Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231193/2/SR/Gru

Linz, 14.02.2011

 

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des x, x, x, vertreten durch Rechtsanwalt x, x, gegen das Straferkenntnis des Polizeidirektors von Linz vom 23. November 2010, Gz.: S-25.978/10-2, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem Fremdenpolizeigesetz (FPG), zu Recht erkannt:

I.       Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG eingestellt.

II.     Der Berufungswerber hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens erster Instanz noch zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.

Rechtsgrundlagen:

zu I: §§ 24, 45 Abs.1 Z.2 und 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) iVm § 66 Abs 4 Allgemeines Verwal­tungsverfahrensgesetz 1991 (AVG);

zu II: § 66 Abs. 1 VStG.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit dem Straferkenntnis des Polizeidirektors von Linz vom 23. November 2010, Gz.: S-25.978/10-2, wurde der Berufungswerber (im Folgenden: Bw) wie folgt für schuldig erkannt und bestraft:

 

"Wie vom Fremdenpolizeilichen Referat der BPD Linz am 11.05.2010 anlässlich einer fremdenpolizeilichen Überprüfung festgestellt wurde, sind Sie Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes und Sie halten sich seit 07.04.2010 unrechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich auf, da Sie weder aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz noch aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind, Sie nicht im Besitze eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind, Ihnen eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz nicht zukommt und Sie nicht Inhaber einer Beschäftigungsbewilligung, Entsendebewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz sind."

Dadurch habe der Bw eine Verwaltungsübertretung nach § 120 Abs. 1 Z. 2 FPG iVm § 31 Abs. 1 Z. 2-4 u. 6 FPG begangen.

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über den Bw gemäß § 120 Abs. 1 FPG eine Geldstrafe von 1.000,-- Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 4 Tagen, verhängt.

Begründend wurde dazu von der belangten Behörde ausgeführt, dass die zur Last gelegte Verwaltungsübertretung auf Grund entsprechender dienstlicher Wahrnehmungen eines Beamten des fremdenpolizeilichen Referates der BPD Linz, der hierüber vorgelegten Anzeige vom 11. Mai 2010 sowie aufgrund des behördlich durchgeführten Ermittlungsverfahrens zweifelsfrei als erwiesen anzusehen sei.

Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensablaufes und der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen stand für die belangte Behörde fest, dass der Bw Fremder im Sinne des Fremdengesetzes sei und über keine Aufenthalts­berechtigung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz verfüge. Weiters sei der Bw nicht Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels und es komme ihm kein Aufenthaltsrecht nach den asylrechtlichen Bestimmungen zu. Da für ihn auch keine Beschäftigungs­bewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz ausgestellt worden sei, erfülle er keine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 FPG. Er halte sich somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich auf.

Darüber hinaus sei vom fremdenpolizeilichen Referat der BPD Linz mit Bescheid vom 11. Mai 2010 gegen den Bw wegen unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet die Ausweisung angeordnet worden.

Hinsichtlich der Zulässigkeit eines Verwaltungsstrafverfahrens im Sinne der Bestimmungen des NAG sei festzustellen, dass der VwGH bereits eindeutig entschieden habe, dass der Aufenthalt eines Fremden erst mit der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung und nicht schon nach der Stellung eines darauf abzielenden Antrages rechtmäßig sei. Zu der vom Bw beantragten Aufenthaltsbewilligung gemäß § 44 Abs. 3 NAG sei anzuführen, dass Anträge nach § 44 Abs. 3 und 4 NAG kein Aufenthalts- und Bleiberecht begründen würden.

Für die belangte Behörde stehe daher fest, dass sich der Bw tatsächlich unrechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich aufgehalten und somit gegen die angeführten Bestimmungen des Fremdengesetzes verstoßen habe, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Erkenntnissen ausgesprochen habe, bestehe ein hohes Interesse der Allgemeinheit an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch die Normadressaten im Hinblick auf den Schutz der öffentlichen Ordnung (VwGH vom 19.02.1997, Zl. 96/21/0516, ua.).

In diesem Sinne sei bei der Bemessung der Strafe das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung diene und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen habe, berücksichtigt worden. Die verhängte Geldstrafe entspreche dem Unrechts- und Schuldgehalt der Tat. Der Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit habe nicht gewertet werden können, die Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse seien aber beachtet worden.

2. Gegen dieses dem Rechtsvertreter des Bw am 29. November 2010 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 10. Dezember 2010 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebene Berufung.

Darin stellt der Bw durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter zunächst den Antrag auf Aufhebung des gegenständlichen Straferkenntnisses und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens, in eventu die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Zurückverweisung zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde bzw. in eventu eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen.

Weiters führte der Rechtsvertreter im Wesentlichen aus, dass sich der Bw zusammen mit seiner Gattin, einer österreichischen Staatsbürgerin, in Österreich aufhalte und ein aufrechtes Familienleben führen würde. Darüber hinaus habe er ein uneheliches Kind, geboren am 22. Dezember 2008, um das er sich entsprechend kümmere. Er komme sowohl seiner Unterhaltsverpflichtung sowie seinem Besuchsrecht nach.

Zudem habe er einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gestellt, über diesen sei aber noch nicht entschieden worden. Er verfüge über eine Beschäftigungsbewilligung und verdiene monatlich 1.000,-- € netto. Eine Rückkehr in die Türkei sei derzeit unzumutbar, sein durch Artikel 8 EMRK verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens mache eine Ausweisung unzulässig.

3. Die Bundespolizeidirektion Linz hat den Verwaltungsstrafakt, AZ: S-25.978/10-2 samt Berufungsschrift vorgelegt.

Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Vorlageakt; da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

3.1. Aufgrund der Aktenlage steht folgender Sachverhalt fest:

Der Bw ist türkischer Staatsangehöriger und hält sich seit 2002 in Österreich auf. Der unter der Zahl 02 41661 eingebrachte Antrag auf internationalen Schutz (im Folgenden: Asylantrag) wurde vom Bundesasylamt und in der Folge vom Asylgerichtshof abgewiesen. Die vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz wurde am 13. April 2010 widerrufen.

Bei der Bearbeitung des Fremdenaktes des Bw stellte das fremdenpolizeiliche Referat der belangten Behörde fest, dass das Asylverfahren des Bw seit dem 6. April 2010 rechtskräftig abgeschlossen ist, erstattete daraufhin Anzeige und verfügte gegen den Bw bescheidmäßig die Ausweisung.

Über die dagegen rechtzeitig eingebrachte Berufung ist bis dato nicht entschieden worden.

Nach Vorlage der Anzeige vom 11. Mai 2010, AZ 1034046/FRB, hat die belangte Behörde den Bw mit Schreiben vom 5. Juli und 29. September 2010 zur Rechtfertigung aufgefordert und ihm die vorliegende Verwaltungsübertretung angelastet.

Innerhalb offener Frist brachte der Rechtsvertreter vor, dass der Bw seit Beendigung des Asylverfahrens illegal in Österreich aufhältig sei. Er habe jedoch einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 47 NAG beim Magistrat der Landeshauptstadt Linz gestellt, da er mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet sei und mit ihr im gemeinsamen Haushalt lebe. Darüber hinaus habe er einen unehelichen Sohn, für den er unterhaltspflichtig sei. Für dessen Unterhalt komme er auf und er übe auch sein Besuchsrecht aus. Ebenso wie seine Gattin gehe er einer geregelten Beschäftigung nach. Insgesamt habe er eine berechtigte Chance, dass er seinen Aufenthalt legalisieren könne.

 

Ohne weitere Ermittlungen hat die belangte Behörde das nunmehr angefochtene Straferkenntnis erlassen.

 

3.2. Unstrittig ist, dass der Bw den Aufenthalt im Bundesgebiet auf keinen der im
§ 31 Abs. 1 FPG genannten Gründe stützen kann. Der umfassend dargelegten Integration des Bw ist die belangte Behörde nicht entgegen getreten.

 

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 120 Abs. 1 Z. 2 FPG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 1.000 Euro bis zu 5.000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen, wer sich als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

 

Nach § 31 Abs. 1 leg. cit. halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1. wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;

2. wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;

3. wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind; sofern sie während des Aufenthalts im Bundesgebiet keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen,

4. solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt;

5. (aufgehoben, BGBl. I Nr. 122/2009)

6. wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungs­gesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3 Abs. 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs. 3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, innehaben oder

7. soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.

 

4.2. Bis zur rechtskräftigen negativen Abweisung seines Asylantrags am 6. April 2010 war der Bw aufgrund des AsylG zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Der Aufenthalt des Bw seit dem 6. April 2010 lässt sich jedoch auf keine Bestimmung des § 31 Abs 1 FPG stützen. Auch begründet die Tatsache der Integration in Österreich sowie die Verehelichung mit einer österreichischen Staatsbürgerin und ein gemeinsames Familienleben mit dieser noch kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Damit hat der Bw objektiv tatbestandsmäßig gehandelt, woran auch der noch nicht rechtskräftige Ausweisungsbescheid nichts ändert.

4.3. Das FPG enthält keine eigene Regelung hinsichtlich des Verschuldens, weshalb § 5 Abs 1 VStG zur Anwendung kommt, wonach zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten genügt. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft (Ungehorsamsdelikt).

Auch die gegenständliche Verwaltungsübertretung stellt ein Ungehorsamsdelikt dar. Es genügt daher fahrlässige Tatbegehung. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat der Bw initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht. Dies hat in erster Linie durch geeignetes Tatsachenvorbringen und durch Beibringung von Beweismitteln oder Stellung konkreter Beweisanträge zu geschehen. Bloßes Leugnen oder allgemein gehaltene Behauptungen reichen für die "Glaubhaftmachung" nicht.

Diesbezüglich bringt der Bw insbesondere seine Integration in Österreich vor. So sei er mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet, habe ein gemeinsames Privat- und Familienleben begründet, einen unehelichen Sohn, der am 22. Dezember 2008 geboren worden sei, komme für seinen Unterhalt auf und nehme sein Besuchsrecht regelmäßig in Anspruch. Diese Umstände könnten im Ausweisungsverfahren zu der Feststellung der dauerhaften Unzulässigkeit der Ausweisung gemäß § 66 FPG führen. In weiterer Folge sei ihm gemäß § 44a NAG von Amts wegen ein Aufenthaltstitel zu erteilen. Diese Entscheidung müsse er im Inland abwarten können.

4.4. Gemäß § 66 Abs 2 FPG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMKR) insbesondere zu berücksichtigen:

1.     die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

2.     das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.     die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.     der Grad der Integration;

5.     die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.     die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.     Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.     die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

 

Wird die Ausweisung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 66 FPG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt, so hat die Behörde gemäß §§ 44a NAG von Amts wegen einen Aufenthaltstitel gemäß §§ 43 Abs 2 oder 44 Abs. 3 NAG zu erteilen.

Gemäß § 44b Abs. 3 letzter Satz NAG gelten jedoch Verfahren gemäß §§ 43 Abs. 2 und 44 Abs. 3 NAG über die Fälle des § 25 Abs 2 NAG hinaus als eingestellt, wenn der Fremde das Bundesgebiet verlassen hat.

4.5. Die Ausweisungsentscheidung der Bundespolizeidirektion Linz war im Zeitpunkt der Fällung des Straferkenntnisses nicht rechtskräftig. Im weiteren Verfahren wird zu prüfen sein, ob die Ausweisung einen zulässigen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Bw darstellt. Nach der neuesten Rechtsprechung des Verfassungsgerichthofs hat der Bw Gründe vorgebracht, die eine Ausweisung auf Dauer als unzulässigen Eingriff in das Privatleben erscheinen lassen.

In dem jüngst ergangenen Erkenntnis vom 7. Oktober 2010, Zl. B 950/10, hielt der Verfassungsgerichthof fest, dass im Zusammenhang mit der Interessensabwägung nach Art 8 EMRK bei einer in hohem Maße stattgefundenen Integration (z.B. längerer Aufenthalt in Österreich und gute Deutschkenntnisse der Familie) eine "integrationsmindernde" Wertung des Umstandes, dass der Aufenthalt nur auf Grund eines letztlich unberechtigten Asylantrages rechtmäßig war, nicht generell zulässig ist. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass die Integration der Beschwerdeführer während ihrer jeweils einzigen Asylverfahren erfolgte, die sieben Jahre lang ohne rechtskräftige Entscheidung dauerten. Der Staat müsse Voraussetzungen schaffen, dass bis zur ersten rechtskräftigen Entscheidung nicht sieben Jahre verstreichen, wenn keine außergewöhnlich komplexen Rechtsfragen vorliegen und den Fremden die lange Dauer des Asylverfahrens nicht angelastet werden kann. Zudem habe der Umstand, dass die ersten negativen Entscheidungen behoben wurden, bei den Beschwerdeführern die Erwartung erweckt, dass nicht zwangsläufig mit einer negativen Entscheidung des Asylverfahrens zu rechnen ist.

Wenn nun nach dieser verfassungsgerichtlichen Judikatur der Aufenthalt während eines einzigen, unverschuldet lange dauernden Asylverfahrens, in dem nicht besonders schwierige Rechtsfragen auftraten, als nicht mehr nur unsicherer Aufenthaltsstatus, sondern als stark "integrationsbegründender" Zustand zu werten ist, erscheint es denkbar, dass auch bei der den Bw betreffenden Ausweisungsentscheidung die Interessenabwägung zu Gunsten einer dauernden Unzulässigkeit der Ausweisung ausfallen könnte. Das Vorliegen eines tatsächlichen Familienlebens im engeren Sinn über den gesamten Zeitraum des Aufenthalts im Bundesgebietes ist dabei nicht allein entscheidend, zumal Art 8 EMRK auch die sonstigen im Inland geknüpften Beziehungen im Sinne eines "Privatlebens" schützt. Jedenfalls sind die vom Bw glaubhaft gemachten und im Ausweisungsverfahren näher zu überprüfenden Umstände mögliche Gründe dafür, dass die Ausweisung des Bw auf Dauer für unzulässig erklärt werden und damit gemäß § 44a NAG auch ein Aufenthaltstitel nach § 43 Abs. 2 bzw. § 44 Abs. 3 NAG erteilt werden könnte.

4.6. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293, ausgeführt, dass Anträge nach den §§ 43 Abs. 2, 44 Abs. 3 und 4 NAG den Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzen und daraus zwingend das Recht abzuleiten sei, die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung im Inland abwarten zu dürfen. Das vom Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis angenommene Abschiebeverbot wird nunmehr seit der mit 1. Jänner 2010 in Kraft getretenen Novelle BGBl I. Nr. 122/2009 nach den Voraussetzungen der Ausnahme des § 44 Abs. 5 NAG geregelt.

Dem Bw kann ein schuldhaftes Verhalten nicht vorgeworfen werden, weil dem vom Verwaltungsgerichtshof postulierten "Bleiberecht nach dem NAG" zwangsläufig auch ein über den Abschiebeschutz und über die durch Antrag eingeleiteten Verfahren hinausgehender Inhalt zukommt. Denn wenn nach einer Interessenabwägung iSd Art 8 EMRK die Ausweisung des Bw auf Dauer unzulässig wäre, so müsste ihm von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 43 Abs. 2 oder § 44 Abs. 3 NAG erteilt werden. Dies ist allerdings nach § 44b Abs. 3 letzter Satz NAG nur möglich, solange sich der Fremde im Bundesgebiet aufhält. Für den Bw liegt somit eine entschuldigende Notstandssituation iSd § 6 VStG mit einem unauflöslichen Interessenkonflikt vor, wenn er einerseits zur Ausreise verpflichtet ist und andererseits aber im Inland bleiben muss, damit die Verleihung eines Aufenthaltsrechtes infolge einer für den Bw positiven Ausweisungsentscheidung überhaupt möglich ist. Ohne der Berufungsentscheidung vorzugreifen, erscheint die Berufung gegen die erstinstanzliche Ausweisungsentscheidung nicht von vorneherein als aussichtslos. Die vom Bw glaubhaft gemachten Umstände sprechen für eine sehr gute Integration in Österreich. Der Eingriff in sein Privat– und Familienleben durch fremdenpolizeiliche Maßnahmen könnte angesichts der von ihm nicht verschuldeten langen Dauer des einzigen Asylverfahrens im Lichte der zitierten Judikatur des Verfassungsgerichtshofs als unverhältnismäßig gewertet werden.

Der Bw ging daher im vorliegenden Fall vertretbar davon aus, die rechtskräftige Entscheidung über seine Ausweisung im Inland abwarten zu dürfen. Würde er seiner Ausreisepflicht nachkommen, wären nämlich auf Grund der Gesetzeslage des NAG seine Chancen auf einen Aufenthaltstitel zunichte gemacht. Ein Verfahren nach dem NAG wäre einzustellen bzw von Amts wegen gar nicht einzuleiten. In dieser Zwangslage kann dem Bw die angelastete Tat nicht zum Vorwurf gemacht werden.

Der Berufung war daher stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG einzustellen, weil entschuldigende Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit des Bw ausschließen.

5. Bei diesem Ergebnis war dem Bw gemäß § 66 Abs. 1 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich noch ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungs­gerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

Mag. Stierschneider

 

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