Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231189/2/Gf/Mu

Linz, 22.12.2010

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Grof über die Berufung der x gegen das Straferkenntnis des Polizeidirektors von Linz vom 18. November 2010, Zl. S-36907/10-2, wegen einer Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird insoweit stattgegeben, als die Geldstrafe auf 150 Euro und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 35 Stunden herabgesetzt wird; im Übrigen wird diese hingegen abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe bestätigt, dass in dessen Spruch nach dem Zitat "FPG" jeweils die Wendung "i.d.F. BGBl.Nr. I 4/2008" einzufügen ist. 

II. Der Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde ermäßigt sich auf 15 Euro; für das Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat ist kein Kostenbeitrag zu leisten.

Rechtsgrundlagen:

§ 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG; § 64 Abs. 1 und 2 VStG; § 65 VStG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Straferkenntnis des Polizeidirektors von Linz vom 18. November 2010, Zl. S-36907/10-2, wurde über die Rechtsmittelwerberin eine Geldstrafe in Höhe von 1.000 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 4 Tage) verhängt, weil sie sich seit dem 12. Februar 2009 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe; dadurch habe sie eine Übertretung des § 120 Abs. 1 Z. 2 des Fremdenpolizeigesetzes (im Folgenden: FPG), i.V.m. § 31 Abs. 1 Z. 2 bis 4 und 6 FPG begangen, weshalb sie nach § 120 Abs. 1 FPG zu bestrafen gewesen sei.

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass sich nach den von der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungen keine Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, die geeignet gewesen wären, den Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich als legal anzusehen.

Im Zuge der Strafbemessung seien ihre bisherige Unbescholtenheit als mildernd zu werten und die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse mangels entsprechender Mitwirkung von Amts wegen zu schätzen gewesen.

1.2. Gegen dieses ihr am 23. November 2010 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 29. November 2010 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebene Berufung.

Darin wird vorgebracht, dass es zwar zutreffe, dass ihr Asylverfahren bereits seit dem 12. Februar 2009 rechtskräftig negativ abgeschlossen sei. Allerdings habe sie sich darum bemüht, ihren Aufenthalt durch Erlangung eines humanitären Bleiberechts zu legalisieren, indem sie am 15. September 2009 einen Antrag auf Niederlassungsbewilligung gemäß § 44 Abs. 4 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) gestellt habe. Das diesbezügliche Verfahren sei zwar noch nicht abgeschlossen, doch im Hinblick auf den Beschluss des VwGH vom 14. September 2009, Zl. AW 2009/21/0149-5, sei eine Abschiebung unzulässig, solange die zuständige Behörde über ihren auf § 44 Abs. 4 NAG  gestützten Antrag noch nicht entschieden habe. Daher komme ihr im Wege dieser Antragsstellung hinsichtlich der seit 11. Juni 2010 vorliegenden Ausweisungsentscheidung gleichsam eine "aufschiebende Wirkung" zu. Weiters wird zugestanden, dass ein solche Antragsstellung zwar weder ein Aufenthaltsrecht noch einen Abschiebungsaufschub nach sich ziehe, aber es müsse ihr zugute gehalten werden, dass insgesamt besehen eine entschuldigende Notstandssituation mit einem unauflöslichen Interessenskonflikt i.S.d. § 6 VStG vorliege bzw. ihr Verschulden auf Grund dieser Umstände jedenfalls geringfügig sei.

Daher wird die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens, in eventu eine Herabsetzung der Strafe beantragt.

2.1. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der Bundespolizeidirektion Linz zu Zl. S-36907/10-2; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ und die Berufungswerberin lediglich eine unrichtige rechtliche Beurteilung durch die belangte Behörde behauptet, den von dieser ermittelten Sachverhalt aber unbestritten gelassen hat und die Verfahrensparteien auch einen entsprechenden Antrag nicht gestellt haben, konnte im Übrigen gemäß § 51e VStG von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

2.2. Weil in dem diesem Verfahren zu Grunde liegenden Straferkenntnis eine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe nicht verhängt wurde, war im Rechtsmittelverfahren ein Einzelmitglied zur Entscheidung zuständig (vgl. § 51c VStG).

3. Über die vorliegende Berufung hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

3.1. Gemäß § 120 Abs. 1 Z. 2 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 135/2009, begeht derjenige eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 1.000 Euro bis zu 5.000 Euro zu bestrafen, der sich als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

Nach § 31 Abs. 1 FPG halten sich Fremde dann rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während ihres Aufenthalts die zulässige Aufenthaltsdauer nicht überschreiten (Z. 1), wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation ihres Aufenthaltsrechts nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes zum Aufenthalt berechtigt sind (Z. 2), wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind (Z. 3), wenn und solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt (Z. 4), wenn sie über eine Beschäftigungsbewilligung, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung oder eine Anzeigebestätigung verfügen (Z. 6) oder wenn sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Bestimmungen ergibt (Z. 7).

3.2. Im gegenständlichen Fall wendet sich die Rechtsmittelwerberin nicht dagegen, dass sie sich bereits seit dem 12. Februar 2009 widerrechtlich in Österreich aufhält. Sie bringt allerdings auf der Ebene des Verschuldens vor, dass sie deshalb kein Verschulden treffen könne, weil sie am 15. September 2009 einen Antrag auf Niederlassungsbewilligung gemäß § 44 Abs. 4 NAG bei der zuständigen Behörde gestellt habe, dem gleichsam eine aufschiebende Wirkung zukomme; zudem liege eine entschuldigende Notstandssituation mit einem unauflöslichen Interessenskonflikt i.S.d. § 6 VStG vor bzw. könne ihr bloß ein geringfügiges Verschulden angelastet werden.

Dieser Einwand vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil es offensichtlich ist, dass sie seit ihrer Einreise im Oktober 2001 mehr als ausreichend Zeit gehabt hätte, sich über die für ihren Aufenthalt im Bundesgebiet maßgeblichen Rechtsvorschriften rechtzeitig bei der zuständigen Behörde zu informieren. Indem sie dies allerdings über Jahre hinweg offensichtlich konsequent – wenngleich im Hinblick auf eine allfällige positive Erledigung ihres Asylverfahrens; eine derartige, schon von vornherein bloß unsichere Chance vermag freilich die eben angesprochene, schon seit der Einreise und in der Folge auf Dauer bestehende Informationspflicht nicht zu sistieren – unterlassen und überdies erst am 15. September 2009 und somit sieben Monate nach dem negativen Abschluss ihres Asylverfahrens versucht hat, ein humanitäres Bleiberecht zu erlangen, stellt sich die Situation insgesamt vielmehr so dar, dass sie jene (überdies bloß formalen) Fakten (nämlich: die Antragstellung gemäß §§ 43 oder 44 NAG), die ihren Schuldausschluss bewirken sollen, erst lange nach dem Beginn des ihr angelasteten strafbaren Verhaltens gesetzt hat. Von einer – noch dazu berücksichtigungswürdigen – Notstandssituation oder gar einem Wohlverhalten kann daher keine Rede sein, im Gegenteil: Der Umstand, dass auch die Antragstellung erst lange Zeit nach dem Inkrafttreten der Neufassung der §§ 43 und 44 NAG erfolgte, belegt insgesamt zweifelsfrei, dass es der Rechtsmittelwerberin offenbar nur darum geht, jede sich bietende Gelegenheit – wozu insbesondere auch die ultimativ späte Einbringung von Anträgen und/oder Rechtsbehelfen zählt – dazu zu nützen, um die Beendigung ihres faktischen Aufenthalts in Österreich so lange als möglich hinauszuzögern.

Gesamthaft betrachtet ist ihr sohin unter verwaltungsstrafrechtlichen Gesichtspunkten zumindest ein grob fahrlässiges (wenn nicht sogar mutwilliges und damit vorsätzliches) und somit auch schuldhaftes Verhalten vorzuwerfen.

Ihre Strafbarkeit ist daher gegeben.

3.3.1. Hinsichtlich der Strafbemessung ist jedoch zu beachten, dass als Tatzeitraum deshalb, weil im Spruch lediglich der Beginn des strafbaren Verhaltens explizit angeführt ist (12. Februar 2009), das gesamte rechtswidrige Verhalten bis zur Erlassung des angefochtenen Straferkenntnisses, d.i. bis zum 23. November 2010 (s.o., 1.2.) anzusehen ist (sog. "Erfassungswirkung"; vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei W. Hauer – O. Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 6. Auflage, Wien 2004, S. 1530 f).

3.3.2. Während dieses Zeitraumes wurde die maßgebliche Rechtsgrundlage, nämlich die Strafbestimmung des § 120 Abs. 1 FPG, durch die Novelle BGBl.Nr. I 122/2009 insoweit geändert, als der früher "bis zu 2.180 Euro" reichende Strafrahmen auf einen solchen "von 1.000 Euro bis zu 5.000 Euro" ausgedehnt wurde; seit dieser gemäß § 126 Abs. 7 FPG am 1. Jänner 2010 in Kraft getretenen Novelle ist daher nunmehr eine Mindeststrafe von 1.000 Euro vorgesehen.

Nach § 1 Abs. 2 VStG richtet sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, soweit das zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses geltende Recht für den Beschuldigten nicht günstiger ist.

Im gegenständlichen Fall war die Rechtslage in Bezug auf den zwischen dem 12. Februar 2009 und dem 31. Dezember 2009 liegenden Teilbereich des Tatzeitraumes für die Beschwerdeführerin offenbar insofern günstiger, als § 120 Abs. 1 FPG i.d.F. vor der Novelle BGBl.Nr. I 122/2009 einerseits keine Mindeststrafe und andererseits eine deutlich geringere Höchststrafe vorgesehen hat. Indem die belangte Behörde insoweit das Günstigkeitsprinzip des § 1 Abs. 2 VStG nicht beachtet hat, hat sie sohin das angefochtene Straferkenntnis möglicherweise (siehe dazu die nachfolgenden Ausführungen) mit Rechtswidrigkeit belastet.

3.3.3. Nach Art. 49 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl 2007/C 303/01, im Folgenden: Grundrechte-Charta) darf niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war; es darf auch keine schwerere Strafe als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden; wird nach der Begehung einer Straftat durch Gesetz eine mildere Strafe eingeführt, so ist (nur) diese zu verhängen.

Nach den Erläuterungen zur Grundrechte-Charta (ABl 2007/C 303/02) positiviert der letzte Satz dieser Bestimmung – über Art. 7 EMRK hinaus – die in zahlreichen Mitgliedstaaten der EU geltende "Regel der Rückwirkung von milderen Strafvorschriften".

Mit Blick auf den Wortlaut des Art. 49 Abs. 1 dritter Satz Grundrechte-Charta soll dieses spezifische Rückwirkungsverbot aber offenbar nur Zustands-, nicht jedoch auch Dauerdelikte erfassen. Denn insbesondere jener Fall, dass sich die Strafdrohung während eines Dauerdeliktes in der Richtung ändert, dass die Strafdrohung pro futuro (nicht herabgesetzt, sondern) erhöht wird, ist zum einen nicht explizit geregelt; und andererseits ergeben sich auch aus den Erläuterungen zur Grundrechte-Charta keine Hinweise darauf, dass mit dieser Regelung eine über die Rückwirkung von milderen Strafvorschriften hinausreichende, insbesondere eine zukünftige Strafverschärfung generell verhindernde Wirkung beabsichtigt gewesen wäre.

Unabhängig von der Problematik, inwieweit die Grundrechte-Charta dem Einzelnen überhaupt unmittelbar subjektive Rechte gewährleistet, stellt sich somit auch inhaltlich betrachtet die Frage, ob Art. 49 Abs. 1 dritter Satz Grundrechte-Charta allenfalls als unmittelbar anwendbares Primärrecht dem § 1 Abs. 2 VStG vorgeht, hier schon von vornherein nicht.  

3.3.4. In seinem Urteil vom 17. September 2009, 10249/03, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unter ausdrücklichem Abgehen von seiner früheren Judikatur festgestellt, dass Art. 7 Abs. 1 EMRK nicht nur das Verbot der Rückwirkung strengerer Strafgesetze, sondern auch das Gebot der Rückwirkung milderer Strafgesetze statuiert: Wenn Unterschiede zwischen dem zur Zeit der Tatbegehung bestanden habendem und einem nachfolgend – noch vor der endgültigen Entscheidung – erlassenen Gesetz bestehen, dann muss das Gericht jenes Gesetz anwenden, dessen Strafsätze den Beschuldigten am meisten begünstigen[1].

Auch aus diesem Urteil lässt sich aber weder ableiten, dass durch Art. 7 Abs. 1 EMRK eine Erhöhung des Strafsatzes pro futuro grundsätzlich gehindert wäre, noch, dass der Beschuldigte dann, wenn ein Teilbereich des Tatzeitraumes noch unter das Regime der früheren, günstigeren Regel fällt, einen Anspruch darauf hätte, dass damit die gesamte Tat nach dem für ihn günstigeren Recht zu beurteilen wäre.

Hinsichtlich Art. 7 Abs. 1 EMRK erscheint daher die Bestimmung des § 1 Abs. 2 VStG in Bezug auf Dauerdelikte weder unter dem Aspekt des Art. 49 Abs. 1 dritter Satz der Grundrechte-Charta noch aus dem Blickwinkel des Urteiles des EGMR vom 17. September 2009, 10249/03, als verfassungsrechtlich bedenklich.

3.3.5. Davon ausgehend sind aber Art. 49 Abs. 1 der Europäischen Grundrechte-Charta und das vorerwähnte Urteil des EGMR auch nicht dazu geeignet, nunmehr die bisherige ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 1 Abs. 2 VStG, wonach bei Dauerdelikten das Tatende bzw. der letzte Teilakt entscheidend ist, in Zweifel zu ziehen: Danach ist nämlich dann, wenn dieser letzte Teilakt nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes gesetzt wurde, die Tat – und zwar selbst dann, wenn die neue Regelung vergleichsweise strenger ist – deshalb ausschließlich nach dem neuen Recht zu beurteilen, weil das strafbare Verhalten in der Zeit der strengeren Regelung noch fortgesetzt wurde (vgl. z.B. VwGH vom 2. Mai 2005, Zl. 2001/10/0183, m.w.N.).

Diese Judikatur zu Grunde legend ist daher als Zwischenergebnis festzuhalten, dass im gegenständlichen Fall die der Rechtsmittelwerberin angelastete Tat grundsätzlich in vollem Umfang nach § 120 Abs. 1 FPG i.d.F. der Novelle BGBl.Nr. I 122/2009 zu beurteilen ist.

3.3.6. Zu prüfen bleibt allerdings noch, ob die Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 12 FPG letztlich nicht zu einem anderen Endergebnis führen muss.

Danach gelten "die §§ 114 bis 121 dieses Bundesgesetzes in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl.Nr. I 29/2009 ..... für strafbare Handlungen, die vor dem 1. Jänner 2010 begangen wurden, weiter".

Im Lichte der zuvor angeführten ständigen Judikatur des VwGH zu den Dauerdelikten könnte diese Anordnung i.V.m. der Inkrafttretensbestimmung des § 126 Abs. 7 FPG (1. Jänner 2010) entweder bedeuten, dass damit die Anordnung des § 1 Abs. 2 VStG im Ergebnis lediglich wiederholt wird; oder, dass dadurch bestimmt wird, dass die gesamte – vor dem 1. Jänner 2010 begonnene und erst danach abgeschlossene – Tat nach der früheren, hinsichtlich ihrer Strafdrohung milderen Sanktionsnorm zu beurteilen ist; oder, dass hinsichtlich des vor dem 1. Jänner 2010 liegenden Teilbereiches des Tatzeitraumes die frühere und in Bezug auf den nach diesem Zeitpunkt liegenden Teilbereich die spätere Rechtslage anzuwenden ist.

Den Gesetzesmaterialien ist zur Lösung dieser Problematik unmittelbar nichts zu entnehmen, weil sich die Regierungsvorlage insoweit bloß auf die Wiederholung des Gesetzestextes beschränkt (vgl. 330 BlgNR, 24. GP, S. 38) und der Ausschussbericht hierzu überhaupt schweigt (vgl. 387 BlgNR, 24. GP).

Gerade aus dem Umstand, dass zu der zuvor dargestellten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Dauerdelikten überhaupt nicht Stellung bezogen wird, lässt sich jedoch nach h. Auffassung ableiten, dass diese dem Gesetzgeber wohl nicht aktuell bewusst war. Und in Verbindung damit, dass ohne entsprechenden konkreten Hinweis auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Normsetzer mit einer Novelle Überflüssiges anordnet – Derartiges läge aber vor, wenn man in § 125 Abs. 12 FPG in dem bereits zuvor aufgezeigten Sinn lediglich eine Wiederholung der ohnehin bereits mit § 1 Abs. 2 VStG getroffenen Anordnung erblickt –, kommt man insgesamt zu dem Ergebnis, dass der eigenständige Sinn der Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 12 FPG letztlich darin liegt, dass eine bereits vor dem 1. Jänner 2010 begonnene Übertretung des § 120 Abs. 1 FPG in vollem Umfang nach der Rechtslage vor der Novelle BGBl.Nr. I 122/2009 zu beurteilen ist. Dies deshalb, weil auch die dritte zuvor aufgezeigte Alternative – nämlich: Trennung des Tatzeitraumes in einen vor und einen nach diesem Zeitpunkt liegenden Teilbereich (wie dies der Verwaltungsgerichtshof bei Dauerdelikten ansonsten nur hinsichtlich Übertretungs- und Sanktionsnorm kennt; vgl. z.B. VwGH v. 8. Oktober 1990, 90/19/0319) – zu dem insgesamt unbilligen Ergebnis führen würde, dass die Gesamtstrafe damit zwangsläufig stets über der mit der Novelle BGBl.Nr. I 122/2009 eingeführten Mindeststrafe liegen müsste.

3.3.7. Davon ausgehend hätte daher die belangte Behörde im gegenständlichen Fall für den gesamten Tatzeitraum als Sanktionsnorm die Bestimmung des § 120 Abs. 1 FPG i.d.F. vor der Novelle BGBl.Nr. I 122/2009, also (weil durch die Novelle BGBl.Nr. I 29/2009 keine Änderung der hier relevanten Bestimmungen erfolgte) i.d.F. BGBl.Nr. I 4/2008 anzuwenden gehabt; in dieser war aber lediglich eine Geldstrafe "bis zu 2.180 Euro" vorgesehen.   

Dem entsprechend findet es der Oö. Verwaltungssenat unter den Aspekten des konkret vorliegenden Falles (Milderungsgrund der bisherigen Unbescholtenheit einerseits; tatbestandsmäßiges Verhalten von einem Jahr und acht Monaten als erschwerend – und damit eine Anwendbarkeit des § 21 Abs. 1 VStG ausschließend – andererseits) in gleicher Weise als tat- und schuldangemessen, die verhängte Geldstrafe mit 150 Euro und die Ersatzfreiheitsstrafe gemäß der durch § 16 Abs. 2 VStG vorgegebenen Relation mit 35 Stunden festzusetzen.

3.4. Insoweit war der gegenständlichen Berufung gemäß § 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG stattzugeben; im Übrigen war diese hingegen als unbegründet abzuweisen und das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe zu bestätigen, dass in dessen Spruch nach dem Zitat "FPG" jeweils die Wendung "i.d.F. BGBl.Nr. I 4/2008" einzufügen ist. 

4. Bei diesem Verfahrensergebnis ermäßigt sich der Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde nach § 64 Abs. 1 und 2 VStG auf 15 Euro; für das Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat war der Berufungswerberin gemäß § 65 VStG kein Kostenbeitrag vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 220 Euro zu entrichten.

Dr.  G r o f

VwSen-231189/2/Gf/Mu vom 22. Dezember 2010

Erkenntnis

VStG § 6;

FPG § 120 Abs 1 Z 2

Wenn offensichtlich ist, dass der Bf seit seiner Einreise mehr als ausreichend Zeit gehabt hätte, sich über die für seinen Aufenthalt im Bundesgebiet maßgeblichen Rechtsvorschriften rechtzeitig bei der zuständigen Behörde zu informieren, liegt kein entschuldigender Notstand vor. Indem er dies allerdings über Jahre hinweg offensichtlich konsequent – wenngleich im Hinblick auf eine allfällige positive Erledigung seines Asylverfahrens; eine derartige, schon von vornherein bloß unsichere Chance vermag freilich die eben angesprochene, schon seit der Einreise und in der Folge auf Dauer bestehende Informationspflicht nicht zu sistieren – unterlassen und überdies erst sieben Monate nach dem negativen Abschluss seines Asylverfahrens versucht hat, ein humanitäres Bleiberecht zu erlangen, stellt sich die Situation insgesamt vielmehr so dar, dass er jene (überdies bloß formalen) Fakten (nämlich: die Antragstellung gemäß § 43 oder 44 NAG), die seinen Schuldausschluss bewirken sollen, erst lange nach dem Beginn des ihm angelasteten strafbaren Verhaltens gesetzt hat. Von einer – noch dazu berücksichtigungswürdigen – Notstandssituation oder gar einem Wohlverhalten kann daher keine Rede sein; im Gegenteil: Der Umstand, dass die Antragstellung erst lange Zeit nach dem Inkrafttreten der Neufassung der §§ 43 und 44 NAG erfolgte, belegt insgesamt zweifelsfrei, dass es dem Rechtsmittelwerber offenbar nur darum geht, jede sich bietende Gelegenheit – wozu insbesondere auch die ultimativ späte Einbringung von Anträgen und/oder Rechtsbehelfen zählt – dazu zu nützen, um seinen faktischen Aufenthalt in Österreich so lange als möglich hinauszuzögern.

 

 

 

 

 

 

 

 



[1] "..... that Article 7 § 1 of the Convention guarantees not only the principle of non-retrospectiveness of more stringent criminal laws, but also, and implicitly, the principle of retrospectiveness of the more lenient criminal law. ..... where there are differences between the criminal law in force at the time of the commission of the offence and subsequent criminal laws enacted before a final judgment is rendered, the courts must apply the law whose provisions are most favourable to the defendant." (EGMR v. 17. September 2009, 10249/03 [Fall Scoppola/Italien], RN 109).

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