Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231181/2/SR/Gru

Linz, 10.01.2011

 

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des x, x, gegen das Straferkenntnis des Polizeidirektors von Linz vom 5. November 2010, Gz.: S-30.426/10-2, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem Fremdenpolizeigesetz (FPG), zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird insoweit stattgegeben, als die Geldstrafe auf 150 Euro und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 35 Stunden herabgesetzt werden; im Übrigen wird diese hingegen abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe bestätigt, dass in dessen Spruch nach dem Zitat "FPG" jeweils die Wendung "i.d.F. BGBl. Nr. I 4/2008" einzufügen ist. 

II. Der Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde ermäßigt sich auf 15 Euro; für das Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat ist kein Kostenbeitrag zu leisten.

Rechtsgrundlagen:

§ 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG; § 64 Abs. 1 und 2 VStG; § 65 VStG.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

 

1. Mit dem Straferkenntnis des Polizeidirektors von Linz vom 5. November 2010, Gz.: S-30.426/10-2, wurde der Berufungswerber (im Folgenden: Bw) wie folgt für schuldig erkannt und bestraft:

 

"Wie vom Fremdenpolizeilichen Referat der BPD Linz am 09.06.2010 anlässlich einer fremdenpolizeilichen Überprüfung festgestellt wurde, sind Sie Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes und Sie halten sich seit 05.05.2009 unrechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich auf, da Sie weder aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz noch aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind, Sie nicht im Besitze eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind, Ihnen eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz nicht zukommt und Sie nicht Inhaber einer Beschäftigungsbewilligung, Entsendebewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz sind."

Dadurch habe der Bw eine Verwaltungsübertretung nach § 120 Abs. 1 Z. 2 FPG iVm § 31/1 Z. 2-4 u. 6 FPG begangen.

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über den Bw gemäß § 120 Abs. 1 FPG eine Geldstrafe von 1.000,-- Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 4 Tagen, verhängt.

Begründend wurde dazu von der belangten Behörde ausgeführt, dass die zur Last gelegte Verwaltungsübertretung auf Grund entsprechender dienstlicher Wahrnehmungen eines Beamten des fremdenpolizeilichen Referates der BPD Linz, der hierüber vorgelegten Anzeige vom 9. Juni 2010 sowie aufgrund des behördlich durchgeführten Ermittlungsverfahrens zweifelsfrei als erwiesen anzusehen sei.

Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensablaufes und der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen stand für die belangte Behörde fest, dass der Bw Fremder im Sinne des Fremdengesetzes sei und über keine Aufenthaltsberechtigung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz verfüge. Weiters sei der Bw nicht Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels und es komme ihm kein Aufenthaltsrecht nach den asylrechtlichen Bestimmungen zu. Da für ihn auch keine Beschäftigungsbewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz ausgestellt worden sei, erfülle er keine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 FPG. Er halte sich somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich auf.

Darüber hinaus sei vom fremdenpolizeilichen Referat der BPD Linz mit Bescheid vom 10. Juli 2009 gegen den Bw die Ausweisung angeordnet worden.

Für die belangte Behörde stehe daher fest, dass sich der Bw tatsächlich unrechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich aufgehalten und somit gegen die angeführten Bestimmungen des Fremdengesetzes verstoßen habe, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Erkenntnissen ausgesprochen habe, bestehe ein hohes Interesse der Allgemeinheit an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch die Normadressaten im Hinblick auf den Schutz der öffentlichen Ordnung (VwGH vom 19.02.1997, Zl. 96/21/0516, ua.).

In diesem Sinne sei bei der Bemessung der Strafe das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung diene und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen habe, berücksichtigt worden. Mildernd sei die bisherige Unbescholtenheit gewertet worden, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse seien ebenfalls beachtet worden.

2. Gegen dieses dem Bw am 9. November 2010 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 18. November 2010 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebene Berufung.

In der Begründung führte der Bw im Wesentlichen aus, dass er gegen die erstinstanzlich verfügte Ausweisung Berufung erhoben und noch keine Antwort erhalten habe. Da das Verfahren noch anhängig sei, wäre eine Bestrafung nach dem FPG rechtswidrig.

Selbst wenn ihm Verschulden angelastet werden könnte, wäre diese geringfügig und die Behörde hätte gemäß § 21 VStG von der Strafe absehen müssen. Des Weiteren werde durch die Bestrafung Art. 7 Abs. 1 B-VG bzw. Art 2 StGG und Art 5 StGG verletzt. Die Behörde habe den Bescheid auf ein verfassungswidriges Gesetz gestützt. Die Mindeststrafe von 1000 Euro sei sachlich nicht gerechtfertigt und unverhältnismäßig.

Erschließbar wird die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens beantragt.

3. Die Bundespolizeidirektion Linz hat den Verwaltungsstrafakt, GZ S-30.426/10-2 samt Berufungsschrift vorgelegt.

Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Vorlageakt; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ und lediglich Rechtsfragen zu klären waren, konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

 

3.1. Aufgrund der Aktenlage steht folgender Sachverhalt fest:

3.1.1. Der Bw ist indischer Staatsangehöriger und hält sich seit 2002 in Österreich auf. Am 5. Dezember 2002 hat der Bw einen Antrag auf internationalen Schutz (im Folgenden: Asylantrag) eingebracht. Die gegen den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes eingebrachte Berufung (in der Folge Beschwerde) wurde von Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 4. Mai 2009 abgewiesen.

3.1.2. In der Folge hat die belangte Behörde eine Ausweisungsentscheidung erlassen. Dieser Bescheid ist seit dem 2. Juni 2010 rechtskräftig und durchsetzbar.

Bei der Bearbeitung des Fremdenaktes des Bw stellte das fremdenpolizeiliche Referat der belangten Behörde fest, dass das Asylverfahren des Bw seit dem 4. Mai 2009 rechtskräftig abgeschlossen ist und erstattete daraufhin Anzeige.

3.1.3. Auf Grund der Anzeige vom 9. Juni 2010, AZ 1030949/FRB, hat die belangte Behörde das Ermittlungsverfahren eingeleitet, dem Bw sein strafbares Verhalten vorgeworfen und ihn mit Schriftsatz vom 18. August 2010 zur Rechtfertigung aufgefordert.

 

Innerhalb offener Frist brachte der Bw vor, dass er seit 8 Jahren in Österreich lebe, ein Jahr gearbeitet habe und, da es ihm in Österreich gefalle, hier bleiben möchte. In Indien habe er keine Zukunft. In Österreich habe er einen Deutschkurs gemacht. Er verfüge über eine Wohnung, habe österreichische und indische Freunde und suche eine Arbeit. 

 

Ohne weitere Ermittlungen hat die belangte Behörde das nunmehr angefochtene Straferkenntnis erlassen.

 

3.2. Unstrittig ist, dass der Bw den Aufenthalt im Bundesgebiet auf keine im
§ 31 Abs. 1 FPG genannten Gründe stützen kann. Laut Aktenlage ist das Ausweisungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen.

 

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 120 Abs. 1 Z. 2 FPG begeht derjenige eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 2.180 Euro zu bestrafen, der sich als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

 

Nach § 31 Abs. 1 leg. cit. halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1. wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;

2. wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;

3. wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind;

4. solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt;

5. soweit sie nicht auf Grund eines Rückübernahmeabkommens (§ 19 Abs. 4) oder internationaler Gepflogenheiten rückgenommen werden mussten oder nicht auf Grund einer Durchbeförderungserklärung, sonstiger zwischenstaatlicher Abkommen oder auf Ersuchen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union um Durchbeförderung (§ 48 Abs. 1) oder aufgrund einer Durchlieferungsbewilligung gemäß § 67 ARHG eingereist sind;

6. wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungs­gesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3 Abs. 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs. 3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, innehaben oder

7. soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.

4.2. Im gegenständlichen Fall wendet sich der Bw nicht dagegen, dass er sich bereits seit dem 5. Mai 2009 widerrechtlich in Österreich aufhält. Er bringt allerdings auf der Ebene des Verschuldens vor, dass ihn deshalb kein Verschulden treffen könne, weil sein Ausweisungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei.

Dieser Einwand vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil es offensichtlich ist, dass er seit seiner Einreise im Dezember 2002 mehr als ausreichend Zeit gehabt hätte, sich über die für seinen Aufenthalt im Bundesgebiet maßgeblichen Rechtsvorschriften rechtzeitig bei der zuständigen Behörde zu informieren. Indem er dies allerdings über Jahre hinweg offensichtlich konsequent  (wenngleich im Hinblick auf eine allfällige positive Erledigung seines Asylverfahrens; eine derartige, schon von vornherein bloß unsichere Chance vermag freilich die eben angesprochene, schon seit der Einreise und in der Folge auf Dauer bestehende Informationspflicht nicht zu sistieren) unterlassen und auch keinerlei Bemühungen erkennbar sind, wonach der Bw versucht habe, einen rechtskonformen Zustand zu erreichen, stellt sich die Situation insgesamt vielmehr so dar, dass er die Beendigung seines faktischen Aufenthalts in Österreich so lange als möglich hinauszuzögern versucht..

Gesamthaft betrachtet ist ihm sohin unter verwaltungsstrafrechtlichen Gesichtspunkten zumindest ein grob fahrlässiges (wenn nicht sogar mutwilliges und damit vorsätzliches) und somit auch schuldhaftes Verhalten vorzuwerfen.

Seine Strafbarkeit ist daher gegeben.

4.3.1. Hinsichtlich der Strafbemessung ist jedoch zu beachten, dass als Tatzeitraum deshalb, weil im Spruch lediglich der Beginn des strafbaren Verhaltens explizit angeführt ist (5. Mai 2009), das gesamte rechtswidrige Verhalten bis zur Erlassung des angefochtenen Straferkenntnisses, d.i. bis zum 5. November 2010 anzusehen ist (sog. "Erfassungswirkung"; vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei W. Hauer – O. Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 6. Auflage, Wien 2004, S. 1530 f).

4.3.2. Während dieses Zeitraumes wurde die maßgebliche Rechtsgrundlage, nämlich die Strafbestimmung des § 120 Abs. 1 FPG, durch die Novelle BGBl. Nr. I 122/2009 insoweit geändert, als der früher "bis zu 2.180 Euro" reichende Strafrahmen auf einen solchen "von 1.000 Euro bis zu 5.000 Euro" ausgedehnt wurde; seit dieser gemäß § 126 Abs. 7 FPG am 1. Jänner 2010 in Kraft getretenen Novelle ist daher nunmehr eine Mindeststrafe von 1.000 Euro vorgesehen.

Nach § 1 Abs. 2 VStG richtet sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, soweit das zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses geltende Recht für den Beschuldigten nicht günstiger ist.

Im gegenständlichen Fall war die Rechtslage in Bezug auf den zwischen dem 5. Mai 2009 und dem 31. Dezember 2009 liegenden Teilbereich des Tatzeitraumes für den Bw offenbar insofern günstiger, als § 120 Abs. 1 FPG i.d.F. vor der Novelle BGBl. Nr. I 122/2009 einerseits keine Mindeststrafe und andererseits eine deutlich geringere Höchststrafe vorgesehen hat. Indem die belangte Behörde insoweit das Günstigkeitsprinzip des § 1 Abs. 2 VStG nicht beachtet hat, hat sie sohin das angefochtene Straferkenntnis möglicherweise (siehe dazu die nachfolgenden Ausführungen) mit Rechtswidrigkeit belastet.

4.3.3. Nach Art. 49 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl 2007/C 303/01, im Folgenden: Grundrechte-Charta) darf niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war; es darf auch keine schwerere Strafe als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden; wird nach der Begehung einer Straftat durch Gesetz eine mildere Strafe eingeführt, so ist (nur) diese zu verhängen.

Nach den Erläuterungen zur Grundrechte-Charta (ABl 2007/C 303/02) positiviert der letzte Satz dieser Bestimmung – über Art. 7 EMRK hinaus – die in zahlreichen Mitgliedstaaten der EU geltende "Regel der Rückwirkung von milderen Strafvorschriften".

Mit Blick auf den Wortlaut des Art. 49 Abs. 1 dritter Satz Grundrechte-Charta soll dieses spezifische Rückwirkungsverbot aber offenbar nur Zustands-, nicht jedoch auch Dauerdelikte erfassen. Denn insbesondere jener Fall, dass sich die Strafdrohung während eines Dauerdeliktes in der Richtung ändert, dass die Strafdrohung pro futuro (nicht herabgesetzt, sondern) erhöht wird, ist zum einen nicht explizit geregelt; und andererseits ergeben sich auch aus den Erläuterungen zur Grundrechte-Charta keine Hinweise darauf, dass mit dieser Regelung eine über die Rückwirkung von milderen Strafvorschriften hinausreichende, insbesondere eine zukünftige Strafverschärfung generell verhindernde Wirkung beabsichtigt gewesen wäre.

Unabhängig von der Problematik, inwieweit die Grundrechte-Charta dem Einzelnen überhaupt unmittelbar subjektive Rechte gewährleistet, stellt sich somit auch inhaltlich betrachtet die Frage, ob Art. 49 Abs. 1 dritter Satz Grundrechte-Charta allenfalls als unmittelbar anwendbares Primärrecht dem § 1 Abs. 2 VStG vorgeht, hier schon von vornherein nicht. 

4.3.4. In seinem Urteil vom 17. September 2009, 10249/03, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unter ausdrücklichem Abgehen von seiner früheren Judikatur festgestellt, dass Art. 7 Abs. 1 EMRK nicht nur das Verbot der Rückwirkung strengerer Strafgesetze, sondern auch das Gebot der Rückwirkung milderer Strafgesetze statuiert: Wenn Unterschiede zwischen dem zur Zeit der Tatbegehung bestanden habendem und einem nachfolgend – noch vor der endgültigen Entscheidung – erlassenen Gesetz bestehen, dann muss das Gericht jenes Gesetz anwenden, dessen Strafsätze den Beschuldigten am meisten begünstigen[1].

Auch aus diesem Urteil lässt sich aber weder ableiten, dass durch Art. 7 Abs. 1 EMRK eine Erhöhung des Strafsatzes pro futuro grundsätzlich gehindert wäre, noch, dass der Beschuldigte dann, wenn ein Teilbereich des Tatzeitraumes noch unter das Regime der früheren, günstigeren Regel fällt, einen Anspruch darauf hätte, dass damit die gesamte Tat nach dem für ihn günstigeren Recht zu beurteilen wäre.

Hinsichtlich Art. 7 Abs. 1 EMRK erscheint daher die Bestimmung des § 1 Abs. 2 VStG in Bezug auf Dauerdelikte weder unter dem Aspekt des Art. 49 Abs. 1 dritter Satz der Grundrechte-Charta noch aus dem Blickwinkel des Urteiles des EGMR vom 17. September 2009, 10249/03, als verfassungsrechtlich bedenklich.

4.3.5. Davon ausgehend sind aber Art. 49 Abs. 1 der Europäischen Grundrechte-Charta und das vorerwähnte Urteil des EGMR auch nicht dazu geeignet, nunmehr die bisherige ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 1 Abs. 2 VStG, wonach bei Dauerdelikten das Tatende bzw. der letzte Teilakt entscheidend ist, in Zweifel zu ziehen: Danach ist nämlich dann, wenn dieser letzte Teilakt nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes gesetzt wurde, die Tat – und zwar selbst dann, wenn die neue Regelung vergleichsweise strenger ist – deshalb ausschließlich nach dem neuen Recht zu beurteilen, weil das strafbare Verhalten in der Zeit der strengeren Regelung noch fortgesetzt wurde (vgl. z.B. VwGH vom 2. Mai 2005, Zl. 2001/10/0183, m.w.N.).

Diese Judikatur zu Grunde legend ist daher als Zwischenergebnis festzuhalten, dass im gegenständlichen Fall die dem Bw angelastete Tat grundsätzlich in vollem Umfang nach § 120 Abs. 1 FPG i.d.F. der Novelle BGBl. Nr. I 122/2009 zu beurteilen ist.

4.3.6. Zu prüfen bleibt allerdings noch, ob die Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 12 FPG letztlich nicht zu einem anderen Endergebnis führen muss.

Danach gelten "die §§ 114 bis 121 dieses Bundesgesetzes in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. I 29/2009 ..... für strafbare Handlungen, die vor dem 1. Jänner 2010 begangen wurden, weiter".

Im Lichte der zuvor angeführten ständigen Judikatur des VwGH zu den Dauerdelikten könnte diese Anordnung i.V.m. der Inkrafttretensbestimmung des § 126 Abs. 7 FPG (1. Jänner 2010) entweder bedeuten, dass damit die Anordnung des § 1 Abs. 2 VStG im Ergebnis lediglich wiederholt wird; oder, dass dadurch bestimmt wird, dass die gesamte – vor dem 1. Jänner 2010 begonnene und erst danach abgeschlossene – Tat nach der früheren, hinsichtlich ihrer Strafdrohung milderen Sanktionsnorm zu beurteilen ist; oder, dass hinsichtlich des vor dem 1. Jänner 2010 liegenden Teilbereiches des Tatzeitraumes die frühere und in Bezug auf den nach diesem Zeitpunkt liegenden Teilbereich die spätere Rechtslage anzuwenden ist.

Den Gesetzesmaterialien ist zur Lösung dieser Problematik unmittelbar nichts zu entnehmen, weil sich die Regierungsvorlage insoweit bloß auf die Wiederholung des Gesetzestextes beschränkt (vgl. 330 BlgNR, 24. GP, S. 38) und der Ausschussbericht hierzu überhaupt schweigt (vgl. 387 BlgNR, 24. GP).

Gerade aus dem Umstand, dass zu der zuvor dargestellten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Dauerdelikten überhaupt nicht Stellung bezogen wird, lässt sich jedoch nach h. Auffassung ableiten, dass diese dem Gesetzgeber wohl nicht aktuell bewusst war. Und in Verbindung damit, dass ohne entsprechenden konkreten Hinweis auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Normsetzer mit einer Novelle Überflüssiges anordnet – Derartiges läge aber vor, wenn man in § 125 Abs. 12 FPG in dem bereits zuvor aufgezeigten Sinn lediglich eine Wiederholung der ohnehin bereits mit § 1 Abs. 2 VStG getroffenen Anordnung erblickt –, kommt man insgesamt zu dem Ergebnis, dass der eigenständige Sinn der Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 12 FPG letztlich darin liegt, dass eine bereits vor dem 1. Jänner 2010 begonnene Übertretung des § 120 Abs. 1 FPG in vollem Umfang nach der Rechtslage vor der Novelle BGBl. Nr. I 122/2009 zu beurteilen ist. Dies deshalb, weil auch die dritte zuvor aufgezeigte Alternative – nämlich: Trennung des Tatzeitraumes in einen vor und einen nach diesem Zeitpunkt liegenden Teilbereich (wie dies der Verwaltungsgerichtshof bei Dauerdelikten ansonsten nur hinsichtlich Übertretungs- und Sanktionsnorm kennt; vgl. z.B. VwGH v. 8. Oktober 1990, 90/19/0319) – zu dem insgesamt unbilligen Ergebnis führen würde, dass die Gesamtstrafe damit zwangsläufig stets über der mit der Novelle BGBl. Nr. I 122/2009 eingeführten Mindeststrafe liegen müsste.

4.3.7. Davon ausgehend hätte daher die belangte Behörde im gegenständlichen Fall für den gesamten Tatzeitraum als Sanktionsnorm die Bestimmung des § 120 Abs. 1 FPG i.d.F. vor der Novelle BGBl. Nr. I 122/2009, also (weil durch die Novelle BGBl. Nr. I 29/2009 keine Änderung der hier relevanten Bestimmungen erfolgte) i.d.F. BGBl. Nr. I 4/2008 anzuwenden gehabt; in dieser war aber lediglich eine Geldstrafe "bis zu 2.180 Euro" vorgesehen.  

Dem entsprechend findet es der Oö. Verwaltungssenat unter den Aspekten des konkret vorliegenden Falles (Milderungsgrund der bisherigen Unbescholtenheit einerseits; tatbestandsmäßiges Verhalten von einem Jahr und sechs Monaten als erschwerend – und damit eine Anwendbarkeit des § 21 Abs. 1 VStG ausschließend – andererseits) in gleicher Weise als tat- und schuldangemessen, die verhängte Geldstrafe mit 150 Euro und die Ersatzfreiheitsstrafe gemäß der durch § 16 Abs. 2 VStG vorgegebenen Relation mit 35 Stunden festzusetzen.

4.4. Insoweit war der gegenständlichen Berufung gemäß § 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG stattzugeben; im Übrigen war diese hingegen als unbegründet abzuweisen und das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe zu bestätigen, dass in dessen Spruch nach dem Zitat "FPG" jeweils die Wendung "i.d.F. BGBl. Nr. I 4/2008" einzufügen ist. 

5. Bei diesem Verfahrensergebnis ermäßigt sich der Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde nach § 64 Abs. 1 und 2 VStG auf 15 Euro; für das Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat war dem Bw gemäß   § 65 VStG kein Kostenbeitrag vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

Mag. Stierschneider

 



[1] "..... that Article 7 § 1 of the Convention guarantees not only the principle of non-retrospectiveness of more stringent criminal laws, but also, and implicitly, the principle of retrospectiveness of the more lenient criminal law. ..... where there are differences between the criminal law in force at the time of the commission of the offence and subsequent criminal laws enacted before a final judgment is rendered, the courts must apply the law whose provisions are most favourable to the defendant." (EGMR v. 17. September 2009, 10249/03 [Fall Scoppola/Italien], RN 109).

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