Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-231208/2/SR/Gru/Sta

Linz, 14.02.2011

 

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des x, vertreten durch Rechtsanwalt x, x, gegen das Straferkenntnis des Polizeidirektors von Linz vom 13. Dezember 2010, Zl.: S-40.060/10-2, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem Fremdenpolizeigesetz (FPG), zu Recht erkannt:

I.       Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z.2 VStG eingestellt.

II.     Der Berufungswerber hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens erster Instanz noch zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.

Rechtsgrundlagen:

zu I: §§ 24, 45 Abs.1 Z2 und 51 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) iVm § 66 Abs 4 Allgemeines Verwal­tungsverfahrensgesetz 1991 (AVG);

zu II: § 66 Abs. 1 VStG.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit dem Straferkenntnis des Polizeidirektors von Linz vom 13. Dezember 2010, Gz.: S-40.060/10-2, wurde der Berufungswerber (im Folgenden: Bw) wie folgt für schuldig erkannt und bestraft:

 

"Wie vom Fremdenpolizeilichen Referat der BPD Linz am 12.08.2010 anlässlich einer fremdenpolizeilichen Überprüfung festgestellt wurde, sind Sie Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes und Sie halten sich seit 16.04.2010 unrechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich auf, da Sie weder aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz noch aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind, Sie nicht im Besitze eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind, Ihnen eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz nicht zukommt und Sie nicht Inhaber einer Beschäftigungsbewilligung, Entsendebewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz sind."

Dadurch habe der Bw eine Verwaltungsübertretung nach § 120 Abs. 1 Z. 2 FPG iVm § 31 Abs. 1 Z. 2-4 u. 6 FPG begangen.

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wurde über den Bw gemäß § 120 Abs. 1 FPG eine Geldstrafe von 1.000,-- Euro, im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 4 Tagen, verhängt.

Begründend wurde dazu von der belangten Behörde ausgeführt, dass die zur Last gelegte Verwaltungsübertretung auf Grund entsprechender dienstlicher Wahrnehmungen eines Beamten des fremdenpolizeilichen Referates der BPD Linz, der hierüber vorgelegten Anzeige vom 12. August 2010 sowie aufgrund des behördlich durchgeführten Ermittlungsverfahrens zweifelsfrei als erwiesen anzusehen sei.

Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensablaufes und der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen stand für die belangte Behörde fest, dass der Bw Fremder im Sinne des Fremdengesetzes sei und über keine Aufenthalts­berechtigung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz verfüge. Weiters sei der Bw nicht Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels und es komme ihm kein Aufenthaltsrecht nach den asylrechtlichen Bestimmungen zu. Da für ihn auch keine Beschäftigungs­bewilligung oder Anzeigebestätigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz ausgestellt worden sei, erfülle er keine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 FPG. Er halte sich somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich auf.

Darüber hinaus sei vom fremdenpolizeilichen Referat der BPD Linz mit Bescheid vom 12. August 2010 gegen den Bw wegen unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet die Ausweisung angeordnet worden.

Für die belangte Behörde stehe daher fest, dass sich der Bw tatsächlich unrechtmäßig im Bundesgebiet von Österreich aufgehalten und somit gegen die angeführten Bestimmungen des Fremdengesetzes verstoßen habe, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Erkenntnissen ausgesprochen habe, bestehe ein hohes Interesse der Allgemeinheit an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch die Normadressaten im Hinblick auf den Schutz der öffentlichen Ordnung (VwGH vom 19.02.1997, Zl. 96/21/0516, ua.).

In diesem Sinne sei bei der Bemessung der Strafe das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung diene und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen habe, berücksichtigt worden. Die verhängte Geldstrafe entspreche dem Unrechts- und Schuldgehalt der Tat. Der Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit konnte nicht gewertet werden, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse seien aber beachtet worden.

2. Gegen dieses dem Rechtsvertreter des Bw am 16. Dezember 2010 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 29. Dezember 2010 – und damit rechtzeitig – mittels E-Mail bei der zuständigen Behörde eingebrachte Berufung.

Darin stellt der Bw durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter zunächst den Antrag auf Aufhebung des gegenständlichen Straferkenntnisses und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens, in eventu die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Zurückverweisung zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde bzw. in eventu eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen.

Zum Sachverhalt bringt der Rechtsvertreter vor, dass sich der Bw langjährig in Österreich aufhalte, Asyl beantragt habe und dieses Verfahren mittlerweile zum Abschluss gebracht worden sei. Vor dem Hintergrund des langjährigen Aufenthaltes habe der Bw beim Magistrat Linz einen Antrag auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung gestellt. Eine Entscheidung sei bis dato nicht erfolgt, der Bw habe jedoch reell mit der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zu rechnen.

Nach umfassenden Ausführungen, mit denen der Rechtsvertreter eine Verfassungswidrigkeit der vorliegenden Strafbestimmung aufzeigen will, regt er an, der Oö. Verwaltungssenat möge die Frage im Rahmen eines Gesetzesprüfungsverfahrens an den Verfassungsgerichtshof herantragen.

Vor dem Hintergrund des langjährigen Aufenthaltes in Österreich und seiner gelungenen Integration sei eine zwangsweise Außerlandesbringung nicht zu erwarten. Vielmehr werde eine Entscheidung ergehen, wonach die Erlassung einer Ausweisung für auf Dauer unzulässig erklärt werde.

3. Die Bundespolizeidirektion Linz hat den Verwaltungsstrafakt, AZ: S-40.060/10-2 samt Berufungsschrift vorgelegt.

Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Vorlageakt; da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

3.1. Aufgrund der Aktenlage steht folgender Sachverhalt fest:

3.1.1. Der Bw ist Staatsangehöriger von Pakistan und hält sich seit 2003 in Österreich auf. Der 2003 eingebrachte Antrag auf internationalen Schutz (im Folgenden: Asylantrag) wurde am 17. Mai 2006 rechtskräftig abgewiesen und festgestellt, dass die Ausweisung nach Pakistan zulässig ist. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. April 2010 wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Am 26. Mai 2010 wurde die vorläufige Aufenthaltsberechtigung vom Bundesasylamt widerrufen.

Unmittelbar danach hat der Bw am 8. Juni 2010 beim Magistrat der Stadt Linz einen Antrag gemäß § 44 Abs. 4 NAG eingebracht.

3.1.2. Bei der Bearbeitung des Fremdenaktes des Bw stellte das fremdenpolizeiliche Referat der belangten Behörde am 12. August 2010 fest, dass das Asylverfahren des Bw seit dem 17. Mai 2006 rechtskräftig abgeschlossen ist und der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 15. April 2010 die Behandlung der Beschwerde abgelehnt hat.

Mit Bescheid vom 12. August 2010, Zl. 1-1054503/FRB/10, hat die belangte Behörde gegen den Bw eine Ausweisung erlassen.

Über die dagegen erhobene Berufung ist bis dato nicht entschieden worden.

Nach Vorlage der Anzeige vom 12. August 2010, AZ 1054503/FRB, hat die belangte Behörde den Bw mit Schreiben vom 29. September 2010 zur Rechtfertigung aufgefordert und ihm die vorliegende Verwaltungsübertretung angelastet.

Mit Schreiben vom 11. November 2010 hat der Rechtsvertreter seine  Bevollmächtigung bekannt gegeben und um Fristerstreckung bis 31. Oktober 2010 ersucht. Trotz Einräumung dieser hat der Bw keine Stellungnahme eingebracht.

Ohne weitere Ermittlungen hat die belangte Behörde das nunmehr angefochtene Straferkenntnis erlassen.

 

3.2. Es ist unstrittig, dass der Bw den Aufenthalt im Bundesgebiet auf keinen der im § 31 Abs. 1 FPG genannten Gründe stützen kann.

 

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 120 Abs. 1 Z. 2 FPG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 1.000 Euro bis zu 5.000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen, wer sich als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

 

Nach § 31 Abs. 1 leg. cit. halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1. wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben;

2. wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind;

3. wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind; sofern sie während des Aufenthalts im Bundesgebiet keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen,

4. solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach asylrechtlichen Bestimmungen zukommt;

5. (aufgehoben, BGBl. I Nr. 122/2009)

6. wenn sie eine Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungs­gesetz mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, eine Entsendebewilligung, eine EU-Entsendebestätigung, eine Anzeigebestätigung gemäß § 3 Abs. 5 AuslBG oder eine Anzeigebestätigung gemäß § 18 Abs. 3 AuslBG mit einer Gültigkeitsdauer bis zu sechs Monaten, innehaben oder

7. soweit sich dies aus anderen bundesgesetzlichen Vorschriften ergibt.

 

4.2. Im vorliegenden Fall ist (wie im angefochtenen Straferkenntnis vorgeworfen) – auch vom Bw - völlig unbestritten, dass er keinen der  Tatbestände des § 31 Abs. 1 FPG erfüllt, und dass somit der objektive Tatbestand des unrechtmäßigen Aufenthalts grundsätzlich gegeben ist.

 

Die Einwendung, eine Bestrafung sei nicht zulässig, da dem Bw - wegen seines am 8. Juni 2010 gemäß § 44 Abs. 4 NAG gestellten Antrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aufgrund erfolgter Integration – die Tat subjektiv nicht vorwerfbar sei, bedarf allerdings einer näheren Erörterung.

 

Gemäß § 44 Abs. 4 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009 kann im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag, der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine quotenfreie „Niederlassungsbewilligung – beschränkt“ erteilt werden,

1.                wenn der Drittstaatsangehörige nachweislich seit dem 1. Mai 2004 durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist und

2.                mindestens die Hälfte des Zeitraumes des festgestellten durchgängigen Aufenthalts im Bundesgebiet rechtmäßig gewesen ist.

 

Die Behörde hat dabei den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache, zu berücksichtigen. Der Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 2 bis 4 kann auch durch Vorlage einer Patenschaftserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 18) erbracht werden. Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 und 5 einschließlich fremdenpolizeilicher Maßnahmen hat die Behörde unverzüglich eine begründete Stellungnahme der der zuständigen Fremdenpolizeibehörde übergeordneten Sicherheitsdirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß § 74 und § 73 AVG gehemmt. Ein einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag (Folgeantrag) ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

 

Nach Abs. 5 begründen Anträge gemäß Abs. 4 kein Aufenthalts- oder Bleiberecht nach diesem Bundesgesetz. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Behörde über einen solchen Antrag hat die zuständige Fremdenpolizeibehörde jedoch mit der Durchführung der eine Ausweisung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn

1.                ein Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung erst nach einer Antragstellung gemäß Abs. 4 eingeleitet wurde und

2.                die Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung – beschränkt“ gemäß Abs. 4 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des Abs. 4 Z. 1 und 2 jedenfalls vorzuliegen haben.

 

Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen der Z. 2 hat die zuständige Fremdenpolizeibehörde vor Durchführung der Abschiebung eine begründete Stellungnahme der Behörde einzuholen. Verfahren gemäß Abs. 4 gelten als eingestellt, wenn der Fremde das Bundesgebiet verlassen hat.

 

Gemäß § 11 Abs. 1 dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

1. gegen ihn ein aufrechtes Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot gemäß §§ 60 oder 62 FPG besteht;

2. gegen ihn ein Aufenthaltsverbot eines anderen EWR-Staates besteht;

3. gegen ihn eine durchsetzbare Ausweisung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;

4. eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 Abs. 1 oder 2) vorliegt;

5. eine Überschreitung der Dauer des erlaubten sichtvermerksfreien oder sichtvermerkspflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 vorliegt oder

6. er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

 

4.3. Der Asylantrag des Bw ist seit dem 17. Mai 2006 rechtskräftig abgewiesen. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 15. April 2010 abgelehnt. Nach dem Widerruf der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung am 26. Mai 2010 brachte der Bw bereits am 8. Juni 2010 einen auf § 44 Abs. 4 FPG gestützten Antrag beim Magistrat Linz ein. Über den Antrag wurde bis dato nicht abgesprochen. Aus dem Sachverhalt ergeben sich keine Hinweise darauf, dass eine Antragstellung von Seiten des Bw von vorneherein unzulässig oder unbegründet gewesen wäre.  

Das FPG enthält keine eigene Regelung hinsichtlich des Verschuldens, weshalb § 5 Abs. 1 VStG zur Anwendung kommt, wonach zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten genügt. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft (Ungehorsamsdelikt).

Auch die gegenständliche Verwaltungsübertretung stellt ein Ungehorsamsdelikt dar. Es genügt daher fahrlässige Tatbegehung. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat der Bw initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht. Dies hat in erster Linie durch geeignetes Tatsachenvorbringen und durch Beibringung von Beweismitteln oder Stellung konkreter Beweisanträge zu geschehen. Bloßes Leugnen oder allgemein gehaltene Behauptungen reichen für die "Glaubhaftmachung" nicht.

Der Bw bringt diesbezüglich insbesondere die Stellung eines Antrags gemäß § 44 Abs. 4 NAG (wie oben dargestellt) auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung – beschränkt" vor.

Im Beschluss vom 14. September 2009, Zl. AW 2009/21/0149-5, hat der VwGH dargelegt, dass eine Abschiebung während eines anhängigen Verfahrens nach § 44 Abs. 4 NAG nicht in Betracht kommt. Dabei führte der Verwaltungs­gerichtshof begründend aus:

"§ 44 Abs. 4 NAG sieht die quotenfreie Erteilung einer 'Niederlassungsbewilligung – beschränkt' unter den in dieser Bestimmung genannten weiteren Bedingungen nur für solche Drittstaatsangehörige vor, die sich im Bundesgebiet aufhalten. Daraus ist zwingend abzuleiten, dass ihnen einerseits die Befugnis zur Inlandsantragstellung zukommt und dass sie andererseits – wenn ihr Antrag nicht zurückzuweisen ist – aber auch die Entscheidung über ihren Antrag im Inland abwarten dürfen, würde doch ein Verlassen  des Bundesgebietes, sei es auch in Befolgung einer Rechtspflicht, als Konsequenz stets die Abweisung eines Antrags nach § 44 Abs. 4 NAG zur Folge haben. Damit wäre indes die durch die genannte Bestimmung bezweckte Regelung für 'Altfälle' – auch wenn gemäß den Kriterien des § 11 Abs. 3 NAG ein Aufenthaltstitel nicht zu erteilen wäre (siehe dazu ErläutRV 88 BlgNR 24. GP 11) – völlig 'ausgehebelt', was dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden kann."

In der Folge hat der VwGH im Erkenntnis vom 22. Oktober 2009, 2009/21/0293, explizit ausgeführt, dass Anträge nach den §§ 43 Abs. 2, 44 Abs. 3 und 4 NAG den Aufenthalt im Bundesgebiet voraussetzen und daraus zwingend das Recht abzuleiten ist, die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung im Inland abwarten zu dürfen (vgl. auch Erkenntnis vom 25. Februar 2010, 2009/21/2009).

Mit der Novelle des NAG durch BGBl. I Nr. 122/2009 hat der Gesetzgeber in § 44 Abs. 5 NAG jedoch ausdrücklich festgestellt, dass Anträge gemäß § 44 Abs. 4 NAG kein Aufenthalts- oder Bleiberecht begründen. Bei Vorliegen der dargelegten Voraussetzungen hat die zuständige Fremdenpolizeibehörde jedoch mit der Durchführung der eine Ausweisung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten. Verfahren gemäß § 44 Abs. 4 gelten als eingestellt, wenn der Fremde das Bundesgebiet verlassen hat.

4.4. Dem Bw kann ein schuldhaftes Verhalten nicht vorgeworfen werden, weil dem vom Verwaltungsgerichtshof postulierten "Bleiberecht nach dem NAG" zwangsläufig auch ein über den Abschiebeschutz hinausgehender Inhalt zukommt. Für den Bw liegt nämlich eine entschuldigende Notstandssituation iSd § 6 VStG mit einem unauflöslichen Interessenkonflikt vor, wenn er einerseits zur Ausreise verpflichtet ist und andererseits aber im Inland bleiben muss, damit sein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltsrechtes überhaupt eine positive Erledigungschance hätte.

Ein Antrag auf humanitäre Niederlassungsbewilligung gemäß § 44 Abs. 4 NAG erschiene nicht aussichtslos, zumal jedenfalls die Voraussetzungen des § 44 Abs. 4 Z 1 und 2 NAG erfüllt scheinen: Der Bw ist offenbar seit dem Jahr 2003 (Asylantrag Zl. AI 03 1830621) durchgängig im Bundesgebiet aufhältig und dieser Aufenthalt war aufgrund des anhängigen Asylverfahrens zum Großteil auch rechtmäßig (Widerruf der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz am 26. Mai 2010).

Da der Bw im vorliegenden Fall ab dem 8. Juni 2010, dem Zeitpunkt der Antragstellung nach § 44 Abs. 4 NAG berechtigt war, die Entscheidung über diesen Antrag auf Erteilung einer (humanitären) Niederlassungsbewilligung im Inland abwarten zu dürfen, kann ihm jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr der im angefochtenen Straferkenntnis zum Ausdruck kommende Schuldvorwurf gemacht werden. Daran ändert auch der Ausweisungsbescheid vom 12. August 2010 nichts.

Laut Aktenlage kann dem Bw entgegen den Ausführungen im Spruch erst ab dem 26. Mai 2010 (vermutlicher Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses des VwGH; Widerruf der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz) vorgehalten werden, dass er sich unrechtmäßig in Österreich aufhalte.

Vom Bw kann nicht verlangt werden, dass er am Tag der Kenntnisnahme des Ablehnungsbeschlusses sofort die Ausreise vornimmt. Da er ca. zwei Wochen nach dem Widerruf den Antrag gemäß § 44 Abs. 4 NAG eingebracht hat, trifft ihn für den gesamten ihm vorgeworfenen Tatzeitraum kein Verschulden. Aus diesem Grund war der Berufung stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z.2 VStG einzustellen.

5. Bei diesem Ergebnis war dem Bw weder ein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich noch ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde vorzuschreiben.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

Mag. Stierschneider

 

 

 

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