Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231207/2/SR/Gru/Sta

Linz, 14.02.2011

 

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung der x, vertreten durch Rechtsanwalt x, x, gegen das Straferkenntnis des Polizeidirektors von Linz vom 10. Dezember 2010, Zl.: S-37.186/10-2, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem Fremdenpolizeigesetz (FPG), zu Recht erkannt:

I.       Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG eingestellt.

II.     Die Berufungswerberin hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens erster Instanz noch zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.

Rechtsgrundlagen:

zu I: §§ 24, 45 Abs. 1 Z.2 und 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) iVm § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG);

zu II: § 66 Abs. 1 VStG.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit dem Straferkenntnis des Polizeidirektors von Linz vom 10. Dezember 2010, Gz.: S-37.186/10-2, wurde die Berufungswerberin (im Folgenden: Bw) wie folgt für schuldig erkannt und bestraft:

 

"Wie vom Fremdenpolizeilichen Referat der BPD Linz am 14.07.2010 anlässlich einer fremdenpolizeilichen Überprüfung festgestellt wurde, sind Sie Fremde im Sinne des § 2 Abs. 4 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes und Sie halten sich seit 25.03.2010 unrechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich auf, da Sie weder aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz noch aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind, Sie nicht im Besitze eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind, Ihnen eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz nicht zukommt und Sie nicht Inhaber einer Beschäftigungsbewilligung, Entsendebewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz sind."

Dadurch habe die Bw eine Verwaltungsübertretung nach § 120 Abs. 1 Z. 2 FPG iVm § 31 Abs. 1 Z. 2-4 u. 6 FPG begangen.

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über die Bw gemäß § 120 Abs. 1 FPG eine Geldstrafe von 1.000,-- Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 4 Tagen, verhängt.

Begründend wurde dazu von der belangten Behörde ausgeführt, dass die zur Last gelegte Verwaltungsübertretung auf Grund entsprechender dienstlicher Wahrnehmungen eines Beamten des fremdenpolizeilichen Referates der BPD Linz, der hierüber vorgelegten Anzeige vom 14. Juli 2010 sowie aufgrund des behördlich durchgeführten Ermittlungsverfahrens zweifelsfrei als erwiesen anzusehen sei.

Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensablaufes und der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen stand für die belangte Behörde fest, dass die Bw Fremde im Sinne des Fremdengesetzes sei und über keine Aufenthalts­berechtigung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz verfüge. Weiters sei die Bw nicht Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels und es komme ihr kein Aufenthaltsrecht nach den asylrechtlichen Bestimmungen zu. Da für sie auch keine Beschäftigungs­bewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz ausgestellt worden sei, erfülle sie keine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 FPG. Sie halte sich somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich auf.

Darüber hinaus sei vom fremdenpolizeilichen Referat der BPD Linz mit Bescheid vom 14. Juli 2010 gegen die Bw wegen unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet die Ausweisung angeordnet worden.

Für die belangte Behörde stehe daher fest, dass sich die Bw tatsächlich unrechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich aufgehalten und somit gegen die angeführten Bestimmungen des Fremdengesetzes verstoßen habe, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Erkenntnissen ausgesprochen habe, bestehe ein hohes Interesse der Allgemeinheit an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch die Normadressaten im Hinblick auf den Schutz der öffentlichen Ordnung (VwGH vom 19.02.1997, Zl. 96/21/0516, ua.).

In diesem Sinne sei bei der Bemessung der Strafe das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung diene und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen habe, berücksichtigt worden. Die verhängte Geldstrafe entspreche dem Unrechts- und Schuldgehalt der Tat.

Mildernd sei die bisherige Unbescholtenheit gewertet worden. Bei der Strafbemessung sei davon auszugehen gewesen, dass sie kein Vermögen besitze, keine Sorgepflichten habe und kein Einkommen beziehen würde.

2. Gegen dieses dem Rechtsvertreter der Bw am 16. Dezember  2010 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 28. Dezember 2010 – und damit rechtzeitig – mittels E-Mail bei der zuständigen Behörde eingebrachte Berufung.

Darin stellt die Bw durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter zunächst den Antrag auf Aufhebung des gegenständlichen Straferkenntnisses und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens, in eventu die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Zurückverweisung zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde bzw. in eventu eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen.

Weiters wird ausgeführt, dass die Bw und ihr Gatte schon langjährig in Österreich aufhältig seien und beide Asylanträge gestellt hätten. Nach Abschluss der Asylverfahren hätten sich beide um die Legalisierung des Aufenthaltes bemüht und Anträge zur Erlangung einer humanitären Niederlassungsbewilligung beim Magistrat der Stadt Linz gestellt. Eine Entscheidung sei bis dato nicht erfolgt, die Bw habe jedoch reell mit der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zu rechnen.

Nach umfassenden Ausführungen, mit denen der Rechtsvertreter eine Verfassungswidrigkeit der vorliegenden Strafbestimmung aufzeigen will, regt er an, der Oö. Verwaltungssenat möge die Frage im Rahmen eines Gesetzesprüfungsverfahrens an den Verfassungsgerichtshof herantragen.

Vor dem Hintergrund des langjährigen Aufenthaltes in Österreich und ihrer gelungenen Integration sei eine zwangsweise Außerlandesbringung nicht zu erwarten. Vielmehr werde eine Entscheidung ergehen, wonach die Erlassung einer Ausweisung für auf Dauer unzulässig erklärt werde.

3. Die Bundespolizeidirektion Linz hat den Verwaltungsstrafakt, AZ: S-37.186/10-2 samt Berufungsschrift vorgelegt.

Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Vorlageakt; da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

3.1. Aufgrund der Aktenlage steht folgender Sachverhalt fest:

3.1.1. Die Bw ist türkische Staatsangehörige und hält sich seit 2003 in Österreich auf. Der 2003 eingebrachte Antrag gemäß § 11 AsylG wurde am 3. Mai 2008 rechtskräftig abgewiesen. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. März 2010 wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt. Der Ablehnungsbeschluss wurde der Bw am 9. April 2010 zugestellt. Im Anschluss daran wurde die vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz vom Bundesasylamt widerrufen.

Unmittelbar danach hat die Bw am 28. April 2010 beim Magistrat der Stadt Linz einen Antrag gemäß § 44 Abs. 4 NAG eingebracht.

3.1.2. Bei der Bearbeitung des Fremdenaktes der Bw stellte das fremdenpolizeiliche Referat der belangten Behörde am 14. Juli 2010 fest, dass das Asylverfahren der Bw seit dem 3. Mai 2008 rechtskräftig abgeschlossen ist und der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 24. März 2010 die Behandlung der Beschwerde abgelehnt hat.

Mit Bescheid vom 14. Juli 2010, Zl. 1-1059930/FRB/10, hat die belangte Behörde gegen die Bw eine Ausweisung erlassen.

Über die dagegen erhobene Berufung ist bis dato nicht entschieden worden.

Nach Vorlage der Anzeige vom 14. Juli 2010, AZ 1059930/FRB, hat die belangte Behörde die Bw mit Schreiben vom 9. September 2010 zur Rechtfertigung aufgefordert und ihr die vorliegende Verwaltungsübertretung angelastet.

Mit Schreiben vom 23. September 2010 hat der Rechtsvertreter seine  Bevollmächtigung bekannt gegeben und um Fristerstreckung von zwei Wochen ersucht. Trotz Einräumung dieser hat die Bw keine Stellungnahme eingebracht.

 

Ohne weitere Ermittlungen hat die belangte Behörde das nunmehr angefochtene Straferkenntnis erlassen.

 

3.2. Es ist unstrittig, dass die Bw den Aufenthalt im Bundesgebiet auf keinen der im § 31 Abs. 1 FPG genannten Gründe stützen kann.

 

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 120 Abs. 1 Z. 2 FPG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 1.000 Euro bis zu 5.000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen, wer sich als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

 

Nach § 31 Abs. 1 leg. cit. halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1. wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;

2. wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;

3. wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind; sofern sie während des Aufenthalts im Bundesgebiet keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen,

4. solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt;

5. (aufgehoben, BGBl. I Nr. 122/2009)

6. wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungs­gesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3 Abs. 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs. 3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, innehaben oder

7. soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.

 

4.2. Im vorliegenden Fall ist (wie im angefochtenen Straferkenntnis vorgeworfen) – auch von der Bw - völlig unbestritten, dass sie keinen der  Tatbestände des § 31 Abs. 1 FPG erfüllt, und dass somit der objektive Tatbestand des unrechtmäßigen Aufenthalts grundsätzlich gegeben ist.

 

Die Einwendung, eine Bestrafung sei nicht zulässig, da der Bw - wegen ihres am 28. April 2010 gemäß § 44 Abs. 4 NAG gestellten Antrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aufgrund erfolgter Integration – die Tat subjektiv nicht vorwerfbar sei, bedarf allerdings einer näheren Erörterung.

 

Gemäß § 44 Abs. 4 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009 kann im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag, der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine quotenfreie „Niederlassungsbewilligung – beschränkt“ erteilt werden,

1.                wenn der Drittstaatsangehörige nachweislich seit dem 1. Mai 2004 durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist und

2.                mindestens die Hälfte des Zeitraumes des festgestellten durchgängigen Aufenthalts im Bundesgebiet rechtmäßig gewesen ist.

 

Die Behörde hat dabei den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache, zu berücksichtigen. Der Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 2 bis 4 kann auch durch Vorlage einer Patenschaftserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 18) erbracht werden. Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 und 5 einschließlich fremdenpolizeilicher Maßnahmen hat die Behörde unverzüglich eine begründete Stellungnahme der der zuständigen Fremdenpolizeibehörde übergeordneten Sicherheitsdirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß § 74 und § 73 AVG gehemmt. Ein einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag (Folgeantrag) ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

 

Nach Abs. 5 begründen Anträge gemäß Abs. 4 kein Aufenthalts- oder Bleiberecht nach diesem Bundesgesetz. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Behörde über einen solchen Antrag hat die zuständige Fremdenpolizeibehörde jedoch mit der Durchführung der eine Ausweisung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn

1.                ein Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung erst nach einer Antragstellung gemäß Abs. 4 eingeleitet wurde und

2.                die Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung – beschränkt“ gemäß Abs. 4 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des Abs. 4 Z. 1 und 2 jedenfalls vorzuliegen haben.

 

Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen der Z. 2 hat die zuständige Fremdenpolizeibehörde vor Durchführung der Abschiebung eine begründete Stellungnahme der Behörde einzuholen. Verfahren gemäß Abs. 4 gelten als eingestellt, wenn der Fremde das Bundesgebiet verlassen hat.

 

Gemäß § 11 Abs. 1 dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

1. gegen ihn ein aufrechtes Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot gemäß §§ 60 oder 62 FPG besteht;

2. gegen ihn ein Aufenthaltsverbot eines anderen EWR-Staates besteht;

3. gegen ihn eine durchsetzbare Ausweisung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;

4. eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 Abs. 1 oder 2) vorliegt;

5. eine Überschreitung der Dauer des erlaubten sichtvermerksfreien oder sichtvermerkspflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 vorliegt oder

6. er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

 

4.3. Der Asylantrag der Bw ist seit dem 3. Mai 2008 rechtskräftig abgewiesen. Nach Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung hat der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 24. März 2010 abgelehnt. Im Anschluss an die Beschlusszustellung am 9. April 2010 hat das Bundesasylamt die vorläufige Aufenthaltsberechtigung widerrufen. Bereits am 28. April 2010 brachte der Bw einen auf § 44 Abs. 4 FPG gestützten Antrag beim Magistrat Linz ein. Über den Antrag wurde bis dato nicht abgesprochen. Aus dem Sachverhalt ergeben sich keine Hinweise darauf, dass eine Antragstellung von Seiten des Bw von vorneherein unzulässig oder unbegründet gewesen wäre.  

 

Das FPG enthält keine eigene Regelung hinsichtlich des Verschuldens, weshalb § 5 Abs. 1 VStG zur Anwendung kommt, wonach zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten genügt. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft (Ungehorsamsdelikt).

 

Auch die gegenständliche Verwaltungsübertretung stellt ein Ungehorsamsdelikt dar. Es genügt daher fahrlässige Tatbegehung. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat die Bw initiativ alles darzulegen, was für ihre Entlastung spricht. Dies hat in erster Linie durch geeignetes Tatsachenvorbringen und durch Beibringung von Beweismitteln oder Stellung konkreter Beweisanträge zu geschehen. Bloßes Leugnen oder allgemein gehaltene Behauptungen reichen für die "Glaubhaftmachung" nicht.

Die Bw bringt diesbezüglich insbesondere die Stellung eines Antrags gemäß § 44 Abs. 4 NAG (wie oben dargestellt) auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung – beschränkt" vor.

Im Beschluss vom 14. September 2009, Zl. AW 2009/21/0149-5, hat der VwGH dargelegt, dass eine Abschiebung während eines anhängigen Verfahrens nach § 44 Abs. 4 NAG nicht in Betracht kommt. Dabei führte der Verwaltungs­gerichtshof begründend aus:

"§ 44 Abs. 4 NAG sieht die quotenfreie Erteilung einer 'Niederlassungsbewilligung – beschränkt' unter den in dieser Bestimmung genannten weiteren Bedingungen nur für solche Drittstaatsangehörige vor, die sich im Bundesgebiet aufhalten. Daraus ist zwingend abzuleiten, dass ihnen einerseits die Befugnis zur Inlandsantragstellung zukommt und dass sie andererseits – wenn ihr Antrag nicht zurückzuweisen ist – aber auch die Entscheidung über ihren Antrag im Inland abwarten dürfen, würde doch ein Verlassen  des Bundesgebietes, sei es auch in Befolgung einer Rechtspflicht, als Konsequenz stets die Abweisung eines Antrags nach § 44 Abs. 4 NAG zur Folge haben. Damit wäre indes die durch die genannte Bestimmung bezweckte Regelung für 'Altfälle' – auch wenn gemäß den Kriterien des § 11 Abs. 3 NAG ein Aufenthaltstitel nicht zu erteilen wäre (siehe dazu ErläutRV 88 BlgNR 24. GP 11) – völlig 'ausgehebelt', was dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden kann."

In der Folge hat der VwGH im Erkenntnis vom 22. Oktober 2009, 2009/21/0293, explizit ausgeführt, dass Anträge nach den §§ 43 Abs. 2, 44 Abs. 3 und 4 NAG den Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzen und daraus zwingend das Recht abzuleiten ist, die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung im Inland abwarten zu dürfen (vgl. auch Erkenntnis vom 25. Februar 2010, 2009/21/2009).

Mit der Novelle des NAG durch BGBl. I Nr. 122/2009 hat der Gesetzgeber in § 44 Abs. 5 NAG jedoch ausdrücklich festgestellt, dass Anträge gemäß § 44 Abs. 4 NAG kein Aufenthalts- oder Bleiberecht begründen. Bei Vorliegen der dargelegten Voraussetzungen hat die zuständige Fremdenpolizeibehörde jedoch mit der Durchführung der eine Ausweisung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten. Verfahren gemäß § 44 Abs. 4 gelten als eingestellt, wenn der Fremde das Bundesgebiet verlassen hat.

4.4. Der Bw kann ein schuldhaftes Verhalten nicht vorgeworfen werden, weil dem vom Verwaltungsgerichtshof postulierten "Bleiberecht nach dem NAG" zwangsläufig auch ein über den Abschiebeschutz hinausgehender Inhalt zukommt. Für die Bw liegt nämlich eine entschuldigende Notstandssituation iSd § 6 VStG mit einem unauflöslichen Interessenkonflikt vor, wenn sie einerseits zur Ausreise verpflichtet ist und andererseits aber im Inland bleiben muss, damit ihr Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltsrechtes überhaupt eine positive Erledigungschance hätte.

Ein Antrag auf humanitäre Niederlassungsbewilligung gemäß § 44 Abs. 4 NAG erschiene nicht aussichtslos, zumal jedenfalls die Voraussetzungen des § 44 Abs. 4 Z 1 und 2 NAG erfüllt scheinen: Die Bw hat unmittelbar nach ihrer Einreise ins Bundesgebiet im Jahr 2003 einen Asylantrag gestellt, war seither durchgängig im Bundesgebiet aufhältig und dieser Aufenthalt war aufgrund des anhängigen Asylverfahrens zum Großteil auch rechtmäßig (Widerruf der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz im Anschluss an die Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes am 9. April 2010).

Da die Bw im vorliegenden Fall ab dem 28. April 2010, dem Zeitpunkt der Antragstellung nach § 44 Abs. 4 NAG berechtigt war, die Entscheidung über diesen Antrag auf Erteilung einer (humanitären) Niederlassungsbewilligung im Inland abwarten zu dürfen, kann ihr jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr der im angefochtenen Straferkenntnis zum Ausdruck kommende Schuldvorwurf gemacht werden. Daran ändert auch der Ausweisungsbescheid vom 14. Juli 2010 nichts.

Laut Aktenlage kann der Bw entgegen den Ausführungen im Spruch erst ab dem 9. April 2010 (Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses des VwGH; Widerruf der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz) vorgehalten werden, dass sie sich unrechtmäßig in Österreich aufhalte.

Von der Bw kann nicht verlangt werden, dass sie am Tag der Kenntnisnahme des Ablehnungsbeschlusses sofort die Ausreise vornimmt. Da sie bereits nach etwas mehr als zwei Wochen nach der Zustellung des Ablehnungsbeschlusses den Antrag gemäß § 44 Abs. 4 NAG eingebracht hat, trifft sie für den gesamten ihr vorgeworfenen Tatzeitraum kein Verschulden. Aus diesem Grund war der Berufung stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG einzustellen.

5. Bei diesem Ergebnis war der Bw weder ein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich noch ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

Mag. Stierschneider

 

 

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