Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-400901/14/BP/Ga

Linz, 22.02.2011

 

E r k e n n t n i s

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Dr. Bernhard Pree über die Beschwerde des X, StA X, vertreten durch Dr. X, wegen Anhaltung in Schubhaft im Zeitraum vom 6. August 2007 bis 9. August 2007 durch den Bezirkshauptmann des Bezirks Vöcklabruck, nach Aufhebung des Erkenntnisses VwSen-400901/7/BP/Wb/Hu vom 6. September 2007 durch den Verwaltungsgerichtshof, neuerlich zu Recht erkannt:

 

 

I.               Der Beschwerde wird stattgegeben und die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft von 6. bis 9. August 2007 für rechtswidrig erklärt.

 

II.           Der Bund (Verfahrenspartei: Bezirkshauptmann von Vöcklabruck) hat dem Beschwerdeführer den Verfahrensaufwand in Höhe von 737,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

 

 

 

 

Rechtsgrundlagen:

§§ 82 Abs. 1 und 83 Abs. 2 und 4 Fremdenpolizeigesetz – FPG (BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 99/2006) iVm §§ 67c und 79a Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG und der UVS-Aufwandsersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 456/2008.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmanns von Vöcklabruck vom 6. August 2007, Zl. Sich 40-2415-2007, wurde über den Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf) auf der Basis des § 76 Abs 2 Z. 4 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, BGBl. I Nr. 99/2006, iVm § 80 Abs 5 FPG und iVm § 57 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 – AVG zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung sowie zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt und durch Überstellung in das Polizeianhaltezentrum Linz am selben Tag vollzogen.

 

Die belangte Behörde geht dabei im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus: Bereits am 24. Juli 2007 sei die hochschwangere Ehegattin des Bf mit dem jüngsten Kind der beiden illegal und, ohne gültiges Reisedokument, schlepperunterstützt von Polen kommend, in einem LKW versteckt, nach Österreich eingereist und habe für sich und ihr Kind am selben Tag einen Asylantrag in der EASt West gestellt. Durch Überprüfung der Fingerabdrücke habe festgestellt werden können, dass sie bereits am 30. Dezember 2006 in X in Polen ein Asylbegehren eingebracht hatte. Im Zuge ihrer Erstbefragung am 24. Juli 2007 vor Organen der Bundespolizeidirektion Linz habe die Frau des Bf angeführt, X Staatsangehörige zu sein, ihr Heimatland mit einem Reisepass verlassen zu haben und illegal mit dem Zug über X nach Polen eingereist zu sein, wo ihr nach Einbringung eines Asylantrages im Folgenden im Flüchtlingslager X eine Unterkunft zugewiesen worden sei. Ohne den Verfahrensausgang abgewartet zu haben, sei sie illegal in Unkenntnis der Reiseroute, schlepperunterstützt in Österreich eingereist, wobei ihr Ehegatte für das Schlepperentgelt von 450 Euro pro Person aufgekommen sei. Der Bf sei mit zwei weiteren Kindern nach wie vor in Polen. Die dort zugewiesene Unterkunft habe aufgrund der Lebensbedingungen in Polen jedoch nicht entsprochen. Sie wolle unter keinen Umständen nach Polen zurück, wann der Bf mit den beiden Kindern nach Österreich einreisen würde, wisse sie nicht. Mit Schriftsatz des BAA EASt West vom 25. Juli 2007, Zl. 07 06.725, sei der Ehegattin des Bf gem. § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG 2005 mitgeteilt worden, dass beabsichtigt sei, ihren Asylantrag gem. § 5 AsylG 2005 zurückzuweisen sowie, dass der Konsultationsmechanismus mit Polen eingeleitet wurde. Dieses Schreiben sei am 30. Juli 2007 im LKH X, wo die Ehegattin des Bf am X ihr Kind zur Welt gebracht hatte, zugestellt worden.

 

Die belangte Behörde führt weiters aus, dass eine namhaft gemachte Schwester des Bf gemeinsam mit deren Gatten und drei Kindern nach Polen ausgewiesen worden sei und kein Aufenthaltsrecht in Österreich hätte.

 

Am 1. August 2007 sei schließlich der Bf mit zwei Kindern illegal von Polen schlepperunterstützt, in einem LKW versteckt, nach Österreich eingereist und im Bezirk X aufgegriffen worden. In der Folge habe er am 2. August 2007 für sich und seine beiden Kinder einen Asylantrag gestellt, wobei er u.a. angegeben habe, völlig mittellos zu sein, außer seiner Schwester keine Bezugspersonen in Österreich zu haben und staatlicher Unterstützung zu bedürfen.

 

Am 5. August sei seine Ehegattin mit dem Neugeborenen aus dem LKH X entlassen und in die EASt West rückverlegt worden. Am 6. August 2007 sei der Bf niederschriftlich befragt worden. Dabei habe er angeführt, in die Europäische Union über Weißrussland nach Polen illegal eingereist zu sein und beim Grenzübertritt gemeinsam mit seiner Frau betreten worden zu sein, weswegen er in Polen ein Asylbegehren eingebracht habe. In Polen seien die Lebensbedingungen jedoch nicht besonders; im Kontakt mit seiner Schwester habe er erfahren, dass die Lebensbedingungen in Österreich besser seien, weshalb er seine Ehegattin zunächst vorausgeschickt habe und dann selbst nach Österreich gereist sei. Den Verfahrensstand in Polen habe er nicht abgewartet; die zur Verfügung gestellte Unterkunft habe er ohne Abmeldung verlassen; nach Polen würde er unter keinen Umständen zurückkehren wollen; er habe 450,00 Euro pro Person für die illegale Einreise nach Österreich als Schlepperentgelt entrichtet. Er verfüge über keine nennenswerten Barmittel und keinen gemeldeten Wohnsitz im Bundesgebiet.

 

Aus dem zitierten Protokoll geht zusätzlich zu den Feststellungen der belangten Behörde weiters hervor, dass der Bf angab: "Ich wurde davon in Kenntnis gesetzt, dass ich mit 31.07.2007 illegal in Polen wäre. Anschließend bin ich vom Lager weg…". Als Fluchtgrund gab der Bf zunächst an, aufgrund der politischen Situation in Tschetschenien – auch durch einen Vorfall 2003 selbst – bedroht gewesen zu sein, danach verwies er jedoch auf eine ihm drohende Blutrache wegen eines Autounfalls, in den er involviert war und bei dem zwei Personen ums Leben kamen.

 

Die belangte Behörde führt weiter aus, dass alleine aufgrund des geschilderten Sachverhaltes die Annahme gerechtfertigt sei, dass der Aufenthalt des Bf eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle, weshalb die Sicherung des Verfahrens der bereits eingeleiteten Ausweisung sowie deren Durchsetzung geplant sei. Der Bf habe bereits in Polen, somit in einem Mitgliedsstaat der EU, Unterkunft und Versorgung erhalten, habe diese als nicht entsprechend erachtet und sich dem Asylverfahren entzogen. Er habe erhebliche Barmittel aufgewendet, um unverantwortlich seiner hochschwangeren Frau und seinen Kindern gegenüber deren illegale Weiterreise in einem LKW versteckt nach Österreich zu bewerkstelligen. Ein derartiges Risiko, welches sich nicht mit der Schutzsuche vor Verfolgung rechtfertigen lasse, sei der Bf eingegangen, nur um in ein wirtschaftlich besser positioniertes Land der EU zu gelangen. Um sicher zu gehen, keine fremdenpolizeilichen Maßnahmen, die in einer Rücküberstellung nach Polen münden würden, erdulden zu müssen, sei der Bf sogar soweit gegangen, seine hochschwangere Ehegattin mit dem jüngsten Kind vorauszuschicken, um die Lage in Österreich zu erkunden. Zur weiteren Sicherheit habe der Bf die zwei älteren Kinder bei sich behalten, um ebenso als alleinstehender Elternteil in gewogener Sicherheit illegal nach Österreich reisen zu können. Der Bf habe ohne entsprechende Bedrohungssituation das Leben seiner Frau sowie seiner Kinder aufs Spiel gesetzt. Auch wenn die Verhängung der Schubhaft über die Ehegattin ebenfalls geboten sei, sei mit Rücksicht auf die familiäre Situation über sie und die Kinder das gelindere Mittel verhängt worden. Im Fall des Bf bestehe eine besonders hohe Fluchtgefahr, zumal er dokumentiert habe, nicht nach Polen bzw. in seine Heimat zurückkehren zu wollen, ihm aus dem Asylverfahren seiner Ehegattin die drohende Ausweisung nach Polen bekannt gewesen sei und er überdies auch erfahren habe, dass seine Schwester mit deren Familie nach Polen ausgewiesen werden solle. Es sei eindeutig damit zu rechnen, dass der Asylantrag des Bf und dessen Familie nach Abschluss des Konsultationsverfahrens mit Polen nach dem Dubliner-Abkommen mangels Zuständigkeit Österreichs zurückgewiesen werde. Im Sinne eines ordnungsgemäßen Gesetzesvollzuges und der Abwägung der öffentlichen Interessen mit dem Bf als Kindesvater bzw. seiner Ehegattin als Kindesmutter habe jedoch – im Rahmen des Ergebnisses einer Einzelfallprüfung – die Anwendung der gelinderen Mittel zur Sicherung der Ausweisung und der Abschiebung im Falle des Bf auch unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK als keinesfalls ausreichend angesehen werden können.

 

1.2. Am 9. August 2007 wurde der Bf mangels Haftfähigkeit aufgrund eines Hungerstreiks aus der Schubhaft im PAZ Linz entlassen.

 

1.3. Gegen seine Anhaltung in Schubhaft erhob der Bf mit Schriftsatz vom
29. August 2007 (beim Unabhängigen Verwaltungssenat eingebracht per Telefax am 30. August) Beschwerde an den Oö. Verwaltungssenat und beantragt darin, dass nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, die Verhängung der Schubhaft und die Anhaltung als rechtswidrig festgestellt werden sowie dass ihm die Verfahrenskosten zu Handen seines Vertreters X zu ersetzen seien.

 

Begründend führt der Bf u.a. aus, dass er in Polen durch Agenten des Kadyrov-Regimes zusammengeschlagen worden und deshalb dort nicht sicher gewesen sei. Aus Sorge um das Wohl seiner hochschwangeren Frau und seiner Kinder sei zur Erlangung einer besseren medizinischen Versorgung die Weiterflucht nach Österreich angetreten worden.

 

Durch Art. 1 BVG zum Schutz der persönlichen Freiheit und Art. 5 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte würden dem Ermessen der Behörde beim Eingriff in eines der zentralsten Grundrechte des Menschen enge Grenzen gesetzt.

 

Bei verfassungskonformer Interpretation der §§ 76 und 77 FPG werde man insbesondere im Hinblick auf Art. 1 Abs. 3 des BVG zum Schutz der persönlichen Freiheit sowie Art. 5 EMRK den gelinderen Mitteln gemäß § 77 FPG den Vorzug geben müssen. Die belangte Behörde habe rechtswidriger Weise keine Prüfung der Anwendbarkeit eines gelinderen Mittels vor der Verhängung der Schubhaft vorgenommen, denn die Behauptung, dass der Bf samt seiner Frau und seinen Kindern untertauchen werde, könne ernsthaft nicht als eine solche Auseinandersetzung gesehen werden. Weiters verstoße die Maßnahme gegen Art. 8 EMRK und sei insbesondere unverhältnismäßig. Durch die Schubhaft sei der Bf – und zugleich seine Gattin und die gemeinsamen Kinder – in ihrem durch Art 8 EMRK gewährleisteten Recht auf Schutz seines/ihres Familienlebens verletzt worden.

 

Die belangte Behörde habe kein stichhaltiges Argument vorgebracht, wonach durch das Verhalten des Bf eines der in Art. 8 EMRK genannten Schutzgüter gefährdet gewesen sei.

 

Der Bf verweist hinsichtlich der Flüchtlingssituation in Polen auf eine Presseerklärung des Sächsischen Flüchtlingsrates und erhebt diese zum Inhalt seiner Beschwerde. Unter anderem heißt es darin, dass eine Verbesserung der medizinischen Versorgung nur mit der Aufwendung von, das monatliche Taschengeld von 70 Zloty (20 Euro) übersteigenden, Barmitteln möglich wäre.

 

Es könne keinesfalls davon ausgegangen werden, dass der Asylantrag des Bf mangels Zuständigkeit Österreichs zurückgewiesen werde.

 

Der Bf verweist auf ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, dass bei ähnlichem Sachverhalt die Schubhaftverhängung als verfassungswidrig erklärt habe.

 

Die Behauptung der belangten Behörde, die Gefahr sei groß, dass der Bf seinen Unterhalt auf illegale Art und Weise bewerkstelligen und straffällig werden könnte, stehe in krassem Widerspruch zu der ihm grundrechtlich garantierten Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK) und stelle überdies den Tatbestand der üblen Nachrede dar; eine diesbezügliche Strafanzeige behalte sich der Bf vor.

 

2.1. Mit Schreiben vom 31. August 2007 legte die belangte Behörde den bezughabenden Akt vor, beantragte, die gegenständliche Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen und erstattete eine Gegenschrift.

 

Darin führt sie u.a. aus, dass die medizinische Versorgung in Polen durchaus europäischen Standards entspreche, was auch für die Versorgung bei Geburten einschließlich Kaiserschnitt gelte, wobei jedoch eingeräumt werde, dass die generelle Flüchtlingsbetreuung in Österreich mehr Luxus aufweise. Gerade in einer Bedrohungssituation dürfe Letzteres keine Rolle spielen. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass es nicht angehe, vor österreichischen Behörden die Rechtsstaatlichkeit Polens in Frage zu stellen. Lediglich im Einzelfall könne es Aufgabe der Republik Österreich und im Besonderen des Bundesasylamtes sein, Bedenken zu prüfen und vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.

 

Die Ausweisung des Bf und seiner Familie stehe unmittelbar bevor, wobei die Ausreiseunwilligkeit des Bf eindeutig dokumentiert sei.

 

Die Fluchtgefahr sei im Falle des Bf zweifellos evident, wobei die Vermutung geäußert wird, dass im ggst. Fall ein "Schutzraum" verfügbar sein dürfte.

 

Der Oö. Verwaltungssenat wies in seinem Erkenntnis vom 6. September 2007, VwSen-400901/7/BP/Wb/Hu, die vorliegende Schubhaftbeschwerde als unbegründet ab. Dagegen erhob der Bf – nunmehr rechtsfreundlich vertreten – Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, der in seinem Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2007/21/0523-5, den angefochtenen Rechtsakt für rechtswidrig erklärte und diesen aufhob.

 

Der Oö. Verwaltungssenat ist sohin neuerlich – unter Berücksichtigung der vom VwGH aufgestellten Überlegungen – zur Entscheidung berufen.

 

2.3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat nach Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt festgestellt, dass der Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde hinreichend geklärt ist, weshalb von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen werden konnte.

 

 

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

3.1. Gemäß § 82 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 – FPG, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 99/2006, hat der Fremde das Recht, den Unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechts­widrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen,

1.    wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist;

2.    wenn er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz oder das Asylgesetz 2005 angehalten wird oder wurde, oder

3.    wenn gegen ihn die Schubhaft angeordnet wurde.

 

Gemäß § 83 Abs. 4 FPG hat der Unabhängige Verwaltungssenat, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden.

 

3.2. Es ist unbestritten, dass der Bf aufgrund des Bescheides des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck von 6. August 2007 bis 9. August 2007 in Schubhaft angehalten wurde, weshalb der Oö. Verwaltungssenat zur Entscheidung berufen ist.

 

Die ggst. Beschwerde differenziert nicht zwischen der hierzu behandelnden Anhaltung und einer weiteren mit Bescheid vom 9. August 2007 verfügten in Schubhaftnahme vom 9. August 2007 bis 29. August 2007. Es handelt sich bei diesen Maßnahmen jedoch um zwei getrennt von einander zu beurteilenden Ereignissen, denen insbesondere zwei Schubhaftbescheide mit teils unterschiedlichen Begründungen sowie herangezogenen Gesetzesbestimmungen zu Grunde liegen. Im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungs­gerichtshofes im Bereich der Maßnahmenbeschwerden waren die o.a. Ereignisse in rechtlicher Hinsicht getrennt von einander zu beurteilen und mit Bedacht auf einen höchstmöglichen Rechtsschutz, die gegenständliche Schubhaftbeschwerde als gegen beide Anhaltungen eingebracht zu betrachten.

 

Nachdem sich der Bf zur Zeit der Entscheidung des Oö. Verwaltungssenates nicht mehr in Schubhaft befindet, waren gemäß § 83 Abs. 4 letzter Satz, die in der Beschwerde geltend gemachten Punkte zu beurteilen.

 

3.3. Gemäß § 76 Abs. 2 FPG kann die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn

1.    gegen ihn eine durchsetzbare – wenn auch nicht rechtskräftige – Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) erlassen wurde;

2.    gegen ihn nach den Bestimmungen des AsylG 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;

3.    gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60) verhängt worden ist oder

4.    aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.

 

Die Schubhaft ist nach dem § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich mit Mandatsbescheid gemäß § 57 AVG anzuordnen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zur Erlassung des Bescheides aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft.

 

Aufgrund des Asylantrags vom 2. August 2007 ist der Bf Asylwerber, weshalb die Bestimmung des § 76 Abs. 2 FPG grundsätzlich zur Anwendung kommen kann. Der Bf reiste, wie aus dem Sachverhalt eindeutig hervorgeht, von Polen kommend – somit von einem sicheren Drittstaat – nach Österreich ein, weshalb die belangte Behörde aufgrund seiner eigenen Angaben im Rahmen der Erstbefragung am 6. August 2007 sowie einer vom BAA seiner Ehegattin am
30. Juli 2007 zugestellten Mitteilung nach § 29 Abs. 3 AsylG zu Recht von der Anwendbarkeit des § 76 Abs. 2 Z. 4 FPG ausging, nämlich dass der Antrag des Bf auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werde.

 

Auch wenn der Bf verschiedenste Fälle anführt, in denen die Republik Österreich von einer Zurückweisung im Rahmen des Dublin-Konsultationsmechanismus keinen Gebrauch machte, konnte die belangte Behörde durchaus zu Recht davon ausgehen, dass der vorliegende einen vom Gesetzestext umfassten Fall darstelle und eine Zurückweisung des Asylantrages mangels Zuständigkeit Österreichs erfolgen werde. Die Ehegattin des Bf, die nur wenige Tage vor ihm zur Geburt ihres vierten Kindes gemeinsam mit dem bislang jüngsten Kind der beiden nach Österreich einreiste, erhielt wie im Sachverhalt dargestellt bereits am 30. Juli 2007 eine Mitteilung gem. § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG 2005, in der ihr die beabsichtigte Zurückweisung ihres Asylantrages sowie die Ausweisung nach Polen in Aussicht gestellt wurde. Nachdem sich die zugrundeliegenden Sachverhalte voneinander nicht evident unterscheiden, war der Rückschluss der belangten Behörde, dass auch der Bf eine entsprechende Mitteilung über die beabsichtigte Zurückweisung des Asylantrages erhalten werde, durchaus zulässig und wurde auch nachträglich bestätigt. Die belangte Behörde hat somit die verhängte Schubhaft zu Recht auf die Alternative § 76 Abs. 2 Z. 4 gestützt.

 

3.4.1. Aus der "Kann-Bestimmung" des § 76 Abs. 2 FPG wird deutlich, dass es sich bei der Verhängung der Schubhaft um eine Ermessensentscheidung handelt. Es müssen daher im konkreten Fall Umstände in der Person des Bf gelegen gewesen sein, die erwarten ließen, dass sich der Bf dem Verfahren gemäß § 76 Abs. 2 FPG entziehen würde.

 

3.4.2. In seinem Erkenntnis vom 6. September 2007 VwSen-400901/BP/Wb/Hu, führte der Oö. Verwaltungssenat zum Vorliegen des Sicherungsbedarfes Nachstehendes aus:

"Wie unter Pkt. 1.1 dargestellt, wendete der Bf beträchtliche Ressourcen, sowohl persönlich als auch finanziell dafür auf, um in einen für ihn wirtschaftlich attraktiven Staat der Europäischen Union zu gelangen, um dort mit seiner Familie aufhältig zu sein. Es ist festzustellen, dass die vorgebliche Befürchtung, auch in Polen verfolgt zu werden, völlig aus der Luft gegriffen erscheint, zumal dieser Umstand auch erst im Rahmen der Beschwerde ausgeführt wurde. Die divergierenden Äußerungen hinsichtlich der Fluchtgründe (eine Verfolgung aus dem Jahr 2003 einerseits, eine Blutrache wegen eines Autounfalls im Jahr 1999 andererseits) erscheinen überdies nicht schlüssig. Ausschlaggebender dürfte da schon die Tatsache gewesen sein, dass er in Polen nur ein geringes  Taschengeld erhielt und den Standard der Versorgung auch im Hinblick auf die bevorstehende Geburt seines Kindes als nicht angemessen betrachtete. Außerdem war dem Bf – wie sich aus dem Akt ergibt – der Umstand der Abweisung des Asylantrags von Polen bekannt und als Datum des Ablaufs der Aufenthaltsberechtigung in Polen der 31. Juli 2007 angesetzt. Um einer Ausweisung in sein Heimatland zu entgehen, war es also aus Sicht des Bf erforderlich, Polen zu verlassen. So bewies er schon bei dieser Gelegenheit, dass er durchaus bereit ist, sich fremdenpolizeilichen Maßnahmen zu entziehen und den Abschluss eines Verfahrens nicht abzuwarten.

 

Es ist davon auszugehen, dass der Schlepperlohn von immerhin 450 Euro pro Person als "Eintrittspreis" in einen wirtschaftlich attraktiven Staat der Europäischen Union diente. Wäre es nur um die Erlangung von Asyl und der Flucht vor einer Bedrohungssituation gegangen, hätte wohl ein einfacher Grenzübertritt von Polen in die Tschechische Republik genügt, der zweifellos viel billiger gewesen wäre. Darüber hinaus wäre rein sprachlich ein slawisch-sprachiges Land wie die Tschechische Republik der russisch-sprachigen Familie des Bf wohl in dieser Hinsicht näher gestanden.

 

Wenn der Bf behauptet, dass die medizinische Versorgung in Polen nicht ausreichend gewesen sei und er in der Beschwerde auf eine Presseaussendung des Sächsischen Flüchtlingsrates verweist, wonach u.a. der Standard der medizinischen Versorgung nur durch Aufwendung zusätzlicher Geldmittel neben dem zur Verfügung gestellten Taschengeld erforderlich sei, stellt sich doch die Frage, weshalb der Bf nicht die für den Schlepperlohn aufgewendete beträchtliche Summe für die Verbesserung der Versorgung seiner Gattin bei der Geburt einsetzte und ihr und dem ungeborenen Kind die gefährliche und beschwerliche Reise ersparte.

 

Die Tatsache, dass z.B. eine Schwester des Bf in Österreich untergekommen zu sein schien, dürfte ausschlaggebend für die Wahl Österreichs als wirtschaftlich attraktives Zielland gewesen sein, da der Bf sich den gewünschten Lebensstandard hier erhoffte. Der Bf verfolgte sein Ziel aber gerade ohne jede Rücksichtnahme auf seine hochschwangere Frau und seine drei minderjährigen Kinder. Es ist unbestritten, dass weder für eine Hochschwangere noch für ein Kleinkind eine strapazenreiche Reise – versteckt in einem Lkw – als zumutbar zu betrachten ist. Solche Gefährdungen, insbesondere des Lebens seiner Frau und seines ungeborenen Kindes, ohne konkrete Bedrohungssituation in Kauf zu nehmen, weist eindeutig darauf hin, dass primär Zielland eben ein wirtschaftlich attraktives war. Die belangte Behörde weist auch folgerichtig auf die strategisch gut geplanten getrennten und zeitversetzten Reisebewegungen der Familie des Bf hin, die es den österreichischen Behörden erschweren sollten, einer Hochschwangeren bzw. Gebärenden und einem Kleinkind einerseits, wie einem seine minderjährigen Kinder begleitenden Vater andererseits den Aufenthalt im Bundesgebiet zu versagen.

 

Aus Aussagen des Bf, wie auch aus der Beschwerde, geht eindeutig hervor, dass er auf keinen Fall nach Polen überstellt werden will. Von einer sozialen und beruflichen Integration kann – der belangten Behörde folgend – im Falle des Bf nicht ausgegangen werden.

 

Dass der Bf nicht gewillt ist, sich an die Rechtsordnungen seiner Gastländer zu halten, wird durch die mehrfachen illegalen Grenzübertritte, sein Untertauchen in Polen vor einer drohenden Ausweisung und seinen Hungerstreik in der Schubhaft, mit dem er diese Maßnahme auch zum Ende brachte, ersichtlich. Auch seine Rückkehrunwilligkeit nach Polen bzw. nach Tschetschenien ist ausreichend dokumentiert, wie auch die Tatsache, dass ihm dazu jedes Mittel – auch die Gefährdung seiner Familienmitglieder - recht ist.

 

Wenn vom Bf gerügt wird, dass die belangte Behörde äußerte, er könne nach seinem Untertauchen einer illegalen Beschäftigung nachgehen, was er als Vorverurteilung empfindet, ist festzustellen, dass es sich hiebei nicht um eine Beschuldigung, eine konkrete Tat verübt zu haben oder deren Verübung zu planen, handelt, sondern um eine – im Rahmen einer Einzelfallprüfung vorgenommene Prognoseabwägung, die zur Beurteilung der Erforderlichkeit der verhängten Maßnahme unerlässlich ist.

 

Aus den bisherigen Darstellungen kann der belangten Behörde hinsichtlich ihrer Prognose, dass die Gefahr bestand, dass der Bf auf freiem Fuß belassen in die Illegalität untertauchen würde, nur gefolgt werden. Es muss im Falle des Bf daher von einem besonders hohen Sicherungsbedarf ausgegangen werden.

 

3.4.3. In seinem Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2007/21/0523-5, folgte das Höchstgericht den obigen Überlegungen nicht und sah den Sicherungsbedarf im vorliegenden Fall als nicht gegeben an. Hinsichtlich der Begründung wird auf das oa. Erkenntnis verwiesen.

 

Bei diesem Beurteilungsstand erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren Behauptungen in der Beschwerde.

 

3.5. Es war also – schon mangels Vorliegens eines Sicherungsbedarfes - die gegen den Bf gesetzte Maßnahme der Anhaltung in Schubhaft von 6. bis 9. August 2007  für rechtswidrig zu erklären und spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

4. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Bund als Rechtsträger, für den die belangte Behörde eingeschritten ist, nach § 79a Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4 Z 3 AVG iVm § 1 der UVS-Aufwandersatzverordnung (BGBl. II Nr. 456/2008) zu einem Aufwandersatz in Höhe von insgesamt 737,60 Euro zu verpflichten.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweis:

 

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – jeweils von einer bevollmächtigten Rechtsanwältin oder einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht werden. Für jede dieser Beschwerden ist eine Eingabegebühr von 220 Euro zu entrichten.

 

 

 

 

 

Bernhard Pree

 

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