Linz, 29.12.2010
E R K E N N T N I S
I. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.
II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.
Rechtsgrundlagen:
Zu I. § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 135/2009 – AVG iVm § § 24, § 45 Abs.1 Z1, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 135/2009 – VStG.
Zu II. § 66 Abs.1 u. 2 VStG
Entscheidungsgründe:
1. Die Bezirkshauptmannschaft Rohrbach hat mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis über den Berufungswerber wegen der Übertretungen nach § 4 Abs.5 iVm § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960 und § 102 Abs.1 iVm § 4 Abs.2 u. § 134 Abs.1 KFG 1967 je eine Geldstrafe in Höhe von € 200,-- und € 80,-- und für den Fall der Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafen in der Dauer von 90 und 33 Stunden verhängt, wobei ihm folgendes Tatverhalten zu Last gelegt wurde:
„1) Sie sind mit einem Verkehrsunfall mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang gestanden und haben nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle verständigt.
Tatort: Gemeinde Wels, Autobahn Freiland, Innkreisautobahn, Fahrtrichtung Suben, Nr. 8 bei km 13.000.
Tatzeit: 08.02.2010, 11:40 Uhr.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt: § 4 Abs. 5 StVO
2) Sie haben sich als Lenker, obwohl es Ihnen zumutbar war, vor Antritt der Fahrt nicht -davon überzeugt, dass der von Ihnen verwendete Kraftwagenzug den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes entspricht, da festgestellt wurde, dass Sie nicht dafür gesorgt haben/stess durch den sachgemäßen Betrieb weder Gefahren für andere Straßenbenützer noch Beschädigungen der Straße, vermeidbare Beschmutzungen anderer Straßenbenützer oder ihrer Fahrzeuge entstehen. Es wurde festgestellt, dass Sie es unterlassen haben, auf dem Dach des Sattelanhänger anhaftende Eisplatten vor Fahrtantritt zu entfernen, sodass diese auf ein nachfahrendes Fahrzeug fallen konnten.
Tatort: Gemeinde Wels, Autobahn Freiland, Innkreisautobahn, Fahrtrichtung Suben, Nr. 8 bei km 13.000.
Tatzeit: 08.02.2010, 11:40 Uhr.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt: § 102 Abs. 1 KFG i.V.m. § 4 Abs. 2 KFG
Fahrzeug: Kennzeichen X, LKW.“
1.1. Begründend traf die Behörde erster Instanz unter dataillierte Wiedergabe der Akteninhalte und Vorbringen des Berufungswerbers nachfolgende Erwägungen:
2. Dem tritt die Berufungswerber mit seiner fristgerecht durch seinen ausgewiesenen Rechtsvertreter mit nachfolgenden Ausführungen entgegen.
2.1. Diesem Vorbringen war zu folgen!
3. Da keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, ist der unabhängige Verwaltungssenat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zur Entscheidung berufen. Die Durchführung einer Berufungsverhandlung war angesichts der bestrittenen Tatvorwürfe erforderlich (§ 51e Abs.1 VStG).
3.1. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Verfahrensakt. Als Zeuge wurde anläßlich der Berufungsverhandlung am 14.12.2010 der Anzeiger X, sowie der Berufungswerber als Beschuldiger einvernommen. Der Sachbearbeiter der Behörde erster Instanz nahm als deren Vertreter am 14.12.2010 an der Berufungsverhandlung ebenfalls teil.
Über Antrag wurde am 29.12.2010 auch die Ehefrau des Berufungswerbers als Zeugin einvernommen. Ebenfalls wurden Erkundigungen betreffend den behaupteten Anruf des Berufungswerbers auf der Notrufnummer der Polizei und die Daten über die Temperatur und Witterungsverhältnisse am Vorfallstag eingeholt. Abermals erschien der Berufungswerber zur zweiten Berufungsverhandlung persönlich, wobei ein Vertreter der Behörde erster Instanz am 29.12.2010 ohne Angabe von Gründen der Verhandlung fern blieb.
4. Sachverhalt:
Der Berufungswerber war zum oben angeführten Zeitpunkt mit dem Lkw auf der Innkreisautobahn nicht in Richtung Suben, sondern in Richtung Linz unterwegs. Dort wurde er von einem schwarzem Voyager mit viel Schnee auf dem Dach überholt, wobei sich unmittelbar danach von dessen Dach der Schnee löste und entspechend durch die Luft gewirbelt wurde.
Kurz danach wurde der Lkw des Berufungswerbers vom Zeugen Oberdammer überholt und zum jähen Anhalten veranlasst. Dabei ragte vorerst der Sattelauflieger noch in die rechte Fahrbahn, sodass Oberdammer vom Berufungswerber aufgefordert wurde nach vorne zu fahren um keine Verkehrsgefährdung zu provozieren.
Der im Fahrzeug sitzen bleibende Zeuge konfrontierte den Berufungswerber mit einem behaupteten Eisabwehen von seinem Fahrzeugdach bzw. der Plane.
Dies verneinte der Berufungswerber und verwies auf einen in dieser Phase vor ihm fahrenden VAN, welcher eine etwa 40 cm hohe Schneehaube am Dach hatte welche sich gelöst hätte.
Der Zeuge X setzte nach dieser kurzen und wohl für ihn nicht zielführend verlaufenen Unterredung seine Fahrt mit dem Hinweis fort den Berufungswerber anzuzeigen. Hätte er etwa vor Ort verweilt wäre die Polizei wohl in die Lage versetzt worden Nachschau zu halten ob sich etwa tatsächlich Eis am Fahrzeug des Berufungswerbers befunden hätte.
So hat letztlich der Berufungswerber, der offenbar guten Gewissens war, seinerseits über Notruf die Polizei verständigt, wo er glaubhaft mit einem Beamten namens X oder X sprach. Dieser wiederum erachtete diese Mitteilung offenbar ebenfalls als ausreichend.
In weiterer Folge rief der Berufungswerber seine Ehefrau an und erzählte ihr von diesem Vorfall. Dies vor dem Hintergrund, dass ja bereits nach sieben Uhr in der Früh das Fahrzeugdach von Eis befreit wurde.
Dies laut Berufungswerber im Rahmen seiner Aussage am 14.12.2010 derart, dass ihn seine Frau mit dem Hubstappler auf einer Palette nach oben hob wo er die Plane von Schnee und Eis reinigte.
Dies wurde anlässlich der fortgesetzen Berufungsverhandlung am 29.1.2010 von Frau X zeugenschaftlich bestätigt. Die Zeugin machte dabei einen sehr authentischen und glaubwürdigen Eindruck.
Laut den eingeholten Wetterdaten gab es an diesem Tag an der Luftmessstelle in Wels keine Niederschläge und es herrschten durchgehend Minustemperaturen. In den Morgenstunden knappe minus fünf Grad und zur Mittagszeit etwa minus zwei Grad Celsius. Im Verlaufe des Vormittags wurde es sonnig.
4.1. Die Berufungsbehörde erachtet in Zusammenschau mit den erhobenen Fakten die Verantwortung des Berufungswerbers als schlüssig und glaubwürdig. Sie ist nicht nur von Anbeginn gleichlautend, sondern auch mit mehr nachvollziehbaren Fakten als vom Zweitbeteiligten untermauert, wobei im Gegensatz dazu der Darstellung des nicht einmal aus seinem Fahrzeug aussteigenden Zeugen X, nicht in diesem Umfang eine Überzeugungskraft zugedacht werden konnte. Vielmehr reduziert sich dessen Aussage bloß auf die Behauptung Eis wäre von der Plane gefallen.
Als sehr unwahrscheinlich kann alleine der Umstand gelten, dass ein auf seinem Fahrzeugdach allenfalls anhaftendes Eis erst nach mehr als vierstündiger und über eine relativ weite und mehrere Zwischenstationen führende Fahrt abgeweht worden wäre. Dagegen spricht auch das niederschlagsfreie Wetter und die ständigen Minustemperaturen.
Andererseits war auch die Aussage seiner Ehefrau, betreffend die Fahrzeugsäuberung in der früh und die Information die sie telefonisch vom Berufungswerber nach dem Vorfall mit dem Zeugen X erhalten hat, glaubwürdig. Daher konnte sie sich auch glaubhaft an die tatsächlich erfolgte Reinigung des Fahrzeuges erinnern.
Dem gegenüber überzeugte X in seiner Wahrnehmung, wonach er das Eis von der Plane des vom Berufungswerber gelenkten Lkw habe kommen sehen, nicht in diesem Umfang. Es ist vielmehr sehr wahrscheinlich, dass der Eisabwurf sehr wohl vom Vorderfahrzeug stammte, welcher jedoch von X weder gesehen noch angehalten werden konnte.
Da die Einsbrocken des Vorderfahrzeuges vom Lkw wohl ebenfalls verwirbelt oder von diesem sogar weggeschleudert wurden, könnte der Anzeiger wohl tatsächlich die redliche Auffassung vertreten haben, der Lkw wäre der Verursacher gewesen.
Das er sich letztlich an den LKW als den vermeintlichen Verursacher hielt ist wohl aus der subjektiven Interessenlage des Anzeigers nachvollziehbar, aber damit vermag vor dem Hintergrund der vom Berufungswerber glaubwürdigen Verantwortung wohl keinesfalls ein den Verfahrensgarantien iSd Art. 6 EMRK entsprechend tauglicher Schuldspruch gestützt werden.
5. Rechtlich hat der Oö. Verwaltungssenat wie folgt erwogen:
Grundsätzlich gilt als Verkehrsunfall jedes plötzliche, mit dem Straßenverkehr ursächlich zusammenhängende Ereignis anzusehen, welches sich auf Straßen mit öffentlichem Verkehr zuträgt und einen Personen- oder Sachschaden zur Folge hat (VwGH 20.4.2001, 99/02/0176 u.a.).
Dies trifft wohl auch für das Herabfallen oder Abwehen einer Eisplatte vom Aufbau eines Lkw´s zu.
Gemäß § 4 Abs.5 StVO 1960 haben, wenn bei einem Verkehrsunfall nur Sachschaden entstanden ist, die in Abs.1 genannten Personen – nämlich: deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhange steht - die nächste Polizeidienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Eine solche Verständigung darf jedoch unterbleiben, wenn die im Abs.1 genannten Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben.
Nun stand hier das Verhalten des Berufungswerbers mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht mit der behaupteten Beschädigung des Zweitbeteiligten in ursächlichen Zusammenhang. Die Qualität der belastenden Zeugenaussage wird zumindest als nicht ausreichend beweistauglich erachtet.
Darüber hinaus entfernte sich der Zweitbeteiligte noch vor dem Berufungswerber von der behaupteten Unfallstelle.
Es könnte auf sich bewenden, jedoch sei dennoch aufgezeigt, dass vor diesem Hintergrund es mangels Ursächlicheit auch keiner Meldung seitens des Berufungswerbers bedurft hätte. Jedenfalls wäre der Berufungswerber – im Gegensatz zu Auffassung der Behörde erster Instanz – mit dem bloßen Anruf bei der Polizei dieser Pflicht nachgekommen.
Warum sollte er mit dem Schwerfahrzeug den Weg zu einer nächst gelegenen Polizeidienststelle antreten um dort darzulegen, dass Eis vom Vorderfahrzeug abgeworfen wurde und zu Unrecht der Zweitbeteiligte behaupte, es sei von seinem Lkw gekommen. So beurteilte dies offenbar auch der am Notruf erreichte Gesprächspartner des Berufungswerbers.
5.1. Abschließend ist zu bemerken, dass an die Würdigung von Beweisen nach § 45 Abs.2 AVG insbesondere in einem Strafverfahren vor dem Hintergrund eines fairen Verfahrens ein strengerer Maßstab und nicht bloß eine aus der Lebensnähe gezogene Schlussfolgerung zu stellen ist (vgl. VfSlg 12649; sowie Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, 5. Auflage, S 98, Fn 372).
Letztlich ist schon bei bloßem Zweifel am Tatvorwurf von der Fortführung eines Verwaltungsstrafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen (vgl. VwGH 12.3.1986, 84/03/0251; ZfVB 1991/3/1122, VwGH 18.9.1991, 90/03/0266 mit Hinweis auf VwGH 8.3.1985, 85/18/0191).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
H i n w e i s:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.
Dr. B l e i e r