Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231133/2/SR/Sta

Linz, 10.01.2011

 

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung der x, x, vertreten durch Rechtsanwältin x, x, gegen das Strafer­kenntnis des Bezirkshauptmannes von Eferding vom 1. September 2010, Gz. Sich96-43-2010, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem Fremden­polizeigesetz (FPG), zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird insoweit stattgegeben, als die Geldstrafe auf 150 Euro und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 35 Stunden herabgesetzt werden; im Übrigen wird diese hingegen abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe bestätigt, dass in dessen Spruch nach dem Zitat "FPG" jeweils die Wendung "i.d.F. BGBl. Nr. I 4/2008" einzufügen ist. 

II. Der Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde ermäßigt sich auf 15 Euro; für das Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat ist kein Kostenbeitrag zu leisten.

Rechtsgrundlagen:

§ 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG; § 64 Abs. 1 und 2 VStG; § 65 VStG.

 

 

 

 Entscheidungsgründe:

 

1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Eferding vom 1. September 2010, Gz.: Sich96-43-2010, wurde die Berufungswerberin (im Folgenden: Bw) wie folgt für schuldig erkannt und bestraft:

 

"Sie sind Staatsangehörige von der Türkei, somit Fremder im Sinne des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG).

Sie haben sich in Österreich zwischen 14.01.2009 bis zumindest 04.08.2010 aufgehalten, obwohl Sie

  1. nicht rechtmäßig eingereist sind;
  2. nicht auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;
  3. nicht Inhaber eines von einem Vertragsstaat (sog. Schengen-Staat) ausgestellten Aufenthalttitels sind;
  4. Ihnen nach der per 13.01.2009 erfolgten Erledigung des Asylverfahrens kein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen (§ 13 AsylG) zukommt;
  5. Sie nicht aufgrund eines Rückübernahmeabkommens (§ 19 Abs 4 FPG) oder internationaler Gepflogenheiten rückgenommen werden mussten oder nicht auf Grund einer Durchbeförderungserklärung, sonstiger zwischen­staatlicher Abkommen oder auf Ersuchen eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union um Durchbeförderung (§ 48 Abs 1 FPG) oder aufgrund einer Durchlieferungsbewilligung gemäß § 67 ARHG eingereist sind;
  6. Sie keine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäfti­gungs­gesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsende­bewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gem. § 3 Abs 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs 3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten innehaben; und
  7. sich auch aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften keine Recht­mäßig­keit Ihres Aufenthaltes ergibt.

 

Sie haben sich daher zwischen 14.01.2009 bis zumindest 04.08.2010 gem. § 31 FPG nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten."

Dadurch habe die Bw eine Verwaltungsübertretung nach § 120 Abs. 1 Z. 2 FPG iVm § 31 FPG begangen.

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über die Bw gemäß § 120 Abs. 1 FPG eine Geldstrafe von 1.000,-- Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 100 Stunden, verhängt.

Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensablaufes und der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen stand für die belangte Behörde fest, dass die Bw Fremde im Sinne des Fremdengesetzes sei und über keine Aufenthaltsberechtigung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz verfüge. Weiters sei die Bw nicht Inhaberin eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels und es komme ihr kein Aufenthaltsrecht nach den asylrechtlichen Bestimmungen zu. Da für sie auch keine Beschäftigungsbewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz ausgestellt worden sei, erfülle sie keine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 FPG. Sie halte sich somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich auf.

Im Verfahren habe die Bw bestätigt, dass sie nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels sei, dennoch glaube sie, dass sie in Österreich bleiben könne, weil sich der Gatte schon seit ca. 9 Jahren in Österreich aufhalte. Das Asylverfahren des Gatten sei am 14. Jänner 2009 rechtskräftig negativ abgeschlossen worden.

Mit Bescheid vom 16. Juli 2010 habe die belangte Behörde die Bw ausgewiesen. Innerhalb offener Frist habe sie dagegen berufen.

Bei der Bemessung der Strafe habe die belangte Behörde auf § 19 VStG Bedacht genommen. Mildernd sei die bisherige Unbescholtenheit gewertet worden; straferschwerende Umstände seien nicht hervorgekommen. Die Anwendung des § 21 VStG sei nicht in Betracht gekommen, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen seien.

2. Gegen dieses der Rechtsvertreterin der Bw am 3. September 2010 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 17. September 2010 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebene Berufung.

In der Begründung führte die Rechtsvertreterin aus, dass die Bw als Ehegattin des x diesem am 4. März 2008 nachgereist sei und davon ausgehe, dass sie in Österreich bleiben dürfe, da sich der Gatte immerhin schon seit ca. 9 Jahren in Österreich aufhalte. Gegen den Ausweisungsbescheid vom 16. Juli 2010 sei Berufung erhoben worden. Eine Entscheidung von der Berufungsbehörde sei bis dato nicht erfolgt. Mangels einer durchsetzbaren Ausweisung habe sie "de facto ein Aufenthaltsrecht in Österreich". Der Bw könne daher nicht angelastet werden, dass sie von einem illegalen Aufenthalt ausgehen habe müssen. Die Strafe sei außerdem unverhältnismäßig.

Im Hinblick auf den vorliegenden Sachverhalt beantragt die Rechtsvertreterin die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens.

3. Die Bezirkshauptmannschaft Eferding hat den Verwaltungsstrafakt GZ Sich96-43-2010 samt Berufungsschrift vorgelegt.

Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Vorlageakt; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ und lediglich Rechtsfragen zu klären waren, konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

3.1. Aufgrund der Aktenlage steht folgender Sachverhalt fest:

3.1.1. Die Bw ist türkische Staatsangehörige und hält sich laut eigenen Angaben seit dem 4. März 2008 in Österreich auf. Der Antrag auf internationalen Schutz (im Folgenden: Asylantrag – AI 08 2.441) wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes am 13. Jänner 2009 rechtskräftig abgewiesen und die vorläufige Aufenthaltsberechtigung am 27. Jänner 2009 widerrufen.

Am 29. Oktober 2009 hat die Bw einen Antrag gemäß § 44 Abs. 4 NAG bei der belangten Behörde eingebracht und über diesen wurde bis dato nicht entschieden.

In der Stellungnahme im Niederlassungs- und Aufenthaltsverfahren sei die Sicherheitsdirektion Oberösterreich am 9. Februar 2010 zum Ergebnis gekommen, dass die fremdenpolizeilichen Maßnahmen iSd Art. 8 EMRK zulässig seien.

3.1.2. Aufgrund der Ladung vom 4. August 2010, in der die belangte Behörde der Bw die Rechtswidrigkeit ihres Aufenthaltes vorgeworfen hat, wurde die Bw am 11. August 2010 niederschriftlich befragt. Dabei führte die Bw aus, dass sie nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels sei, jedoch in Österreich bleiben dürfe, weil ihr Gatte schon seit ca. 9 Jahren in Österreich aufhältig sei. Weitere Gründe für die Rechtmäßigkeit könne sie nicht angegeben. Gegen den Ausweisungsbescheid der belangten Behörde habe sie berufen. Im Zuge der niederschriftlichen Befragung des Gatten führte dieser am 18. August 2010 aus, dass die Bw nicht berufstätig sei, kein Einkommen beziehe, keine Schulden oder sonstige Verbindlichkeiten und bereits die dritte Stufe des Deutschintegrationskurses abgeschlossen habe.

 

Am 30. August 2010 gab die Rechtsvertreterin der Bw ihre Bevollmächtigung bekannt. Unmittelbar danach hat die belangte Behörde das angefochtene Straferkenntnis erlassen.

 

3.2. Unstrittig ist, dass die Bw den Aufenthalt im Bundesgebiet auf keine im § 31 Abs. 1 FPG genannten Gründe stützen kann, das Asylverfahren am 13. Jänner 2009 rechtskräftig negativ abgeschlossen und das Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung erst nach der Antragsstellung gemäß § 44 Abs. 4 NAG (29. Oktober 2009) eingebracht worden ist.

 

Die "Eheschließung vor dem x" im Jahre 2001 in der Türkei ist nicht aktenkundig und der nunmehrige Gatte hat nach seiner Einreise in Österreich im Jahr 2001 den Familienstand mit "ledig" bezeichnet. Erst nach der Einreise der Bw in Österreich fand am 9. April 2008 die standesamtliche Trauung statt.

 

Laut Aktenlage ist weder das Ausweisungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen noch eine Entscheidung im Verfahren nach § 44 Abs. 4 NAG ergangen.

 

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 120 Abs. 1 Z. 2 FPG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 1 000 Euro bis zu 5 000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen, wer sich als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

 

Nach § 31 Abs. 1 leg. cit. halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1. wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;

2. wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;

3. wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind; sofern sie während des Aufenthalts im Bundesgebiet keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen,

4. solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt;

5. (aufgehoben, BGBl. I Nr. 122/2009)

6. wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungs­gesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3 Abs. 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs. 3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, innehaben oder

7. soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.

 

4.2. Entgegen der klaren und eindeutigen Rechtslage leitet die Bw aus dem Umstand, dass erst am 16. Juli 2010 gegen sie ein Ausweisungsbescheid erlassen worden ist, eine "de facto Aufenthaltsberechtigung" ab. Im vorliegenden Fall ist (wie im angefochtenen Straferkenntnis vorgeworfen) – jedoch auch von der Bw - völlig unbestritten, dass sie keinen der Tatbestände des § 31 Abs. 1 FPG erfüllt, und somit der objektive Tatbestand des unrechtmäßigen Aufenthalts gegeben ist.

Die Bw bringt allerdings auf der Ebene des Verschuldens vor, dass sie deshalb kein Verschulden treffen könne, weil mangels einer durchsetzbaren Ausweisungsentscheidung de facto ein Aufenthaltsrecht vorliege und ihr nicht angelastet werden könne, dass sie davon ausgehen habe müssen, dass ihr Aufenthalt in Österreich illegal sei.

Dieser Einwand vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil es offensichtlich ist, dass sie seit ihrer Einreise im März 2008 mehr als ausreichend Zeit gehabt hätte, sich über die für ihren Aufenthalt im Bundesgebiet maßgeblichen Rechtsvorschriften rechtzeitig bei der zuständigen Behörde zu informieren. Indem sie dies offensichtlich konsequent (wenngleich im Hinblick auf eine allfällige positive Erledigung ihres Asylverfahrens; eine derartige, schon von vornherein bloß unsichere Chance vermag freilich die eben angesprochene, schon seit der Einreise und in der Folge auf Dauer bestehende Informationspflicht nicht zu sistieren)  unterlassen und überdies erst am 29. Oktober 2009 und somit zehn Monate nach dem negativen Abschluss ihres Asylverfahrens versucht hat, ein humanitäres Bleiberecht zu erlangen, stellt sich die Situation insgesamt vielmehr so dar, dass sie jene (überdies bloß formalen) Fakten (nämlich: die Antragstellung gemäß § 44 NAG), die ihren Schuldausschluss bewirken sollen, erst lange nach dem Beginn des ihr angelasteten strafbaren Verhaltens gesetzt hat. Von einer – noch dazu berücksichtigungswürdigen – Notstandssituation oder gar einem Wohlverhalten kann daher keine Rede sein. Der Umstand, dass die Antragstellung gemäß 44 NAG so spät erfolgte, belegt insgesamt zweifelsfrei, dass es der Bw offenbar nur darum geht, jede sich bietende Gelegenheit – wozu insbesondere auch die ultimativ späte Einbringung von Anträgen und/oder Rechtsbehelfen zählt – dazu zu nützen, um die Beendigung ihres faktischen Aufenthalts in Österreich so lange als möglich hinauszuzögern.

Gesamthaft betrachtet ist ihr sohin unter verwaltungsstrafrechtlichen Gesichtspunkten zumindest ein grob fahrlässiges (wenn nicht sogar mutwilliges und damit vorsätzliches) und somit auch schuldhaftes Verhalten vorzuwerfen.

Ihre Strafbarkeit ist daher gegeben.

4.3.1. Während des Tatzeitraumes wurde die maßgebliche Rechtsgrundlage, nämlich die Strafbestimmung des § 120 Abs. 1 FPG, durch die Novelle BGBl. Nr. I 122/2009 insoweit geändert, als der früher "bis zu 2.180 Euro" reichende Strafrahmen auf einen solchen "von 1.000 Euro bis zu 5.000 Euro" ausgedehnt wurde; seit dieser gemäß § 126 Abs. 7 FPG am 1. Jänner 2010 in Kraft getretenen Novelle ist daher nunmehr eine Mindeststrafe von 1.000 Euro vorgesehen.

Nach § 1 Abs. 2 VStG richtet sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, soweit das zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses geltende Recht für den Beschuldigten nicht günstiger ist.

Im gegenständlichen Fall war die Rechtslage in Bezug auf den zwischen dem 14. Jänner 2009 und dem 31. Dezember 2009 liegenden Teilbereich des Tatzeitraumes für die Bw offenbar insofern günstiger, als § 120 Abs. 1 FPG i.d.F. vor der Novelle BGBl. Nr. I 122/2009 einerseits keine Mindeststrafe und andererseits eine deutlich geringere Höchststrafe vorgesehen hat. Indem die belangte Behörde insoweit das Günstigkeitsprinzip des § 1 Abs. 2 VStG nicht beachtet hat, hat sie sohin das angefochtene Straferkenntnis möglicherweise (siehe dazu die nachfolgenden Ausführungen) mit Rechtswidrigkeit belastet.

4.3.2. Nach Art. 49 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl 2007/C 303/01, im Folgenden: Grundrechte-Charta) darf niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war; es darf auch keine schwerere Strafe als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden; wird nach der Begehung einer Straftat durch Gesetz eine mildere Strafe eingeführt, so ist (nur) diese zu verhängen.

Nach den Erläuterungen zur Grundrechte-Charta (ABl 2007/C 303/02) positiviert der letzte Satz dieser Bestimmung – über Art. 7 EMRK hinaus – die in zahlreichen Mitgliedstaaten der EU geltende "Regel der Rückwirkung von milderen Strafvorschriften".

Mit Blick auf den Wortlaut des Art. 49 Abs. 1 dritter Satz Grundrechte-Charta soll dieses spezifische Rückwirkungsverbot aber offenbar nur Zustands-, nicht jedoch auch Dauerdelikte erfassen. Denn insbesondere jener Fall, dass sich die Strafdrohung während eines Dauerdeliktes in der Richtung ändert, dass die Strafdrohung pro futuro (nicht herabgesetzt, sondern) erhöht wird, ist zum einen nicht explizit geregelt; und andererseits ergeben sich auch aus den Erläuterungen zur Grundrechte-Charta keine Hinweise darauf, dass mit dieser Regelung eine über die Rückwirkung von milderen Strafvorschriften hinausreichende, insbesondere eine zukünftige Strafverschärfung generell verhindernde Wirkung beabsichtigt gewesen wäre.

Unabhängig von der Problematik, inwieweit die Grundrechte-Charta dem Einzelnen überhaupt unmittelbar subjektive Rechte gewährleistet, stellt sich somit auch inhaltlich betrachtet die Frage, ob Art. 49 Abs. 1 dritter Satz Grundrechte-Charta allenfalls als unmittelbar anwendbares Primärrecht dem § 1 Abs. 2 VStG vorgeht, hier schon von vornherein nicht. 

4.3.3. In seinem Urteil vom 17. September 2009, 10249/03, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unter ausdrücklichem Abgehen von seiner früheren Judikatur festgestellt, dass Art. 7 Abs. 1 EMRK nicht nur das Verbot der Rückwirkung strengerer Strafgesetze, sondern auch das Gebot der Rückwirkung milderer Strafgesetze statuiert: Wenn Unterschiede zwischen dem zur Zeit der Tatbegehung bestanden habendem und einem nachfolgend – noch vor der endgültigen Entscheidung – erlassenen Gesetz bestehen, dann muss das Gericht jenes Gesetz anwenden, dessen Strafsätze den Beschuldigten am meisten begünstigen[1].

Auch aus diesem Urteil lässt sich aber weder ableiten, dass durch Art. 7 Abs. 1 EMRK eine Erhöhung des Strafsatzes pro futuro grundsätzlich gehindert wäre, noch, dass der Beschuldigte dann, wenn ein Teilbereich des Tatzeitraumes noch unter das Regime der früheren, günstigeren Regel fällt, einen Anspruch darauf hätte, dass damit die gesamte Tat nach dem für ihn günstigeren Recht zu beurteilen wäre.

Hinsichtlich Art. 7 Abs. 1 EMRK erscheint daher die Bestimmung des § 1 Abs. 2 VStG in Bezug auf Dauerdelikte weder unter dem Aspekt des Art. 49 Abs. 1 dritter Satz der Grundrechte-Charta noch aus dem Blickwinkel des Urteiles des EGMR vom 17. September 2009, 10249/03, als verfassungsrechtlich bedenklich.

4.3.4. Davon ausgehend sind aber Art. 49 Abs. 1 der Europäischen Grundrechte-Charta und das vorerwähnte Urteil des EGMR auch nicht dazu geeignet, nunmehr die bisherige ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 1 Abs. 2 VStG, wonach bei Dauerdelikten das Tatende bzw. der letzte Teilakt entscheidend ist, in Zweifel zu ziehen: Danach ist nämlich dann, wenn dieser letzte Teilakt nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes gesetzt wurde, die Tat – und zwar selbst dann, wenn die neue Regelung vergleichsweise strenger ist – deshalb ausschließlich nach dem neuen Recht zu beurteilen, weil das strafbare Verhalten in der Zeit der strengeren Regelung noch fortgesetzt wurde (vgl. z.B. VwGH vom 2. Mai 2005, Zl. 2001/10/0183, m.w.N.).

Diese Judikatur zu Grunde legend ist daher als Zwischenergebnis festzuhalten, dass im gegenständlichen Fall die der Bw angelastete Tat grundsätzlich in vollem Umfang nach § 120 Abs. 1 FPG i.d.F. der Novelle BGBl. Nr. I 122/2009 zu beurteilen ist.

4.3.5. Zu prüfen bleibt allerdings noch, ob die Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 12 FPG letztlich nicht zu einem anderen Endergebnis führen muss.

Danach gelten "die §§ 114 bis 121 dieses Bundesgesetzes in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. I 29/2009 ..... für strafbare Handlungen, die vor dem 1. Jänner 2010 begangen wurden, weiter".

Im Lichte der zuvor angeführten ständigen Judikatur des VwGH zu den Dauerdelikten könnte diese Anordnung i.V.m. der Inkrafttretensbestimmung des § 126 Abs. 7 FPG (1. Jänner 2010) entweder bedeuten, dass damit die Anordnung des § 1 Abs. 2 VStG im Ergebnis lediglich wiederholt wird; oder, dass dadurch bestimmt wird, dass die gesamte – vor dem 1. Jänner 2010 begonnene und erst danach abgeschlossene – Tat nach der früheren, hinsichtlich ihrer Strafdrohung milderen Sanktionsnorm zu beurteilen ist; oder, dass hinsichtlich des vor dem 1. Jänner 2010 liegenden Teilbereiches des Tatzeitraumes die frühere und in Bezug auf den nach diesem Zeitpunkt liegenden Teilbereich die spätere Rechtslage anzuwenden ist.

Den Gesetzesmaterialien ist zur Lösung dieser Problematik unmittelbar nichts zu entnehmen, weil sich die Regierungsvorlage insoweit bloß auf die Wiederholung des Gesetzestextes beschränkt (vgl. 330 BlgNR, 24. GP, S. 38) und der Ausschussbericht hierzu überhaupt schweigt (vgl. 387 BlgNR, 24. GP).

Gerade aus dem Umstand, dass zu der zuvor dargestellten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Dauerdelikten überhaupt nicht Stellung bezogen wird, lässt sich jedoch nach h. Auffassung ableiten, dass diese dem Gesetzgeber wohl nicht aktuell bewusst war. Und in Verbindung damit, dass ohne entsprechenden konkreten Hinweis auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Normsetzer mit einer Novelle Überflüssiges anordnet – Derartiges läge aber vor, wenn man in § 125 Abs. 12 FPG in dem bereits zuvor aufgezeigten Sinn lediglich eine Wiederholung der ohnehin bereits mit § 1 Abs. 2 VStG getroffenen Anordnung erblickt –, kommt man insgesamt zu dem Ergebnis, dass der eigenständige Sinn der Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 12 FPG letztlich darin liegt, dass eine bereits vor dem 1. Jänner 2010 begonnene Übertretung des § 120 Abs. 1 FPG in vollem Umfang nach der Rechtslage vor der Novelle BGBl. Nr. I 122/2009 zu beurteilen ist. Dies deshalb, weil auch die dritte zuvor aufgezeigte Alternative – nämlich: Trennung des Tatzeitraumes in einen vor und einen nach diesem Zeitpunkt liegenden Teilbereich (wie dies der Verwaltungsgerichtshof bei Dauerdelikten ansonsten nur hinsichtlich Übertretungs- und Sanktionsnorm kennt; vgl. z.B. VwGH v. 8. Oktober 1990, 90/19/0319) – zu dem insgesamt unbilligen Ergebnis führen würde, dass die Gesamtstrafe damit zwangsläufig stets über der mit der Novelle BGBl. Nr. I 122/2009 eingeführten Mindeststrafe liegen müsste.

4.3.6. Davon ausgehend hätte daher die belangte Behörde im gegenständlichen Fall für den gesamten Tatzeitraum als Sanktionsnorm die Bestimmung des § 120 Abs. 1 FPG i.d.F. vor der Novelle BGBl. Nr. I 122/2009, also (weil durch die Novelle BGBl. Nr. I 29/2009 keine Änderung der hier relevanten Bestimmungen erfolgte) i.d.F. BGBl. Nr. I 4/2008 anzuwenden gehabt; in dieser war aber lediglich eine Geldstrafe "bis zu 2.180 Euro" vorgesehen.  

Dem entsprechend findet es der Oö. Verwaltungssenat unter den Aspekten des konkret vorliegenden Falles (Milderungsgrund der bisherigen Unbescholtenheit einerseits; tatbestandsmäßiges Verhalten von einem Jahr und sieben Monaten als erschwerend – und damit eine Anwendbarkeit des § 21 Abs. 1 VStG ausschließend – andererseits) in gleicher Weise als tat- und schuldangemessen, die verhängte Geldstrafe mit 150 Euro und die Ersatzfreiheitsstrafe gemäß der durch § 16 Abs. 2 VStG vorgegebenen Relation mit 35 Stunden festzusetzen.

4.4. Insoweit war der gegenständlichen Berufung gemäß § 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG stattzugeben; im Übrigen war diese hingegen als unbegründet abzuweisen und das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe zu bestätigen, dass in dessen Spruch nach dem Zitat "FPG" jeweils die Wendung "i.d.F. BGBl. Nr. I 4/2008" einzufügen ist. 

5. Bei diesem Verfahrensergebnis ermäßigt sich der Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde nach § 64 Abs. 1 und 2 VStG auf 15 Euro; für das Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat war der Bw gemäß
§ 65 VStG kein Kostenbeitrag vorzuschreiben.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

Mag. Stierschneider

 



[1] "..... that Article 7 § 1 of the Convention guarantees not only the principle of non-retrospectiveness of more stringent criminal laws, but also, and implicitly, the principle of retrospectiveness of the more lenient criminal law. ..... where there are differences between the criminal law in force at the time of the commission of the offence and subsequent criminal laws enacted before a final judgment is rendered, the courts must apply the law whose provisions are most favourable to the defendant." (EGMR v. 17. September 2009, 10249/03 [Fall Scoppola/Italien], RN 109).

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