung seines Lebensunterhalts erforderlichen finanziellen Mittel noch über – von seinem derzeit (noch) in Österreich aufhältigen Bruder abgesehen – soziale Bindungen im EU-Raum verfügt.

2.3. Im gegenständlichen Fall wird der Beschwerdeführer auf Grund eines auf § 76 FPG gestützten Bescheides einer Behörde, die ihren Sitz im Sprengel des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich hat, angehalten; nach § 83 Abs. 1 FPG ist damit die örtliche Zuständigkeit des Oö. Verwaltungssenates zur Behandlung der vorliegenden Beschwerde gegeben.

Dieser hatte gemäß § 83 Abs. 2 FPG i.V.m. § 67a AVG durch ein Einzelmitglied zu entscheiden.


3. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Nach § 82 Abs. 1 FPG hat ein Fremder, gegen den die Schubhaft ange­ordnet wurde, das Recht, den Unabhängigen Verwaltungssenat u.a. mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit seiner Anhaltung in Schubhaft anzurufen.

Gemäß § 76 Abs. 2a Z. 1 FPG kann die Fremdenpolizeibehörde gegen einen Asylwerber u.a. dann die Schubhaft verhängen, wenn gegen ihn eine mit einer zurückweisenden Entscheidung verbundene durchsetzbare Ausweisung erlassen wurde und diese Maßnahme einerseits zur Sicherung der Abschiebung notwendig ist und ihr andererseits besondere, in der Person des Asylwerbers gelegene Umstände nicht entgegenstehen.

Nach § 77 Abs. 1 FPG hat die Behörde jedoch von der Anordnung der Schubhaft Abstand zu nehmen, wenn sie Grund zu der Annahme hat, dass deren Zweck durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann. Als in
diesem Sinne gelinderes Mittel kommt gemäß § 77 Abs. 3 FPG insbesondere die Anordnung in Betracht, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen oder sich in perio­dischen Abständen bei einem bestimmten dem Fremden zuvor bekannt gegebenen Polizei­kommando zu melden.

4021 Linz, Fabrikstraße 32

 

 

3.2. Die mit der gegenständlichen Beschwerde relevierte Frage, ob die Anhaltung des Rechtsmittelwerbers in Schubhaft seit dem 26. November 2010 sowohl in formeller als auch in inhaltlicher Hinsicht rechtmäßig war bzw. ist, kann – nur – dann bejaht werden, wenn 1.) ein Schubhafttatbestand gemäß § 76 Abs. 2a FPG vorliegt, 2.) eine dem Zweck dieses Tatbestandes entsprechende Sicherungsnotwendigkeit besteht und zudem 3.) durch eine derartige Maßnahme insgesamt auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt.

3.2.1. Schubhafttatbestand

Im vorliegenden Verfahren hat die belangte Behörde die Schubhaftverhängung auf § 76 Abs. 2a Z. 2 FPG gestützt. Dies setzt voraus, dass der Antrag des Asylwerbers zurückgewiesen und eine durchsetzbare Ausweisung verhängt worden ist.

3.2.1.1. Im gegenständlichen Fall wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25. November 2010, Zl. 1008220-EAST West, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und der Rechtsmittelwerber gleichzeitig nach Italien ausgewiesen; da gegen eine derartige Entscheidung kein ordentliches Rechtsmittel, sondern lediglich eine Beschwerde an den Asylgerichtshof zulässig ist und dieser nach § 37 Abs. 1 AsylG (systematisch bedingt) grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, sondern eine solche erst ab dem Zeitpunkt zukommt, zu dem ihm diese seitens des Asylgerichtshofes mit eigenständigem Beschluss zuerkannt wird, sind solche Ausweisungen somit auch unmittelbar vollstreckbar.

Zum Zeitpunkt der Erlassung des Schubhaftbescheides am 26. November 2010 lagen daher die Formalvoraussetzungen des § 76 Abs. 2a Z. 1 FPG im gegenständlichen Fall vor.

3.2.1.2. Anderes gilt jedoch seit dem Zeitpunkt, zu dem der italienische Innenminister mitgeteilt hat, dass die Republik Italien zur Übernahme des Beschwerdeführers nicht zuständig sei; dieses mit 13. Dezember 2010 datierte Schreiben wurde der belangten Behörde am 16. Dezember 2010 um 12.32 Uhr per Telefax übermittelt.

Selbst wenn die Ansicht der Schubhaftbehörde, dass es sich beim Beschwerdeführer nicht um einen Minderjährigen i.S.d. Art. 6 Abs. 1 der Dublin-II-VO handelt – wofür im Hinblick auf die Legaldefinition des Art. 2 lit. h der Dublin-II-VO insbesondere der Umstand, dass das italienische Innenministerium selbst von einem Geburtsdatum "31.1.89" ausgeht, spricht –, zutreffen sollte, ändert dies nämlich nichts daran, dass in diesem Schreiben (abgesehen davon, dass darin auch ausdrücklich festgestellt wird, dass der Rechtsmittelwerber in Italien keinen Asylantrag gestellt hat [vgl.: "isn't an asylum applicant in Italy"]) kein Zweifel daran offen gelassen wird, dass Italien den Beschwerdeführer nicht übernimmt (vgl.: "that the Italian Authorities can not accept your request that charge [could] be taken of the above named asylum seeker").

Da in der Dublin-II-Verordnung ein spezifisches Verfahren zur Schlichtung eines negativen Kompetenzkonfliktes nicht vorgesehen ist, müsste die Frage, welcher Staat – Österreich oder Italien – zur Durchführung des Asylverfahrens tatsächlich zuständig ist, nach allgemeinen EU-rechtlichen Grundsätzen letztlich vom EuGH geklärt werden. Zu diesem Zweck könnte seitens des Oö. Verwaltungssenates zwar grundsätzlich ein Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV initiiert werden. Allerdings ist a priori nicht absehbar, binnen welcher Frist der EuGH hierüber eine Entscheidung treffen wird. Angesichts der textlich unverbindlichen und rechtlich zudem sanktionslosen Formulierung des letzten Absatzes des Art. 267 AEUV, wonach "der Gerichtshof innerhalb kürzester Zeit ..... entscheidet", wenn diesem eine Auslegungsfrage in einem schwebenden Verfahren, das eine inhaftierte Person betrifft, vorgelegt wird, sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass zur diesbezüglichen Praxis des EuGH entsprechende Erfahrungswerte gegenwärtig (noch) nicht vorliegen, hat der Oö. Verwaltungssenat unter Beachtung der vom VfGH schon in seinem Erkenntnis vom 28. Juni 2006, G 2/04 u.a., zum Ausdruck gebrachten Rechtsansicht, dass durch ein Normenkontrollverfahren der Rechtsschutz des Betroffenen nicht eingeschränkt werden darf, von der Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens abgesehen.

Vielmehr war unter den gegebenen Umständen im Interesse des Beschwerdeführers davon auszugehen, dass die Ausweisung seit der ausdrücklich erklärten und v.a. mit dem seinerzeitigen Nichtasylwerberstatus des Rechtsmittelwerbers begründeten Weigerung Italiens, ihn zu übernehmen, nicht mehr vollstreckbar ist.   

Damit erweist sich aber auch die Anhaltung des Beschwerdeführers seit dem Zeitpunkt, zu dem die belangte Behörde darüber informiert wurde, dass die Republik Italien zur Übernahme des Rechtsmittelwerbers nicht bereit ist – d.i. seit dem 16. Dezember 2010 um 12.32 Uhr –, schon aus dem formalen Grund des Nichtvorliegens eines Schubhafttatbestandes als rechtswidrig.

Davon ausgehend war im Weiteren (nur) noch zu untersuchen, ob die Anhaltung des Beschwerdeführers vom 26. November 2010 bis zum 16. Dezember 2010 um 12.32 Uhr, also für den davor liegenden Zeitraum, inhaltlich rechtmäßig war.

3.2.2. Sicherungsnotwendigkeit

Hinsichtlich der Beurteilung der Sicherungsnotwendigkeit (nicht: Sicherungsbedürfnis, weil durch diesen Terminus suggeriert werden würde, dass es diesbezüglich nicht auf eine objektivierbare, sondern auf die subjektive Einschätzung der Organwalter der Fremdenpolizeibehörde ankäme) ist anhand objektiver Kriterien zu prüfen, ob mit Blick auf das Ziel der beabsichtigten fremdenpolizeilichen Maßnahme eine Beschränkung der persönlichen Freiheit unabdingbar war. Es ist also zunächst (und zwar nicht mit der vorgefassten Tendenz: "im Zweifel pro Haft", sondern im Gegenteil: mit der Grundhaltung, dass prinzipiell gelindere Mittel anzuordnen sind, sodass die Verhängung der Haft stets nur eine äußerste Notmaßnahme darstellen kann) zu untersuchen, ob anhand der Umstände des konkreten Falles tatsächlich nur im Wege einer Haft zuverlässig erreicht werden kann, dass die intendierte fremdenpolizeiliche Maßnahme auch effektiv umgesetzt werden kann.

Solche inzident für eine derartige Sicherungsnotwendigkeit sprechenden Kriterien können beispielsweise die fehlende Wahrscheinlichkeit einer freiwilligen Ausreise, die für eine Rückkehr in den Abschiebe- bzw. Heimatstaat fehlenden finanziellen Mittel, die im Heimatstaat fehlende soziale Bindung, die angesichts fehlender Sanktionen gegebene Wahrscheinlichkeit einer illegalen Rückkehr des Fremden nach Österreich o.Ä; nicht jedoch eine allgemeine, d.h. nicht im Zusammenhang mit dem Zweck der Sicherungsnotwendigkeit stehende Gleichgültigkeit gegenüber generellen Ordnungsvorschriften oder strafrechtliche Verbote, ein allgemein unkooperatives Verhalten, eine allgemein mangelnde soziale, insbesondere berufliche Integration, etc. sein.

Hat daher der Fremde beispielsweise seine persönliche Identität zu verschleiern versucht und war dieser weder polizeilich gemeldet noch tatsächlich durch längere Zeit hindurch an einer bestimmten Unterkunft aufhältig, so besteht eine hohe Gefahr des Untertauchens, die umgekehrt prinzipiell eine entsprechende Sicherungsnotwendigkeit begründet. Hingegen entfällt diese von vornherein, wenn der Fremde bloß gegen melderechtliche Vorschriften verstoßen hat und/oder wegen eines Suchtgiftdeliktes zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, sich seither aber tatsächlich durchgehend an einer der Fremdenpolizeibehörde bekannten Unterkunft aufgehalten hat.

3.2.2.1. Im gegenständlichen Fall bezweckte die Schubhaftverhängung, dass der Beschwerdeführer der belangten Behörde für seine (aus damaliger Sicht) in naher Zukunft durchzuführende Abschiebung nach Italien auch tatsächlich zur Verfügung stehen und diese nicht dadurch, dass er zum maßgeblichen Zeitpunkt an seinem bisherigen Aufenthaltsort faktisch nicht greifbar wäre, erschweren oder gar verunmöglichen können soll.

Dass der Beschwerdeführer, dessen Identität mangels entsprechender Reise- und Personaldokumente nach wie vor nicht zweifelsfrei geklärt ist, über einen ordnungsgemäßen Wohnsitz in Österreich verfügte, wird auch von ihm selbst gar nicht behauptet. Zwar hielt er sich danach bis zu seiner Inschubhaftnahme am 26. November 2010 in der ihm zugewiesenen Betreuungsstelle auf; dieser Aspekt stellt jedoch kein spezifisches Wohl-, sondern bloß ein auf Grund der Umstände zielgerichtetes Verhalten für jenen Zeitraum, in dem noch mit einer positiven Erledigung des Asylverfahrens gerechnet werden kann, dar.

Von einer sozialen oder beruflichen Integration des Rechtsmittelwerbers kann ebenfalls keine Rede sein. In Österreich lebt lediglich seine Bruder, dessen Asylverfahren inzwischen ebenfalls rechtskräftig negativ abgeschlossen wurde. Eine – zudem glaubwürdige – Erklärung seines Bruders, dass der Beschwerdeführer für den Fall seiner Freilassung bei ihm Unterkunft nehmen könnte, liegt nicht vor.

Dass er keinesfalls wieder nach Italien abgeschoben werden möchte, weil er in diesem Fall eine weitere Abschiebung nach Libyen fürchtet, hat der Rechtsmittelwerber im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme am 13. Dezember 2010 explizit bekräftigt. Angesichts dessen liegt es auf der Hand, dass er eine Abschiebung nicht widerstandslos über sich ergehen lassen, sondern – wäre er in Freiheit – von der einfachsten und deshalb am nächsten liegenden Möglichkeit, nämlich: Verschleierung seines jeweiligen aktuellen Aufenthaltsortes, Gebrauch machen wird, um sich dieser zu entziehen.

Da zum Zeitpunkt der Inschubhaftnahme am 26. November 2010 keine Hinweise dafür vorlagen, dass die Republik Italien ihre Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens und ihre Bereitschaft zur Übernahme des Beschwerdeführers ablehnen könnte oder würde, war sohin objektiv besehen tatsächlich mit einer baldigen faktischen Durchführung der Abschiebung zu rechnen. 

3.2.2.2. Alle diese Gründe sprachen im vorliegenden Fall für eine dementsprechende Sicherungsnotwendigkeit; sie überwogen insgesamt betrachtet deutlich jene – nämlich: dass sich der Beschwerdeführer bis zu seiner Inschubhaftnahme in der Bundesbetreuung aufgehalten hat; in diesem Zusammenhang ist jedoch nochmals darauf hinzuweisen, dass ihm bis dahin die Aussichtslosigkeit seines Asylantrages noch in keiner Weise bewusst war, sodass ein insoweit kooperatives Verhalten gleichsam als selbstverständlich erscheinen muss – dagegen sprechenden Argumente, und zwar insbesondere auch deshalb, weil das Bestehen einer derartigen Sicherungsnotwendigkeit im sog. Spätstadium des Asylverfahrens stets dann umso mehr angenommen werden kann, wenn nicht zwingende Gründe dagegensprechen (vgl. jüngst VwGH v. 25. März 2010, 2008/21/0617).

3.2.3. Verhältnismäßigkeit

Vom Bestehen einer Sicherungsnotwendigkeit ausgehend war schließlich noch zu untersuchen, ob der mit der fremdenpolizeilichen Maßnahme konkret verfolgte Zweck nicht auch durch normale (diese Bezeichnung ist deshalb angebracht, weil dadurch umgekehrt die Haft als das "Ausnahmemittel" deutlicher in den Vordergrund tritt), d.h. im Verhältnis zum Entzug der persönlichen Freiheit im Wege der Haft gelindere Sicherungsmittel zu erreichen gewesen wäre.

Die Anordnung gelinderer Mittel bedingt das grundsätzliche, durch entsprechende konkrete Kriterien objektivierbare Vertrauen, dass sich der Fremde zum Zeitpunkt der Durchführung der Abschiebung der Behörde zur Verfügung hält, d.h. für diese auch faktisch greifbar ist. In diesem Zusammenhang geht die Rechtsordnung davon aus, dass ein derartiges Vertrauen a priori zunächst vorauszusetzen ist – sonst wäre nicht die Schubhaftverhängung als ein bloßes ultima-ratio-Mittel, sondern im Gegenteil als Standardmaßnahme für die Fremdenpolizeibehörden gesetzlich vorgesehen worden. Daraus folgt, dass es dann, wenn die Schubhaft angeordnet wird, der Behörde obliegt, jene Gründe vorzubringen und entsprechend zu belegen, die im konkreten Fall für ein Nichtbestehen eines derartigen Vertrauensverhältnisses sprechen.

Einer derartigen Prognoseentscheidung sind somit v.a. jene Hinweise in Bezug auf das bisherige Verhalten zu Grunde zu legen, die gegen bzw. für eine Freiheitsentziehung sprechen (wie z.B. ob gelindere Mittel bisher schon angewendet wurden und wenn ja, ob diese erfolgreich waren oder nicht; ob sich auch die näheren Familienangehörigen [legal] in Österreich befinden; ob der Fremde in Österreich sozial integriert ist; ob sich der Fremde grundsätzlich den österreichischen Rechtsvorschriften verbunden fühlt, etc.), wobei insoweit unter dem Aspekt, dass eine Haftanordnung nur eine ultima-ratio-Maßnahme darstellen kann, eben eine formelhafte oder bloß auf allgemeine Erfahrungssätze abstellende Begründung des Schubhaftbescheides nicht hinreicht, sondern diese vielmehr eine konkrete, individuell-fallbezogene Subsumtion mit entsprechender pro- und contra-Abwägung aufweisen muss, damit gewährleistet ist, dass durch diese keine antizipatorische "pro-Haft-Tendenz" zum Ausdruck kommt, d.h. eine haft"begünstigende" Begründungsargumentation objektiv betrachtet verlässlich ausgeschlossen ist. Nur wenn danach mit zwingenden Gründen davon ausgegangen werden kann, dass die effektive Umsetzung (eine bloße "Erschwerung" reicht hingegen nach § 76 FPG – und erst recht nach Art. 1 Abs. 3 PersFrSchG – nicht hin) der beabsichtigten fremdenpolizeilichen Maßnahme nicht anders als durch einen Entzug der persönlichen Freiheit gewährleistet werden kann, erweist sich die Anordnung der Schubhaft auch unter dem Aspekt des Verhältnismäßigkeitsprinzips als gerechtfertigt.

3.2.3.1. Im gegenständlichen Fall ist der Beschwerdeführer illegal und unter Verschweigung von für das fremdenrechtliche Verfahren essentiellen Fakten (Personalia, Reiseroute) – wobei ihm dieser Umstand, wie seine Rechtfertigung auf einen entsprechenden Vorhalt im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme im Asylverfahren beweist, wohl bewusst war –  in das Bundesgebiet eingereist. 

Weiters wurde sein Asylantrag deshalb zurückgewiesen, weil er einen derartigen Antrag bereits in Italien gestellt hat.

Dieses Verhalten – nämlich: die (beleglose) Verwendung wechselnder Namen, die eine Klärung seiner Identität erheblich erschwert, die Nichtvorlage von Reisedokumenten, etc. – legt insgesamt die Annahme nahe, dass die Stellung des neuerlichen Asylantrages in Österreich offensichtlich primär dazu gedient hat, das Asylverfahren insgesamt in die Länge zu ziehen und auf diese Art seinen faktischen Aufenthalt im EU-Raum, insbesondere auch in Österreich, zu verlängern.

Gesamthaft betrachtet folgt daraus, dass der Beschwerdeführer durch diese Handlungen das ihm grundsätzlich entgegen zu bringende Vertrauen in einem solchen Grad erschüttert hat, der es nicht mehr zulässt, mit gutem Grund annehmen zu können, dass er sich zum Zeitpunkt seiner Abschiebung sowohl freiwillig als auch tatsächlich der Fremdenpolizeibehörde zur Verfügung halten wird; Letzterer kann daher vor dem Hintergrund des hier konkret zu beurteilenden Sachverhalts nicht entgegengetreten werden, wenn diese davon ausgegangen ist, dass es im vorliegenden Fall solcher Sicherungsmaßnahmen bedurfte, die der dargestellten Motivationslage des Rechtsmittelwerbers auch effektiv entgegenwirken.

3.2.3.2. Nach § 77 Abs. 3 FPG kommen als – im Vergleich zur Schubhaftverhängung – gelindere Mittel auch die Anordnung, in von der Behörde bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen oder sich in periodischen Abständen bei einem Polizeikommando zu melden in Betracht. Wie sich aus der Textierung dieser Bestimmung, speziell aus der Verwendung des Wortes "insbesondere" ergibt, ist die Behörde hinsichtlich der Auswahl zwischen den unterschiedlichen Arten von Sicherungmaßnahmen grundsätzlich nicht, durch das in § 77 Abs. 1 FPG normierte Verhältnismäßigkeitsprinzip im Ergebnis jedoch insoweit beschränkt, als letztlich nur eine solche Maßnahme gewählt werden darf, die sowohl zur Zielerreichung geeignet ist als auch den vergleichsweise geringstmöglichen Eingriff in die Persönlichkeitssphäre des Fremden nach sich zieht.

Im gegenständlichen Fall ist offensichtlich, dass angesichts des Zweckes der Sicherungsmaßnahme – Gewährleistung der Möglichkeit der faktischen Durchführung der Abschiebung des Beschwerdeführers zu einem noch konkret festzusetzenden, jedoch in naher Zukunft liegenden Zeitpunkt – die alleinige Anordnung zur Unterkunftnahme in von der Behörde bestimmten Räumen (z.B. in der Wohnung seines Bruders) und/oder eine Verpflichtung zur periodischen Meldung bei einer Sicherheitsdienststelle keine zur effektiven Zielerreichung geeigneten Maßnahmen darstellen können, weil so in beiden Fällen für den Rechtsmittelwerber eine nicht nur einfache, sondern geradezu verlockende Gelegenheit geschaffen würde, sich zum maßgeblichen Zeitpunkt dem behördlichen Zugriff durch Verschleierung seines Aufenthaltsortes zu entziehen (ganz abgesehen davon, dass sein Bruder damals ebenfalls bereits von einem Aufenthaltsbeendigungsverfahren betroffen war).

3.2.3.3. Mit der jüngsten Novelle (BGBl.Nr. I 64/2010) zum Strafvollzugsgesetz (BGBl.Nr. 144/1969, im Folgenden: StVG) wurde nunmehr – nach längerer Test- und Vorbereitungszeit – die Möglichkeit eines "Strafvollzuges durch elektronisch überwachten Hausarrest" (vgl. §§ 156b ff StVG) eingeführt. Im Wege einer derartigen sog. "elektronischen Fußfessel" kann der Aufenthaltsort seines Trägers bzw. der Umstand, dass dieser den ihm zugewiesenen Bereich verlässt, ohne Schwierigkeiten festgestellt werden.

Dagegen kann nicht eingewendet werden, dass eine den §§ 156b ff StVG vergleichbare Regelung im Bereich des FPG derzeit (noch ?) nicht existiert und/oder die technischen Voraussetzungen hierfür bei den Fremdenpolizeibehörden faktisch nicht existieren. Denn § 77 Abs. 3 FPG ist – worauf bereits zuvor hingewiesen wurde – hinsichtlich der Wahl der Methoden von vornherein "offen", d.h. dass die belangte Behörde durch diese Bestimmung nicht nur nicht gehindert, sondern auch dazu ermächtigt ist, selbst solche Methoden, die darin nicht explizit angesprochen sind, zum Einsatz zu bringen, wenn und soweit sie im Ergebnis dazu dienen, dem Verfassungsauftrag des Art. 1 Abs. 3 und 4 B-VG gerecht zu werden. Und zum anderen kann ein (gesetzgeberisches und/oder ministerielles) Unterlassen von notwendigen, unter verfassungsrechtlichen Aspekten offensichtlich gebotenen Vorkehrungen einem Fremden allgemein und somit auch dem h. Beschwerdeführer im Besonderen nicht zum Nachteil gereichen.   

Dies zu Grunde legend hat der Oö. Verwaltungssenat im h. Erkenntnis vom 1. Oktober 2010, Zl. VwSen-401089, ausgesprochen, dass eine Kombination der in § 77 Abs. 3 FPG vorgesehenen Anordnung zum Aufenthalt in von der Behörde bestimmten Räumen mit der Verpflichtung zum Tragen einer Fußfessel grundsätzlich in gleicher Weise zur Zweckerreichung geeignet sein kann und für den Fremden jedenfalls einen weniger gravierenden Eingriff in dessen Persönlichkeitssphäre als dessen Inschubhaftnahme bedeutet.

Ob dies im konkreten Fall jeweils tatsächlich zutrifft, ist jedoch anhand dessen spezifischer Einzelumstände zu prüfen.

Hier hat der Rechtsmittelwerber im Zuge seiner asylbehördlichen Einvernahme und noch dazu in Anwesenheit eines Rechtsbeistandes dezidiert erklärt, dass er nicht nach Italien zurückkehren will, weil dieses Land kein sicherer Drittstaat mehr ist und er zudem fürchtet, von dort aus weiter nach Libyen (und schließlich in seinen Heimatstaat) abgeschoben zu werden.

Damit hat er kundgetan, dass er schon die Außerlandesschaffung nach Italien in einem solchen Ausmaß als bedrohlich empfindet, dass er zur Verhinderung dieser Maßnahme wesentlich schwerere Hürden zu überwinden bereit wäre, als sich bloß einer Fußfessel zu entledigen, was faktisch ohne erhebliche Mühe dadurch möglich ist, dass man ein Textilband mit einem scharfen Messer durchtrennt. Dass der auf diese Weise gewonnene Zeitvorsprung – vom Erkennen der Abnahme der Fessel bis zum Erreichen des Aufenthaltsortes des Rechtsmittelwerbers –  jedenfalls dazu ausreichen würde, sich zumindest vorläufig, möglicherweise aber auch über einen längeren Zeitraum hinweg oder überhaupt dem faktischen Zugriff der Exekutivorgane zu entziehen, bedarf keines besonderen Nachweises.

Somit wäre die mit der Verpflichtung zum Tragen einer Fußfessel verbundene Anordnung zum Aufenthalt in von der Behörde bestimmten Räumen unter den konkreten Umständen des vorliegenden Falles nicht in gleicher Weise zur Zweckerreichung geeignet gewesen.

3.2.3.4. Da auch andere adäquate Mittel weder hervorgekommen sind noch auch vom Beschwerdeführer selbst ins Treffen geführt wurden, erwies sich die anfängliche Schubhaftverhängung im Ergebnis sohin nicht als unverhältnismäßig.

3.3. Aus allen diesen Gründen war daher der gegenständlichen Beschwerde gemäß § 83 Abs. 4 FPG iVm § 67c Abs. 3 AVG insoweit stattzugeben und davon ausgehend auch die weitere Anhaltung des Rechtsmittelwerbers in Schubhaft als rechtswidrig festzustellen, als sich diese auf den Zeitraum nach dem 16. Dezember 2010, 12.32 Uhr, bezieht; im Übrigen war diese hingegen als unbegründet abzuweisen.

4.1. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Bund (Verfahrenspartei: Bezirkshauptmann von Vöcklabruck) dazu zu verpflichten, dem Rechtsmittelwerber hinsichtlich des stattgebenden Teils der Beschwerde nach § 79a Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 Z. 1 und 3 AVG i.V.m. § 1 Z. 1 der UVS-Aufwandersatzverordnung, BGBl.Nr. II 456/2008, Kosten in Höhe von insgesamt 750,80 Euro (Gebühren: 13,20 Euro; Schriftsatzaufwand: 737,60 Euro) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

4.2. Hinsichtlich des abweisenden Teils der Beschwerde war hingegen der Rechtsmittelwerber dazu zu verpflichten dem Bund gemäß § 79a Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4 Z. 3 AVG i.V.m. § 1 Z. 4 der UVS-AufwandersatzVO Kosten in Höhe von insgesamt 426,20 Euro (Vorlageaufwand: 57,40 Euro; Schriftsatzaufwand: 368,80 Euro) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen  diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Gebühren in einer Höhe von insgesamt 27,60 Euro entstanden; über den Restbetrag in Höhe von 14,40 Euro liegt ein entsprechender Zahlschein bei.

 

 

 

Dr.  G r o f

 

 

Rechtssatz:

 

VwSen-401095/4/Gf/Mu vom 17. Dezember 2010:

 

§ 76 FPG; Art. 10 Dublin-II-VO; Art. 18 Dublin-II-VO; Art. 267 AEUV

* Ob die Anhaltung des Rechtsmittelwerbers in Schubhaft sowohl in formeller als auch in inhaltlicher Hinsicht rechtmäßig war bzw. ist, kann – nur – dann bejaht werden, wenn 1.) ein Schubhafttatbestand gemäß § 76 Abs. 2a FPG vorliegt, 2.) eine dem Zweck dieses Tatbestandes entsprechende Sicherungsnotwendigkeit besteht und zudem 3.) durch eine derartige Maßnahme insgesamt auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt;

* Schubhafttatbestand: Wenn aus der vermeintlich zuständige Staat dezidiert erklärt, den Beschwerdeführer nicht zu übernehmen, so müsste – da in der Dublin-II-Verordnung ein spezifisches Verfahren zur Schlichtung eines negativen Kompetenzkonfliktes nicht vorgesehen ist – die Frage, welcher Staat zur Durchführung des Asylverfahrens tatsächlich zuständig ist, nach allgemeinen EU-rechtlichen Grundsätzen letztlich vom EuGH geklärt werden; zu diesem Zweck könnte seitens des Oö. Verwaltungssenates zwar grundsätzlich ein Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV initiiert werden; allerdings ist a priori nicht absehbar, binnen welcher Frist der EuGH hierüber eine Entscheidung treffen wird; angesichts der textlich unverbindlichen und rechtlich zudem sanktionslosen Formulierung des letzten Absatzes des Art. 267 AEUV sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass zur diesbezüglichen Praxis des EuGH entsprechende Erfahrungswerte gegenwärtig (noch) nicht vorliegen, war unter Beachtung der vom VfGH schon in seinem Erkenntnis vom 28. Juni 2006, G 2/04 u.a., zum Ausdruck gebrachten Rechtsansicht, dass durch ein Normenkontrollverfahren der Rechtsschutz des Betroffenen nicht eingeschränkt werden darf, von der Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens abzusehen und stattdessen Interesse des Beschwerdeführers davon auszugehen, dass die Ausweisung seit der ausdrücklich erklärten und v.a. mit dem seinerzeitigen Nichtasylwerberstatus des Rechtsmittelwerbers begründeten Weigerung Italiens, ihn zu übernehmen, nicht mehr vollstreckbar ist;

* Sicherungsnotwendigkeit: Ungeklärte Identität, Fehlen eines ordnungsgemäßen Wohnsitzes, keine soziale und berufliche Integration und dezidierte Weigerung, sich nach Italien abschieben zu lassen, begründet im sog. Spätstadium des Asylverfahrens eine effektive Sicherungsnotwendigkeit; Aufenthalt in der zugewiesenen Betreuungsstelle vermag diese nicht zu entkräften, wenn und weil dieser kein spezifisches Wohl-, sondern bloß ein auf Grund der Umstände zielgerichtetes Verhalten für jenen Zeitraum darstellt, in dem noch mit einer positiven Erledigung des Asylverfahrens gerechnet werden konnte;

* Verhältnismäßigkeit: Wenn es auch offensichtlich ist, dass angesichts des Zweckes der Sicherungsmaßnahme – Gewährleistung der Möglichkeit der faktischen Durchführung der Abschiebung des Beschwerdeführers zu einem noch konkret festzusetzenden, jedoch in naher Zukunft liegenden Zeitpunkt – die alleinige Anordnung zur Unterkunftnahme in von der Behörde bestimmten Räumen und/oder eine Verpflichtung zur periodischen Meldung bei einer Sicherheitsdienststelle keine zur effektiven Zielerreichung geeigneten Maßnahmen darstellen können, so ist damit noch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass eine vergleichbare Effektivität dadurch erreicht werden kann, dass diese Maßnahmen mit einer elektronischen Fußfessel kombiniert werden; ob dies im konkreten Fall tatsächlich möglich ist, ist jeweils anhand von dessen spezifischer Einzelumstände zu prüfen; keine adäquate Effektivität gewährleistet, wenn der Fremde dezidiert kundgetan hat, dass er schon eine Außerlandesschaffung nach Italien in einem solchen Ausmaß als bedrohlich empfindet, sodass offensichtlich ist, dass er zur Verhinderung dieser Maßnahme auch wesentlich schwerere Hürden zu überwinden bereit wäre, als sich bloß einer Fußfessel zu entledigen.

 

Beachte:

Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgelehnt.

VwGH vom 16. November 2012, Zl.: 2011/21/0017-5

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